Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 10. Der Reichstag zu Worms 1509 bearbeitet von Dietmar Heil
Der unmittelbar nach der Kaiserdeklaration Maximilians I. im Februar 1508 eröffnete Feldzug gegen Venedig endete sehr bald in einem militärischen Desaster. Der Kaiser sah sich zur Rückkehr in das Reich veranlasst, zum einen wegen der Gefährdung der burgundischen Erblande durch den von Frankreich unterstützten Herzog Karl von Geldern, zum anderen wollte er sich um weitere Hilfen aus dem Reich für die Fortsetzung des Krieges nicht nur gegen Venedig, sondern für einen umfassenden Rachefeldzug gegen alle für das Scheitern des Romzugs und somit für die improvisierte Kaisererhebung in Trient verantwortlich gemachten Feinde des Hauses Habsburg bemühen.17 Immer neue Planungsansätze hierfür korrespondierten mit kurzfristig aufeinander folgenden Ladungen an Reichsstände nach Ulm, Oberwesel, Speyer, Frankfurt und schließlich Mainz (Nrr. 1, 3, 4, 6, 9; 10, Pkt. 1). Der Ende März/Anfang April 1508 in Ulm abgehaltene Schwäbische Bundestag sollte nach den Plänen Maximilians durch Nichtmitglieder wie Kursachsen, Pfalz oder Eichstätt zu einer alternativen Versammlungsform erweitert werden (Nr. 25, Anm. 1). Letztlich verweigerten die Bundesstände die Kooperation und verwiesen auf die Zuständigkeit der Institution Reichstag (Nrr. 2, 5; 10, Anm. 8). Ohne den allerdings absehbaren Ausgang der Verhandlungen abzuwarten, beschied der Kaiser eine Reihe von Ständen nach Mainz.
Der Mainzer Tag wurde sowohl von Zeitgenossen als auch Historikern mitunter als Reichstag18, häufiger jedoch als Kurfürstentag klassifiziert und der Vorgang demzufolge als letztlich misslungener Versuch des Reichsoberhaupts bewertet, vier Jahre nach dem Tod Bertholds von Henneberg die Kurfürsten unter Umgehung der ständischen Gesamtheit exklusiv für seine (außen-)politischen Ziele einzuspannen.19 Natürlich bildeten die persönlich anwesenden Kurfürsten von Mainz, Trier und Sachsen zusammen mit dem Kurbrandenburger Gesandten Eitelwolf vom Stein den Kern der Versammlung. Ein Vertreter Erzbischof Hermanns von Köln traf wenigstens rechtzeitig zur Schlussphase der Verhandlungen ein.20 Sogar der Kaiser sah sich verpflichtet, in seiner ersten Instruktion vom 30. April die Vertretung Kurfürst Joachims durch einen Gesandten mit der großen räumlichen Distanz und die Nichtberücksichtigung Böhmens, „der sich gegen dem Reich keiner gehorsam bekennet“, sowie der Kurpfalz, „nachdem die in irsal steet“, gegenüber den anwesenden Kurfürsten zu rechtfertigen (Nr. 10, Pkt. 4). Von Anfang an war indessen die Einbeziehung nichtkurfürstlicher Stände vorgesehen. An den Beratungen nahmen Bischof Lorenz von Würzburg sowie Gesandte Herzog Wilhelms von Jülich und Landgraf Wilhelms von Hessen teil. Ihre Mitverantwortlichkeit für getroffene Beschlüsse fand jedenfalls in einigen Resolutionen an den Kaiser ihren Niederschlag in Wendungen wie: „Curfursten, fursten und die potschaften, so auf ksl. Mt. beschreiben ytzo zu Menz sein“ (z. B. Nr. 23, Pkt. 1). Gesandte der bayerischen Vormundschaftsregierung wie auch der Stadt Köln und wahrscheinlich Frankfurts waren zumindest als geladene Beobachter und zur Wahrnehmung eigener Interessen in Mainz anwesend. Man ist deshalb geneigt, der Bewertung dieser Versammlung als einem „irregulären, ständisch gemischten Konvent“21 zuzustimmen.
Jülich und Hessen waren als neben den Hansestädten (womit wohl die Einladung an Köln erklärt ist) vorrangig von der projektierten Zwangsanleihe betroffene Stände, aber eben auch zur Teilnahme an den Beratungen der Kurfürsten hinzugeladen worden. Dieser Schritt hatte wie so oft bei Maximilian pragmatische und verhandlungstaktische Gründe. Da in Jülich und Hessen problematische Regierungswechsel anstanden, war hier am ehesten auf einen Erfolg der Anleihe zu rechnen. Gleichzeitig stand zu vermuten, dass diese Stände in Mainz für eine Reichshilfe eintreten würden, um sich eine solche Sonderbelastung zu ersparen. Doch hatte die von keinem Geringeren als dem führenden kaiserlichen Rat Matthäus Lang angeführte Delegation auf dem Mainzer Tag keine Chance, die von Kurfürst Friedrich von Sachsen angeführte Opposition zu überwinden. Dabei waren die anwesenden Stände noch nicht einmal über die bereits angelaufenen Waffenstillstandsverhandlungen mit Venedig informiert worden.
Der Kaiser sah sich genötigt einzulenken. Er berief mit Ausschreiben vom 31. Mai den in Mainz und auf dem Schwäbischen Bundestag in Ulm als notwendige Voraussetzung für die Bewilligung einer Reichshilfe geforderten Reichstag nach Worms ein. Als Zielsetzung definierte Maximilian eine Kriegshilfe gegen Frankreich und Venedig (Nr. 36). Doch noch bevor das gedruckte Ausschreiben ausgehen konnte, kam am 6. Juni unter dem Eindruck einer Serie von Misserfolgen der kaiserlichen Truppen der dreijährige Waffenstillstand von Arco zustande. Maximilian gedachte den Krieg gegen Venedig zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Zuerst sollte Geldern unterworfen werden.22 Offensichtlich beabsichtigte er nicht, dafür die Unterstützung des Reiches heranzuziehen. Deshalb verlegte er den Reichstag vom 16. Juli auf den 10. August (Nrr. 36 [Pkt. 4]; 40). Am 26. Juni sagte der Kaiser auch den Ersatztermin ab (Nr. 42). Doch gut zwei Wochen später, am 14. Juli, wurde ein zweites Reichstagsausschreiben für den 1. November erstellt. Maximilian machte kein Hehl daraus, dass der Waffenstillstand mit Venedig allein der militärischen Notlage geschuldet war, schob aber die Verantwortung für dessen absehbaren Bruch vorsorglich der Gegenseite zu. Für diesen Fall sollten die Stände über die Behauptung der Reichsrechte in Italien, insbesondere der Kaiserwürde, und die militärische Sicherung der Erblande beraten. Maximilian kündigte an, bis zum Reichstag das aufständische Geldern zu unterwerfen. Noch ehe dieses zweite gedruckte Ausschreiben ausging, sah sich der Kaiser angesichts der massiven französischen Unterstützung für Herzog Karl von Geldern und der Verweigerung der niederländischen Stände bei völlig unzureichenden eigenen Mitteln erneut in die Defensive gedrängt (Nrr. 44f.). Dies gab wohl den Ausschlag dafür, dass er am 23. Juli gegenüber Erzherzogin Margarethe seine Einwilligung zu Waffenstillstandsverhandlungen mit Frankreich erklärte und damit seine Eroberungspläne gegen Geldern preisgab.23 Da er ungeachtet dieser neuen politischen Entwicklung den Termin für den Reichstag weiterhin bestätigte (Nrr. 185f.; 473, Pkt. 1), stellten sich die Reichsstände auf dessen Abhaltung ein und begannen mit ihren Vorbereitungen. Erste Teilnehmer trafen bereits in Worms ein. Gut informierte Fürsten wie Erzbischof Jakob von Trier blieben allerdings zu Hause, um dort die weitere Entwicklung abzuwarten (Nr. 201).
Denn inzwischen hatte die kaiserliche Außenpolitik eine weitere Wendung erfahren. Bald nach dem Waffenstillstand von Arco zeichnete sich das Eintreten eines vorrangigen außenpolitischen Ziels der kaiserlichen Regierung ab: die Trennung der Verbündeten Frankreich und Venedig. Bereits Mitte Oktober konnte Erzherzogin Margarethe einen sechswöchigen Waffenstillstand mit Frankreich unter Einbeziehung Herzog Karls von Geldern vermitteln.24 Auf dem Kongress in Cambrai mündete der Waffenstillstand am 10. Dezember in einen Friedensvertrag. Die Verhandlungsführer vereinbarten außerdem ein gegen Venedig gerichtetes Bündnis zwischen Papst Julius, Kaiser Maximilian, König Ludwig von Frankreich und König Ferdinand von Spanien. Maximilian ratifizierte am 26. Dezember als erster Vertragspartner das Abkommen. Am gleichen Tag entschuldigte er in einem Ausschreiben an die Reichsstände seinen langen Aufenthalt in den Niederlanden und sein Fernbleiben vom Reichstag mit den bis dahin offiziell nicht mitgeteilten Friedensverhandlungen mit Frankreich und informierte sie über deren erfolgreichen Abschluss, jedoch nicht über das antivenezianische Bündnis. Nun endlich wurde der nach Worms einberufene Reichstag auf den 21. Februar verschoben. Dort sollte über die Angelegenheiten des Reiches, der deutschen Nation und der Christenheit beraten werden (Nr. 50), womit der Kaiser die Stände über seine Zielsetzung für den Reichstag vollständig im Unklaren beließ. Diese Unterlassung lag vorderhand in der notwendigen Geheimhaltung des bevorstehenden Angriffs auf Venedig, aber auch im fortgesetzten Misstrauen gegen die französischen Absichten begründet. Treibende Kräfte für den Ausgleich auf habsburgischer Seite waren Erzherzogin Margarethe und Matthäus Lang, aus der Warte Maximilians mochten die Verhandlungen eher taktisch begründet gewesen sein25. Zugleich wird man eine gewisse Rücksichtnahme auf reichsständische Interessen einkalkulieren.
Die aufgrund eines Antrags der Herren von der Leiter drohende Achterklärung gegen Venedig durch das Reichskammergericht rief die oberdeutschen Handelsstädte, voran Augsburg und Nürnberg, auf den Plan, die unter Einschaltung der Innsbrucker Regierung beim Kaiser und auch beim Reichskammergericht gegen einen solchen Schritt intervenierten (Nrr. 66–74). Wenn Maximilian daraufhin tatsächlich die Sistierung des Verfahrens verfügte (Nr. 75), so verhielt er sich eigentlich konträr zu seiner außenpolitischen Zielsetzung, begab er sich doch eines rechtlichen Instruments gegen die Serenissima. Doch handelte der Kaiser auch in diesem Fall rein taktisch. Bereits Anfang Januar hatte er einige ausgewählte Reichsfürsten, nicht jedoch die Reichsstädte, vertraulich über den bevorstehenden Krieg gegen Venedig informiert (Nr. 52).26 Tatsächlich wird er seine Kommissare auf dem Wormser Reichstag anweisen, entweder eine Achterklärung des Reichskammergerichts oder der Reichsversammlung zu erwirken bzw. diese notfalls selbst zu erlassen (Nr. 271, Pkt. 21).
Trotz des offenkundigen Misstrauens Maximilians gegen Frankreich – noch Ende März 1509 erschien ihm ein Einsatz der französischen Truppen gegen ihn oder den Papst anstatt gegen Venedig durchaus möglich27 und auch das Konkurrieren um die militärischen Ressourcen der Eidgenossen hielt an28 – ließ er sich anders als Papst Julius, der als letzter Vertragspartner erst am 23. März das Bündnis ratifizierte29, auf keine Ausgleichsverhandlungen mit Venedig mehr ein. Der venezianische Gesandte Giovanni Pietro Stella bemühte sich vergeblich um eine Audienz.30 Ebenso misslang die ab Februar versuchte Einschaltung König Heinrichs VII. von England als Vermittler wegen dessen tödlicher Erkrankung.31 Der kaiserliche Rat Luca de Renaldis, über den Venedig ein Geldangebot für die Rückeroberung Mailands lancieren wollte, wurde auf Befehl Maximilians sogar kurzzeitig verhaftet.32 Paul von Liechtenstein äußerte sich gegenüber dem nach Innsbruck entsandten Zaccaria Contarini zwar entgegenkommend, verwies aber entsprechend einer kaiserlichen Anweisung auf die Ergebnisse der bevorstehenden Verhandlungen mit den Reichsständen.33 Es bedurfte nicht erst dieses Hinweises, um die Aufmerksamkeit der Serenissima auf den Reichstag zu lenken. Seit Monaten ließ man sich von verschiedenen Gewährsleuten – nicht immer zuverlässig – über die Anläufe zu dessen Einberufung und die wiederholte Verschiebung des Eröffnungstermins unterrichten.34 Gleichzeitig versuchte der Doge, im Friedenssinne insbesondere auf die vom Venedighandel profitierenden Reichsstände einzuwirken.35
Schon aufgrund dieser außenpolitischen Dynamik erwiesen sich die mit Hinblick auf den 21. Februar angelaufenen, ohnehin bald von Gerüchten über eine erneute Verschiebung begleiteten Vorbereitungen der Stände für den Reichstag einmal mehr als vergebens. Mit Schreiben vom 15. März setzte Maximilian I. viel zu kurzfristig für den 25. März einen weiteren Termin an (Nrr. 219f.). Eine nochmalige förmliche Vertagung folgte allerdings nicht mehr.36 Anfang April informierte der Kaiser die Stände, dass er auf dem Weg nach Worms befindlich sei, und forderte sie zum Erscheinen auf dem Reichstag auf (Nrr. 227–229, 236). Maximilian selbst traf am 21. April dort ein und eröffnete die Reichsversammlung am folgenden Tag.
2.2. Organisation und personelle Zusammensetzung des Reichstages
Worms hatte seit dem ersten Ausschreiben vom 31. Mai 1508 als Tagungsort festgestanden. Alternativen wurden ungeachtet der wechselnden kaiserlichen Planungen gegen Frankreich, Geldern und Venedig nicht ernsthaft erörtert. Obwohl mit 7000 Einwohnern nur eine Reichsstadt mittlerer Größe37, zählte Worms seit 1495 zum festen Kreis der Reichstagsorte. Für die Stadt sprachen die verkehrsgünstige Lage am Rhein, die gute Quartiersituation und die zur Verfügung stehenden Freiflächen mit der Möglichkeit, kurzfristig eine große Zahl von Gästen provisorisch unterzubringen.38 Offenbar blieben 1509 aufgrund deren vergleichsweise geringen Zahl – der Kaiser hielt sich mit seinem Gefolge von 1000 Pferden nur drei Tage lang in der Stadt auf, die persönlich anwesenden Reichsfürsten, sogar Kurfürst Friedrich von Sachsen, kamen nur mit kleinem Gefolge39 – auch die Lebensmittelpreise auf niedrigem Niveau stabil.40 Ob der im Umgang mit Großveranstaltungen routinierte Wormser Magistrat regulierend eingegriffen hat, lässt sich mangels Quellen nur vermuten. Sehr wohl aber unterstützte er die kaiserlichen und ständischen Furiere bei der Quartierbeschaffung (Nrr. 206, 212, 214, 216)41 und bemühte sich auch um eine Verbesserung des äußeren Erscheinungsbilds der Stadt (Nr. 215).
Zweck des Wormser Reichstages war nach den Ankündigungen des unter erheblichem Zeitdruck stehenden Kaisers – gemäß dem Vertrag von Cambrai sollte er binnen vierzig Tagen nach der für den 1. April vorgesehenen, tatsächlich Mitte April erfolgten Eröffnung des Feldzugs durch seine Verbündeten die Kampfhandlungen aufnehmen – die angesichts seiner desolaten finanziellen Situation eigentlich dringend benötigte Reichshilfe für den Krieg gegen Venedig. Sein fortbestehendes Misstrauen gegen Frankreich und Angelegenheiten der Niederlande hatten den Kaiser länger als geplant dort aufgehalten. Gleichzeitig war der außenpolitische Systemwechsel von Cambrai den Reichsständen kaum kommuniziert worden.42 Noch auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 und weit bis in das Jahr 1508 hinein hatte die habsburgische Propaganda gegen Frankreich als den natürlichen Erbfeind des Reiches polemisiert (z. B. Nr. 27, Anm. 2; 36, Pkt. 2; 44, Pkt. 1; 46). Verschiedentlich wird die Skepsis der Stände hinsichtlich der Folgen des Venezianerkriegs angesichts des militärischen Ungleichgewichts zwischen König Ludwig von Frankreich und Kaiser Maximilian erkennbar, wenn etwa Bischof Wilhelm von Straßburg die ersten französischen Siegesmeldungen zu der Einsicht veranlassten, dass „der Kg. von Frankrich triumphirt und wir armen Duetschen ganz und gar verloschen syn“ (Nr. 427, Pkt. 2).43 Anders als vor dem Konstanzer Reichstag von 1507 hatte Maximilian auch darauf verzichtet, die Positionen der Reichsstände zu sondieren und den Antagonismus zwischen seinem rein kriegsorientierten Regierungskonzept44 und der außenpolitisch defensiven bis passiven Ausrichtung der meisten Reichsstände aufzuweichen.45 Offenbar maß er angesichts der aus seiner Perspektive ohnehin ungenügenden Reichshilfen – wie zuletzt auf dem Konstanzer Reichstag kritisiert46 – einem Reichshilfebeschluss keine entscheidende Bedeutung zu. Nach seinem eigenen Bekunden hatte es Priorität, in Tirol persönlich die Kriegsvorbereitungen zu treffen und anschließend weiter nach Oberitalien zu ziehen. Der Kaiser verließ Worms nach nur dreitägigem Aufenthalt. Es ist müßig zu spekulieren, ob er länger geblieben wäre, hätten die anwesenden Stände nicht den hinhaltenden Bescheid erteilt, vor Eintritt in die Beratungen das Eintreffen weiterer Teilnehmer abwarten zu müssen (Nr. 260, Pkt. 4). Maximilian hatte schon vor seiner Ankunft einen nur kurzen Aufenthalt in Worms angekündigt (Nrr. 60, Pkt. 2; 219f.; 228; 229, Pkt. 1).47 Ungeachtet des Drängens seiner Verbündeten reiste der Kaiser indessen nur langsam weiter in Richtung Kriegsschauplatz. Erst am 29. Mai erreichte er Innsbruck, am 13. Juni Trient. Für die europa- und reichspolitisch bedeutungslosen Unterredungen mit Herzog Wilhelm von Bayern in Kaufbeuren (Nrr. 146–149, 395f., 433f.) hatte der Kaiser während seiner Reise ungleich mehr Zeit erübrigt als für den Reichstag.
Offenkundig spielte dieser in den Planungen der Reichsregierung im Frühjahr 1509 keine entscheidende Rolle mehr. Die Verhandlungen mit den in Worms versammelten Reichsständen sollten einige bevollmächtigte Räte übernehmen, obwohl hinsichtlich der geringen Erfolgsaussichten einer Reichsversammlung absente imperatore nach den schlechten Erfahrungen von Lindau (1496/97), Worms (1497) und – bis zur monatelang verzögerten Ankunft des Reichsoberhaupts – auch Freiburg (1497/98)48 eigentlich kein Zweifel bestanden haben dürfte. Tatsächlich kalkulierte Maximilian selbst ein Scheitern des Reichstages durchaus ein (Nr. 61, App. g). So setzte er unabhängig vom Reichstagsgeschehen, dabei überaus erfolgreich, seine Bemühungen um die Erschließung ertragreicherer Geldquellen fort. Diese betrafen die Verbündeten49, befreundete Monarchen50, die Generalstaaten der
Niederlande51, die österreichischen Landstände52, die schwäbische Hochfinanz53 und als zufällig sich ergebende Gelegenheit das Erbe des Anfang März 1509 als einem der reichsten Männer Europas54 in Rom verstorbenen Kardinalbischofs von Brixen, Melchior von Meckau.55
Die Frage drängt sich auf, warum der Kaiser überhaupt die Blamage eines gescheiterten Reichstages riskierte. Abgesehen von der Hoffnung, ungeachtet aller schlechten Vorzeichen doch wenigstens eine kleine Reichshilfe herauszuschlagen, scheint der Reichstag nicht zuletzt als Kulisse für die Verhandlungen mit den Landständen, vermutlich auch mit den Verbündeten und anderen Geldgebern des Kaisers gedient zu haben. Die von Maximilian genährte Aussicht auf die Beteiligung des Reiches am Venezianerkrieg mochte deren Investitionsbereitschaft noch steigern. Und jedenfalls die niederösterreichische Ländergruppe erklärte den Beistand des Reiches ohnehin zur Voraussetzung für ein eigenes Engagement in dem von den Landständen eigentlich abgelehnten Angriffskrieg gegen Venedig (Nrr. 135; 137, Pkt. 1).
Die untergeordnete Bedeutung des Wormser Reichstages in den Planungen der Reichsregierung erklärt auch die Auswahl der kaiserlichen Reichstagskommissare. War kurzzeitig mit Graf Eitelfriedrich von Hohenzollern wenigstens ein Rat aus dem engeren Umfeld des Kaisers dafür vorgesehen (Nr. 381), so trifft dies auf die dann tatsächlich eingesetzten Vertreter nicht zu. Auch zählten die Kommissare mit Ausnahme Erasmus Toplers56 nicht einmal zu den ständigen Angehörigen des Kaiserhofes. Für den bedingungslos kaisertreuen Markgrafen Kasimir von Brandenburg sprach trotz seiner Jugend seine wiederholte Bewährung als Diplomat und Militär in Diensten Maximilians I.57 Die erneute Nominierung des bereits 1496/97 in Lindau, 1497 in Worms, 1497/98 in Freiburg und 1499 sowie 1508 in Mainz eingesetzten Grafen Adolf von Nassau-Wiesbaden stand vermutlich im Zusammenhang mit der vom Kaiser betriebenen Verlegung des Reichskammergerichts von Regensburg nach Worms. Nassau, bereits 1500/01 Kammerrichter, übernahm dieses Amt unmittelbar im Anschluss an den Reichstag erneut. Er konnte auf einen langen Cursus honorum im Dienst der Habsburger zurückblicken, unter anderem als Generalstatthalter in Geldern und als Hofmeister Maximilians. Was Nassau zudem für das Reichstagskommissariat qualifizierte, war sein hohes Ansehen bei den Reichsfürsten.58 Als Angehörige des Hochadels konnten er und Markgraf Kasimir wenigstens bis zu einem gewissen Grad auch den Ansprüchen an die Herrschaftsrepräsentation des Reichsoberhauptes Genüge leisten. So setzte sich der Markgraf bei den Verhandlungen, nachdem die Stände ihre Plätze eingenommen hatten, im Wortsinne an die Stelle des Kaisers, Nassau und Sigmund von Fraunberg platzierten sich ihm gegenüber (Nr. 260, Pkt. 7). Die übrigen Kommissare waren vor allem als Fachleute gefragt: Der frühere Marschall Herzog Georgs von Niederbayern und nach dem Landshuter Erbfolgekrieg in kaiserliche Dienste getretene Fraunberg empfahl sich aufgrund seiner langjährigen Reichstagserfahrung und als bewährter Diplomat.59 Der nachträglich hinzugezogene Nürnberger Erasmus Topler gehörte bereits auf dem Mainzer Tag zur kaiserlichen Delegation. Der vielfach im Auftrag Maximilians als Vermittler erprobte Stuttgarter Propst Ludwig Vergenhans qualifizierte sich außerdem wegen seiner Reichstagskompetenz und als Experte für den Schwäbischen Bund60, der als Sammelbecken der habsburgischen Klientel Südwestdeutschlands für die Reichspolitik Maximilians eine zentrale Rolle spielte. Der kaiserliche Rat Ernst von Welden und der – dringend erwartete (Nrr. 401, Pkt. 1; 406, Pkt. 3) – Protonotar Johann Storch wurden nach Beginn des Reichstages von Maximilian mit Spezialaufträgen nach Worms geschickt. Welden war anscheinend ausschließlich mit Verhandlungen über das Jubelablassgeld betraut61, Storch reiste mit den für die Ausfertigung der zu erstellenden Dokumente durch den Reichserzkanzler Erzbischof Uriel von Mainz benötigten kaiserlichen Siegeln (Nrr. 271, Pkt. 4; 342), als Ablösung oder Entlastung des Sekretärs der Kommissare, Andreas Christian, und zu Verhandlungen vor allem über Streitsachen, aber auch für weitere Instruktionen an die Kommissare (Nrr. 271; 406, Pkt. 3) nach Worms.62 Gleichwohl deuteten die Kommissare in ihren Berichten verschiedentlich sowohl ihre Arbeitsüberlastung (Nrr. 397, Pkt. 2; 402) wie auch ihre Unterfinanzierung an (Nrr. 397, Pkt. 3; 415; 420, Pkt. 7). Dabei handelte es sich jedenfalls um Risikofaktoren hinsichtlich des reibungslosen Ablaufs der Verhandlungen. Zu diesen ist auch die Außenkommunikation des Reichstages zu zählen.
Die Kommissare waren bei den Verhandlungen an die Vorgaben ihrer Instruktionen und Weisungen – „daraus uns zu geen nit gepurt“ (Nr. 409) – gebunden und verfügten somit kaum über einen eigenen Spielraum. Mussten sie sich nach der Abreise des Kaisers am 24. April drei Wochen lang gedulden, bis endlich am 14. Mai ihre Reichstags-Instruktionen eintrafen (Nrr. 389, 392, 397) und zwei Tage darauf die Verhandlungen des Reichstages fortgesetzt werden konnten, sahen sie sich auch in dessen weiteren Verlauf wiederholt genötigt, auf Stellungnahmen des Kaisers zu warten (Nrr. 400, Pkt. 3; 401, Pkt. 1; 406, Pkt. 2; 408, Pkt. 2; 414, Pkt. 2; 416, Pkt. 2; 417, Pkt. 3; 418, Pkt. 5). Diese Verzögerungen mögen auch der Unausgeglichenheit und Entschlussschwäche des zusehends alternden Kaisers63 sowie Reibungen zwischen den führenden kaiserlichen Räten Matthäus Lang, einem der Architekten des Vertragswerks von Cambrai, Zyprian von Serntein und dem einem Krieg gegen Venedig eher abgeneigten Paul von Liechtenstein64 geschuldet gewesen sein. Die ohnehin schon bestehende Ineffizienz einer überlasteten und nach heutigen Maßstäben systemisch korrupten Reichsregierung65 wurde dadurch noch vergrößert. Wenngleich sich der Kaiser immer weiter vom Tagungsort entfernte66 – seine letzte Weisung, die den Reichstag noch rechtzeitig erreichte, datierte aus Innsbruck vom 3. Juni (Nr. 411) –, stieg dank der von ihm verfügten Verdopplung der Postreiter (Nrr. 276, Pkt. 2; 421, Pkt. 8) wenigstens der Zeitaufwand für die Übermittlung der Weisungen, Berichte und Verhandlungsakten nicht entscheidend an.67 Die ständischen Gesandten hingegen begleitete das Problem einer möglichst zeitnahen Abstimmung ihres Vorgehens mit ihren Obrigkeiten zu Hause auf jedem Reichstag. Als grundsätzliches Handicap von Kommissar-Reichstagen gesellte sich noch hinzu, dass die kaiserlichen Vertreter viel weniger als das Reichsoberhaupt selbst den eingespielten Do-ut-des-Mechanismus zwischen der Betreuung der partikularen Anliegen der Stände und ihrem Entgegenkommen bei den Reichshilfeforderungen des Kaisers bedienen konnten.68 Zwar sollten diese Defizite durch die den Kommissaren aufgetragene intensive Schiedstätigkeit (Nr. 271) kompensiert werden, doch zeitigte diese zusätzliche Kompetenz keine entscheidende reichstagspolitische Wirkung. Denn die Konstellation auf ständischer Seite stand für die kaiserliche Reichstagspolitik ungünstig.
Immerhin konnte das Verhältnis des Kaisers zu den geistlichen Kurfürsten insgesamt als gut bezeichnet werden. Der 1508 gewählte Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen galt als ergebener Anhänger Maximilians.69 Die anstehende, bei seinem Vorgänger Jakob von Liebenstein wegen der von Maximilian reklamierten Reichsunmittelbarkeit der Stadt Mainz noch problematische Reichsbelehnung legte überdies Wohlverhalten mit Hinblick auf die kaiserlichen Ziele für den Wormser Reichstag nahe.70 Durch die rasche Belehnung bereits bei der Eröffnung des Reichstages angesichts seiner bevorstehenden Abreise begab sich Maximilian allerdings dieses Druckmittels. Tatsächlich ist ein eigenständiges Profil Erzbischof Uriels bei den Verhandlungen kaum erkennbar. Gegen die Unterstützung der kaiserlichen Reichshilfeforderung sprach jedenfalls die angespannte finanzielle Situation des Erzstifts und mehr noch des Erzbischofs selbst.71 Die vom Kaiser erbetene und auch bewilligte Stellung von fünfzig Reitern für den Venezianerkrieg (Nr. 420, Pkt. 2) war mit keiner finanziellen Belastung verbunden, da Maximilian die Besoldung dieser Truppe übernahm (Nr. 339). Die als Kompensation für die entgangene Wormser Reichshilfe im Spätsommer 1509 geforderten Anleihe konnte der Erzbischof hingegen nur zum Teil aufbringen.72 Zwar ist das Bemühen um das kaiserliche Wohlwollen erkennbar, es stieß aber rasch an objektive Grenzen. Immerhin wird man Uriel als früherem Assessor am Reichskammergericht ein gewisses Interesse an den Reichstagsverhandlungen über Frieden und Recht unterstellen dürfen. Dem Mainzer Kurfürsten oblag außerdem auf ständischer Seite unangefochten die Geschäftsführung. Bei ihm akkreditierten sich die kaiserlichen Kommissare ebenso wie die ständischen Gesandtschaften (Nrr. 260, Pkt. 7; 261, Pkt. 8). Die kaiserlichen Vertreter reklamierten allerdings ihrerseits ebenfalls das Recht zur Prüfung der ständischen Vollmachten (Nrr. 259, Pkt. 8; 261, Pkt. 7; 363; 398, Pkt. 2, 4). Das Reichstagsschriftgut wurde zur Abschrift durch die Stände in die Mainzer Kanzlei gegeben (Nrr. 260, Pkt. 11; 261, Pkt. 7; 263, Pkt. 9, 19; 475, Pkt. 3).73 Bekanntlich übersandte Kaiser Maximilian dem Mainzer Erzbischof das große und kleine Siegel zur Ausfertigung des auf dem Reichstag anfallenden Schriftguts.74 Diese exklusiven Kompetenzen reichten aber nicht annähernd aus, um das reichspolitische Übergewicht Kursachsens auszugleichen.
Der hochgebildete Erzbischof Jakob von Trier darf grundsätzlich ebenfalls dem kaisernahen Lager zugeordnet werden75, doch hatte er es auf den Reichstagen in Köln und Konstanz weitgehend vermieden, sich gegenüber seinen Mitkurfürsten zu exponieren. Gleiches gilt für den Mainzer Tag, wo er zwar vorsichtig für einen Beitrag zum Venezianerkrieg eintrat (Nr. 21, Pkt. 5), aber auch eine gewisse Verärgerung in Bezug auf den Kaiser andeutete (Nr. 32, Pkt. 3). Auch der erst im November 1508 zum Erzbischof von Köln gewählte Philipp von Daun sollte sich als dem Kaiser „treu ergebener Reichsfürst“ erweisen76, der an den in seine Regierungszeit fallenden Reichstagen von 1509, 1510 und 1512 persönlich teilnahm und zwar nicht die im Spätsommer 1509 erbetene Anleihe gewähren konnte, dafür aber die in Augsburg und Köln/Trier bewilligte Reichshilfe gegen Venedig leistete.77
Unter den weltlichen Kurfürsten stand der 1508 seinem Vater nachgefolgte Ludwig von der Pfalz in einem von Maximilian I. gezielt aufrechterhaltenen Abhängigkeitsverhältnis.78 Die Nichteinladung des neuen Kurfürsten zum Mainzer Tag war auch als Signal an diesen gedacht, dass die 1504 über Kurfürst Philipp verhängte Acht nach kaiserlicher Auffassung auch nach dessen Tod fortbestand.79 Der junge Kurfürst, der von Beginn seiner Regierung an „eine pragmatisch orientierte Friedens- und Ordnungspolitik“80 verfolgte, war seinerseits um Annäherung an den Kaiser bemüht. Gemeinsam mit seinem Bruder Pfalzgraf Friedrich gehörte er beim Einzug in Worms zu dessen Begleitern (Nrr. 259, Pkt. 1; 260, Pkt. 1; 261, Pkt. 1; 438, Pkt. 3; 473, Pkt. 2). Zentrale Anliegen waren die anstehende Reichsbelehnung und eine Verständigung über die im Landshuter Erbfolgekrieg erlittenen territorialen Verluste (Nr. 97). Von Kurpfalz stand also trotz drückender finanzieller Probleme jedenfalls kein offener Widerstand gegen die kaiserliche Reichshilfeforderung zu erwarten.
Ganz anders als mit den rheinischen Kurfürsten verhielt es sich mit Kursachsen und Kurbrandenburg. Für letzteres ist nach 1505 wohl ein mehrjähriger Tiefpunkt der Beziehungen zu Kaiser und Reich zu konstatieren. Joachim I. blieb von 1507 bis 1517 allen Reichstagen fern und markierte damit „die längste Phase der Abwesenheit eines brandenburgischen Kurfürsten vom Reichstag“81. Dieses Manko konnte auch die Vertretung durch den in Sachen Reich und Reichstag erfahrenen Eitelwolf von Stein nicht ausgleichen. Der Kurfürst hatte zwar noch eine Reitertruppe für den geplanten kaiserlichen Romzug gestellt, aber bereits seinen Anteil an der auf dem Konstanzer Reichstag 1507 bewilligten Bargeldhilfe ungeachtet wiederholter Aufforderungen durch den Kaiser wohl nicht mehr geleistet.82 Ebenso verweigerte Joachim die fälligen Beiträge für die Finanzierung des primär als Bedrohung seiner kurfürstlichen Prärogative wahrgenommenen Reichskammergerichts.83 Im Zentrum seines Interesses standen ausschließlich partikulare Angelegenheiten (Nrr. 104–112, 425). So beklagte Stein in einem Bericht an seinen Kurfürsten: „Brandenburg, als ich glaub, in achtzig jarn nit cleyner gewicht im Reich gehabt hat“ (Nr. 425, Pkt. 3).
Für Kursachsen traf das genaue Gegenteil zu: Kurfürst Friedrich hatte sich nach zunächst engen Beziehungen seit 1498 immer mehr vom Reichsoberhaupt distanziert. Nach dem Tod des Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg im Dezember 1504 ging die Führungsrolle unter den Reichsständen beinahe automatisch auf ihn über.84 Dabei war Friedrich anders als Berthold kein Reformer. Dessen Plänen für eine Umgestaltung der Reichsverfassung war er skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden.85 Wichtiger als die ständische Teilhabe an der Regierungsgewalt im Reich erschien ihm die Unabhängigkeit von jeglichen Kontrollinstanzen, etwa durch die gegen die Reichsgerichtsbarkeit betriebene Sicherung seiner kurfürstlichen Gerichtsfreiheit. Konsequent beschränkte er sich deshalb anfänglich auf eine Reichspolitik „des passiven Widerstands“.86 Auf dem Kölner Reichstag von 1505 war die Reforminitiative deshalb wieder an das Reichsoberhaupt zurückgefallen. 1507 in Konstanz hatte sich der im folgenden Jahr verstorbene Mainzer Kurfürst Jakob von Liebenstein ohne umfassende Reformkonzeption lediglich für die Reaktivierung des Reichskammergerichts eingesetzt, während Friedrich einen eher destruktiven Part übernahm87, sich aber immerhin mit der Ernennung zum Reichsstatthalter einverstanden erklärte. Auf dem Mainzer Kurfürsten- und Fürstentag von 1508 nutzte er seine unbestrittene Führungsrolle, um die kaiserlichen Bemühungen um eine Kriegshilfe gegen Venedig auszuhebeln (Nrr. 13, 21, 25). Nachdem das von den Reichsständen großzügig unterstützte Romzugsunternehmen in einem militärischen Fiasko geendet hatte, stellte sich anscheinend nur Kurtrier gegen die Position Kursachsens. Trotz der offenkundigen Verstimmung gegen Friedrich am Kaiserhof, die auch durch plumpe Vertraulichkeiten (Nr. 47, Pkt. 3) nicht zu überdecken war, stand für Worms kein Kurswechsel zu erwarten. Schon seine beinahe demonstrativ langsame Anreise zum Reichstag ungeachtet der kaiserlichen Aufforderungen (Nrr. 61f., 219, 228, 233, 242f., 253), während gleichzeitig die bereits versammelten Stände die Eröffnung der Verhandlungen ohne den Ernestiner ablehnten, bremste die Reichstags-Regie Maximilians buchstäblich aus. Die Möglichkeit zur persönlichen Einflussnahme auf Friedrich oder zur Steuerung der Reichshilfe-Verhandlungen durch die schiere kaiserliche Präsenz wenigstens zu Beginn des Reichstages war damit ausgeschaltet. Auch Bemühungen, Friedrich durch das Angebot der Reichshauptmannschaft oder erneut des Reichsstatthalteramts für die kaiserlichen Ziele einzuspannen, hatten lediglich die Vorführung der ungenügend vorbereiteten kaiserlichen Gesandten in Worms zur Folge (Nrr. 391; 424, Pkt. 4). Unmittelbar danach erklärte das ständische Plenum die Einsetzung eines Statthalters für unnötig (Nr. 275, Pkt. 5). Tatsächlich betrieb Friedrich in Worms erfolgreich die vollständige Destruktion der kaiserlichen Ziele. Er verhinderte die beantragte Kriegshilfe gegen Venedig und unterband auch den Versuch, sich der noch im Reich verbliebenen Jubelablassgelder zu bemächtigen (Nrr. 269f., 284, 287, 362). Seine Maßgabe schien zu lauten, dem Kaiser nicht das Geringste an Hilfsmitteln zukommen zu lassen. Sogar die Lieferung von Salpeter für die kaiserliche Artillerie lehnte der Kurfürst unter fadenscheinigen Gründen ab (Nr. 362, Pkt. 2).
Diese Konstellation im Kurfürstenrat wog um so schwerer, als die zweite Kurie wegen des überproportional hohen Anteils lediglich durch Gesandte repräsentierter Fürsten geringeres Gewicht als auf früheren Reichstagen besaß. Den regelmäßigen Reichstagsteilnehmern und zuverlässigen Reichssteuerzahlern88 Bischof Georg von Bamberg und Bischof Lorenz von Würzburg darf grundsätzlich kaiser- und reichstreue Politik unterstellt werden. Über ihre konkrete Haltung in Bezug auf den geplanten Venezianerkrieg geben die Quellen allerdings keinen Aufschluss. Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Friedrich von Sachsen, kam mit dem Anliegen nach Worms, die Unterstützung von Kaiser und Reich in seinem Konflikt mit König Sigismund von Polen um die Anerkennung des zweiten Thorner Friedens (1466) einzufordern (Nrr. 124–134). Von sofortiger militärischer Hilfe war noch nicht die Rede, dennoch stand sein Bemühen, die Aufmerksamkeit der Reichsversammlung auf einen zweiten außenpolitischen Brennpunkt zu lenken, im Widerspruch zu den Interessen des Kaisers. Persönlich angereist war auch Pfalzgraf Friedrich. Er befand sich in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kaiser wie sein Bruder Kurfürst Ludwig.89 Pfalzgraf Johann von Simmern hielt sich zwar kurzzeitig in Worms auf, doch überließ der reichspolitisch kaum profilierte Fürst die Verhandlungen seinem Hofmeister Johann von Eltz (Nr. 477, Anm. 7). Der kaiserliche Reichshauptmann Herzog Erich von Braunschweig hielt sich gegen Ende Mai nur drei Tage lang auf dem Reichstag auf. Für die Verhandlungen spielte er demzufolge ebenfalls keine Rolle. Eigentlich hätte er laut den kaiserlichen Planungen bis zum Ende des Reichstages in Worms bleiben sollen, um die Reichstruppen geordnet auf den Weg zu bringen (Nr. 391, Pkt. 3). Herzog Heinrich I. von Braunschweig-Wolfenbüttel, ein weiterer dem Kaiser nahestehender Fürst, traf erst in Worms ein, als mit der Resolution vom 29. Mai die ständische Blockadehaltung gegenüber einer Reichshilfe bereits festgeschrieben war. Seine vorzeitige Abreise am 9. Juni (Nr. 477, Anm. 8), also vor den Schlussverhandlungen über die Reichshilfe, könnte als Indiz für seine Distanzierung von der Marschroute der ständischen Mehrheit gelten. Der bedingungslos kaisertreue Markgraf Friedrich von Brandenburg-Ansbach hielt sich nur bis zum Einzug des Kaisers in Worms auf und ließ sich in der Folge durch Gesandte vertreten. Herzog Ulrich von Württemberg war als Partner der kaiserlichen Reichs- und Reichstagspolitik, trotz seiner Einbindung in den erweiterten habsburgischen Familienverband über die 1498 geschlossene Verlobung mit der kaiserlichen Nichte Sabine von Bayern, mittlerweile verloren. Hatte dieser ebenso selbstbewusste wie gewalttätige Fürst schon auf dem Kölner Reichstag von 1505 Neigungen zum Ausscheren aus dem habsburgischen Klientelverband des Schwäbischen Bundes erkennen lassen90, so knüpfte er während des Wormser Reichstages erfolgreich weiter an seinem eigenen Beziehungsnetz. In Worms wurde die Erneuerung der Einung mit Kurmainz und Brandenburg-Ansbach in Angriff genommen (Nrr. 335–339). Und ihm gelang – gegen den erklärten Willen des Kaisers – die vorzeitige Verlängerung der Einung mit den Eidgenossen (Nrr. 161; 403, Pkt. 3). Die Nichterfüllung des Auftrags, für den Feldzug gegen Venedig auf Rechnung des Kaisers fünfzig Reiter anzuwerben, entschuldigte er wenig glaubwürdig mit Erfolglosigkeit ungeachtet aller Bemühungen (Nrr. 373; 403, Pkt. 2), während er noch 1508 bereit gewesen war, unter enormen Kosten persönlich am Romzug Maximilians teilzunehmen.91 Nur bei wenigen Fürsten im Reich wird die Enttäuschung über das klägliche Scheitern des Unternehmens größer gewesen sein.
Österreich war nicht im Fürstenrat vertreten. Dieses weitere Handicap der kaiserlichen Reichstagspolitik war vermutlich weniger der Rücksicht auf den Sessionsstreit mit Magdeburg und Salzburg geschuldet (Nr. 410) als vielmehr der dünnen Personaldecke der kaiserlichen Vertretung. Anstatt der vorgesehenen acht kaiserlichen Räte92 hatten sich lediglich fünf Vertreter eingefunden. Ebenfalls nachteilig aus der Perspektive der Reichsregierung war der Umstand, dass zuverlässige Parteigänger der Habsburger wie Herzog Georg von Sachsen, Landgraf Wilhelm von Hessen und Herzog Wilhelm von Jülich93 nur durch Gesandte vertreten waren. Für Sachsen standen außerdem eigene Anliegen wie die Verteidigung der Exemtionen gegen die Reichsbesteuerung im Vordergrund (Nrr. 154f., 359). Die gemeinsamen politischen Interessen Wilhelms von Jülich mit den Habsburgern kulminierten in der Geldernfrage, die kaiserliche Italienpolitik dürfte er eher als gefährliche Aufspaltung der Kräfte bewertet haben. Auch für Wilhelm war mit der kaiserlichen Verfügung über das weibliche Erbfolgerecht im vereinten Herzogtum Jülich-Berg und in der Grafschaft Ravensberg am 4. Mai94 sein vorrangiges Anliegen erfüllt. Erneut hatte der Kaiser leichtfertig ein reichstagspolitisch nutzbares Druckmittel preisgegeben.
Erzbischof Leonhard von Salzburg war einmal mehr auf die Konfliktfelder mit Österreich fixiert. Im Übrigen war seine Haltung in Bezug auf die Reichstagsverhandlungen durch die Abwehr jeglicher Belastung seitens Kaiser und Reich gekennzeichnet (Nr. 426).95 Veranschaulicht wird das Desinteresse seiner Delegation durch die Tatsache, dass der Salzburger Schreiber sogar auf die vollständige Anfertigung der Reichshandlung verzichtete, sondern unvermittelt mit den Worten schloss: „Da hueben wir uns davon und zum tor aus“ (Nr. 292, Textkopf). Eher ablehnend gegenüber einer Reichshilfe dürfte sich der erzbischöflich Magdeburger Gesandte geäußert haben. Erzbischof Ernst hatte wahrscheinlich weder die Ungarnhilfe von 1505 noch die Romzughilfe von 1507 bezahlt.96 Seine regelmäßige persönliche Teilnahme an den Reichstagen zwischen 1500 und 151297 war nicht so sehr seinem Interesse an reichspolitischen Themen, sondern dem Vorrangstreit mit Salzburg und Österreich geschuldet. Bischof Wilhelm von Straßburg wies seinen Gesandten Johannes Sigrist an, gegen die Bewilligung einer Reichshilfe zu stimmen (Nr. 427, Pkt. 2).98 Ansonsten nutzte er den Reichstag als Plattform für Verhandlungen in Angelegenheiten seines Hochstifts vor allem mit Kurpfalz (Nrr. 427, Pkt. 1; 428). Bischof Heinrich von Augsburg zählte grundsätzlich zu den Parteigängern des Kaisers99, was er mit einer peniblen Erfüllung der Reichshilfebeschlüsse von 1505 und 1507 unterstrichen hatte.100 Er gehörte wohl zu den ersten Reichsfürsten, die dem Kaiser nach dem Wormser Reichstag einen freiwilligen Beitrag für den Venezianerkrieg anboten (Nr. 484), sodass auch von einer positiven Haltung gegenüber der zuvor geforderten Reichshilfe auszugehen ist. Allerdings stehen hinsichtlich der von seinen Gesandten wie auch von den Vertretern Worms’, Speyers101, Konstanz’, Eichstätts, Freisings, Fuldas und des Deutschmeisters eingenommenen Positionen auf dem Reichstag keine Quellen zur Verfügung. Hinsichtlich der Haltung des von Jülich vertretenen reichsfernen Lüttich werden sich die kaiserlichen Vertreter wohl keine Illusionen gemacht haben.
Die Reichsstädte standen vermutlich geschlossen gegen die vom Kaiser geforderte Kriegshilfe. Die nach der erneuten Verschiebung nicht mehr geänderte Instruktion der Schwäbischen Bundesstädte für den im November 1508 einberufenen Wormser Reichstag ließ grundsätzliche Einwände gegen die zu Recht als überhöht angesehenen Reichshilfen erkennen. Ihre Gesandten sollten deshalb gegen eine neue Bewilligung möglichst lange Widerstand leisten und vor allem auf Berücksichtigung ihrer Beschwerden über die auf den letzten Reichstagen erfahrene Benachteiligung drängen (Nr. 80). Verschärft wurde die Opposition gegen die kaiserlichen Pläne noch durch das Interesse führender Städte, voran Augsburgs und Nürnbergs – Letzterem wurde nach dem Reichstag die Hauptverantwortung für die Verweigerung der Städte angelastet (Nrr. 485, Pkt. 1; 493f.; 495, Pkt. 2; 500)102 –, an der Aufrechterhaltung ihrer Handelsbeziehungen zu Venedig. Die Bemühungen der oberdeutschen Reichsstädte um die Abwendung der drohenden Reichsacht gegen den Dogen im Vorfeld des Reichstages (Nrr. 66–77) konnten hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber den kaiserlichen Kriegsplänen keinen Zweifel lassen. Auch Venedig, darin bestärkt durch die Einschätzung seiner Korrespondenten, betrachtete die Reichsstädte insgesamt als natürliche Verbündete bei seinen Friedensbemühungen.103 Dass die Gesandten der wichtigsten Städte erst nach der Abreise Maximilians aus Worms dort eintrafen (Nr. 438, Pkt. 1/4), kann kaum zufällig genannt werden. Die Abweichung von der eingeübten Beflissenheit gegenüber dem Reichsoberhaupt war augenfällig. Allerdings verzichteten die Reichsstädte vor dem Reichstag darauf, sich über eine gemeinsame Strategie zu verständigen. Daran änderte auch ihr verbindendes Interesse an der Verbesserung der Situation hinsichtlich Landfrieden und Reichsgerichtsbarkeit (Nrr. 80, Pkt. 1; 90; 170–172) nichts. Auf die gemäß dem Speyerer Städteabschied vom September 1507 vorgesehene Einberufung eines Städtetags wurde deshalb verzichtet (Nrr. 84–88). Dieses Versäumnis markiert den Beginn einer die Regierungszeit Maximilians I. überdauernden Krise dieser Institution.104 Erst 1522 kam wieder ein Städtetag zustande.
2.3. Verlauf der Reichstagsverhandlungen
Die vollständige Verweigerung der Reichsstände gegenüber der kaiserlichen Hilfsforderung prägte seit dem 16. Jahrhundert in der Historiographie105 das Bild dieses Reichstages und bestimmt es bis heute in der historischen Forschung106. Diese Wahrnehmung hatte der Kaiser selbst noch mit seiner am 26. Juni 1509 in Druck gegangenen Kritik an der Wormser Reichsversammlung und der von der Nachwelt in der Regel geteilten Zurückweisung der ständischen Argumente (Nr. 482) insinuiert. Die Verhandlungen und Ergebnisse des Reichstages in Bezug auf das Reichskammergericht wurden in Unkenntnis der in dieser Edition erstmals vorgelegten Quellen bislang vollkommen übersehen. Lediglich die von Kaiser Maximilian verfügte Verlegung von Regensburg nach Worms wurde verschiedentlich in ihrer Bedeutung als Beginn einer zehnjährigen, beinahe ununterbrochenen Wirkungsperiode des Gerichts gewürdigt.107 Ansonsten war eine eher punktuelle und ausschnitthafte Aufmerksamkeit für den Wormser Reichstag vorwiegend territorialgeschichtlich begründet.108 Eine etwas ausführlichere Darstellung der Verhandlungen als Wegweiser durch den „Reichstagskern“ erscheint deshalb geboten.
Kaiser Maximilian zog am 21. April in vollem Harnisch, begleitet von den vier rheinischen Kurfürsten, Pfalzgraf Friedrich, den Markgrafen Friedrich und Kasimir von Brandenburg-Ansbach, den Gesandten des Papstes, Frankreichs und Spaniens sowie einer Reihe reichsständischer Gesandtschaften in Worms ein. Das reichsstädtische Protokoll gibt die Zahl seines Gefolges wahrscheinlich richtig mit ungefähr 1000 Pferden an.109 Dazu zählte eine vorausreitende Abteilung albanischer Stradioten, „uf ihre weise beinahe durkisch“ wirkend (Nrr. 259, Pkt. 1; 260, Pkt. 1; 438, Pkt. 3). Augenscheinlich wollte der Kaiser damit als eigentliche Zielsetzung des bevorstehenden Krieges symbolisch den Kreuzzug gegen die Türken andeuten110 und den in diesen Tagen durch König Ludwig von Frankreich eröffneten Venezianerkrieg als notwendige Voraussetzung dazu bewertet wissen. Am folgenden Tag ließ er die Stände durch den Reichserbmarschall Joachim von Pappenheim111 in seine Herberge, die bischöfliche Pfalz, bescheiden (Nr. 259, Pkt. 2).112 Über den zeremoniellen Rahmen der Eröffnung des Reichstages, etwa den üblichen Gottesdienst, liegen keinerlei Nachrichten vor. Offenbar fassten die Berichterstatter das Eröffnungsritual bereits als allgemein bekannte und deshalb nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit auf.
Auch der vom Kaiser bestellte Redner Matthäus Lang – Maximilian, „der bis dahin wohl redegewandteste deutsche König überhaupt“113, verzichtete bezeichnenderweise anders als 1507 in Konstanz114 darauf, selbst das Wort zu ergreifen und sein monarchisches Gewicht auszuspielen – suggerierte den Ständen den Türkenkrieg als eigentliches Ziel des bevorstehenden Unternehmens. Auf dem Weg dorthin sollte der Kaiser gemäß päpstlichem Wunsch Venedig zur Rückgabe der dem Kirchenstaat abgewonnenen Städte veranlassen. Dann stellte Lang allerdings die günstige Gelegenheit zur Rückeroberung auch der dem Reich entzogenen Gebiete in den Mittelpunkt. Dafür sollten die Reichsstände umgehend eine möglichst großzügige einjährige Hilfe bewilligen. Außerdem wurden die Stände angesichts der bevorstehenden längeren Abwesenheit des Kaisers aufgefordert, einen geeigneten Reichsstatthalter zu bestimmen (Nr. 264bzw. 266/II). Die Anwesenden verweigerten nach Beratung in den Kurien115 und erfolgter Relation am nächsten Tag, dem 23. April, unter Hinweis auf ihre geringe Zahl die Aufnahme der Verhandlungen. Man wollte das Eintreffen weiterer Teilnehmer, in erster Linie natürlich Kurfürst Friedrichs von Sachsen, abwarten (Nr. 260, Pkt. 3f.). Der Kaiser insistierte in seiner Erwiderung nicht auf sofortigen Verhandlungen, sondern forderte die Stände lediglich auf, in Worms zu bleiben. Er kündigte seinerseits an, sich für die Kriegsvorbereitungen unverzüglich in die Erblande zu begeben und den Reichstag durch Kommissare führen zu lassen (Nr. 260, Pkt. 5). Noch am gleichen Tag absolvierte er die wichtigsten anstehenden Reichsbelehnungen. Anders als 1505/07 gegenüber dessen Vorgänger Jakob von Liebenstein verzichtete Maximilian beim Mainzer Kurfürsten Uriel von Gemmingen (Nr. 307) darauf, den strittigen Status der Stadt Mainz zu thematisieren. Die Belehnung des neuen Kölner Erzbischofs Philipp von Daun war ohnehin unproblematisch (Nrr. 308–310). Bei dieser Gelegenheit empfingen auch die dem Kaiserhof folgenden Bevollmächtigten Bischof Eberhards von Lüttich die Reichsregalien (Nr. 319). Vor ihrer Rückreise übertrugen sie im Gegenzug dem Jülicher Gesandten Friedrich von Brambach die Vollmacht für den Reichstag. Dagegen wurde bekanntlich dem neuen pfälzischen Kurfürsten die erbetene Reichsbelehnung verweigert (Nrr. 260, Pkt. 6; 261, Pkt. 4, 19; 262, Pkt. 16f.; 311–317; 421, Pkt. 9; 463, Pkt. 3; 471, Pkt. 3). Dieser Schritt offenbarte nicht nur das Abhängigkeitsverhältnis der Kurpfalz vom Kaiser, sondern verstärkte es zugleich noch. Ungeachtet der Intervention der noch während des Wormser Reichstages eingeschalteten Mitstände beharrte Maximilian auch wegen des Widerstands der früheren kurpfälzischen Kriegsgegner weiterhin auf seiner Position. Erst das Einverständnis Kurfürst Ludwigs zur Nachfolge Karls V. auf dem Kaiserthron wog schwer genug, um Maximilian auf dem Augsburger Reichstag von 1518 schließlich einlenken zu lassen.116
Vor der Rückkehr einiger kurzfristig abgereister Fürsten, dem Eintreffen weiterer Teilnehmer und der Zustellung der kaiserlichen Reichstagsinstruktionen am 14. Mai geschah in der Folge nichts Wesentliches mehr. Maximilian betraute seine Räte und Kommissare in Worms lediglich mit einigen Vorgängen untergeordneter Bedeutung (Nrr. 259, Pkt. 4/6; 384–388). Die Frankfurter Gesandten mutmaßten außerdem Verhandlungen über Streitigkeiten der Fürsten (Nrr. 439, Pkt. 1/4; 441, Pkt. 1). Zu spät und vergeblich sprachen sich die vorab nicht informierten Kommissare am 5. Mai in Anbetracht des fortbestehenden Streits zwischen Stadtgemeinde und Stiftsklerus sowie der während der ersten Sitzungsperiode (1497–1499) gemachten schlechten Erfahrungen des Gerichtspersonals mit den Wormser Bürgern117 gegen die vom Kaiser bereits verfügte Verlegung des Kammergerichts nach Worms aus und schlugen stattdessen Verhandlungen mit den Reichsständen über Speyer oder Frankfurt als alternative Standorte vor (Nr. 390). Der Kammerrichter Bischof Wiguläus von Passau hatte gemäß kaiserlicher Weisung bereits alle notwendigen Schritte veranlasst (Nr. 65). Am 7. Mai traf das Gerichtspersonal in Worms ein (Nr. 473, Pkt. 6).
Nach mehr als drei Wochen ereignisloser Untätigkeit vor allem für die reichsstädtischen Gesandten (Nr. 441, Pkt. 1) trugen die kaiserlichen Kommissare den Reichsständen am 16. Mai ihre Instruktionen vor. Die erste Instruktion (Nr. 266) wiederholte den kaiserlichen Vortrag vom 22. April, war allerdings von Maximilian selbst um einige Aspekte erweitert worden: Für die Stände sicherlich uninteressant waren die Erläuterungen zu den Feindseligkeiten mit Frankreich und die gegen Herzog Karl von Egmond erhobenen Vorwürfe wegen dessen angeblicher Vertragsbrüchigkeit. Ebenso wenig relevant dürfte für sie gewesen sein, dass der Kaiser, um den bevorstehenden Bruch des Waffenstillstands von Arco zu rechtfertigen, noch einmal herausstrich, das Bündnis von Cambrai nur auf Drängen des Papstes eingegangen zu sein, und gleichzeitig durch den Vorwurf eines Truppenaufmarsches gegen die erbländischen Grenzen den Verteidigungsfall gegenüber Venedig konstruierte.118 Die zweite Instruktion (Nr. 268) konfrontierte die Stände mit Einzelheiten der Venedighilfe wie die Benennung von Truppenbefehlshabern, die Dauer der Hilfe, die Stellung ausschließlich von Reiterverbänden durch die Reichsfürsten oder die Höhe des Reitersolds bei den ständischen Kontingenten, konkretisierte jedoch erstaunlicherweise nicht die Höhe der Forderung – ein schwerwiegender verhandlungstaktischer Fehler. Gleichzeitig regte der Kaiser – veranlasst von seinen Kommissaren in Worms (Nr. 390, Pkt. 2) – Verhandlungen über das Reichskammergericht an, im Einzelnen über eine verbesserte Finanzierung des Gerichts, Vorkehrungen gegen die Präsentation unerfahrener Assessoren, eine Reform der Kanzlei und Maßnahmen zur wirkungsvolleren Umsetzung der Urteile. Außerdem sollte allgemein über den Reichsfrieden und dessen Handhabung sowie das Reichsmünzwesen beraten werden. Schließlich ersuchte der Kaiser um die Stellungnahme der Stände zu einer Supplikation Bischof Jakobs von Cambrai (Nr. 318). Ungleich wichtiger war ihm vermutlich die Einschaltung der Autorität des Reichstages, um sich der noch in den Territorien deponierten Jubelablassgelder zu bemächtigen. Bei dieser den Ständen am 16. Mai präsentierten Fassung handelte es sich nur um einen von den Kommissaren angefertigten Auszug aus ihrer deutlich umfangreicheren Instruktion (Nr. 267). Darin war außerdem vorgesehen, bei den weiteren Verhandlungen über die Reichshilfe wie 1495 den Modus eines vierjährigen Gemeinen Pfennigs anzuregen. Von dem Geld sollten, verglichen mit den heterogenen ständischen Kontingenten, geeignetere Fußtruppen angeworben werden. Damit trug der Kaiser den Erfordernissen der neuen taktischen Infanterie119 Rechnung, doch um den Preis eines möglichen Scheiterns der Verhandlungen. Denn zuletzt auf dem Kölner Reichstag von 1505 hatte die Mehrheit der Stände eine Neuauflage dieses Steuermodells abgelehnt.120 Als Alternative wurde deshalb laut Instruktion auch eine über mehrere Jahre laufende „Beharrliche Hilfe“ erwogen, was aus kaiserlicher Sicht mit dem Vorteil verbunden war, die mit der Abhaltung von Reichstagen verbundenen Kosten zu sparen. Einige Fürsten sollten für den Kaiser auf dessen Rechnung Reiterkontingente anwerben. Daneben erhielten die Kommissare die Befugnis, gegebenenfalls unter Hinzuziehung der Reichsstände über die Streitsachen und Anliegen der vom Kaiser nach Worms zitierten Parteien zu verhandeln und zu entscheiden. Dieser Schritt entsprach eigentlich der üblichen taktischen Planung für die maximilianeischen Reichstage, in diesem Fall reagierte der Kaiser jedoch erst auf eine entsprechende Aufforderung seiner Vertreter (Nr. 389). Erst nach erfolgter Bewilligung der Reichshilfe sollten die Kommissare vorsorglich einen Protest bezüglich der Stände, die von den Erzherzögen von Österreich der Reichsbesteuerung entzogen worden waren, einlegen. Aufgrund des weiteren Verhandlungsverlaufs wurden allerdings sowohl Verhandlungen über den Modus der Reichshilfe als auch der vorgesehene Protest obsolet.
Ohnehin ruhten die Verhandlungen bis zum Eintreffen Kurfürst Friedrichs von Sachsen am 21. Mai erneut. Schon sein Empfang durch die vornehmsten anwesenden Fürsten, verbunden mit einem einstündigen Einzug nach Worms (Nrr. 261, Pkt. 9; 473, Pkt. 8), seit der Abreise des Kaisers bis zum Ende des Reichstages der einzige nennenswerte zeremonielle Höhepunkt, machte dessen Ausnahmestellung augenfällig. Bereits tags darauf bildeten die Stände einen interkurialen Ausschuss zur Beratung über die beiden vorgelegten Instruktionen. Er setzte sich aus Räten der sechs Kurfürsten, je vier geistlicher (Bamberg, Würzburg, Straßburg, Deutschmeister) und weltlicher (Bayern, Brandenburg-Ansbach, Württemberg, Hessen) Vertreter des Fürstenrats sowie zweier Städte (Ulm, Frankfurt)121 zusammen (Nrr. 259, Pkt. 8; 260, Pkt. 10; 261, Pkt. 10; 262, Pkt. 1). Dieser Ausschuss war auch in der Folge mit der Ausarbeitung aller Vorlagen für die Reichshilfeverhandlungen beauftragt (z. B. 260, Pkt. 15; 261, Pkt. 20; 262, Pkt. 18). Da das Plenum seiner Generallinie folgte, war er maßgeblich verantwortlich für das Scheitern der kaiserlichen Ziele auf dem Reichstag.
Maximilian I. initiierte einstweilen eine neue Informationskampagne: Am 14. Mai sandte er die gedruckte Bannbulle gegen Venedig122 und an die Kurfürsten adressierte päpstliche Schreiben (Nr. 272) nach Worms (Nr. 393). Julius II. betonte darin noch einmal die Notwendigkeit, die Einheit der Christenheit als Voraussetzung für den von ihm angestrebten Türkenkreuzzug herzustellen. Zu diesem Zweck sollten die Reichsstände den Kaiser bei der Beendigung der venezianischen Aggression gegen den Kirchenstaat unterstützen. Gleichzeitig instruierte Maximilian seine Kommissare, mit den Ständen über Mandate zur Aushändigung der im Reich eingesammelten Jubelablassgelder an die mit deren Abwicklung betrauten Fugger zu verhandeln (Nr. 394). Mit Schreiben vom 19. Mai informierte er den Reichstag über den französischen Sieg bei Agnadello (Nr. 399). Anscheinend ging er davon aus, dass die Nachricht das Verhandlungsklima günstig beeinflussen würde. Denn wiederum am gleichen Tag entsandte er zur Entlastung der Kommissare Ernst von Welden als Sondergesandten nach Worms, um mit den Reichsständen über die Jubelablassgelder zu verhandeln (Nr. 269). Doch die wenigen vorliegenden Nachrichten über die Reaktion der Reichsstände auf die Nachricht vom Sieg des französischen Verbündeten spiegeln eher Ungläubigkeit in Bezug auf deren Wahrheitsgehalt (Nrr. 401, Pkt. 2; 403, Pkt. 3) und Skepsis bezüglich der Folgen für das Reich (Nr. 427, Pkt. 2) wider. Die Teilnehmer am Konstanzer Reichstag von 1507 mochten sich an die düsteren Prognosen Maximilians hinsichtlich einer französischen Dominanz in Oberitalien mit der daraus resultierenden Kontrolle des Papsttums durch Frankreich und dem Verlust der Kaiserwürde für das Reich123 erinnern. Auch die am gleichen Tag, dem 22. Mai, übergebenen päpstlichen Breven und die vorgelegte Bannbulle zeigten keinerlei Wirkung. Die propagandistische Unterstützung durch den „Kriegerpapst“ Julius erschien unglaubwürdig.124 Die äußeren Umstände waren ebenfalls ungünstig. Die Versammelten mussten die Session stehend absolvieren, da im Fürstenrat nach dem Tod Herzog Albrechts von Bayern die Vorrangstreitigkeiten zwischen den Häusern Sachsen und Bayern wieder aufgeflammt waren (Nrr. 262, Pkt. 1, 4–10; 263, Pkt. 4–10; 400, Pkt. 1).
Die Arbeit des interkurialen Ausschusses wurde von dem Sessionsstreit allerdings nicht tangiert. Dessen Verhandlungen am 23. und 24. Mai waren geprägt von scharfen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern – von denen allerdings nur Hessen eindeutig zu identifizieren ist (Nr. 483) – und Gegnern einer Reichshilfe. Die dem Gremium angehörenden Räte verpflichteten sich eidlich zu absoluter Geheimhaltung (Nrr. 261, Pkt. 13; 453). Diese Maßnahme zielte zweifellos in erster Linie auf die Unterbrechung der Kommunikation zwischen dem Brandenburg-Ansbacher Vertreter Theobald von Heimkofen und dem kaiserlichen Stellvertreter Markgraf Kasimir. Am 27. Mai gelangte der Resolutionsentwurf des Ausschusses (Nr. 275/II) in das Plenum. Die Gegner des Kaisers hatten sich weitgehend durchgesetzt: Sie verweigerten ihre Zustimmung zu den ihnen in den Details nicht bekannten Verträgen von Cambrai wegen möglicher nachteiliger Konsequenzen für das Reich. Explizit genannt wurde die durch die französische Besetzung in Frage gestellte Reichszugehörigkeit des Herzogtums Mailand. Zugleich formulierten sie die Einbeziehung der Reichsstände in den außenpolitischen Entscheidungsprozess als notwendige Voraussetzung für die Bewilligung von Reichshilfen. Ohnehin sahen man sich schon aus ökonomischen Gründen zur Leistung einer Hilfe außerstande. Die kaiserlichen Parteigänger im Ausschuss hatten allerdings für die weiteren Verhandlungen eine alternative Strategie vorbereitet. Ungeachtet der Zweifel am Nutzen einer solchen Bewilligung wollte man sich mit Rücksicht auf Kaiser und Papst in Verhandlungen über eine begrenzte Hilfsforderung einlassen (Nr. 275, App. r). Doch das Plenum einigte sich in nur zweitägigen Beratungen – den hinderlichen Sessionsstreit zwischen Albertinern und Wittelsbachern konnte Kurfürst Friedrich der Weise am 28. Mai für die Dauer des Reichstages beilegen125 – auf die Streichung dieses Passus. Auf Drängen Kursachsens wurde sogar die vorgesehene Bitte um Verzicht auf die Reichshilfe getilgt, da sie als implizites Eingeständnis der Berechtigung dieser Forderung hätte ausgelegt werden können.126 Auch sonst zeigten die Stände keinerlei Entgegenkommen: Die vorgeschlagene Wiederbesetzung des Reichsstatthalteramts wurde als unnötig erachtet. Das Plenum distanzierte sich sogar von dem im Entwurf vorgesehenen Angebot, bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal über diesen Punkt zu verhandeln. Damit war zugleich das Scheitern der von den Kommissaren parallel geführten Verhandlungen mit dem hinhaltend taktierenden sächsischen Kurfürsten sowie mit den Herzögen Erich und Heinrich von Braunschweig (Nrr. 391; 405; 406, Pkt. 2; 407; 424, Pkt. 4) besiegelt. Hinsichtlich des Kammergerichts begnügten sich die Stände mit einer unverbindlichen, offenkundig auch für Kursachsen, Kurbrandenburg und Sachsen tragbaren Erklärung zu dessen weiterer Finanzierung und erklärten zugleich ihre Unkenntnis bezüglich etwaiger Missstände. Eine Stellungnahme zum Reichslandfrieden und dessen Handhabung fehlt. Lediglich zu Verhandlungen über das Münzwesen auf der Basis der kurrheinischen Goldmünzordnung von 1490127 fanden sich die Stände bereit. Beratungen über die Supplikation Bischof Jakobs von Cambrai sollten nach Anhörung des Antragstellers und der mitbetroffenen Stadt Cambrai erst auf dem nächsten Reichstag stattfinden. Die erbetenen Mandate an einzelne Reichsstände zur Aushändigung der Jubelablassgelder wurden, ohne Angabe von Gründen, konsequenterweise ebenfalls verweigert. Diese – einhellig verabschiedete (Nrr. 260, Pkt. 12; 263, Pkt. 13) – Antwort sollte am Nachmittag des 29. Mai den kaiserlichen Vertretern übergeben werden. Kursachsen hatte sich auf der ganzen Linie durchgesetzt. Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Friedrich von Sachsen, erkannte eine günstige Gelegenheit, um am Vormittag seinen Antrag auf Beistand des Reiches gegen Polen zu stellen (Nrr. 261, Pkt. 17; 297). Vermutlich ging er davon aus, dass die Verweigerung gegenüber dem Kaiser sich in einer großzügigeren Hilfsbereitschaft der Stände gegenüber seinem Orden niederschlagen könnte. Die Betrauung eines eigenen Ausschusses mit seinem Anliegen128 konnte der Hochmeister jedenfalls als Erfolg verbuchen.129
Trotz gegenteiliger Beteuerungen (Nrr. 276, Pkt. 1; 414, Pkt. 1) stellte der abschlägige Bescheid der Stände auf die kaiserliche Reichshilfeforderung für die Kommissare keine völlige Überraschung dar. Maximilian selbst hatte, wie gezeigt, vor dem Reichstag durchaus mit einem Misserfolg gerechnet. Seine Stellvertreter verfügten zweifellos über Informanten unter den Reichsständen. Bereits mit Schreiben vom 27. Mai hatten sie ihren Dienstherrn um Anweisungen bei einer Ablehnung der kaiserlichen Hilfsforderung gebeten (Nr. 408, Pkt. 2). Als dieser Fall zwei Tage später eintrat, informierten sie unverzüglich den Kaiser (Nr. 409). Während die Kommissare auf dessen Erwiderung warteten, hielten sie den Ständen am 31. Mai die nachteiligen Folgen ihres Beschlusses vor Augen und baten um dessen Revision. In erster Linie ging es ihnen aber darum, die Teilnehmer bis zum Eintreffen der kaiserlichen Stellungnahme zum Bleiben zu bewegen (Nr. 276). Geschickt platzierten Kurfürst Ludwig von der Pfalz und sein Bruder Friedrich in dieser spannungsvollen Verhandlungspause ihre Bitte um Fürsprache beim Kaiser wegen der verweigerten Reichsbelehnung (Nr. 314). Die um ihre territorialen Gewinne fürchtenden ehemaligen Verbündeten Maximilians im Landshuter Erbfolgekrieg antworteten umgehend mit einer Supplikation an die Reichstags-Kommissare (Nr. 315). Der Reichsrat betraute daraufhin den Großen Ausschuss mit der Ausarbeitung einer Stellungnahme zu dieser prekären Angelegenheit (Nrr. 261, Pkt. 19; 262, Pkt. 18).
Überraschenderweise blieben die Stände in der Reichshilfefrage nicht untätig, sondern bereiteten anscheinend auf Initiative Kursachsens (Nr. 227) eine weitere Rechtfertigung ihrer Position vor. Vermutlich wollte Friedrich der Weise die Dynamik der Entwicklung nutzen, um die keineswegs wirkungslose Einflussnahme der kaiserlichen Räte auf einzelne Stände – so distanzierte sich eine Reihe kaisernaher Reichsgrafen und -herren von der Mehrheitsmeinung (Nr. 414, Pkt. 1/3) – zu konterkarieren. Bereits am 2. Juni lag ein Memorandum des Großen Ausschusses vor (Nr. 278), das noch einmal die Legitimität der eingenommenen Verweigerungshaltung begründete: mit der unterbliebenen Konsultation der Reichsstände vor dem Abschluss der Verträge von Cambrai, mit der fehlenden Kenntnis vom Inhalt dieser Verträge und der damit einhergehenden Unmöglichkeit, deren Konsequenzen für das Reich zu kalkulieren, mit der aufgrund früherer Erfahrungen absehbaren Nutzlosigkeit, wenn nicht Schädlichkeit der geforderten Reichshilfe – dahinter verbarg sich das Unbehagen am Angriffsziel Venedig –, mit der direkten oder indirekten Stärkung der französischen Position in Oberitalien zum voraussichtlichen Nachteil des Reiches, mit der Übereiltheit der kaiserlichen Hilfsforderung und schließlich mit der finanziellen Überlastung der Stände durch die nutzlosen Reichshilfen der letzten beiden Reichstage in Köln und Konstanz. Bei den erneuten Beratungen hatte sich im Ausschuss außerdem die Einsicht durchgesetzt, dass ein Einverständnis zu Verhandlungen über eine kleine Reichshilfe den Kaiser und seine Kommissare eher verärgern würde. Vielmehr hätte ein kleinlautes Abweichen von der ersten ständischen Resolution nachteilige Konsequenzen für das Ansehen der Reichsstände beim Kaiser. Das Plenum folgte in seiner Erklärung vom 3. Juni (Nr. 279) dieser Linie: Die Reichsstände bekundeten ihre Verwunderung angesichts der von den Kommissaren geäußerten Enttäuschung über ihren Beschluss und betonten noch einmal ihre finanzielle Erschöpfung. Sie ergänzten den Entwurf außerdem dahingehend, dass die Bewilligung einer Hilfe als nachträgliche Zustimmung zum Vertragswerk von Cambrai ausgelegt werden könnte. Sie erkannten darin überdies einen Bruch mit den Verhandlungsergebnissen des Konstanzer Reichstages, wo die Stände Verhandlungen mit König Ludwig von Frankreich über das von diesem besetzte Herzogtum Mailand gefordert hatten. Damit verstießen die Stände ausnahmsweise gegen die Gepflogenheit, auf eine Kommentierung der kaiserlichen Politik zu verzichten.130 Sie zeigten sich zuversichtlich, dass der Papst ihre Haltung in Würdigung aller Umstände billigen würde, zumal der angeregte Türkenkreuzzug ihres Erachtens vorherige Beratungen der europäischen Mächte und eine umfassende Finanzierung erforderte, an der man sich gegebenenfalls beteiligen wollte. Wohl um die Wartezeit auf die kaiserliche Stellungnahme nicht ungenutzt zu lassen und den Reichstag nicht vollständig zum Scheitern zu bringen, regten die Stände unter Bezugnahme auf die Instruktion der Kommissare gleichzeitig Verhandlungen über Kammergericht, Landfrieden und Münzwesen an. Dagegen lehnten sie es erneut ab, die vom Kaiser erbetenen Mandate zur Aushändigung der Jubelablassgelder an die Fugger auszustellen (Nr. 284).
Die Erwiderung der Kommissare vom 5. Juni ließ deren gereizte Stimmung angesichts der ständischen Totalverweigerung deutlich erkennen. Sie sahen die Verantwortlichen für die Kritik am Kaiser verpflichtet, sich die Konfrontation mit dessen Reaktion gefallen zu lassen. Gleichzeitig zeigten sie sich aber einverstanden, bis dahin über die vorgeschlagenen Themen zu beraten (Nr. 280). Die Stände bestritten noch am gleichen Tag in einer knappen Erklärung die von den Kommissaren unterstellte Verantwortlichkeit Einzelner und erklärten ihr Recht auf Abreise vom Reichstag, erneuerten aber zugleich ihr Verhandlungsangebot bezüglich des Kammergerichts und der übrigen Themen (Nr. 281). Die Kommissare forderten ihrerseits die Stände nachdrücklich auf, in Worms zu bleiben (Nr. 282). Zwar beharrten diese auf ihrer vorherigen Resolution (Nr. 283), dennoch reiste bis zum Eintreffen der kaiserlichen Erklärung (Nr. 411) am 7. Juni kein weiterer Teilnehmer vom Reichstag ab. Formal als Schreiben an seine Kommissare gehalten, kritisierte der Kaiser darin die kleinmütige Haltung der Reichsstände angesichts einer einmaligen Chance für seine Italienpolitik hart. Er machte, natürlich ohne Namen zu nennen, seine Neider für die Verweigerung verantwortlich.131 Das Argument der finanziellen Erschöpfung erklärte er für unglaubwürdig. Hatten doch die Stände selbst in Konstanz Zusagen für eine eventuelle weitere Hilfe im Bedarfsfall gemacht – was im Übrigen keineswegs zutrifft –, nur diese dann nicht erfüllt. Der Kaiser kreidete den Ständen an, mit ihren unzureichenden Reichshilfen weiterreichende Erfolge verhindert zu haben, während seine Erbländer unter hohen Kosten den Schutz des Reiches nach außen übernommen hatten. Seine Mailandpolitik sah er im Einklang mit den ständischen Empfehlungen auf mehreren Reichstagen. Nach eigenem Bekunden hatte er ungeachtet der dadurch verursachten Verzögerungen die Stände in jeder Phase seiner Politik durchaus konsultiert. Den Vorwurf der Eigenmächtigkeit wies er deshalb zurück. Der Kaiser forderte die Stände nachdrücklich auf, ihre Entscheidung auch in Rücksicht auf den Papst zu revidieren. Eventuelle negative Konsequenzen für das Reich im Falle einer weiteren Verweigerung lastete er vorsorglich ihnen an. Auf eine Stellungnahme zu anderen Verhandlungsmaterien wurde aufgrund des Zeitdrucks verzichtet. Am gleichen Tag ging den Ständen eine Nachricht über die militärischen Fortschritte der Franzosen in der venezianischen Terraferma (Nr. 404) zu.
Angesichts der Verärgerung des Kaisers wagte der Ausschuss keine eigene Entscheidung mehr, sondern stellte das Plenum vor die grundsätzliche Entscheidung, am bisherigen Kurs festzuhalten oder einzulenken (Nr. 285). Über die zu treffende Wahl bestand indessen kein nach außen sichtbarer Zweifel. Bereits in ihrem Bericht vom 5. Juni hatten die Kommissare gegenüber Maximilian einräumen müssen, dass ihre Separatverhandlungen mit einzelnen Reichsständen über ein längeres Verbleiben auf dem Reichstag erfolglos verlaufen waren (Nr. 415). Tatsächlich zeigten sich die Reichsstände von der kaiserlichen Erklärung unbeeindruckt. Ein bezeichnenderweise nur in der kursächsischen Überlieferung enthaltener Entwurf (Nr. 286) kehrte nicht ohne Sarkasmus das Argument, dass die Vorwürfe gegen den Kaiser diesen persönlich beträfen, um, indem die Fortsetzung der Reichshilfe-Verhandlungen mit dessen Stellvertretern abgelehnt und gleichzeitig die Abreise der Stände angekündigt wurde. Die am folgenden Tag, dem 9. Juni, tatsächlich übergebene Erklärung war im Ton deutlich verbindlicher gehalten, änderte in der Sache aber nichts daran, dass eine ständische Majorität unbeirrt auf ihrer Position verharrte (Nr. 288). Wie groß diese Mehrheit war, ist nicht ganz klar. Der kursächsische Gesandte Friedrich von Thun deutete nach dem Reichstag gegenüber Landgraf Wilhelm von Hessen an, dass die Mehrzahl der Stände gegen eine Venedighilfe gewesen sei, räumte aber offen ein, dass Kurfürst Friedrich abweichende Voten zu unterbinden suchte132 – dies offensichtlich erfolgreich.
Die Kommissare kündigten postwendend die unverzügliche Übersendung der ständischen Erklärung an den Kaiser an, bekundeten aber gleichzeitig ihre Bereitschaft, über ein etwaiges besseres Angebot der Stände weiterzuverhandeln (Nr. 289). Damit unternahmen sie einen letzten vergeblichen Versuch, die hinter der geschlossenen Front der ständischen Resolutionen festgestellten Verwerfungen auszunutzen (Nr. 417, Pkt. 1). Die ständische Gesamtheit zeigte sich am 10. Juni von der angedrohten Störung des Verhältnisses zum Kaiser unbeeindruckt. Eine Fortsetzung der Verhandlungen erklärte man für unnötig (Nr. 290). Die Kommissare mussten sich in ihr Scheitern fügen. Ihnen blieb nur, jegliches Verschulden ihrerseits zurückzuweisen. Gleichzeitig unternahmen sie noch einen Sondierungsversuch hinsichtlich der Einhelligkeit bzw. der Verantwortlichkeit bezüglich der ständischen Position133 (Nr. 291). Doch ließen sich die Stände nicht auseinanderdividieren, die zumindest nach außen demonstrierte Einheitsfront hielt (Nr. 292). Die Kommissare übersandten die an diesem Tag ausgetauschten Resolutionen kommentarlos dem Kaiser (Nr. 417, Pkt. 1). Nun reiste auch der Sondergesandte Ernst von Welden ab, nachdem die Stände ihm tags zuvor in Sachen Jubelablassgeld noch einmal die kalte Schulter gezeigt hatten (Nr. 287). Als Erfolg konnten die kaiserlichen Vertreter lediglich die Beilegung der Streitigkeiten zwischen der Stadt Worms und dem Stiftsklerus durch Erzbischof Jakob von Trier und Kurfürst Friedrich von Sachsen (Nrr. 329; 473, Pkt. 9; 564f.) vermelden. Damit war ein wichtiges Hindernis für eine störungsfreie Tätigkeit des Reichskammergerichts in Worms beseitigt. Immerhin hatte das Gericht in dem von den Herren von der Leiter anhängig gemachten Verfahren Venedig noch während des Reichstages, am 13. Juni, in die vom Kaiser gewünschte (Nr. 271, Pkt. 21) Reichsacht erklärt (Nrr. 301f.). Eine Einbeziehung der Reichsstände in diese Entscheidung ist nirgends erkennbar.134 Die erhoffte positive Wirkung im Sinne der kaiserlichen Venedigpolitik ging davon nicht aus.
Anders als der Kaiser zeigte sich der Hochmeister des Deutschen Ordens, Friedrich von Sachsen, mit dem Ergebnis des Reichstages zufrieden. Stände und Kommissare hatten sich zur Beilegung des Konflikts mit Polen sehr rasch auf eine Vermittlungsinitiative des Kaisers und der Reichsstände gemeinsam mit dem Papst und Ungarn geeinigt. Sollte König Sigismund nicht einlenken, wurden für die nächste Reichsversammlung weitere Beratungen anberaumt (Nrr. 292, Pkt. 3; 298–300).
Ein Großteil der Reichsfürsten reiste an den folgenden beiden Tagen, dem 11. und 12. Juni (Nrr. 418, Pkt. 1; 477, Anm. 1, 2, 4, 5, 9, 14, 15), ab und überließ, wie zuvor verabredet135, die nur noch bis zum 16. Juni dauernden, dabei überaus produktiven Schlussverhandlungen einigen deputierten Räten (Kurmainz, Kurköln, Kurpfalz136; Speyer, Freising, Bayern, Hessen, Württemberg; Städte Köln und Worms; Nr. 418, Pkt. 3). Von den kaiserlichen Vertretern waren in der Schlussphase noch Nassau, Fraunberg, Vergenhans und ihr Sekretär Storch anwesend. Mit eine Voraussetzung für den Erfolg der Verhandlungen über das Reichskammergericht bildete das Fernbleiben Kursachsens, Kurbrandenburgs und Sachsens (Nrr. 418, Pkt. 5; 502), die sich mit Protesten gegen Eingriffe in ihre landesherrliche Jurisdiktion und gegen die Eintreibungspraxis beim Kammerzieler begnügten (Nrr. 357–361). Sie sahen aufgrund der Nichtanerkennung ihrer Exemtionen durch das Kammergericht und den kaiserlichen Fiskal die Geschlossenheit ihrer Territorien in Frage gestellt. Die quasi auf einen Rätetag reduzierte Reichsversammlung fungierte an den letzten Verhandlungstagen zugleich als eine Art außerordentlicher Visitationstag, nachdem die für die Osterwoche vorgesehene reguläre Versammlung (Nr. 154) ausgefallen war. Die Vertreter des Kammergerichts legten ihre Abrechnung für den Zeitraum seit Ende 1507 sowie eine Aufstellung bestehender Missstände vor, worüber die kaiserlichen Stellvertreter gemeinsam mit den ständischen Deputierten berieten (Nrr. 293–295). Ihre Ergebnisse wurden entweder dem Kammergericht direkt zugestellt oder flossen in den Abschied (Nr. 303) ein: Graf Adolf von Nassau selbst übernahm das Kammerrichteramt. Ihm wird man eine maßgebliche Rolle bei den Schlussverhandlungen über das Kammergericht zuschreiben können.137 Die vakanten Beisitzerstellen wurden besetzt. Die vom Kaiser angeordnete Verlegung des Gerichts nach Worms wurde bestätigt, diesem aber zugleich die Kompetenz zugebilligt, bei einer möglichen Gefährdung des Betriebs durch die Streitigkeiten zwischen Stadtgemeinde, Bischof und Stiftsklerus eigenverantwortlich den Umzug nach Frankfurt zu organisieren. Während der Wormser Unruhen übersiedelte das Gericht tatsächlich von November 1513 bis März 1514 vorübergehend in das sichere Speyer.138 Der Kammerrichter wurde beauftragt, die Wiedereröffnung des Gerichts im Reich bekannt zu machen. Zur Kostendeckung wurde ein weiterer Anschlag in Höhe der 1507 auf dem Konstanzer Reichstag und im folgenden Jahr durch den Regensburger Visitationstag verabschiedeten Matrikelsteuer von nominal 11 556 Gulden beschlossen. Außerdem sollten die Ausstände dieser beiden Anschläge sowie – zur Deckung noch offener Soldforderungen unter anderem Nassaus – die Restanten des Augsburger Anschlags von 1500 eingetrieben werden. Was die festgestellten Missstände im Verfahrensablauf am Gericht angeht, griffen die Deputierten nur vorsichtig ein. Im Wesentlichen mahnten sie eine bessere Umsetzung der gültigen Bestimmungen an. Zum Münzwesen wurden mangels Sachkompetenz der Beteiligten im Detail keine Beschlüsse gefasst, sieht man einmal von der projektierten Verlegung der Basler Reichsmünzstätte nach Straßburg ab. Dafür war der zum 3. September nach Frankfurt anberaumte Münztag vorgesehen (Nrr. 305f.).
Der vom 16. Juni datierende Wormser Abschied wurde weder in einem zeitgenössischen Druck publiziert noch später in irgendeiner Form von der Reichspublizistik beachtet. Lediglich in der reichsstädtischen Registratur wird erwähnt, dass aufgrund der Reichshilfeverweigerung „kain rechtmessiger oder gewonlicher, sonder allain ain kurzer abschied verzaichnusweyse“ zustandekam (Nr. 476, Pkt. 5). Diese Einschränkung rekurriert auf das Fehlen von für Reichsabschiede zu Beginn des 16. Jahrhunderts bereits signifikanten Textelementen wie der Publikations- und der Verpflichtungsformel, der Subskriptionsliste und der Corroboratio.139 Dadurch war es bereits selbst sachverständigen Zeitgenossen erschwert, das Schriftstück als Reichsabschied zu identifizieren, wie auch der Gebrauch der unverbindlichen Überschrift „Das camergericht belangende“ erkennen lässt.140 Da der Abschied ausschließlich von bevollmächtigten Räten erstellt wurde, lag seine Ratifizierung durch den Kaiser und die Augsburger Reichsversammlung von 1510 nahe, aber nichts dergleichen geschah. Vielmehr traten die darin zusammengefassten Beschlüsse ohne weiteres in Kraft, was allein dazu berechtigt, ihn trotz seiner formalen Defizite als vollgültigen Reichsabschied zu klassifizieren.141 Der projektierte Reichsmünztag trat im September zusammen. Das Reichskammergericht begann im Anschluss an den Reichstag mit der Eintreibung des dort beschlossenen Anschlags und der festgestellten Ausstände. Selbst Details wie die Erhöhung des Solds der beiden hochadeligen Assessoren um 100 Gulden wurden penibel realisiert.142 Dies gilt allerdings auch für nicht in den Abschied eingeflossene Beschlüsse der Deputierten. Sie beauftragten Uriel von Mainz mit der Auswahl einer geeigneten Person als reichsständischen Teilnehmer an der gemeinsam mit dem Kaiser durchzuführenden Gesandtschaft zu König Sigismund von Polen. Um die Umsetzung der von den Deputierten beschlossenen Finanzierung bemühte sich ebenfalls der Mainzer Erzbischof (Nr. 526). Aller Wahrscheinlichkeit nach verfassten sie auch namens der Reichsversammlung die vorgesehenen Schreiben an die als weitere Vermittler vorgesehenen Papst Julius II. und König Wladislaw von Ungarn-Böhmen.143 Über keinen dieser vermutlich nur dem Mainzer Kurfürsten und Reichskanzler mitgeteilten Beschlüsse liegen schriftliche Unterlagen vor. Die Hochmeister Friedrich von Sachsen in Worms zugesagte Gesandtschaft von Kaiser und Reich zu König Sigmund von Polen wurde durchgeführt. Auf einem Tag in Posen fanden im Juli 1510 die vom Wormser Reichstag projektierten Vermittlungsverhandlungen statt.144
Auf die Bedeutung der Wormser Reichstages in der territorialgeschichtlichen Perspektive wurde bereits hingewiesen. Kaiser Maximilian hatte eine Vielzahl ständischer Angelegenheiten auf den Reichstag verwiesen und aufgrund seiner Abwesenheit weitgehend seine Kommissare mit deren Erledigung betraut (Nrr. 259, Pkt. 4, 6, 12f., 16–19, 22; 267). Deren Erfolgsquote war allerdings gering. In keinem einzigen der wichtigeren Vorgänge gelang die Beilegung des Konflikts.145 Lediglich in einigen untergeordneten Fällen führten die Vermittlungsverhandlungen zu einem Ergebnis (z. B. Aachener Bürger gegen Stadt Aachen; Nrr. 167f.; 259, Pkt. 17). Die Sachlage war ausnahmslos juristisch kompliziert, fallweise auch politisch heikel, der Verständigungswille auf beiden Seiten in der Regel begrenzt, doch in Abwesenheit der personifizierten kaiserlichen Autorität waren die Kommissare ohnehin von vornherein zum Scheitern verurteilt. Etliche Parteien waren gar nicht erst in Worms erschienen oder reisten gleich wieder ab (z. B. Nrr. 259, Pkt. 6, 16; 413; 417, Pkt. 5). In der Frage des Kölner Stapelrechts etwa wagten die Kommissare trotz ihrer Beauftragung durch den Kaiser keine eigene Schritte (Nrr. 259, Pkt. 19; 267, Pkt. 17; 454, Pkt. 4; 456, Pkt. 2). Lag keine explizite Weisung vor oder war der Rahmen ihres Auftrags ausgeschöpft, verwiesen sie die Petenten anscheinend ausnahmslos an das Reichsoberhaupt (z. B. Nr. 421, Pkt. 3, 4, 6). Bezeichnenderweise wandten sich Regensburg und Bayern in ihrem Konflikt direkt an den auf dem Weg nach Süden befindlichen Kaiser.146 Herzog Wilhelm und seine Vormünder sahen ihre Anstrengungen allerdings nicht belohnt, was vermutlich auch damit zu tun hatte, dass sie ihrerseits allen kaiserlichen Vorstellungen sowohl auf dem Reichstag in Worms als auch bei den bilateralen Verhandlungen in Kaufbeuren eher reserviert gegenüberstanden. Die kaiserliche Entscheidung favorisierte somit eher Regensburg (Nrr. 145; 324; 431; 434, Pkt. 2). Abgesehen von den ihnen aufgetragenen Vermittlungsbemühungen versuchten die Kommissare in Einzelfällen, durch Mandate für die äußere und innere Sicherheit im Reich zu sorgen (Nrr. 327, 379). Große Wirksamkeit wird man diesen Maßnahmen allerdings nicht unterstellen können.
Auffällig groß für eine maximilianeische Reichsversammlung, jedoch vermutlich signifikant für einen Kommissar-Reichstag war eine zweite Gruppe territorialer Angelegenheiten, die von ständischen Vermittlern betreut oder in informellen Gesprächsrunden behandelt wurde – und dies insgesamt überraschend erfolgreich. Um nur die reichstags- und reichsgeschichtlich wichtigeren Fälle herauszugreifen: Kurfürst Friedrich von Sachsen gelang es, durch pragmatische Anwendung des Senioratsprinzips den Sessionsstreit zwischen den Häusern Sachsen und Bayern für die Dauer des Reichstages stillzulegen (Nr. 320). Gemeinsam mit Erzbischof Jakob von Trier vermittelte er einen tragfähigen Kompromiss zwischen der Stadt Worms und dem in ihren Mauern ansässigen Stiftsklerus (Nr. 329). Die Lösung der für die Friedenswahrung in Süddeutschland hochbrisanten Hinterlassenschaft des Bayerischen Erbfolgestreits, nämlich die genaue territoriale Abgrenzung des mit dem Kölner Spruch von 1505 neugeschaffenen Fürstentums Pfalz-Neuburg, wurde in ausschließlich mündlich geführten Verhandlungen ohne Aktenniederschlag während des Wormser Reichstages vorbereitet (Nr. 559). Ebenso einigten sich die ursprünglich von Kaiser Maximilian in ihrem Konflikt um Streitberg nach Worms geladenen Parteien Bamberg und Brandenburg-Ansbach in einer bilateralen Vereinbarung auf gütliche Verhandlungen im Anschluss an den Reichstag (Nr. 321).
Ungewöhnlich hoch ist auf diesem kaiserlosen Reichstag auch die Zahl der von den Reichsständen betriebenen sonstigen partikularen Angelegenheiten. Dies hing auch, aber nicht nur mit der mehr als dreiwöchigen Wartezeit zwischen der Abreise des Kaisers aus Worms und der Aufnahme der Sachverhandlungen zusammen. Auf einem Reichstag ohne glanzvolle Höhepunkte – nirgends ist die Abhaltung von größeren Festlichkeiten, Tanzveranstaltungen, Turnieren oder auch nur eines Preisschießens vermerkt – waren die Stände in kleinerer Runde stärker als sonst aufeinander bezogen.147 Die Kurfürsten bzw. die rheinischen Kurfürsten waren noch mehr als auf anderen Reichstagen als Gruppe erkennbar. Während des Reichstages wurden die 1508 neu zur Regierung gelangten Kurfürsten von Mainz, Köln und Pfalz in den Kurverein aufgenommen (Nrr. 332f.). In Worms fand auch ein Tag der rheinischen Kurfürsten statt, die Verhandlungen über die Einbeziehung Hessens und Jülichs in ihre Münzeinung aufnahmen (Nrr. 78, 334). Kurmainz, Brandenburg-Ansbach und Württemberg trafen während des Reichstages eine Vereinbarung über eine Einung (Nrr. 335–339). Beide Ansätze gelangten nach dem Reichstag zu erfolgreichen Abschlüssen (Nrr. 535–554). Die neuen Kurfürsten, Erzbischof Philipp von Köln und mehr noch Ludwig von der Pfalz, nutzten den Reichstag als Rahmen für zahlreiche Belehnungen (Nrr. 343–346, 348–352, 354). Beim Pfälzer dürfte es sich dabei zugleich um eine gezielte Inszenierung in Reaktion auf die ihm verweigerte Reichsbelehnung gehandelt haben.
Auch der Wormser Reichstag fungierte somit als ausgiebig genutzter Rahmen für Rechts- und Schiedstage, bilaterale Verhandlungen und informelle Gespräche. Anders als vorgesehen, wurde in Worms zwar kein Schwäbischer Bundestag abgehalten. Gleichwohl verhandelten die anwesenden Gesandten des Bundes über anstehende Angelegenheiten. Im Mittelpunkt stand natürlich die von Nürnberg und Augsburg betriebene Exekution gegen den Landfriedensbrecher Heinrich von Guttenstein (Nrr. 468, Pkt. 1; 469, Pkt. 1; 470; 471, Pkt. 2). Zwar wurden keine Fortschritte in der Reichsfriedensverfassung erzielt. Über die etwa von Nürnberg im Vorfeld des Reichstages angeregte Reform des Geleitwesens (Nrr. 80, Pkt. 1; 170–172) wurde anscheinend nicht verhandelt. Doch erfüllte auch der Wormser Reichstag eine andere elementare Funktion, schon als Gesprächs- und Verhandlungsforum, nicht notwendig auch durch konkrete Vermittlungserfolge, zur Entschärfung der interterritorialen Konflikte im Reich beizutragen.
2.4. Ergebnisse und Folgen des Wormser Reichstages
Die zweifellos aufsehenerregendste Entscheidung des Reichstages war die erstmals vollständige Verweigerung einer Reichshilfe für den Kaiser. Auf die militärischen Geschehnisse des Sommers 1509 in Oberitalien hatte diese Entscheidung jedoch kaum Auswirkungen. Maximilian hatte, wie gezeigt, bereits alternative Ressourcen erschlossen. Selbst im Falle eines Hilfsbeschlusses wäre das Reichskontingent wohl zu spät auf dem Kriegsschauplatz eingetroffen und auch zu klein gewesen, um zu verhindern, dass die kaiserlichen Truppen bereits wenige Wochen nach Beginn des Feldzugs in die Defensive gerieten und von allen vorübergehenden Zugewinnen nur Verona behauptet werden konnte. Gravierender waren die reichspolitischen Konsequenzen. Maximilian selbst versuchte noch in einer vom 14. Juni datierenden Resolution (Nr. 482/III) die ständischen Argumente zu widerlegen. Sie traf jedoch erst nach Ende des Reichstages, am 21. Juni, in Worms ein. Die Stände und auch die kaiserlichen Kommissare mit Ausnahme der am Reichskammergericht verbliebenen Nassau und Storch waren bereits abgereist. Von Worms aus wurde die Erklärung wenigstens den wichtigsten auf dem Reichstag anwesenden oder vertretenen Reichsfürsten nachgeschickt (Nr. 486). Ohnehin zeigt eine Analyse des Stücks, dass es von vornherein nicht als Reichstagsschriftgut, sondern als – von Halbwahrheiten und Verdrehungen keineswegs freie – Rechtfertigung der kaiserlichen Politik und Diskreditierung der ständischen Opposition gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit148 angelegt war. Bereits vom 26. Juni datiert deshalb die dann ab Juli im Reich verbreitete Druckfassung. Damit verbunden war eine Änderung der kaiserlichen Informationspolitik. Hatte der Kaiser bislang den Papst als Initiator der antivenezianischen Liga hingestellt, schrieb er das Verdienst für deren Gründung nunmehr sich selbst zu (Nr. 482, Pkt. 7) und konstruierte damit eine gesteigerte Verpflichtung zum Vollzug des Bündnisvertrags. Die habsburgische Propaganda149 wie auch der Kaiser selbst bei den Verhandlungen mit den Verbündeten definierte dabei als Kriegsziel nicht weniger als die Vernichtung Venedigs. Auch die anfänglich verfolgte Linie, die übrigen europäischen Mächte und vermutlich auch die Anfang Juni in Sterzing versammelten Tiroler Stände über die Verweigerung des Reichstages im Unklaren zu belassen150, wurde mit dem gedruckten Ausschreiben aufgegeben. Wichtiger erschien es der Reichsregierung, Druck auf die einzelnen, der Eigendynamik der Reichsversammlung wieder entzogenen Stände auszuüben. Ähnliche Misserfolge sollten für die Zukunft möglichst ausgeschlossen bleiben. Doch hatte sich ohnehin zumindest bei einem Teil der nach Ende des Reichstages wieder jeweils alleine mit dem Kaiser konfrontierten Ständen, vor allem natürlich den Reichsstädten, bereits erkennbares Unbehagen über die brüske Zurückweisung der kaiserlichen Hilfsforderung und ihre möglichen Konsequenzen für das Verhältnis zum Reichsoberhaupt eingestellt.151 Noch vor Eintreffen des kaiserlichen Ausschreibens vom 14. Juni hatte etwa Nürnberg seinen Residenten am Kaiserhof angewiesen, etwaige Schuldzuweisungen an die Stadt hinsichtlich der Hilfsverweigerung zu dementieren, und zwei von Maximilian für den Venezianerkrieg angeforderte Büchsenmeister auf den Weg geschickt. Im August berieten die Schwäbischen Bundesstädte, ob sie, wie bereits einige Reichsfürsten und offenbar auch die Stadt Augsburg, eine freiwillige Kriegshilfe leisten sollten (Nrr. 474, Pkt. 4; 487; 496–499). Der Kaiser griff die verbreitete Verunsicherung geschickt auf. Mit Ausschreiben vom 31. August ersuchte er eine Reihe von Ständen um Gewährung einer Kriegsanleihe.152 Sogar der kaiserferne Joachim von Brandenburg stellte für die Entlastung von der Verantwortung für die Desavouierung des Reichsoberhaupts durch den Reichstag die Zahlung der geforderten 2000 Gulden in Aussicht (Nr. 501).153
Die vom Kaiser veranlasste und vom Reichstag ratifizierte Verlegung des Reichskammergerichts von Regensburg nach Worms (Nr. 303, § 8) stellte in dessen Entwicklung eine tiefere Zäsur dar, als bislang vermutet. Der Umzug nach Worms markierte nach wechselhaften Anfängen und zeitweiliger Stagnation die Sicherung des Neubeginns von 1507 und leitete zugleich eine immerhin zehnjährige, beinahe ununterbrochene Kontinuität ein, in der sich diese Institution trotz aller im Einzelnen fortbestehenden Mängel entscheidend stabilisieren konnte. Mit dazu beigetragen hat wohl der mit dem Umzug verbundene personelle Wechsel auf allen Ebenen. Mit dem Aufenthalt in Regensburg endete auch die unruhige Amtszeit Bischof Wiguläus’ von Passau als Kammerrichter. Auf dem Wormser Reichstag übernahm Graf Adolf von Nassau als Nachfolger des interimistisch amtierenden Grafen Adam von Beichlingen bis zu seinem Tod im Juli 1511 das Kammerrichteramt (Nr. 303, § 2). Ihm folgte Graf Sigmund von Fraunberg zum Haag (1512–1518) nach, bezeichnenderweise ebenfalls einer der kaiserlichen Reichstagskommissare von 1509. Auch im Kreis der Assessoren gab es einige Neubesetzungen: Augustin Lösch (Bayerischer Kreis) und Anton von Emershofen (Kurbrandenburg), gegen dessen Abberufung durch Kurfürst Joachim der Kammerrichter bis dahin Widerstand geleistet hatte, schieden im Zusammenhang mit dem Umzug des Gerichts aus (Nrr. 112, Pkt. 2; 293, Pkt. 3; 505, Anm. 1). Sebastian Schilling (Schwäbischer Kreis) war bereits im März ausgetreten. Bei der offiziellen Wiedereröffnung des Gerichts im September (Nrr. 303, § 9; 304; 503) kündigten Dietrich von Lautern (Kurtrier), Georg Besserer (Kursachsen) und Arnold von Rymerstock (Kurköln) ihr Dienstverhältnis auf (Nr. 293, Pkt. 3). Für die fälligen Neubesetzungen war während des Wormser Reichstages Vorsorge getroffen worden (Nr. 303, §§ 4–7). Ebenso waren für 1509 mehr als in den Jahren zuvor neue Zulassungen von Prokuratoren und Advokaten zu verzeichnen.154 Die Kanzleischreiber wurden anlässlich des Umzugs am 23. April entlassen und nur zum Teil in Worms wieder eingestellt.155 Insgesamt kam der personelle Wechsel ungeachtet aller fortbestehenden strukturellen Defizite und Missstände dem Gerichtsbetrieb augenscheinlich zugute.156 Nicht zuletzt wurde die weitere Finanzierung des Gerichts durch einen neuen, in den folgenden Jahren jeweils neu aufgelegten Anschlag wenigstens notdürftig gesichert. Da die jährlichen Einnahmen aus dem Kammerzieler nur eine Quote von durchschnittlich ca. 60 Prozent gegenüber dem nominalen Ertrag von 11 556 Gulden erreichten157, blieb das Gericht existentiell auf das ihm 1507 zugebilligte158, allerdings unsichere Aufkommen an Kanzleigebühren und fiskalischen Gefällen angewiesen.
Der von den Deputierten in Worms beschlossene Reichsmünztag159 trat tatsächlich pünktlich zum vorgesehenen Termin Anfang September in Frankfurt zusammen, war allerdings nur schwach besucht (Nrr. 523, Pkt. 20; 524, Pkt. 1). So blieben Kursachsen und Kurbrandenburg fern. Analog zum Reichstag fanden die eigentlichen Sachverhandlungen in einer Art interkurialem Ausschuss statt (Nr. 517, Pkt. 1). Eine maßgebliche Rolle in Frankfurt spielte der Kurtrierer Rat Jakob von Mertloch (Nrr. 517, Pkt. 2; 518, Pkt. 2). Der Ausschuss führte mit ernüchternden, vermutlich aber wenig überraschenden Ergebnissen eine Probation der im Reich gängigen Goldmünzen durch (Nr. 520). Nach zehntägigen Beratungen verabschiedete der Münztag eine Reihe von zukunftsweisenden Beschlüssen (Nr. 523), deren Genese durch die wenigen vorliegenden Gesandtenberichte leider nur unzureichend erhellt wird. Unstrittig war es offensichtlich, die Guldennorm des kurrheinischen Münzvertrags von 1490160 beizubehalten. Die Goldgulden sollten überdies, wie schon 1495 vorgesehen161, eine einheitliche Vorderseite erhalten. Aufgrund der festgestellten Vielzahl unterwertiger Prägungen sah sich der Münztag außerdem zur Erstellung einer ausführlichen Probationsordnung und zur Festlegung von Strafen gegen falschmünzende Stände und deren Personal veranlasst. Außerdem sollte ein Ausfuhrverbot für Edelmetalle verhängt werden. Als institutionelle Basis für das Reichsmünzwesen waren sechs Reichskreise vorgesehen, deren Zusammensetzung unter Einbeziehung der kurfürstlichen Territorien und Österreichs an die Augsburger Regimentsordnung von 1500 angelehnt war. Die von den kaiserlichen Vertretern Graf Adolf von Nassau und Johann Storch versuchte Einigung über die Silbermünzen gelang hingegen nicht (Nrr. 519, 522). Überhaupt blieb der Frankfurter Münzordnung trotz unbestreitbarer Fortschritte gegenüber der Ordnung von 1498162 zunächst jegliche Wirkung versagt. Die münzpolitischen Differenzen zwischen den Territorien waren so einfach nicht zu überbrücken. Sowohl die Ratifizierung der Münzordnung durch den Kaiser als auch ihre Annahme durch die Münzstände unterblieben deshalb. In den ständischen Münzordnungen und -verträgen der folgenden Jahre wurde sie übergangen. Zwar berief Maximilian noch den vorgesehenen Münztag nach Augsburg ein, doch wurden dort weitere Beratungen lediglich auf den nächsten Reichstag verschoben.163 In Trier und Köln 1512 verzichtete man dann jedoch aufgrund der Überlastung des Reichstages mit anderen Themen auf Beratungen zum Münzwesen. Trotz des tragfähigen Entwurfs von 1509 gelang in der Regierungszeit Maximilians I. keine Entscheidung mehr zur Lösung der Missstände beim Münzwesen.164 Die Stände waren weiterhin auf zwangsläufig unzureichende territoriale Ordnungen oder regionale Vertragssysteme angewiesen. Kurz nach dem Münztag setzten etwa die rheinischen Kurfürsten die in Worms eingeleiteten Bemühungen um eine Erweiterung ihrer Münzeinung fort. Zuerst trat im Oktober 1509 Hessen bei (Nrr. 535f.). Nur bei den Fachleuten blieb die Frankfurter Ordnung präsent. Noch auf dem Wormser Reichstag von 1545 wurde sie als Beratungsgrundlage herangezogen.165
Die Bilanz des Wormser Reichstages von 1509 ist somit insgesamt bescheiden. Nur für die Geschichte des Reichskammergerichts kommt ihm einige Bedeutung zu. Die vollständige Verweigerung der geforderten Reichshilfe war gewiss spektakulär, Maximilian I. hatte dieses Ergebnis jedoch maßgeblich mitverschuldet. Dem politischen Gewicht Friedrichs des Weisen und seiner überlegenen Reichstagsregie hatten der abwesende Kaiser und seine ohnmächtig agierenden Kommissare wenig entgegenzusetzen. Doch hätte auch die Bewilligung einer Reichshilfe den letztlichen Misserfolg des Italienfeldzugs von 1509 nicht verhindern können. Ausschlaggebend waren militärische Fehlentscheidungen und die Zurückhaltung der Verbündeten, die ihre Kriegsziele realisiert hatten, bevor Maximilian überhaupt den Kriegsschauplatz erreichte. Im Nachhinein betrachtet bestand der entscheidende Fehler des Kaisers doch darin, das überaus entgegenkommende Friedensangebot Venedigs im Juni 1509 ignoriert166 und den absehbaren Bruch des Bündnisses mit Frankreich in ungewohnter Paktloyalität noch bis Juni 1512 hinausgezögert zu haben.