Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Kurfürstentag zu Regensburg 1575 bearbeitet von Christiane Neerfeld
1.1 Beratungsschwerpunkte und Ergebnisse
Auf dem Kurfürstentag, der zwischen dem 10. Oktober und dem 3. November 1575 in Regensburg stattfand, wurde Rudolf, der Sohn Kaiser Maximilians II., zum römisch-deutschen König gewählt und gekrönt. Die Reichsversammlung war durch die enge Kooperation der Kurfürsten von Mainz und Sachsen auf der einen und dem Kaiser auf der anderen Seite zustande gekommen und aus „eingefallenen erheblichen ursachen“ einberufen worden1. Obwohl die Wahl eines Nachfolgers im Ausschreiben nicht als Thema genannt ist, war den Zeitgenossen klar, dass es sich um einen Wahltag oder einen wählenden Kurfürstentag handelte2, und es war auch von Anfang an unstrittig, dass die Kurfürsten dem Wunsch des Kaisers entsprechen und seinen Sohn Rudolf wählen würden. Als Vorbild für den Ablauf des Kurfürstentags diente in vielerlei Hinsicht die Wahl Maximilians II. 1562, denn immer wieder ist in den Quellen die Empfehlung zu lesen, „dz man den proceß wie zu Franckfurt geschehen continuire“3. Die knapp vierwöchige Zusammenkunft in Regensburg war dabei mehr als eine reine Wahlversammlung, denn nach den Debatten über die Wahlkapitulation, bei der es um konfessionspolitische Zugeständnisse ging, berieten die Kurfürsten auch über aktuelle reichspolitische Themen mit innen- und außenpolitischer Bedeutung.
Der Kurfürstenrat trat zum ersten Mal am 10. Oktober zusammen. Im Anschluss an die Vereidigung der kurfürstlichen Gesandten wurde die Vollmacht Kurfürst Friedrichs III. von der Pfalz für seinen Sohn Pfalzgraf Ludwig und seine beigeordneten Räte verlesen und nach kurzer Diskussion angenommen4. Am folgenden Tag trug der Reichssekretär Andreas Erstenberger die kaiserliche Proposition5 vor, in der Maximilian II. um die Wahl eines Nachfolgers bat. Die Kurfürsten willigten ein, Beratungen in dieser Frage aufzunehmen6, und einigten sich in ihrer Sitzung am 12. Oktober7 darauf, dass sie dem Kaiser „wie breuchlich“ für seine bisherigen Verdienste danken und ihn bitten wollten, seine Regierung fortzusetzen. In der Diskussion zum Hauptpunkt der Proposition, also der Frage, ob auf dem Kurfürstentag ein Nachfolger gewählt werden sollte oder nicht, wurde argumentiert, dass eine Wahl vivente imperatore, für die es viele positive Vorbilder gebe, in der Goldenen Bulle zwar nicht explizit vorgesehen, aber auch nicht verboten sei, und man ihre „Substanz“ bedenken müsse, nämlich, dass sie dazu gedacht sei, Frieden und Ruhe im Reich zu sichern8. Nach dem Austausch der Pro- und Contraargumente äußerte die Mehrheit die Ansicht, dass es angesichts der gesundheitlichen Situation des Kaisers, der Kriege im Westen und der Bedrohung des Reichs durch die Türken gut sei, zum jetzigen Zeitpunkt eine Wahl durchzuführen und dadurch ein Interregnum zu verhindern. Dieser Auffassung musste sich auch Kurpfalz anschließen9, wies jedoch darauf hin, dass die Wahl eines Nachfolgers allein nicht ausreiche und man sich auch um die Befriedung der Religionskriege in den Niederlanden und in Frankreich kümmern müsse, wenn man Einigkeit und Frieden im Reich erhalten wollte. Der Beschluss, die Wahl vorzunehmen, machte den Kurfürstentag in Regensburg offiziell zu einem Wahltag10 und wurde dem Kaiser kurz darauf mündlich mitgeteilt. Die pfälzischen Einwände konnten dies nicht verhindern, kamen aber am nächsten Tag noch einmal zur Sprache11. Dabei stimmte die Mehrheit der Kurfürsten überein, dass die negativen Auswirkungen der Kriege im Westen erheblich seien und etwas dagegen unternommen werden müsse, jedoch begnügten sie sich mit der unverbindlichen Feststellung, dass diese Angelegenheit jederzeit beim Kaiser vorgebracht werden könne und die Wahlverhandlungen deswegen nicht aufgehalten werden sollten. Auf die pfälzische Argumentation, dass die religiös motivierten Kriege im Westen nur durch einen Religionsfrieden beendet werden könnten, für den sich Kaiser und Kurfürsten bei den Königen von Spanien und Frankreich einsetzen müssten, wurde nicht näher eingegangen. Der pfälzische Plan, vor den Wahltagsverhandlungen zunächst über Reichsangelegenheiten zu sprechen, war damit fehlgeschlagen.
Da Kaiser Maximilian II. wie erwartet bei seiner Bitte blieb, einen Nachfolger zu wählen12, begannen am Nachmittag des 14. Oktober die Beratungen der dazu bestimmten kurfürstlichen Räte über die Wahlkapitulation des künftigen Thronfolgers13. Nach Verlesung der als Muster dienenden Wahlkapitulation von 1562 hatten die kurfürstlichen Räte die Gelegenheit, Änderungsvorschläge vorzutragen. Die von Trier vorgebrachten Wünsche zu Detailfragen im Zollwesen, bei der Reichsacht und im Münzwesen wurden kaum diskutiert und nach kurzer Zeit aufgegeben, da die Mehrheit der Kurfürsten die bestehenden Regelungen für ausreichend erachtete.
Als konfliktreicher erwiesen sich hingegen die Forderungen der Kurpfalz, welche in insgesamt sechs Punkten Veränderungen verlangte, die vor allem konfessionspolitisch von Bedeutung waren, aber auch auf die Einschränkung der kaiserlichen Macht abzielten: 1. Das Schutzversprechen des Kaisers für die Kirche sollte allgemeiner formuliert und der Heilige Stuhl aus dem entsprechenden Artikel gestrichen werden. 2. Die Declaratio Ferdinandea von 1555 sollte in der Wahlkapitulation bestätigt und vom Reichskammergericht anerkannt werden; außerdem sollte die Freistellung der Religion durchgesetzt, das heißt der Geistliche Vorbehalt aufgehoben werden. 3. Die Kurfürsten sollten von der Jurisdiktion des Hofgerichts in Rottweil ausgenommen werden. 4. Dem neuen König sollte ein Reichsregiment aus kurfürstlichen Räten zur Seite gestellt werden. 5. Die bisher an den Papst gezahlten Annaten sollten für den Krieg gegen die Türken verwendet werden. 6. Schließlich sollte es dem Kaiser verboten werden, bei künftigen römischen Königswahlen anwesend zu sein.
Da Kursachsen und Kurbrandenburg die meisten dieser Vorschläge nicht oder nur halbherzig unterstützten und im Kurfürstenrat nicht lange darüber diskutiert wurde, blieb die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea in der Wahlkapitulation schließlich die einzige Forderung, die von allen drei protestantischen Kurfürsten unterstützt wurde. In der Sitzung vom 15. Oktober14 argumentierten sie, dass die kaiserliche Erklärung, die den landsässigen Ritterschaften und Städten in den geistlichen Fürstentümern freie Religionsausübung zusicherte, sofern sie schon vor 1555 protestantisch waren, als Teil des Religionsfriedens zu betrachten sei, und warnten: „Do nu izo die declaration solte außgeschlossen oder nichtig sein, wurde es im Reich grosse zerruttung geben“15. Die katholischen Kurfürsten gaben vor, von der Declaratio Ferdinandea erst vor kurzem erfahren zu haben und bezweifelten, dass dieses Dokument mit Zustimmung der geistlichen Stände entstanden sei. Nachdem Sachsen und Brandenburg erläutern konnten, wie diese kaiserliche Erklärung kurz vor Abschluss des Augsburger Reichstags 1555 zustande gekommen war, zogen sich die geistlichen Kurfürsten darauf zurück, dass sie den anderen betroffenen Ständen nicht vorgreifen dürften – eine im Grunde widersprüchliche Argumentation, da es ja zu den Vorrechten der Kurfürsten gehörte, die Wahlkapitulation zu verändern. Obwohl Kurfürst August von Sachsen am Ende der Sitzung die Echtheit des Dokuments durch Vorlage eines in seiner Kanzlei verwahrten Originals bestätigen konnte, beharrten die geistlichen Kurfürsten in der nächsten Beratungsrunde am 18. Oktober16 auf ihrer Position. Sie wichen nicht davon ab, dass eine Angelegenheit von so großer Bedeutung auf einem Reichstag diskutiert werden müsse, damit alle betroffenen Stände ihre Meinung dazu äußern könnten, und plädierten dafür, die Wahl nicht länger zu verzögern und es bei der 1562 formulierten Wahlkapitulation zu belassen, bei deren Beratung die ihnen bis dato nicht bekannte Declaratio schließlich auch keine Rolle gespielt habe. Das Gegenargument, dass sich die Situation seit 1562 verändert habe und dass es die Aufgabe der Kurfürsten sei, die Wahlkapitulation den aktuellen Erfordernissen anzupassen, ließen sie nicht gelten.
Nachdem erneut keine Einigung erzielt werden konnte, wurde in der dritten Umfrage darüber diskutiert, ob der Kaiser um seine Vermittlung in dieser Angelegenheit gebeten werden sollte. Trier, Köln und Mainz hielten dies für einen Verstoß gegen die Präeminenz der Kurfürsten, da die Formulierung der Wahlkapitulation allein ihre Sache sei, doch konnten sie nicht verhindern, dass sich Pfalz, Sachsen und Brandenburg dazu entschlossen, dem Kaiser Bericht zu erstatten17. Kurfürst August informierte daraufhin den Kaiser über den ergebnislosen Verlauf der Verhandlungen zur Wahlkapitulation und kündigte die vorzeitige Abreise der weltlichen Kurfürsten an, falls die geistlichen an ihrer Position festhalten sollten. Er bat Maximilian, er möge „selbst mit einrathen helffenn“, wobei er betonte, dass er und seine Kollegen auf der Gültigkeit der kaiserlichen Erklärung von 1555 zu bestehen gedachten, „Goth gebe, die andern hupfen auff oder nider“18. Am Vormittag des 19. Oktober erschienen Kursachsen, Kurbrandenburg und Kurpfalz beim Kaiser19, der die Declaratio Ferdinandea jedoch weder in der Wahlkapitulation erwähnen noch ihren Inhalt bestätigen wollte und vorschlug, die Angelegenheit auf den nächsten Reichstag zu vertagen. Nach erneutem Drängen der weltlichen Kurfürsten und des Pfalzgrafen auf eine kaiserliche Entscheidung versprach Maximilian II., noch einmal mit den geistlichen Kurfürsten zu reden. Das Gespräch am Nachmittag des 19. Oktober verlief offenbar ergebnislos, da Kurfürst Jakob von Trier aus gesundheitlichen Gründen nicht zu dem Treffen erschien und sich sein Mainzer und sein Kölner Kollege ohne Rücksprache mit ihm nicht äußern wollten20. Zwei Tage später ließ der Kaiser den protestantischen Kurfürsten eine Erklärung21 zustellen, deren Formulierung die geistlichen offenbar mitbestimmt hatten und der zufolge die Angelegenheit zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden sollte. Die weltlichen Kurfürsten und Pfalzgraf Ludwig akzeptieren diese nicht, da ihnen der Kaiser in ihrer letzten Unterredung vorgeschlagen hatte, den Streit um die Declaratio Ferdinandea auf den kommenden Reichstag zu vertagen und nicht auf unbestimmte Zeit „biß zu anderer gelegenheit“.
Dass der Wahltag dennoch nicht scheiterte, geht auf die Initiative Augusts von Sachsen zurück, der sich das Argument des Kaisers zu eigen machte, dass die „in einen beschwerlichen aufzugk“ geratene Wahl eines römischen Königs durch diesen Streit nicht weiter verzögert werden dürfe und Gefahr für das Reich abgewendet werden müsse22. Wahrscheinlich gelang es ihm noch am Abend des 21. Oktober, seine Kollegen davon zu überzeugen, dass es angesichts der Lage ratsam sei, auf die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea in der Wahlkapitulation zu verzichten. Anschließend begab er sich zum Kaiser, um ihm im Namen aller mitzuteilen, dass sie der Vertagung der Streitfrage auf den kommenden Reichstag zustimmten, jedoch darauf bestanden, dass diese Angelegenheit dort vorrangig behandelt würde und vor allem dass ihr Einlenken nicht als Präjudiz für die künftigen Verhandlungen zu betrachten sei. Sollte es auf dem nächsten Reichstag keine Zusagen in Religionsfragen geben, wollten die Protestanten die vom Kaiser gewünschte Reichshilfe gegen die Türken nicht bewilligen23. Der Weg war damit frei für eine reibungslose Fortsetzung des Wahltags24. Am 22. Oktober25 verständigten sich die Kurfürsten über Formalitäten wie die Eidesleistung des Regensburger Stadtrats und den kaiserlichen Revers betreffend die Anwesenheit anderer Fürsten und Gesandtschaften während der Wahl26, und noch am selben Abend wurde den Kurfürsten das Kurmainzer Einladungsschreiben für die Wahl27 zugestellt. Die Wahlkapitulation28, die nach langer Diskussion nun doch in der Fassung von 1562 blieb29, wurde Rudolf am 24. Oktober zur Durchsicht überreicht30 und am darauffolgenden Tag von diesem angenommen.
Am 27. Oktober schließlich fand die Wahl Rudolfs II. zum römischen König und Nachfolger des noch lebenden Kaisers Maximilian II. im Regensburger Dom statt31. Bei den Feierlichkeiten scheint es keine besonderen Vorkommnisse gegeben zu haben, denn, so berichtete ein Beobachter am Ende des Tages: „Sonsten, inn dieser grossen menge des volckhs, so jetz alhie versamblet, ist es Gott lob biß daher gantz stiell gewesen und sich khein ainiger rumor oder mißfahll, daran etwas gelegen, begeben.“32 Als Termin für die anschließende Krönung war zunächst der 30. Oktober vorgesehen33, doch da sich die Ankunft der für das Zeremoniell benötigten Reichskleinodien verzögerte, wurde sie um zwei Tage auf den 1. November verschoben34. Der päpstliche Nuntius Dolfin und der spanische Gesandte Monteagudo meldeten zufrieden nach Rom und Madrid, dass die Zeremonie – entgegen ihren Befürchtungen – nicht von der üblichen Form abwich, das Abendmahl nach römischem Ritus vollzogen wurde und die öffentliche Kommunion des Neuerwählten stattfand, die Maximilian bei seiner Krönung 1562 umgangen hatte35. Dies nährte die Hoffnung, dass der künftige Kaiser Rudolf „katholischer“ sei als sein Vater Maximilian36. Der Tradition entsprechend sandte Rudolf sogleich nach der Krönung seinen Oberststallmeister Claudio Trivulzio nach Rom, um Papst Gregor XIII. seine Wahl und Krönung anzuzeigen und ihm die Abordnung einer Obedienzgesandtschaft anzukündigen37. Diese wurde jedoch erst anderthalb Jahre nach der Wahl, im Frühjahr 1577, abgefertigt, nachdem der Papst die Gesandtschaft mehrfach angemahnt und Rudolf nach dem Tod seines Vaters im Oktober 1576 die kaiserliche Regierung übernommen hatte38.
Die protestantischen Kurfürsten konnten in den Beratungen über die Wahlkapitulation ihre Forderungen nicht durchsetzen. Auch der Vorstoß der protestantischen Grafen, die um die materielle Grundlage der gräflichen Häuser fürchteten und in Regensburg ihre Freistellungsforderung von 1566 erneuerten, blieb ohne Erfolg. Ihre Supplikation an die weltlichen Kurfürsten, in der sie darum baten, protestantischen Kandidaten den Zugang zu geistlichen Pfründen zu ermöglichen39, wurde mit einer Interzessionsschrift der protestantischen Kurfürsten40 unterstützt, jedoch vom Kaiser nicht beantwortet41. Mit derselben Interzessionsschrift übermittelten die weltlichen Kurfürsten dem Kaiser die an sie gelangten protestantischen Beschwerden über die Verletzung des Religionsfriedens. Zu nennen sind hier vor allem die von gegenreformatorischen Maßnahmen bedrängten Protestanten in Fulda und auf dem Eichsfeld, die mit ihrem Hilfegesuch an Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel die Diskussion um die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea überhaupt erst ins Rollen gebracht hatten42. Zwischen dem 26. und dem 29. Oktober wurden ihre Supplikationen und die anderer protestantischer Stände und Untertanen von kurfürstlichen Räten der Kurpfalz, Sachsens und Brandenburgs erörtert. Man einigte sich schließlich darauf, dass sich die weltlichen Kurfürsten beim Kaiser mündlich für die Belange der Protestanten einsetzen sollten, wozu es kurz vor Ende der Versammlung dann wahrscheinlich nicht mehr gekommen ist. Ihr Interzessionsschreiben enthielt neben dem Verweis auf die als Beilagen beigefügten Supplikationen lediglich den an Kaiser Maximilian II. gerichteten Appell, eine Verschlimmerung der Konflikte zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Protestanten wenigstens bis zur Klärung der Streitfragen auf dem bevorstehenden Reichstag nicht in ihrer Religionsausübung behindert würden.
Nachdem sich die Kurfürsten über den Text der Wahlkapitulation verständigt hatten, beschäftigten sie sich mit einigen reichspolitischen Themen, zu denen ihnen der Kaiser am 24. Oktober mehrere Schriften43 vorlegte und um ihre Gutachten bat. Die ersten beiden Beratungspunkte wurden bereits am Vormittag des 25. Oktober erledigt44, da sich die Kurfürsten schnell darauf einigten, die vom Kaiser gewünschte und mit der Türkengefahr begründete Einberufung eines Reichstags zu bewilligen45. Die entsprechende Resolution46, in der Ort und Termin ins Ermessen des Kaisers gesetzt wurden und die Kurfürsten ihre Unterstützung versprachen, wurde am 26. Oktober ohne Umfrage beschlossen47. Am 1. November präsentierte der Sekretär Andreas Erstenberger die Resolution Kaiser Maximilians II.48, für den 8. oder 12. Februar 1576 einen Reichstag nach Augsburg einzuberufen.
Im persönlichen Gespräch und ohne Abstimmung im Rat verständigten sich die Kurfürsten noch am 25. Oktober darauf, dem Wunsch des Kaisers zu entsprechen und eine Gesandtschaft zum polnischen Wahltag abzuordnen, um dem Haus Habsburg die Sukzession im Königreich Polen-Litauen zu sichern49. Graf Wolfgang von Ysenburg-Büdingen und Hartmann von Kronberg, zu deren Reisekosten jeder Kurfürst 500 Taler beitrug, sollten in Warschau die Kandidatur Erzherzog Ernsts für den polnischen Thron unterstützen50. Zwei Tage später, am Nachmittag des 27. Oktober51, berieten die kurfürstlichen Räte über den Wortlaut der Rede52, die die Gesandten am 15. November vor den polnischen Ständen halten sollten. Mitte Dezember 1575 kam es in Polen zu einer Doppelwahl, bei der sich eine Gruppe nicht für Erzherzog Ernst, sondern für Kaiser Maximilian II. entschied, während eine vorwiegend aus Vertretern des niederen Adels bestehende Gegenpartei Stephan Báthory von Siebenbürgen wählte, der sofort nach Polen reiste und sich die polnische Krone schließlich sichern konnte53.
Die Beratung über die dritte kaiserliche Proposition, die im Wesentlichen den Titelstreit im Herzogtum Toskana zum Inhalt hatte54, fand am Nachmittag des 25. Oktober statt55. Dabei einigten sich die kurfürstlichen Räte darauf, der Vorgehensweise des Kaisers zuzustimmen56, der sich bereit erklärte, den Großherzogstitel Francesco de' Medicis anzuerkennen und damit einen jahrelangen Streit mit dem Papst zu beenden. Dieser hatte damit begonnen, dass Papst Pius V. 1569 Cosimo I. de' Medici und seine Nachfahren zu Großherzögen von Toskana erhoben und damit nach kaiserlicher Auffassung die Rechte des Reichs verletzt hatte, zu dessen Lehnsverband Florenz gehörte. Dass der seit Jahren andauernde Konflikt nun eine Lösung fand, war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Herzog Alfonso von Ferrara, den Maximilian II. im Präzedenzstreit mit Florenz lange Zeit unterstützt hatte, beim Kaiser in Ungnade fiel, da er sich für den polnischen Thron bewarb und damit als Konkurrent zu Erzherzog Ernst auftrat. Mit der Entscheidung Maximilians II. konnte Francesco de' Medici den Großherzogstitel, den sein Vater vom Papst erhalten hatte, behalten, und zwar ohne zunächst förmlich darauf verzichten zu müssen. Und auch Papst Gregor XIII. konnte zufrieden sein, da er die Bulle von 1569 nicht zurücknehmen musste, was Maximilian II. lange Zeit gefordert hatte. Der Kaiser schließlich konnte durch die Verleihung des Großherzogtitels erreichen, dass die lange Zeit in Frage gestellte Lehnshoheit des Reichs über Florenz in aller Form anerkannt wurde57. Dass Francesco de' Medici sich im Sommer 1575 bereit erklärte, dem Kaiser ein für den Kampf gegen die Türken dringend benötigtes Darlehen zu gewähren und dass einer seiner Sekretäre 70.000 Dukaten nach Regensburg brachte, dürfte die Entscheidung des Kaisers befördert haben58. Die beiden anderen, in der dritten kaiserlichen Proposition angesprochenen Punkte betreffen den Konflikt, der im Frühjahr 1575 zwischen den Vertretern des alten und des neuen Adels in Genua ausgebrochen war, und zu dessen Beilegung der Kaiser Kommissare entsandt hatte, sowie die Vermittlungsbemühungen Maximilians am spanischen Hof betreffend den Aufstand in den Niederlanden. Die Kurfürsten nahmen in diesen beiden Angelegenheiten den Bericht Maximilians II. zur Kenntnis, gaben jedoch keine besondere Stellungnahme ab und beließen es dabei, dem Kaiser für seine friedensstiftenden Maßnahmen zu danken.
Nach der Verlesung des kaiserlichen Vortrags zur Gesandtschaft nach Moskau59 am 26. Oktober, wurde im Kurfürstenrat ein Thema diskutiert60, das das Reich bereits seit einigen Jahren beschäftigte und mit seinem Rechtsanspruch auf die Oberhoheit in Livland zusammenhängt. Im Herbst 1570 war im Frieden von Stettin, der den Nordischen Siebenjährigen Krieg beendet hatte, der Rechtsanspruch des Reichs bestätigt worden61. Voraussetzung dafür war jedoch, dass das Reich Kriegsentschädigung an Schweden zahlte und Livland gegen Angriffe des Zaren schützte, der mit dem Einfall in das Bistum Dorpat 1558 den Livländischen Krieg ausgelöst hatte. Da das Reich die finanziellen Mittel für die Verteidigung dieser Gebiete nicht aufbrachte, wurde seit 1570 auf mehreren Reichsversammlungen über eine Reichsgesandtschaft diskutiert, die den Zaren dazu bewegen sollte, die Angriffe auf Livland einzustellen62. Als russische Truppen im Sommer 1575 Pernau besetzten und immer größere Gebiete an der Ostseeküste eroberten, wurden die livländischen Hilfegesuche63 an das Reich lauter und so gelangte das Projekt einer Gesandtschaft nach Moskau erneut auf die Agenda64. Der Kurfürstenrat beschloss, die seit langem bewilligte Gesandtschaft nicht länger hinauszuzögern, zumal sich zu diesem Zeitpunkt bereits die kaiserlichen Gesandten Johann Kobenzl und Daniel Prinz als „vorschickung“ auf dem Weg zum Zaren befanden, um diesem eine Gesandtschaft des Reichs anzukündigen. Über die Verhandlungsziele dieser Gesandtschaft, deren Leitung Herzog Barnim X. von Pommern in Vertretung seines Bruders Herzog Johann Friedrich übernehmen sollte, berieten die kurfürstlichen Räte in ihrer Sitzung vom 2. November, an der auf Anregung Sachsens auch kaiserliche Räte teilnahmen. Der Beschluss lautete, dass Kurmainz die Rückkehr der kaiserlichen Gesandten aus Russland abwarten und auf der Grundlage ihres Berichts die Instruktion für die Reichsgesandtschaft formulieren sollte. Darin sollte es um eine Beendigung des Kriegs in Livland und um Handelserleichterungen gehen, aber auch um die Sondierung eines möglichen Bündnisses mit dem Zaren, über das auf dem für das Jahr 1576 geplanten Reichstag beraten werden sollte65. Da die Kurfürsten die nach wie vor umstrittenen Kosten der Gesandtschaft nicht tragen wollten, sollten die notwendigen Gelder von den interessierten wendischen Städten ganz oder teilweise übernommen werden oder, falls dies nicht erreicht werden könnte, wenigstens vorgestreckt werden. Da sich die Städte weigerten, scheiterte die Ausführung erneut, so dass die schon so lange geplante Gesandtschaft nach Moskau erneut auf dem Reichstag in Regensburg 1576 zum Thema wurde. Dort bewilligten die Reichsstände schließlich einen halben Römermonat für die Kosten, doch lehnte Herzog Barnim von Pommern die Leitung ab, so dass die Gesandtschaft nicht zustande kam66.
Im Anschluss an die Verhandlungen zu den vier kaiserlichen Einzelanträgen fanden im Kurfürstenrat die Beratungen zu den vom kaiserlichen Rat Viehauser mündlich vorgetragenen Anzeigen und zu den von der Mainzer Kanzlei vorgelegten Supplikationen statt. Am Vormittag des 29. Oktober67 berieten die Kurfürsten unter Ausschluss der kurpfälzischen Gesandtschaft über den geplanten Kriegszug des Pfalzgrafen Johann Casimir nach Frankreich. Dabei stimmten sie dem Kaiser zu, dass diese Unternehmung verhindert werden müsse, da sie eine Bedrohung für das Reich darstellte. In ihrem Beschluss68 verwiesen sie auf die Gefahr, dass die französischen Kriegshandlungen durch die Provokationen des Pfälzers auf das Reich übergreifen könnten und empfahlen Abmahnungsschreiben an Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz und seinen Sohn Johann Casimir69. Hinsichtlich des Aussöhnungsgesuchs des geächteten Ernst von Mandesloe, zu dem Kaiser Maximilian II. ein kurfürstliches Gutachten wünschte, fand keine intensive Diskussion statt70. Nach kurzer informeller Beratung am 31. Oktober einigten sich die Kurfürsten darauf, die Angelegenheit an den kommenden Reichstag zu verweisen71.
Die von der Kurmainzer Kanzlei als geschäftsführendem Organ vorgelegten Supplikationen wurden zwischen dem 28. Oktober und dem 3. November in den Sitzungen der kurfürstlichen Räte behandelt72. Die Mehrzahl der Bittgesuche steht in Zusammenhang mit dem spanisch-niederländischen Konflikt und betrifft Behinderungen des Handels sowie die Klagen einiger Adliger wegen rechtswidriger Konfiskation ihrer Güter73. Da diese Fälle ebenso wie die Bitte Lübecks um Einhaltung des Stettiner Friedens74 als Angelegenheiten mit weitreichender außenpolitischer Bedeutung betrachtet wurden, haben die Kurfürsten diese Bittgesuche an den Kaiser verwiesen. Die vom Prinzen von Condé gewünschte Genehmigung von Truppenwerbungen im Reich wurde ausweichend beantwortet75. Weitere Themengebiete der Supplikationen waren Münz- und Zollangelegenheiten76, Erbschaftsstreitigkeiten77, Restitutionsforderungen78 sowie ausstehende Geldrückzahlungen79.
In neueren Überblicksdarstellungen findet der Regensburger Kurfürstentag von 1575 meist nur eine kurze Erwähnung80, die sich auf die reibungslose Wahl Rudolfs II. zum römischen König und den ergebnislosen Streit um die Anerkennung der Declaratio Ferdinandea beschränkt. Diesem knappen Fazit ist nicht anzusehen, dass es im Verlauf des Kurfürstentags zu langen Diskussionen um die Echtheit der kaiserlichen Erklärung von 1555 und ihre Bestätigung in der Wahlkapitulation kam und dass die Verhandlungen nur deshalb nicht scheiterten, weil durch die Kompromissbereitschaft des Kurfürsten von Sachsen die Pattsituation zwischen den katholischen und den protestantischen Kurfürsten aufgehoben wurde. Der von Letzteren um Vermittlung angerufene Kaiser wollte in diesem Streit nicht eindeutig Stellung beziehen, um die Wahl seines Sohnes nicht zu gefährden. Schließlich gelang es ihm, im persönlichen Kontakt mit dem konzessionsbereiten Kurfürsten August von Sachsen die Situation aufzulösen und die Verhandlungen über die Frage der Rechtsgültigkeit der Declaratio Ferdinandea auf den nächsten Reichstag zu vertagen. Während Kurmainz, Kurtrier und Kurköln bei ihrer unnachgiebigen Haltung blieben, wichen die protestantischen Kurfürsten unter dem Einfluss Kursachsens schließlich der Auseinandersetzung aus und stimmten zu, die Wahlkapitulation für Rudolf nicht zu verändern. Am Ende gaben sie sich mit der vagen Zusage zufrieden, dass die Anerkennung der Declaratio Ferdinandea auf dem kommenden Reichstag behandelt würde, dessen baldiger Einberufung die Kurfürsten am 26. Oktober 1575 ihre Zustimmung erteilten.
Die wesentliche protestantische Forderung nach Abstellung der Religionsbeschwerden wurde somit nicht erfüllt und auf den Reichstag 1576 verschoben. Der Kaiser hingegen konnte sein wichtigstes Ziel erreichen und die Nachfolge im Reich für seinen Sohn Rudolf sichern. Daran konnten auch die kurpfälzischen Vertreter nichts ändern, denn diese waren – nicht zuletzt wegen des Streits zwischen dem reformierten Friedrich III. von der Pfalz und dem Lutheraner August von Sachsen – von Beginn an im protestantischen Lager isoliert und konnten ihre politischen und konfessionellen Forderungen nicht durchsetzen. Bezeichnend ist der resignierte Kommentar der pfälzischen Räte, die nach ihrer Rückkehr in Heidelberg erläuterten, „dz die glocken gossen gwesen ehe dan man zusamen khomen. Und ob sie wol die sach gern uffgehalten, sei es doch nicht fur rahtsam angesehen, damit Pfalz nicht darfur geachtet, als ob sie allein turbator weren.“81
Nach kontroversen Debatten über konfessionspolitische Zugeständnisse überwog beim Regensburger Kurfürstentag 1575 am Ende das Bestreben der Kurfürsten, ein Interregnum zu verhindern und die bestehende Friedensordnung aufrechtzuerhalten. Die Abwehr möglicher Gefahren für die innere und äußere Stabilität im Reich erschien wichtiger als konfessionelle Erwägungen.
1.2 Überlieferung und Forschungsstand
Die vorliegende Edition zum Kurfürstentag 1575 orientiert sich an den für die Reihe der „Reichsversammlungen“ entworfenen Richtlinien82 und bildet anhand des Kurfürstenratsprotokolls, der Akten zur Wahl, der Nebenakten und der Supplikationen das Geschehen in Regensburg zwischen der Ankunft des Kaisers am 3. Oktober und dem Ende der Versammlung am 3. November 1575 ab. Abweichend von der Editionspraxis in anderen Bänden der Reihe konnte aufgrund der relativ kurzen Dauer der Zusammenkunft bei der Präsentation der Texte auf Regestierungen und Kürzungen weitgehend verzichtet werden. Um auch das Zeremoniell des Wahltags zu dokumentieren, wurde der für die Edition der Reichsversammlungen übliche Kernbestand um Quellen zum Einzug des Kaisers und der Kurfürsten in Regensburg sowie zur Wahl und Krönung Rudolfs II. zum römischen König ergänzt. Aufgrund des für eine Reichsversammlung verhältnismäßig überschaubaren Teilnehmerkreises beschränkten sich die Recherchen zur ungedruckten Überlieferung im Wesentlichen auf die Bestände der kaiserlichen und der Kurmainzer Kanzlei in Wien sowie auf die Archive der Kurfürsten.
Da in den Wiener Akten weder das Kurmainzer Protokoll der kurfürstlichen Beratungen, noch die Nebenakten zu den über die Wahl hinausgehenden reichspolitischen Themen, noch die üblicherweise in einem Band zusammengefassten Supplikationen erhalten sind, wurden wesentliche Teile der vorliegenden Dokumentation der kurfürstlichen Überlieferung entnommen83. In der Reichstagsaktenreihe der Reichskanzlei (RK, RTA 52-1) befindet sich ein Band mit Korrespondenzen zur Vorbereitung der Versammlung, jedoch keine Akten zum Kurfürstentag selbst. Zwei Bände aus der Reihe der Wahl- und Krönungsakten (RK, WuKA 4 und 5) sind inhaltlich identisch und enthalten Abschriften von Korrespondenzen und Akten zur Wahl Rudolfs II. Ein weiterer (RK, WuKA 6-1) enthält wenige Akten zum Wahltag in Kopie. Die im Mainzer Erzkanzlerarchiv vorhandene Akte zur Wahl und Krönung Rudolfs II. (MEA, WuKA 6-2) enthält im Wesentlichen Korrespondenzen zur Vorgeschichte des Wahltags sowie einige Dokumente zum Wahltag selbst, jedoch fehlen das Kurfürstenratsprotokoll sowie die Akten zu den am Rande der Wahl behandelten Nebenthemen84. Die Proposition Kaiser Maximilians II. zur Einberufung eines Reichstags und die dazugehörigen Dokumente85 sind in der Überlieferung zum Reichstag 1576 enthalten (MEA, RTA 73).
Aufgrund der Lückenhaftigkeit der Wiener Bestände zum Kurfürstentag entstammen viele Stücke der vorliegenden Edition den in ihrer Dichte sehr unterschiedlichen kurfürstlichen Überlieferungen. Die umfangreichsten, wenn auch nicht vollständigen Sammlungen bieten Kurbrandenburg, Kursachsen und Kurpfalz mit Korrespondenzen zur Vorbereitung des Kurfürstentags, Wahlakten, Nebenakten und Supplikationen. Anhand des dort überlieferten Materials ist der Ablauf des Regensburger Wahltags recht gut zu rekonstruieren. Das betrifft nicht nur die Beratungen im Kurfürstenrat, die anhand der überlieferten Protokolle dokumentiert sind, sondern auch die informellen Gespräche und Verhandlungen in den Sitzungspausen, über die das Protokoll schweigt86, oder auch die Behandlung der Religionsbeschwerden87. Die kursächsische und die kurbrandenburgische Aktenüberlieferung enthalten darüber hinaus umfangreiches Material zu den Reisevorbereitungen und Reiserouten der Kurfürsten August und Johann Georg. Als wenig ergiebig haben sich die Bestände von Kurköln und Kurtrier erwiesen, da die Kölner Akten lediglich ein Kurfürstenratsprotokoll und nur wenige Hauptakten, und die Trierer Bestände bis auf einige Korrespondenzen und Urkunden gar keine zentralen Dokumente enthalten.
Die Beratungen und Beschlüsse des in Regensburg tagenden Reichshofrats sind nicht Gegenstand der Edition88.
Im zeitgenössischen printmedialen Kommunikationsraum stießen Wahl und Krönung Rudolfs II. offenbar auf geringes Interesse. Im Gegensatz zur Herrschererhebung Maximilians II. 1562, hat die Krönung seines Sohnes in den Printmedien kaum Niederschlag gefunden89. Ein Zeitungslied zur Wahl und Krönung Rudolfs II. von Daniel Holzmann und eine graphische Darstellung des Ereignisses von Franz Kirchmaier werden von Christian Gottlieb Gumpelzhaimer in seiner Regensburger Stadtgeschichte erwähnt, sind jedoch nicht erhalten90. Ebenso fehlt ein gedrucktes Verzeichnis der Teilnehmer, wie es für viele Reichsversammlungen überliefert ist, oder auch bildliche Darstellungen des Ereignisses, etwa in Form illustrierter Einblattdrucke, wie sie für 1562 erhalten sind91.
Auch von Reichspublizistik und Historiographie wurde der Kurfürstentag kaum beachtet. Die erste Veröffentlichung ist die in den „Supplicationes, Erklärungen vnd Protestationes“ 1576 und 1579 gedruckte Religionsbeschwerde der protestantischen Grafen und Herrn92, die einige Jahre später auch in Andreas Erstenbergers „De Avtonomia“ von 1586 erschien. Die auf dem Kurfürstentag vorgebrachten Religionsbeschwerden und der Konflikt um die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea stehen auch im Mittelpunkt des zuerst 1631 erschienenen Werks „De pace religionis acta pvblica et originalia“ von Christoph Lehmann, dessen Darstellung auf Quellen kurpfälzischer Provenienz beruht. Die erste Veröffentlichung zu den kurfürstlichen Beratungen in Regensburg stammt aus dem privaten Tagebuch des kurpfälzischen Großhofmeisters Graf Ludwig von Sayn-Wittgenstein, das zuerst 1711 unter dem Titel „Geheimbdes protocollum“, dann 1746 in der „Sammlung von ungedruckten und raren Schriften“ Heinrich Christians von Senckenberg erschienen ist93. Es bildet auch den Hauptteil der von Josef Maria Schneidt veröffentlichten Aktenpublikation aus dem Jahr 1792, in der neben Instruktionen und Korrespondenzen zur Vorgeschichte des Kurfürstentags die kaiserliche Proposition, die Wahltagsordnung, das Wahldekret sowie einige weitere Akten zur Wahl abgedruckt wurden, die Akten zu Nebenhandlung und Religionsbeschwerden jedoch fehlen94.
Die bei Lehmann erschienenen Texte und das Diarium des Grafen Sayn-Wittgenstein bilden die Hauptquellen für die älteren historischen Werke zum Wahltag von 1575. Zu nennen sind hier die erste ausführlichere Beschreibung des Kurfürstentags in der „Reichs-Geschichte“ von Häberlin aus dem Jahr 178095 sowie die späteren Darstellungen in den Werken Leopold von Rankes und Moriz Ritters, die sich auf den Konflikt um die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea konzentrieren96. Auch in der Arbeit von Hugo Moritz zur Wahl Rudolfs II. liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf der Freistellung, jedoch hat er nicht nur die genannten gedruckten Quellen, sondern auch ungedruckte Akten aus der kurfürstlichen Überlieferung für seine Darstellung der Wahlverhandlungen benutzt97. Die neuere Literatur, die sich mit dem Kurfürstentag 1575 beschäftigt, konzentriert sich nicht mehr nur auf die Religionsfragen98, sondern nimmt auch die Vorgeschichte der Versammlung, die dort beratenen reichspolitischen Themen sowie die Rolle der Kurfürsten in den Blick99. In jüngster Zeit schließlich wurde auch der Regensburger Wahl- und Krönungstag für Studien über die Inszenierung des Reichs bei Reichs- und Kurfürstentagen herangezogen100.
2. Vorbereitung und Einberufung
2.1 Verhandlungen zur Einberufung
Der Gedanke, zu Lebzeiten des amtierenden Kaisers Maximilian II. einen Wahltag durchzuführen und die Nachfolge im Reich für das Haus Österreich zu sichern, reicht bis in den Herbst des Jahres 1569 zurück, als der Kaiser von seinen Ratgebern gemahnt wurde, sich möglichst bald um die Sukzessionsfrage zu kümmern, um den Gefahren eines Interregnums vorzubeugen1.
Auslöser dieser Überlegung war der angegriffene Gesundheitszustand Maximilians II., der bereits seit Jahren an chronischen Herzbeschwerden und Gicht sowie an Leber- und Nierenbeschwerden litt2. Die Herzschwäche machte dem Kaiser seit den 1570er Jahren immer mehr zu schaffen und je häufiger und lebensbedrohlicher die Anfälle wurden, desto dringlicher erschien die Wahl eines Nachfolgers. Dieser Ansicht war auch Kurfürst August von Sachsen, der an einer reibungslosen Regelung der Nachfolge im Reich, die die politische Stabilität gewährleistete, besonders interessiert war. Während seiner Reise nach Wien im Frühjahr 1573 signalisierte er dem Kaiser, mit dem ihn seit der Jugend ein freundschaftliches Verhältnis verband3, dass er die Wahl eines Nachfolgers befürwortete, für die der Hof zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine konkreten Vorbereitungen einleitete4.
Zu Beginn des darauffolgenden Jahrs unternahm Kurfürst August einen Vorstoß beim Mainzer Erzbischof Daniel Brendel von Homburg, dem als Reichserzkanzler die Einberufung einer Kurfürstenversammlung zukam5 und den er davon überzeugte, dass angesichts des labilen Gesundheitszustands Maximilians II. rechtzeitig an einen Nachfolger gedacht werden müsse. Auch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg wurde ins Vertrauen gezogen, der sich der Ansicht seiner Kollegen anschloss, dass ein die innere und äußere Sicherheit des Reichs gefährdendes Interregnum zu verhindern sei. Die für die Regelung der Sukzessionsfrage besonders wichtige Zustimmung der protestantischen Kurfürsten war damit bereits erreicht, da die lutherischen Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg ihren reformierten Kollegen Friedrich III. von der Pfalz überstimmen konnten, der ein Gegner der habsburgischen Sukzessionswünsche war und als Reichsvikar Interesse an einem Interregnum hatte. Um nicht vorzeitig den Verdacht des widerspenstigen Pfälzers zu erregen, hatte Kurfürst August von Sachsen zunächst erwogen, die Versammlung zwar mit Billigung des Kaisers, jedoch ohne seine formelle Mitwirkung vorzubereiten. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass durch die römische Königswahl vivente imperatore gegen das Recht der Kurfürsten auf eine freie Wahl oder gegen das Vikariatsrecht des Pfälzers verstoßen würde6. Kurfürst Johann Georg und Kurfürst Daniel hielten es jedoch für besser, dass nicht Kurmainz, sondern der Kaiser die Vorbereitungen für eine Königswahl in die Hand nahm und den Konsens aller Kurfürsten einholte7. Die folgenden Schritte zur Vorbereitung des Kurfürstentags, der kurz nach der Erhebung Rudolfs zum böhmischen König stattfinden sollte8, erfolgten anschließend in enger Kooperation des Kaisers mit den Kurfürsten von Mainz und Sachsen, die von Maximilian II. mehrfach um ihre Stellungnahme gebeten wurden9. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, ob der älteste Sohn des Kaisers ausdrücklich als Kandidat genannt werden sollte oder nicht, da die protestantischen Kurfürsten Vorbehalte gegen den in Spanien streng katholisch erzogenen Rudolf hegten und an seiner Eignung zweifelten10. Der Mainzer Erzbischof verwies auf das Prinzip der freien Wahl der Kurfürsten und riet dem Kaiser davon ab, den Namen seines Sohnes in den Wahlwerbungen zu erwähnen11. Die kaiserlichen Kommissare, die im November 1574 abgefertigt wurden, sollten den Kurfürsten vom angegriffenen Gesundheitszustand des Kaisers berichten und ihnen mitteilen, dass er zur Sicherung der inneren und äußeren Stabilität des Reichs nach dem Vorbild früherer Wahlen seine Nachfolge regeln und den Mainzer Erzbischof um die Ausschreibung einer Kollegialversammlung bitten wolle. Die zu den geistlichen Kurfürsten entsandten Kommissare sollten in informellen Gesprächen für die Wahl Rudolfs werben und das spanisch geprägte Umfeld des Erzherzogs gegebenenfalls herunterspielen12.
Während die Kurfürsten von Köln und Trier, Salentin von Isenburg und Jakob III. von Eltz, bereits im Sommer des Jahres vom Mainzer Erzkanzler eingeweiht worden waren, wurde nun auch Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz offiziell über den geplanten Wahltag informiert, von dem er bis dahin lediglich Gerüchte vernommen hatte13, nicht wissend, dass seine beiden Kollegen im protestantischen Lager, die lutherischen Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, bereits seit langem ihre Zustimmung dazu erteilt hatten. Entgegen den Bestimmungen des Kurvereins, hatten ihn seine Mitkurfürsten bis dahin erfolgreich von den Vorbereitungen ausgeschlossen, da sie mit Recht befürchteten, dass er wie bei der letzten Wahl 1562, auch diesmal versuchen würde, eine Wahl vivente imperatore zu durchkreuzen14. Tatsächlich bemühte er sich, Zeit zu gewinnen und schlug vor, zunächst eine Konferenz kurfürstlicher Räte einzuberufen, die über eine gemeinsame Resolution der Kurfürsten auf das Ersuchen des Kaisers beraten sollten15. Seine Kollegen lehnten diesen Vorschlag einhellig ab und plädierten für ein Treffen, bei dem nach der Klärung der Frage, ob ein Nachfolger zu wählen sei, direkt im Anschluss eine Wahl durchgeführt werden sollte. In ihren Antworten gegenüber den kaiserlichen Gesandten stimmten sie der Ausschreibung eines Kurfürstentags zu und versprachen, persönlich dort zu erscheinen, um über die Administration des Reichs zu beraten. Den Bestimmungen des Kurvereins entsprechend wollten sie sich zu weitergehenden inhaltlichen Fragen nicht konkret äußern und beließen es bei unverbindlichen Antworten auf die kaiserlichen Werbungen16. Der pfälzische Kurfürst, der die Sukzessionsfrage nicht für akut hielt, blieb mit seiner Position isoliert17, konnte es aber nicht vermeiden, den kaiserlichen Gesandten Harrach und Hegenmüller, die ihn von den Vorteilen der Wahl überzeugen und seine Zustimmung zur Ausschreibung einholen sollten, sein persönliches Erscheinen zuzusagen, allerdings unter der Bedingung, dass das herkömmliche Prozedere der Ausschreibung eingehalten und auch alle anderen Kurfürsten persönlich teilnehmen würden18. Kurfürst August von Sachsen beschrieb die Situation des pfälzischen Kurfürsten folgendermaßen: „So weren der churfursten funff fast aines sinns und darumb wurde er selbs kommen oder seine räthe schicken muessen, und funff der churfursten köntten den sechsten zu sich bereden, wann er auch schon nit wolte.“19
2.2 Erstes und zweites Ausschreiben des Mainzer Erzkanzlers
Nachdem alle Kurfürsten ihre Zustimmung zur Austragung einer Kollegialversammlung erteilt hatten, mussten noch Tagungsort und -termin festgelegt und ein entsprechendes Einladungsschreiben an die Kurfürsten aufgesetzt werden20.
Kurfürst Daniel von Mainz, dem als Reichserzkanzler die Einberufung des Kurfürstentags oblag, äußerte im Dezember 1574 gegenüber den kaiserlichen Kommissaren Bedenken, die Versammlung nach Frankfurt auszuschreiben, da dort die Pest herrsche und mit logistischen Problemen zu rechnen sei. Dennoch mochte er der Anregung der kaiserlichen Gesandten, die Nürnberg als Austragungsort vorschlugen, nicht folgen – nicht zuletzt, weil mit Protest des Pfälzer Kurfürsten zu rechnen war, falls man von dem in der Goldenen Bulle festgelegten Wahlort Frankfurt abwich21. Obwohl sich der gesundheitlich angeschlagene Kaiser die bequem auf dem Wasserweg zu erreichende Reichsstadt Regensburg als Versammlungsort wünschte22 und auch die Kurfürsten von Trier, Köln und Sachsen keine Bedenken gegen eine Verlegung äußerten, scheute sich der Erzkanzler, ohne die ausdrückliche Zustimmung seiner Kollegen den Austragungsort zu ändern, da man – sollten sich die Kurfürsten wie erwartet zur Wahl eines Nachfolgers entschließen –, den Vorgaben der Goldenen Bulle folgen und in Frankfurt wählen müsse. Er war daher entschlossen, den Kurfürstentag nach Frankfurt auszuschreiben, und bat Mitte März den Kaiser um seine Zustimmung. Die Versammlung, so fügte er hinzu, könne später nach Nürnberg verlegt werden, falls Maximilian II. die weitere Reise nicht auf sich nehmen könne oder die Seuche in Frankfurt anhalten sollte, wozu dann jedoch die Einwilligung insbesondere der rheinischen Kurfürsten einzuholen sei23. Da der Mainzer zunächst keine Antwort erhielt und er gemäß den Vorgaben der Goldenen Bulle die Einladung drei Monate vor Beginn des geplanten Kurfürstentags abzuschicken hatte, lud Kurfürst Daniel Mitte April 1575 seine Kollegen für den 29. Juli nach Frankfurt ein24. Die vorläufige Antwort Maximilians II., nämlich dass er vor seiner endgültigen Entscheidung die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg in Dresden treffen und mit ihnen über den Versammlungsort des Kurfürstentags beraten wolle, erreichte den Mainzer erst danach25. Als der Kaiser nach seiner Rückkehr aus Dresden Ende April26 von der bereits erfolgten Ausschreibung erfuhr, entschuldigte er sich bei Sachsen und Brandenburg, mit denen er Regensburg als Austragungsort vereinbart hatte und monierte, dass der Mainzer Erzkanzler das Ladungsschreiben „unerwartet unser entlichen erclerung von wegen des plaz der zusamenkonfft, deßgleichen auch unserer selbst schreiben, die wir an alle churfursten danebens zuthun und s.L. zuzuschicken uns erpotten“ abgeschickt habe, „zumall dieweil one das die zeit von wegen unserer behaimischen handlungen muste baß hinaus gerucket werden.“27 Der Empfehlung des Kurfürsten von Sachsen28 und dem Wunsch des Erzkanzlers folgend schickte Maximilian II. seinen Rat Dr. Johann Hegenmüller zu den rheinischen Kurfürsten, um ihre Einwilligung zur Verlegung nach Regensburg und zur Verschiebung des Termins einzuholen29. Gleichzeitig schrieben die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg an ihre rheinischen Kollegen, dass in Frankfurt „die abscheuliche kranckheit der pestilenz ein gutte zeit regiret, auch die sterblichen leuffte des orts noch nicht auffhören“ und dass sie beim Besuch des Kaisers in Dresden gesehen hätten, „das ihrer Mt. weit zureisen und sich ubrig zubewegen nicht alleine ungelegen, sondern auch gevehrlich sey“. Sie seien dafür, dem Wunsch des Kaisers um Verlegung der Versammlung nach Regensburg zu entsprechen, um ihm den „weiten, rauhen und bösen weg“ nach Frankfurt zu ersparen, zumal es dort „von wegen sterbens leufften nicht sicher und uns allen oder den unsern leichtlich ein fall begegnen möchte, so hernach nicht zuersetzen“. Sie äußerten daher die Bitte, der Verlegung nach Regensburg mittels eines entsprechenden zweiten Ausschreibens durch Kurmainz zuzustimmen30. Zu Pfingsten traf Hegenmüller bei Kurfürsten Daniel ein, der sich ausgiebig dafür entschuldigte, das erste Ausschreiben so früh abgeschickt zu haben31. Gemeinsam formulierten sie den Entwurf für ein auf den 20. Juni datiertes zweites Ausschreiben, in dem die Kurfürsten für den 16. September nach Regensburg eingeladen wurden32 und das der Mainzer Erzkanzler am 23. Mai zur Begutachtung an den Kaiser schickte33. Dieser hatte keine weiteren Einwände, äußerte aber den Wunsch, den Beginn der Versammlung auf den 26. September zu verlegen, „von wegen langsamen vortgangs unserer behaimischen handlung und danebens damit von dato des ausschreibens biß zu dem termin der zusamenkonfft weniger nitt als drey monat zeit seye“34. Nachdem Hegenmüller seine Mission zu den rheinischen Kurfürsten beendet und diese dem Kaiser und dem Mainzer Erzkanzler ihre Zustimmung zur Änderung des Tagungsorts mitgeteilt hatten35, konnte Kurfürst Daniel schließlich das zweite Ausschreiben abschicken. In seiner Einladung, die nicht wie zunächst geplant auf den 20., sondern auf den 24. Juni datiert ist, führt er aus, dass der Kaiser wegen seiner „täglich zunehmenden, auch augenscheinlich ereugennden leibsschwacheitt unnd unvormüglicheitt“ nicht in der Lage sei, die weite Reise nach Frankfurt „one sondere leybsgevar“ zu unternehmen. Da der Kaiser außerdem Angelegenheiten in Böhmen erledigen müsse, habe er seine Bitte erfüllt und die Zusammenkunft nach Regensburg verlegt und auf den 29. September vertagt, „des verhoffenns, e.L. irer selbst gethanen erclerung nach, demselbigen gehorsame volge mitt erscheinung irer selbst person laisten unnd was zu gemainer wolfartt erschießlich ires thails helffen zubedenncken, zuberhatschlagen unnd zu schliessen, nichts erwinden laßen werden“36.
2.3 Werbungen des Kaisers um die persönliche Teilnahme der Kurfürsten
Zur Unterstützung des Mainzer Einladungsschreibens und um einen reibungslosen Ablauf der Versammlung zu ermöglichen, verfasste Kaiser Maximilian II. Anfang Juni 1575 ein „Nebenersuchen“, in dem er die Kurfürsten um ihr persönliches und pünktliches Erscheinen bat37.
Die Kurfürsten von Köln, Pfalz, Sachsen und Brandenburg folgten dieser Aufforderung und sagten zu, die Versammlung persönlich besuchen zu wollen38. Lediglich Kurfürst Jakob von Trier ließ in seiner Antwort an den Kaiser vom 8. Juli offen, ob er angesichts seiner angegriffenen Gesundheit und des bei der winterlichen Witterung beschwerlichen Wegs sowie mit Rücksicht auf die hohen Kosten und die erwarteten Durchzüge französischer Truppen die Reise zum Kurfürstentag antreten würde. Erst nachdem der Kaiser ihn Ende Juli ermahnte, er möge bei seiner früheren Zusage bleiben und sich die von ihm angeführten Schwierigkeiten „nit schwerer als sie seindt einbilden“ und auch der von Maximilian eingeschaltete Mainzer Erzkanzler der kaiserlichen Aufforderung Nachdruck verlieh, sagte auch der Kurfürst von Trier am 9. August zu, die Reise nach Regensburg anzutreten39. Den Befürchtungen Kurtriers und der anderen rheinischen Kurfürsten, die sich wegen der Truppenwerbungen für den Krieg in Frankreich sorgten und ihr Territorium nur ungern verließen, begegnete Maximilian II. mit der Entsendung kaiserlicher Kommissare, die in Frankfurt gemeinsam mit mainzischen, pfälzischen und hessischen Räten „der an- unnd durchzüg vleissig warnemmen, dem kriegsvolck under augen rucken unnd mit hilff unnd zuethun der kraisöbristen dasselbig zulaistung der gepür unnd getrentem unschedlichem durchtzug anhalten sollen“40.
Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz, an dessen Erscheinen der kaiserliche Rat Hegenmüller und auch der Mainzer Erzkanzler Zweifel hegten41, erneuerte am 7. September seine Bereitschaft, persönlich an der geplanten Zusammenkunft teilzunehmen, fügte aber – wie bei seiner ersten Zusage vom Juni – einschränkend hinzu: falls „bemelte meine leibsungelegenheit nit böser würdt“42. Bereits einige Tage später überfiel ihn jedoch „ganz unversehenlich ein so hefftiger catarr“, dass er seine für den 16. September geplante Abreise zum Kurfürstentag absagen und seinen Sohn Pfalzgraf Ludwig als Vertreter nach Regensburg schicken musste43. Die Vermutung, dass seine Krankheit für Friedrich III. nur ein Vorwand gewesen sei, um auf der Kurfürstenversammlung nicht persönlich erscheinen zu müssen, findet in den kurpfälzischen Akten keine Bestätigung44.
Lange Zeit unsicher war auch die Teilnahme Kurfürst Johann Georgs von Brandenburg. Dieser wollte seine lebensbedrohlich erkrankte Frau Sabina nicht alleine lassen und bat Anfang September Kurfürst August von Sachsen um Rat, wie er mit der Situation umgehen solle. Dieser riet ihm davon ab, seinen Sohn als Vertreter nach Regensburg zu entsenden, und empfahl ihm, bevollmächtigte Räte nach Regensburg vorauszuschicken und dann selbst nach Möglichkeit so schnell wie möglich nachzukommen45. Johann Georg folgte dieser Empfehlung und benachrichtigte am 7. September den Kaiser, der ihn inständig darum bat, trotz der Krankheit seiner Frau nach Regensburg zu kommen46. Nachdem er seine Räte mit den entsprechenden Vollmachten und Instruktionen47 vorausgeschickt hatte, brach der Kurfürst von Brandenburg am 21. September nach Regensburg auf, wo er noch rechtzeitig vor der erneut verschobenen Eröffnung der Versammlung am Morgen des 5. Oktober eintraf.
3. Anreise und Eintreffen der Teilnehmer
3.1 Organisatorische Vorbereitungen
Nachdem mit dem zweiten Mainzer Ausschreiben vom 24. Juni 1575 der Versammlungsort und der Termin des Kurfürstentags endgültig festgelegt waren und die Kurfürsten ihr persönliches Erscheinen zugesagt hatten, konnte mit den organisatorischen Vorbereitungen begonnen werden. Der Kaiser informierte den für den reibungslosen Ablauf zuständigen Reichserbmarschall von Pappenheim und den Rat der Stadt Regensburg und forderte sie auf, die nötigen Vorkehrungen zu treffen1.
Da es Gerüchte über eine Pestepidemie in Regensburg gegeben hatte, schickte Maximilian II. außerdem einen Beamten in die Stadt, der sich ein Bild von der Ausbreitung der Seuche und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen verschaffen sollte2. Nachdem dieser am 30. August seinen Bericht vorgelegt hatte, konnte der Kaiser dem Kurfürsten von Sachsen, der vorgeschlagen hatte, die Versammlung gegebenenfalls um einen Monat zu verschieben oder nach Nürnberg zu verlegen3, berichten, „das es diß orts nit so gefehrlich als man vermainet“4. Dies bestätigt auch der Bericht der nach Regensburg vorausgeschickten kursächsischen Räte, die zwei Wochen vor Beginn der Versammlung ihrem Kurfürsten meldeten, dass es in der vorangegangenen Woche nicht mehr als fünf oder sechs Pesttote gegeben habe und dass es „dem Herrn sey danngk in e.kfl.Gn. quartir, auch daselbst in der nehende herrumb, sovil wir nach vleißiger nachforschunge erfahren mugen, ganntz reyn.“5 Im Verlauf des Oktober scheint sich die Seuche hingegen verschlimmert zu haben. Der päpstliche Nuntius Dolfin berichtete am 7. Oktober von 4 bis 6 Pesttoten pro Tag, Ende des Monats bereits von 10 bis 12 Opfern6. Die Durchführung des Kurfürstentags scheint durch die Pest zwar nicht gefährdet gewesen zu sein, doch ist davon auszugehen, dass viele Interessierte wegen der Seuche von einem Besuch in der Stadt absahen. Der venezianische Gesandte Vincenzo Tron meldete Mitte Oktober, dass sich die Kurfürsten um eine schnelle Einigung bemühten „per la carestia grandissima che si trova qui, che certo è impossibile a crederla, et per i danni che fa la peste, li quali non si pò con ogni diligentia tanto nascondere che non mettano terrore et spavento a tutti“7. Nicht nur die Pest, sondern auch die hier angesprochenen Engpässe bei der Versorgung sowie der bevorstehende Winter8 dürften dazu beigetragen haben, dass den Teilnehmern, von denen „ein jeder nit lust, lang hie zu verharren“9, an einer raschen Entscheidung bei der Wahl eines römischen Königs gelegen war.
Während der Reichserbmarschall Konrad von Pappenheim organisatorische Vorkehrungen traf10, schickten die Kurfürsten Verordnete nach Regensburg, die sich um die Beschaffung standesgemäßer Quartiere und die Organisation der Verpflegung kümmern sollten11. Besonders schnell war dabei Kurfürst August von Sachsen, dessen Räte bereits im Juni für eine zügige Quartiersuche plädiert hatten, „damit e.kfl.Gn. nicht die besten losamenter vorrucket unnd preoccupirt werden“12. Als die pfälzischen Abgesandten Stefan Frey und Dietrich Schwartz am 27. Juli in Regensburg eintrafen, um für Kurfürst Friedrich und sein geplantes Gefolge von 500 „Pferden“ Quartiere zu reservieren, hatten die sächsischen Vertreter für Kurfürst August und seine Familie bereits einige Häuser besichtigt, Vorabsprachen getroffen und Umbauarbeiten im Umfang von 400 fl. durchgeführt. Da zu diesem Zeitpunkt weder der kaiserliche Quartiermeister Hans Jakob Herbrot noch der Reichserbmarschall Konrad von Pappenheim in der Stadt waren, beauftragten die pfälzischen Vertreter den Regensburger Kammeramtsverwalter Dionysius von Preckendorf, die gewünschten Herbergen für Kurpfalz zu beanspruchen, darunter mehrere Unterkünfte „von des Weinsprunners behausung an bis zu ende der Enngelburger strasse“, in denen auch der kursächsische Geheime Rat Lorenz Lindemann seinen Kurfürsten gerne einquartiert hätte13. In seinem Schreiben an Pfalzgraf Ludwig vom 9. August berichtete Dietrich Schwartz, dass der Stellvertreter des noch nicht in Regensburg anwesenden Reichserbmarschalls damit einverstanden sei, dass er für den Kurfürsten von der Pfalz „deß Weinsprunners hauß“ eingenommen habe. Zu den Herbergen der anderen Kurfürsten teilte Schwartz mit:
„So hat der churfurst von Sachßen nit weith davon deß Osterreichers, deß Schlahers, deß Rosauern unnd anndere heußer, deren er etlich mit grossem uncosten zusammen prechen unnd pauen lest, albereith uber die 800 fl. aufgewenndt. So haben die menntzischen fur iren churfursten strackhs dargegen uber der Schweblin hauß eingenommen, die wappen angeschlagen, welche sie wider herunnder reussen muessen, unnd gedachter deß marschalckhs bevelch haber neben dem quattirmeister ganntz ubl zufriden; wöllen sie annders wohin weisen. Ittem so hat der quattirmeister fur die ksl.Mt. deß bischoffs hoff unnd fur die kayserin das closter Nidermunster eingenommen, also das die kayserischen fast alle inn der Pfaffengassen pleiben. Tryer soll, wo nit ennderung furfelt, uff Sanct Jacobs platz in deß Scheckhenpachs oder Hallers behausungen ligen. So haben die brandenpurgischen das „Gulden khreutz“ eingenommen, wissen doch nit eigentlichen, waran sie sindt. Von Kölln ist noch niemandt khommen. Ittem der bayrisch furirer hat das closter St. Haimeran fur sein herrn eingenommen“14.
Der Reichserbmarschall von Pappenheim traf erst Mitte September in der Stadt ein15. Die Kurbrandenburger Gesandten berichteten Ende des Monats, dass die „Ordnung und Satzung“, die für die Dauer der Versammlung das Zusammenleben polizeilich regelte, noch nicht veröffentlicht worden sei, und klagten deshalb über „große unordnungk, unnd die beschwerungk unnd ubersetzung der victualien halben uber alle maß“16.
Ausländische Beobachter berichten, dass sich der Kaiser zu diesem Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen in großer Geldnot befand17, und der Kurfürstentag in Regensburg nur mit der finanziellen Unterstützung der Medici und des Kurfürsten von Sachsen stattfinden konnte, den Maximilian II. bereits bei seinem Besuch in Dresden im April 1575 um Geld gebeten hatte18. Nicht zuletzt im Hinblick auf die gewünschte Belehnung seiner Söhne mit dem Vogtland gewährte Kurfürst August dem Kaiser ein Darlehen in Höhe von 200.000 fl. und ließ ein Viertel der Summe bereits vor Beginn des Kurfürstentags auszahlen19. Laut des Hofzahlamtsbuchs von 1575 betrugen die Ausgaben allein für die kaiserlichen Geschenke, die in Form von goldenen Ketten und Silbergeschirr an kurfürstliche und andere Räte verteilt wurden, 11.500 fl.20 und wurden aus der von Francesco de' Medici zugesagten und vom Handelshaus der Fugger bereitgestellten Summe bestritten. Weitere 49.500 fl. der insgesamt 150.000 fl. des Hg. wurden dem kaiserlichen Hofzahlmeister Peter Häckl am 29. Oktober in Regensburg übermittelt, am 17. Dezember erhielt die Stadt Regensburg 4.000 fl. für ein Darlehen zur Abreise der Kaiserin Maria21.
Der zunächst für den 29. Juli, dann für den 26. September angesetzte Beginn des Kurfürstentags verschob sich erneut, weil Rudolf vor seiner Wahl zum römischen König zunächst die Krone von Böhmen empfangen musste, damit er die böhmische Stimme führen konnte22. Seine Krönung fand am 22. September in Prag statt und konnte erst durchgeführt werden, nachdem auf dem im Februar des Jahres eröffneten böhmischen Landtag ein Kompromiss erreicht worden war: Dafür, dass Kaiser Maximilian II. den böhmischen Landständen entgegenkam und ihnen mündlich die Formulierung des gemeinsamen Bekenntnisses der böhmischen Protestanten, die confessio bohemica, gewährte, nahmen die Stände seinen Sohn Rudolf als König von Böhmen an23.
Am 15. September teilte der Kaiser den Kurfürsten mit, dass er seine Reise nach Regensburg wegen der anstehenden Krönung Rudolfs verschieben müsse und dass er voraussichtlich erst am Montag, dem 26. aus Prag abreisen könne24. Gleichzeitig informierte er den Reichserbmarschall Konrad von Pappenheim, den Bischof von Regensburg Kölderer von Burgstall sowie seinen geheimen Rat Leonhard von Harrach über die eingetretene Verzögerung und trug ihnen auf, die Kurfürsten, die zu diesem Zeitpunkt bereits nach Regensburg unterwegs waren und die vor ihm in der Stadt eintreffen würden, in seinem Namen zu begrüßen und sich für die Verspätung zu entschuldigen25. Am 26. September nahmen die kaiserlichen Beauftragten den Erzbischof von Köln auf diese Weise in Empfang. Die anderen Kurfürsten zogen es vor, dem Kaiser den Vortritt zu lassen und unterbrachen ihre Reise26. So berichtete der Gesandte Erzherzog Ferdinands II., Johann Dreyling, am 28. September, dass sich der Kurfürst von Sachsen seit einiger Zeit in Straubing aufhielte, „aber vor der ksl.Mt. ankhonfft nitt einraitten will“27.
3.3 Ankunft von Kaiser und Kurfürsten
Während die kaiserliche Familie sich noch auf dem Weg zum Kurfürstentag befand, trafen in Regensburg die ersten Teilnehmer ein28. Die vorausgeschickten Kurbrandenburger Gesandten berichteten am 30. September ihrem Kurfürsten, dass sie am 26. in der Stadt angekommen seien: „Unnd habenn alhier niemandt mehr gefunden dan allein denn bischoff vonn Saltzburg etc. unnd die churfurstlichenn sechssischenn gesandten. Aber nach unser ankunfft ist Cölln deßelben tages auch anher kommen. Unnd des andern tages, als denn 27., der hertzog von Beyern mit seinn frawen zimmer zu schiff one alles geprenge. Vonn Meintz wegen ist nach niemandts hie dann alleine die jenigenn, die zu erbawung unnd anrichtung der losamenter verordnett. Vonn denn keyserischenn seint ettliche abgeordnete alhier, die den churfurstenn unnd ertzbischoff vonn Cölln entpfangenn.“29
Maximilian II. zog am 3. Oktober in Begleitung seiner Frau Maria, seines Sohnes Rudolf, des frisch gekrönten böhmischen Königs, sowie weiterer Söhne und Töchter in Regensburg ein. In seinem Bericht nach Rom schrieb der päpstliche Nuntius über den prächtigen Einzug des Kaisers: „L'entrata fu molto bella, così per l'ordine che i germani tengono nel cavalcare, come per le molte collane d'oro et ricchi habiti loro. Il numero di cavalli non passò 2 mila.“30 Zwei Tage später, früh morgens, „ehe es ihre Mt. oder jhemandts anders von den anwesenden chur- und fursten inne worden“31, erschien Kurfürst Johann Georg von Brandenburg in der Stadt. Am selben Tag zogen der Kaiser, der Erzbischof von Köln und der Herzog von Bayern dem Kurfürsten von Mainz entgegen, der am Nachmittag in die Stadt einritt. Am 7. Oktober trafen zuerst der Erzbischof von Trier, bei dessen Einzug es zu Streitigkeiten kam32, dann Pfalzgraf Ludwig mit seiner Frau, „on sonders gepräng und gleyd mit 150 Pferden“33, spät am Abend schließlich, als letzter der Hauptteilnehmer, Kurfürst August von Sachsen mit seiner Familie ein. Sein Weg nach Regensburg ist besonders gut dokumentiert, da er auf seiner Reise einen Wagenwegmesser einsetzte, der sowohl die zurückgelegte Strecke als auch die mittels eines Schiffskompasses ermittelte Veränderung der Wegrichtung mechanisch aufzeichnete. Anhand der gemessenen Strecken und Winkel wurde nach dem Ende der Reise eine rund 13,5 Meter lange Routenrolle angefertigt, auf der Ortschaften, Flüsse und andere markante Punkte eingezeichnet sind. Aus den Angaben geht hervor, dass der Kurfürst die Gesamtstrecke von rund 370 Kilometern mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 30 Kilometern am Tag zurücklegte34. Seine Route führte von Mühlberg an der Elbe über Dresden, Augustusburg, Annaburg, Sankt Joachimsthal, Schlaggenwald, Plan, Haid, Taus, Furth im Wald, Kötzting und Straubing bis nach Regensburg35.
Der päpstliche Nuntius berichtet, dass das Gefolge des Kaisers beim Einzug aus nicht mehr als 2000 Pferden bestanden habe. Wie groß der Anhang der Kurfürsten inklusive der Hofbediensteten und Kanzleibeamten, der sie begleitenden Fürsten, Grafen und Herren sowie des Gesindes gewesen sein mag, ist schwer abzuschätzen, da die überlieferten Furierlisten unterschiedliche Zahlen zu den mitreisenden Personen, Reit- und Kutschpferden nennen und mit den Angaben von Augenzeugen oft nicht übereinstimmen. Wahrscheinlich war das Gefolge des Kurfürsten von Brandenburg mit mehr als 500 Pferden am größten, gefolgt von Kursachsen und Kurpfalz mit jeweils 450 bis 500 Pferden und Kurköln mit ca. 430 Pferden. Für Kurmainz und Kurtrier werden Zahlen zwischen 250 und 300 genannt36.
Es ist auffällig, dass alle weltlichen Kurfürsten darauf verzichteten, vom Kaiser und den bereits anwesenden Kurfürsten in der üblichen Weise empfangen zu werden, und es vorzogen,unvermerkt in der Stadt anzukommen. In den Quellen wird die Vermutung geäußert, dass sie dies „vermeidung willen unrhue unnd pumps [= Pomps]“ taten oder weil sie „nicht gewolt, daß die ksl.Mt. inen entgegen ziehen sollen“37, wobei jedoch offenbleibt, ob dies aus Rücksicht auf die angeschlagene Gesundheit des Kaisers oder aus politischen Gründen geschah.
Wie bei der letzten Wahl 156238 ergingen auch diesmal Einladungen des Kaisers an einige wichtige Reichsfürsten. Während Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, Markgraf Karl II. von Baden-Durlach, Herzog Ludwig von Württemberg sowie Erzherzog Ferdinand II. aus unterschiedlichen Gründen absagten, kündigten der Erzbischof von Salzburg, Herzog Albrecht V. von Bayern und Pfalzgraf Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg ihr Kommen an39. Neben ihnen erschienen außerdem in Regensburg: Pfalzgraf Georg Johann I. von Pfalz-Veldenz, Herzog Barnim X. von Pommern, Markgraf Philipp II. von Baden-Baden, der Jungherzog Joachim Friedrich von Liegnitz-Brieg sowie die Pfalzgrafen Ottheinrich von Pfalz-Sulzbach und Friedrich von Pfalz-Zweibrücken40.
Auf Einladung Maximilians II. kamen auch auswärtige Gesandte zum Kurfürstentag nach Regensburg. Zu nennen sind hier in erster Linie der päpstliche Nuntius Giovanni Dolfin41, der venezianische Gesandte Vincenzo Tron42 sowie der spanische Botschafter am Kaiserhof Francisco Hurtado de Mendoza, Graf von Monteagudo, der den Kurfürsten die Wahl des in Spanien erzogenen Erzherzogs Rudolf empfehlen sollte43. Die Republik Genua war mit dem Agenten am Kaiserhof, Giorgio Giorgi, und mit dem Gesandten der Nobili vecchi, Domenico Grimaldi, vertreten, der jedoch erst am 1. November in Regensburg eintraf44. Für Ferrara waren Paolo Carandini und Dr. Renato Cato anwesend45. François d'Amours, sieur de La Galaizière, und François Bouchard kamen als Gesandte des Hugenottenführers Prinz Henri I. von Bourbon-Condé in die Stadt, um die Kurfürsten um militärische und diplomatische Unterstützung für die französischen Protestanten zu bitten46. Eine kaiserliche Einladung erging auch an den Leiter der Augsburger Handelsgesellschaft Marx Fugger, der sich jedoch entschuldigte und seinen Bruder Hans nach Regensburg schickte, um dort mit Vertretern des Kaisers und des bayerischen Herzogs Albrecht über die Beilegung eines innerhalb der Familienhandelsgesellschaft entstandenen Konflikts zu verhandeln47.
Neben Kaiser, Kurfürsten und Fürsten mit ihrem zahlreichen Gefolge, auswärtigen Beobachtern, Hofbeamten und Bittstellern kamen auch viele Kaufleute, Handwerker und Schaulustige in die Stadt, die im Zuge der Wahl- und Krönungsfeierlichkeiten zum Schauplatz feierlicher Umzüge und glanzvoller Feste wurde und zugleich Gelegenheit zu Informations- und Wissensaustausch bot48. Angesichts des immer wieder verschobenen Termins, der herbstlichen Witterung und nicht zuletzt wegen der Pest war der Andrang jedoch wahrscheinlich nicht so groß wie bei der letzten Herrschererhebung 1562 in der zentraler gelegenen Reichsstadt Frankfurt49.
Aus gesundheitlichen Gründen konnte Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz als einziger nicht persönlich an der Regensburger Versammlung teilnehmen. Sein Sohn und Vertreter Pfalzgraf Ludwig begab sich am Tag nach seiner Ankunft sogleich zu Kaiser Maximilian II., um sich für die krankheitsbedingte Abwesenheit seines Vaters zu entschuldigen und um den Kredenzbrief des Kurfürsten sowie einen Auszug aus der pfälzischen Instruktion zu übergeben50. Der Kurpfälzer Großhofmeister Sayn-Wittgenstein berichtet in seinem Diarium, dass der Kaiser und auch die Kurfürsten, bei denen der Pfalzgraf am 9. Oktober vorsprach51, die Entschuldigung Ludwigs mit Wohlwollen entgegengenommen hätten. Allein Kurfürst August von Sachsen, der die Krankheit des Pfälzers für vorgeschoben hielt, sei „ihme in die Rede gefallen, und gesagt, er wolls ihrer L., aber sonst keinem glauben“52. Die Unfreundlichkeit, mit der der sächsische Kurfürst den Kurprinzen empfing, war Ausdruck seiner Verärgerung über das Verhalten Kurfürst Friedrichs, den er dafür verantwortlich machte, dass Prinz Wilhelm I. von Oranien seine Frau Anna von Sachsen, die Nichte Kurfürst Augusts, verstoßen und im Juli 1575 die am Hof Friedrichs III. lebende Charlotte von Bourbon-Montpensier geheiratet hatte53. Der sächsische Kurfürst, der erst im Nachhinein von dieser Hochzeit unterrichtet worden war, fühlte sich in seiner Ehre verletzt und vermutete nun auch hinter der 1570 geschlossenen Verbindung seiner Tochter Elisabeth mit Pfalzgraf Johann Casimir unredliche Absichten des Pfälzers. In seinem Gespräch mit Pfalzgraf Ludwig kritisierte August überdies, dass Friedrich mit seiner Unterstützung für die französischen Hugenotten und die aufständischen Niederländer nicht nur den Kaiser, sondern auch die Könige von Frankreich und Spanien gegen sich aufbringe. Außerdem, so der letzte Punkt, wollte er den Kurpfälzer Kanzler Ehem nicht zu den Beratungen zulassen54. Pfalzgraf Ludwig informierte seinen Vater ausführlich über diese Vorwürfe55 und versuchte, die pfälzische Politik gegenüber Sachsen zu rechtfertigen, doch konnte er August, für den der Streit möglicherweise ein willkommener Anlass war, um sich vom Pfälzer zu distanzieren, letztlich nicht besänftigen56. Die schon vor Beginn des Kurfürstentags offensichtlichen privaten Spannungen zwischen der reformierten Pfalz und dem lutherischen Sachsen dürften auf den Verlauf der Beratungen, bei denen dann auch die unterschiedlichen politischen Ansichten deutlich zutage traten, einen nicht unwesentlichen Einfluss gehabt haben. Die Chancen für eine gemeinsame Linie der protestantischen Kurfürsten standen nach diesem unfreundlichen Auftakt jedenfalls nicht gut.