Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Kurfürstentag zu Regensburg 1575 bearbeitet von Christiane Neerfeld
2.1 Verhandlungen zur Einberufung
Der Gedanke, zu Lebzeiten des amtierenden Kaisers Maximilian II. einen Wahltag durchzuführen und die Nachfolge im Reich für das Haus Österreich zu sichern, reicht bis in den Herbst des Jahres 1569 zurück, als der Kaiser von seinen Ratgebern gemahnt wurde, sich möglichst bald um die Sukzessionsfrage zu kümmern, um den Gefahren eines Interregnums vorzubeugen1.
Auslöser dieser Überlegung war der angegriffene Gesundheitszustand Maximilians II., der bereits seit Jahren an chronischen Herzbeschwerden und Gicht sowie an Leber- und Nierenbeschwerden litt2. Die Herzschwäche machte dem Kaiser seit den 1570er Jahren immer mehr zu schaffen und je häufiger und lebensbedrohlicher die Anfälle wurden, desto dringlicher erschien die Wahl eines Nachfolgers. Dieser Ansicht war auch Kurfürst August von Sachsen, der an einer reibungslosen Regelung der Nachfolge im Reich, die die politische Stabilität gewährleistete, besonders interessiert war. Während seiner Reise nach Wien im Frühjahr 1573 signalisierte er dem Kaiser, mit dem ihn seit der Jugend ein freundschaftliches Verhältnis verband3, dass er die Wahl eines Nachfolgers befürwortete, für die der Hof zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine konkreten Vorbereitungen einleitete4.
Zu Beginn des darauffolgenden Jahrs unternahm Kurfürst August einen Vorstoß beim Mainzer Erzbischof Daniel Brendel von Homburg, dem als Reichserzkanzler die Einberufung einer Kurfürstenversammlung zukam5 und den er davon überzeugte, dass angesichts des labilen Gesundheitszustands Maximilians II. rechtzeitig an einen Nachfolger gedacht werden müsse. Auch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg wurde ins Vertrauen gezogen, der sich der Ansicht seiner Kollegen anschloss, dass ein die innere und äußere Sicherheit des Reichs gefährdendes Interregnum zu verhindern sei. Die für die Regelung der Sukzessionsfrage besonders wichtige Zustimmung der protestantischen Kurfürsten war damit bereits erreicht, da die lutherischen Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg ihren reformierten Kollegen Friedrich III. von der Pfalz überstimmen konnten, der ein Gegner der habsburgischen Sukzessionswünsche war und als Reichsvikar Interesse an einem Interregnum hatte. Um nicht vorzeitig den Verdacht des widerspenstigen Pfälzers zu erregen, hatte Kurfürst August von Sachsen zunächst erwogen, die Versammlung zwar mit Billigung des Kaisers, jedoch ohne seine formelle Mitwirkung vorzubereiten. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass durch die römische Königswahl vivente imperatore gegen das Recht der Kurfürsten auf eine freie Wahl oder gegen das Vikariatsrecht des Pfälzers verstoßen würde6. Kurfürst Johann Georg und Kurfürst Daniel hielten es jedoch für besser, dass nicht Kurmainz, sondern der Kaiser die Vorbereitungen für eine Königswahl in die Hand nahm und den Konsens aller Kurfürsten einholte7. Die folgenden Schritte zur Vorbereitung des Kurfürstentags, der kurz nach der Erhebung Rudolfs zum böhmischen König stattfinden sollte8, erfolgten anschließend in enger Kooperation des Kaisers mit den Kurfürsten von Mainz und Sachsen, die von Maximilian II. mehrfach um ihre Stellungnahme gebeten wurden9. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, ob der älteste Sohn des Kaisers ausdrücklich als Kandidat genannt werden sollte oder nicht, da die protestantischen Kurfürsten Vorbehalte gegen den in Spanien streng katholisch erzogenen Rudolf hegten und an seiner Eignung zweifelten10. Der Mainzer Erzbischof verwies auf das Prinzip der freien Wahl der Kurfürsten und riet dem Kaiser davon ab, den Namen seines Sohnes in den Wahlwerbungen zu erwähnen11. Die kaiserlichen Kommissare, die im November 1574 abgefertigt wurden, sollten den Kurfürsten vom angegriffenen Gesundheitszustand des Kaisers berichten und ihnen mitteilen, dass er zur Sicherung der inneren und äußeren Stabilität des Reichs nach dem Vorbild früherer Wahlen seine Nachfolge regeln und den Mainzer Erzbischof um die Ausschreibung einer Kollegialversammlung bitten wolle. Die zu den geistlichen Kurfürsten entsandten Kommissare sollten in informellen Gesprächen für die Wahl Rudolfs werben und das spanisch geprägte Umfeld des Erzherzogs gegebenenfalls herunterspielen12.
Während die Kurfürsten von Köln und Trier, Salentin von Isenburg und Jakob III. von Eltz, bereits im Sommer des Jahres vom Mainzer Erzkanzler eingeweiht worden waren, wurde nun auch Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz offiziell über den geplanten Wahltag informiert, von dem er bis dahin lediglich Gerüchte vernommen hatte13, nicht wissend, dass seine beiden Kollegen im protestantischen Lager, die lutherischen Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, bereits seit langem ihre Zustimmung dazu erteilt hatten. Entgegen den Bestimmungen des Kurvereins, hatten ihn seine Mitkurfürsten bis dahin erfolgreich von den Vorbereitungen ausgeschlossen, da sie mit Recht befürchteten, dass er wie bei der letzten Wahl 1562, auch diesmal versuchen würde, eine Wahl vivente imperatore zu durchkreuzen14. Tatsächlich bemühte er sich, Zeit zu gewinnen und schlug vor, zunächst eine Konferenz kurfürstlicher Räte einzuberufen, die über eine gemeinsame Resolution der Kurfürsten auf das Ersuchen des Kaisers beraten sollten15. Seine Kollegen lehnten diesen Vorschlag einhellig ab und plädierten für ein Treffen, bei dem nach der Klärung der Frage, ob ein Nachfolger zu wählen sei, direkt im Anschluss eine Wahl durchgeführt werden sollte. In ihren Antworten gegenüber den kaiserlichen Gesandten stimmten sie der Ausschreibung eines Kurfürstentags zu und versprachen, persönlich dort zu erscheinen, um über die Administration des Reichs zu beraten. Den Bestimmungen des Kurvereins entsprechend wollten sie sich zu weitergehenden inhaltlichen Fragen nicht konkret äußern und beließen es bei unverbindlichen Antworten auf die kaiserlichen Werbungen16. Der pfälzische Kurfürst, der die Sukzessionsfrage nicht für akut hielt, blieb mit seiner Position isoliert17, konnte es aber nicht vermeiden, den kaiserlichen Gesandten Harrach und Hegenmüller, die ihn von den Vorteilen der Wahl überzeugen und seine Zustimmung zur Ausschreibung einholen sollten, sein persönliches Erscheinen zuzusagen, allerdings unter der Bedingung, dass das herkömmliche Prozedere der Ausschreibung eingehalten und auch alle anderen Kurfürsten persönlich teilnehmen würden18. Kurfürst August von Sachsen beschrieb die Situation des pfälzischen Kurfürsten folgendermaßen: „So weren der churfursten funff fast aines sinns und darumb wurde er selbs kommen oder seine räthe schicken muessen, und funff der churfursten köntten den sechsten zu sich bereden, wann er auch schon nit wolte.“19
2.2 Erstes und zweites Ausschreiben des Mainzer Erzkanzlers
Nachdem alle Kurfürsten ihre Zustimmung zur Austragung einer Kollegialversammlung erteilt hatten, mussten noch Tagungsort und -termin festgelegt und ein entsprechendes Einladungsschreiben an die Kurfürsten aufgesetzt werden20.
Kurfürst Daniel von Mainz, dem als Reichserzkanzler die Einberufung des Kurfürstentags oblag, äußerte im Dezember 1574 gegenüber den kaiserlichen Kommissaren Bedenken, die Versammlung nach Frankfurt auszuschreiben, da dort die Pest herrsche und mit logistischen Problemen zu rechnen sei. Dennoch mochte er der Anregung der kaiserlichen Gesandten, die Nürnberg als Austragungsort vorschlugen, nicht folgen – nicht zuletzt, weil mit Protest des Pfälzer Kurfürsten zu rechnen war, falls man von dem in der Goldenen Bulle festgelegten Wahlort Frankfurt abwich21. Obwohl sich der gesundheitlich angeschlagene Kaiser die bequem auf dem Wasserweg zu erreichende Reichsstadt Regensburg als Versammlungsort wünschte22 und auch die Kurfürsten von Trier, Köln und Sachsen keine Bedenken gegen eine Verlegung äußerten, scheute sich der Erzkanzler, ohne die ausdrückliche Zustimmung seiner Kollegen den Austragungsort zu ändern, da man – sollten sich die Kurfürsten wie erwartet zur Wahl eines Nachfolgers entschließen –, den Vorgaben der Goldenen Bulle folgen und in Frankfurt wählen müsse. Er war daher entschlossen, den Kurfürstentag nach Frankfurt auszuschreiben, und bat Mitte März den Kaiser um seine Zustimmung. Die Versammlung, so fügte er hinzu, könne später nach Nürnberg verlegt werden, falls Maximilian II. die weitere Reise nicht auf sich nehmen könne oder die Seuche in Frankfurt anhalten sollte, wozu dann jedoch die Einwilligung insbesondere der rheinischen Kurfürsten einzuholen sei23. Da der Mainzer zunächst keine Antwort erhielt und er gemäß den Vorgaben der Goldenen Bulle die Einladung drei Monate vor Beginn des geplanten Kurfürstentags abzuschicken hatte, lud Kurfürst Daniel Mitte April 1575 seine Kollegen für den 29. Juli nach Frankfurt ein24. Die vorläufige Antwort Maximilians II., nämlich dass er vor seiner endgültigen Entscheidung die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg in Dresden treffen und mit ihnen über den Versammlungsort des Kurfürstentags beraten wolle, erreichte den Mainzer erst danach25. Als der Kaiser nach seiner Rückkehr aus Dresden Ende April26 von der bereits erfolgten Ausschreibung erfuhr, entschuldigte er sich bei Sachsen und Brandenburg, mit denen er Regensburg als Austragungsort vereinbart hatte und monierte, dass der Mainzer Erzkanzler das Ladungsschreiben „unerwartet unser entlichen erclerung von wegen des plaz der zusamenkonfft, deßgleichen auch unserer selbst schreiben, die wir an alle churfursten danebens zuthun und s.L. zuzuschicken uns erpotten“ abgeschickt habe, „zumall dieweil one das die zeit von wegen unserer behaimischen handlungen muste baß hinaus gerucket werden.“27 Der Empfehlung des Kurfürsten von Sachsen28 und dem Wunsch des Erzkanzlers folgend schickte Maximilian II. seinen Rat Dr. Johann Hegenmüller zu den rheinischen Kurfürsten, um ihre Einwilligung zur Verlegung nach Regensburg und zur Verschiebung des Termins einzuholen29. Gleichzeitig schrieben die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg an ihre rheinischen Kollegen, dass in Frankfurt „die abscheuliche kranckheit der pestilenz ein gutte zeit regiret, auch die sterblichen leuffte des orts noch nicht auffhören“ und dass sie beim Besuch des Kaisers in Dresden gesehen hätten, „das ihrer Mt. weit zureisen und sich ubrig zubewegen nicht alleine ungelegen, sondern auch gevehrlich sey“. Sie seien dafür, dem Wunsch des Kaisers um Verlegung der Versammlung nach Regensburg zu entsprechen, um ihm den „weiten, rauhen und bösen weg“ nach Frankfurt zu ersparen, zumal es dort „von wegen sterbens leufften nicht sicher und uns allen oder den unsern leichtlich ein fall begegnen möchte, so hernach nicht zuersetzen“. Sie äußerten daher die Bitte, der Verlegung nach Regensburg mittels eines entsprechenden zweiten Ausschreibens durch Kurmainz zuzustimmen30. Zu Pfingsten traf Hegenmüller bei Kurfürsten Daniel ein, der sich ausgiebig dafür entschuldigte, das erste Ausschreiben so früh abgeschickt zu haben31. Gemeinsam formulierten sie den Entwurf für ein auf den 20. Juni datiertes zweites Ausschreiben, in dem die Kurfürsten für den 16. September nach Regensburg eingeladen wurden32 und das der Mainzer Erzkanzler am 23. Mai zur Begutachtung an den Kaiser schickte33. Dieser hatte keine weiteren Einwände, äußerte aber den Wunsch, den Beginn der Versammlung auf den 26. September zu verlegen, „von wegen langsamen vortgangs unserer behaimischen handlung und danebens damit von dato des ausschreibens biß zu dem termin der zusamenkonfft weniger nitt als drey monat zeit seye“34. Nachdem Hegenmüller seine Mission zu den rheinischen Kurfürsten beendet und diese dem Kaiser und dem Mainzer Erzkanzler ihre Zustimmung zur Änderung des Tagungsorts mitgeteilt hatten35, konnte Kurfürst Daniel schließlich das zweite Ausschreiben abschicken. In seiner Einladung, die nicht wie zunächst geplant auf den 20., sondern auf den 24. Juni datiert ist, führt er aus, dass der Kaiser wegen seiner „täglich zunehmenden, auch augenscheinlich ereugennden leibsschwacheitt unnd unvormüglicheitt“ nicht in der Lage sei, die weite Reise nach Frankfurt „one sondere leybsgevar“ zu unternehmen. Da der Kaiser außerdem Angelegenheiten in Böhmen erledigen müsse, habe er seine Bitte erfüllt und die Zusammenkunft nach Regensburg verlegt und auf den 29. September vertagt, „des verhoffenns, e.L. irer selbst gethanen erclerung nach, demselbigen gehorsame volge mitt erscheinung irer selbst person laisten unnd was zu gemainer wolfartt erschießlich ires thails helffen zubedenncken, zuberhatschlagen unnd zu schliessen, nichts erwinden laßen werden“36.
2.3 Werbungen des Kaisers um die persönliche Teilnahme der Kurfürsten
Zur Unterstützung des Mainzer Einladungsschreibens und um einen reibungslosen Ablauf der Versammlung zu ermöglichen, verfasste Kaiser Maximilian II. Anfang Juni 1575 ein „Nebenersuchen“, in dem er die Kurfürsten um ihr persönliches und pünktliches Erscheinen bat37.
Die Kurfürsten von Köln, Pfalz, Sachsen und Brandenburg folgten dieser Aufforderung und sagten zu, die Versammlung persönlich besuchen zu wollen38. Lediglich Kurfürst Jakob von Trier ließ in seiner Antwort an den Kaiser vom 8. Juli offen, ob er angesichts seiner angegriffenen Gesundheit und des bei der winterlichen Witterung beschwerlichen Wegs sowie mit Rücksicht auf die hohen Kosten und die erwarteten Durchzüge französischer Truppen die Reise zum Kurfürstentag antreten würde. Erst nachdem der Kaiser ihn Ende Juli ermahnte, er möge bei seiner früheren Zusage bleiben und sich die von ihm angeführten Schwierigkeiten „nit schwerer als sie seindt einbilden“ und auch der von Maximilian eingeschaltete Mainzer Erzkanzler der kaiserlichen Aufforderung Nachdruck verlieh, sagte auch der Kurfürst von Trier am 9. August zu, die Reise nach Regensburg anzutreten39. Den Befürchtungen Kurtriers und der anderen rheinischen Kurfürsten, die sich wegen der Truppenwerbungen für den Krieg in Frankreich sorgten und ihr Territorium nur ungern verließen, begegnete Maximilian II. mit der Entsendung kaiserlicher Kommissare, die in Frankfurt gemeinsam mit mainzischen, pfälzischen und hessischen Räten „der an- unnd durchzüg vleissig warnemmen, dem kriegsvolck under augen rucken unnd mit hilff unnd zuethun der kraisöbristen dasselbig zulaistung der gepür unnd getrentem unschedlichem durchtzug anhalten sollen“40.
Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz, an dessen Erscheinen der kaiserliche Rat Hegenmüller und auch der Mainzer Erzkanzler Zweifel hegten41, erneuerte am 7. September seine Bereitschaft, persönlich an der geplanten Zusammenkunft teilzunehmen, fügte aber – wie bei seiner ersten Zusage vom Juni – einschränkend hinzu: falls „bemelte meine leibsungelegenheit nit böser würdt“42. Bereits einige Tage später überfiel ihn jedoch „ganz unversehenlich ein so hefftiger catarr“, dass er seine für den 16. September geplante Abreise zum Kurfürstentag absagen und seinen Sohn Pfalzgraf Ludwig als Vertreter nach Regensburg schicken musste43. Die Vermutung, dass seine Krankheit für Friedrich III. nur ein Vorwand gewesen sei, um auf der Kurfürstenversammlung nicht persönlich erscheinen zu müssen, findet in den kurpfälzischen Akten keine Bestätigung44.
Lange Zeit unsicher war auch die Teilnahme Kurfürst Johann Georgs von Brandenburg. Dieser wollte seine lebensbedrohlich erkrankte Frau Sabina nicht alleine lassen und bat Anfang September Kurfürst August von Sachsen um Rat, wie er mit der Situation umgehen solle. Dieser riet ihm davon ab, seinen Sohn als Vertreter nach Regensburg zu entsenden, und empfahl ihm, bevollmächtigte Räte nach Regensburg vorauszuschicken und dann selbst nach Möglichkeit so schnell wie möglich nachzukommen45. Johann Georg folgte dieser Empfehlung und benachrichtigte am 7. September den Kaiser, der ihn inständig darum bat, trotz der Krankheit seiner Frau nach Regensburg zu kommen46. Nachdem er seine Räte mit den entsprechenden Vollmachten und Instruktionen47 vorausgeschickt hatte, brach der Kurfürst von Brandenburg am 21. September nach Regensburg auf, wo er noch rechtzeitig vor der erneut verschobenen Eröffnung der Versammlung am Morgen des 5. Oktober eintraf.