Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Kurfürstentag zu Regensburg 1575 bearbeitet von Christiane Neerfeld
Auf dem Kurfürstentag, der zwischen dem 10. Oktober und dem 3. November 1575 in Regensburg stattfand, wurde Rudolf, der Sohn Kaiser Maximilians II., zum römisch-deutschen König gewählt und gekrönt. Die Reichsversammlung war durch die enge Kooperation der Kurfürsten von Mainz und Sachsen auf der einen und dem Kaiser auf der anderen Seite zustande gekommen und aus „eingefallenen erheblichen ursachen“ einberufen worden1. Obwohl die Wahl eines Nachfolgers im Ausschreiben nicht als Thema genannt ist, war den Zeitgenossen klar, dass es sich um einen Wahltag oder einen wählenden Kurfürstentag handelte2, und es war auch von Anfang an unstrittig, dass die Kurfürsten dem Wunsch des Kaisers entsprechen und seinen Sohn Rudolf wählen würden. Als Vorbild für den Ablauf des Kurfürstentags diente in vielerlei Hinsicht die Wahl Maximilians II. 1562, denn immer wieder ist in den Quellen die Empfehlung zu lesen, „dz man den proceß wie zu Franckfurt geschehen continuire“3. Die knapp vierwöchige Zusammenkunft in Regensburg war dabei mehr als eine reine Wahlversammlung, denn nach den Debatten über die Wahlkapitulation, bei der es um konfessionspolitische Zugeständnisse ging, berieten die Kurfürsten auch über aktuelle reichspolitische Themen mit innen- und außenpolitischer Bedeutung.
Der Kurfürstenrat trat zum ersten Mal am 10. Oktober zusammen. Im Anschluss an die Vereidigung der kurfürstlichen Gesandten wurde die Vollmacht Kurfürst Friedrichs III. von der Pfalz für seinen Sohn Pfalzgraf Ludwig und seine beigeordneten Räte verlesen und nach kurzer Diskussion angenommen4. Am folgenden Tag trug der Reichssekretär Andreas Erstenberger die kaiserliche Proposition5 vor, in der Maximilian II. um die Wahl eines Nachfolgers bat. Die Kurfürsten willigten ein, Beratungen in dieser Frage aufzunehmen6, und einigten sich in ihrer Sitzung am 12. Oktober7 darauf, dass sie dem Kaiser „wie breuchlich“ für seine bisherigen Verdienste danken und ihn bitten wollten, seine Regierung fortzusetzen. In der Diskussion zum Hauptpunkt der Proposition, also der Frage, ob auf dem Kurfürstentag ein Nachfolger gewählt werden sollte oder nicht, wurde argumentiert, dass eine Wahl vivente imperatore, für die es viele positive Vorbilder gebe, in der Goldenen Bulle zwar nicht explizit vorgesehen, aber auch nicht verboten sei, und man ihre „Substanz“ bedenken müsse, nämlich, dass sie dazu gedacht sei, Frieden und Ruhe im Reich zu sichern8. Nach dem Austausch der Pro- und Contraargumente äußerte die Mehrheit die Ansicht, dass es angesichts der gesundheitlichen Situation des Kaisers, der Kriege im Westen und der Bedrohung des Reichs durch die Türken gut sei, zum jetzigen Zeitpunkt eine Wahl durchzuführen und dadurch ein Interregnum zu verhindern. Dieser Auffassung musste sich auch Kurpfalz anschließen9, wies jedoch darauf hin, dass die Wahl eines Nachfolgers allein nicht ausreiche und man sich auch um die Befriedung der Religionskriege in den Niederlanden und in Frankreich kümmern müsse, wenn man Einigkeit und Frieden im Reich erhalten wollte. Der Beschluss, die Wahl vorzunehmen, machte den Kurfürstentag in Regensburg offiziell zu einem Wahltag10 und wurde dem Kaiser kurz darauf mündlich mitgeteilt. Die pfälzischen Einwände konnten dies nicht verhindern, kamen aber am nächsten Tag noch einmal zur Sprache11. Dabei stimmte die Mehrheit der Kurfürsten überein, dass die negativen Auswirkungen der Kriege im Westen erheblich seien und etwas dagegen unternommen werden müsse, jedoch begnügten sie sich mit der unverbindlichen Feststellung, dass diese Angelegenheit jederzeit beim Kaiser vorgebracht werden könne und die Wahlverhandlungen deswegen nicht aufgehalten werden sollten. Auf die pfälzische Argumentation, dass die religiös motivierten Kriege im Westen nur durch einen Religionsfrieden beendet werden könnten, für den sich Kaiser und Kurfürsten bei den Königen von Spanien und Frankreich einsetzen müssten, wurde nicht näher eingegangen. Der pfälzische Plan, vor den Wahltagsverhandlungen zunächst über Reichsangelegenheiten zu sprechen, war damit fehlgeschlagen.
Da Kaiser Maximilian II. wie erwartet bei seiner Bitte blieb, einen Nachfolger zu wählen12, begannen am Nachmittag des 14. Oktober die Beratungen der dazu bestimmten kurfürstlichen Räte über die Wahlkapitulation des künftigen Thronfolgers13. Nach Verlesung der als Muster dienenden Wahlkapitulation von 1562 hatten die kurfürstlichen Räte die Gelegenheit, Änderungsvorschläge vorzutragen. Die von Trier vorgebrachten Wünsche zu Detailfragen im Zollwesen, bei der Reichsacht und im Münzwesen wurden kaum diskutiert und nach kurzer Zeit aufgegeben, da die Mehrheit der Kurfürsten die bestehenden Regelungen für ausreichend erachtete.
Als konfliktreicher erwiesen sich hingegen die Forderungen der Kurpfalz, welche in insgesamt sechs Punkten Veränderungen verlangte, die vor allem konfessionspolitisch von Bedeutung waren, aber auch auf die Einschränkung der kaiserlichen Macht abzielten: 1. Das Schutzversprechen des Kaisers für die Kirche sollte allgemeiner formuliert und der Heilige Stuhl aus dem entsprechenden Artikel gestrichen werden. 2. Die Declaratio Ferdinandea von 1555 sollte in der Wahlkapitulation bestätigt und vom Reichskammergericht anerkannt werden; außerdem sollte die Freistellung der Religion durchgesetzt, das heißt der Geistliche Vorbehalt aufgehoben werden. 3. Die Kurfürsten sollten von der Jurisdiktion des Hofgerichts in Rottweil ausgenommen werden. 4. Dem neuen König sollte ein Reichsregiment aus kurfürstlichen Räten zur Seite gestellt werden. 5. Die bisher an den Papst gezahlten Annaten sollten für den Krieg gegen die Türken verwendet werden. 6. Schließlich sollte es dem Kaiser verboten werden, bei künftigen römischen Königswahlen anwesend zu sein.
Da Kursachsen und Kurbrandenburg die meisten dieser Vorschläge nicht oder nur halbherzig unterstützten und im Kurfürstenrat nicht lange darüber diskutiert wurde, blieb die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea in der Wahlkapitulation schließlich die einzige Forderung, die von allen drei protestantischen Kurfürsten unterstützt wurde. In der Sitzung vom 15. Oktober14 argumentierten sie, dass die kaiserliche Erklärung, die den landsässigen Ritterschaften und Städten in den geistlichen Fürstentümern freie Religionsausübung zusicherte, sofern sie schon vor 1555 protestantisch waren, als Teil des Religionsfriedens zu betrachten sei, und warnten: „Do nu izo die declaration solte außgeschlossen oder nichtig sein, wurde es im Reich grosse zerruttung geben“15. Die katholischen Kurfürsten gaben vor, von der Declaratio Ferdinandea erst vor kurzem erfahren zu haben und bezweifelten, dass dieses Dokument mit Zustimmung der geistlichen Stände entstanden sei. Nachdem Sachsen und Brandenburg erläutern konnten, wie diese kaiserliche Erklärung kurz vor Abschluss des Augsburger Reichstags 1555 zustande gekommen war, zogen sich die geistlichen Kurfürsten darauf zurück, dass sie den anderen betroffenen Ständen nicht vorgreifen dürften – eine im Grunde widersprüchliche Argumentation, da es ja zu den Vorrechten der Kurfürsten gehörte, die Wahlkapitulation zu verändern. Obwohl Kurfürst August von Sachsen am Ende der Sitzung die Echtheit des Dokuments durch Vorlage eines in seiner Kanzlei verwahrten Originals bestätigen konnte, beharrten die geistlichen Kurfürsten in der nächsten Beratungsrunde am 18. Oktober16 auf ihrer Position. Sie wichen nicht davon ab, dass eine Angelegenheit von so großer Bedeutung auf einem Reichstag diskutiert werden müsse, damit alle betroffenen Stände ihre Meinung dazu äußern könnten, und plädierten dafür, die Wahl nicht länger zu verzögern und es bei der 1562 formulierten Wahlkapitulation zu belassen, bei deren Beratung die ihnen bis dato nicht bekannte Declaratio schließlich auch keine Rolle gespielt habe. Das Gegenargument, dass sich die Situation seit 1562 verändert habe und dass es die Aufgabe der Kurfürsten sei, die Wahlkapitulation den aktuellen Erfordernissen anzupassen, ließen sie nicht gelten.
Nachdem erneut keine Einigung erzielt werden konnte, wurde in der dritten Umfrage darüber diskutiert, ob der Kaiser um seine Vermittlung in dieser Angelegenheit gebeten werden sollte. Trier, Köln und Mainz hielten dies für einen Verstoß gegen die Präeminenz der Kurfürsten, da die Formulierung der Wahlkapitulation allein ihre Sache sei, doch konnten sie nicht verhindern, dass sich Pfalz, Sachsen und Brandenburg dazu entschlossen, dem Kaiser Bericht zu erstatten17. Kurfürst August informierte daraufhin den Kaiser über den ergebnislosen Verlauf der Verhandlungen zur Wahlkapitulation und kündigte die vorzeitige Abreise der weltlichen Kurfürsten an, falls die geistlichen an ihrer Position festhalten sollten. Er bat Maximilian, er möge „selbst mit einrathen helffenn“, wobei er betonte, dass er und seine Kollegen auf der Gültigkeit der kaiserlichen Erklärung von 1555 zu bestehen gedachten, „Goth gebe, die andern hupfen auff oder nider“18. Am Vormittag des 19. Oktober erschienen Kursachsen, Kurbrandenburg und Kurpfalz beim Kaiser19, der die Declaratio Ferdinandea jedoch weder in der Wahlkapitulation erwähnen noch ihren Inhalt bestätigen wollte und vorschlug, die Angelegenheit auf den nächsten Reichstag zu vertagen. Nach erneutem Drängen der weltlichen Kurfürsten und des Pfalzgrafen auf eine kaiserliche Entscheidung versprach Maximilian II., noch einmal mit den geistlichen Kurfürsten zu reden. Das Gespräch am Nachmittag des 19. Oktober verlief offenbar ergebnislos, da Kurfürst Jakob von Trier aus gesundheitlichen Gründen nicht zu dem Treffen erschien und sich sein Mainzer und sein Kölner Kollege ohne Rücksprache mit ihm nicht äußern wollten20. Zwei Tage später ließ der Kaiser den protestantischen Kurfürsten eine Erklärung21 zustellen, deren Formulierung die geistlichen offenbar mitbestimmt hatten und der zufolge die Angelegenheit zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden sollte. Die weltlichen Kurfürsten und Pfalzgraf Ludwig akzeptieren diese nicht, da ihnen der Kaiser in ihrer letzten Unterredung vorgeschlagen hatte, den Streit um die Declaratio Ferdinandea auf den kommenden Reichstag zu vertagen und nicht auf unbestimmte Zeit „biß zu anderer gelegenheit“.
Dass der Wahltag dennoch nicht scheiterte, geht auf die Initiative Augusts von Sachsen zurück, der sich das Argument des Kaisers zu eigen machte, dass die „in einen beschwerlichen aufzugk“ geratene Wahl eines römischen Königs durch diesen Streit nicht weiter verzögert werden dürfe und Gefahr für das Reich abgewendet werden müsse22. Wahrscheinlich gelang es ihm noch am Abend des 21. Oktober, seine Kollegen davon zu überzeugen, dass es angesichts der Lage ratsam sei, auf die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea in der Wahlkapitulation zu verzichten. Anschließend begab er sich zum Kaiser, um ihm im Namen aller mitzuteilen, dass sie der Vertagung der Streitfrage auf den kommenden Reichstag zustimmten, jedoch darauf bestanden, dass diese Angelegenheit dort vorrangig behandelt würde und vor allem dass ihr Einlenken nicht als Präjudiz für die künftigen Verhandlungen zu betrachten sei. Sollte es auf dem nächsten Reichstag keine Zusagen in Religionsfragen geben, wollten die Protestanten die vom Kaiser gewünschte Reichshilfe gegen die Türken nicht bewilligen23. Der Weg war damit frei für eine reibungslose Fortsetzung des Wahltags24. Am 22. Oktober25 verständigten sich die Kurfürsten über Formalitäten wie die Eidesleistung des Regensburger Stadtrats und den kaiserlichen Revers betreffend die Anwesenheit anderer Fürsten und Gesandtschaften während der Wahl26, und noch am selben Abend wurde den Kurfürsten das Kurmainzer Einladungsschreiben für die Wahl27 zugestellt. Die Wahlkapitulation28, die nach langer Diskussion nun doch in der Fassung von 1562 blieb29, wurde Rudolf am 24. Oktober zur Durchsicht überreicht30 und am darauffolgenden Tag von diesem angenommen.
Am 27. Oktober schließlich fand die Wahl Rudolfs II. zum römischen König und Nachfolger des noch lebenden Kaisers Maximilian II. im Regensburger Dom statt31. Bei den Feierlichkeiten scheint es keine besonderen Vorkommnisse gegeben zu haben, denn, so berichtete ein Beobachter am Ende des Tages: „Sonsten, inn dieser grossen menge des volckhs, so jetz alhie versamblet, ist es Gott lob biß daher gantz stiell gewesen und sich khein ainiger rumor oder mißfahll, daran etwas gelegen, begeben.“32 Als Termin für die anschließende Krönung war zunächst der 30. Oktober vorgesehen33, doch da sich die Ankunft der für das Zeremoniell benötigten Reichskleinodien verzögerte, wurde sie um zwei Tage auf den 1. November verschoben34. Der päpstliche Nuntius Dolfin und der spanische Gesandte Monteagudo meldeten zufrieden nach Rom und Madrid, dass die Zeremonie – entgegen ihren Befürchtungen – nicht von der üblichen Form abwich, das Abendmahl nach römischem Ritus vollzogen wurde und die öffentliche Kommunion des Neuerwählten stattfand, die Maximilian bei seiner Krönung 1562 umgangen hatte35. Dies nährte die Hoffnung, dass der künftige Kaiser Rudolf „katholischer“ sei als sein Vater Maximilian36. Der Tradition entsprechend sandte Rudolf sogleich nach der Krönung seinen Oberststallmeister Claudio Trivulzio nach Rom, um Papst Gregor XIII. seine Wahl und Krönung anzuzeigen und ihm die Abordnung einer Obedienzgesandtschaft anzukündigen37. Diese wurde jedoch erst anderthalb Jahre nach der Wahl, im Frühjahr 1577, abgefertigt, nachdem der Papst die Gesandtschaft mehrfach angemahnt und Rudolf nach dem Tod seines Vaters im Oktober 1576 die kaiserliche Regierung übernommen hatte38.
Die protestantischen Kurfürsten konnten in den Beratungen über die Wahlkapitulation ihre Forderungen nicht durchsetzen. Auch der Vorstoß der protestantischen Grafen, die um die materielle Grundlage der gräflichen Häuser fürchteten und in Regensburg ihre Freistellungsforderung von 1566 erneuerten, blieb ohne Erfolg. Ihre Supplikation an die weltlichen Kurfürsten, in der sie darum baten, protestantischen Kandidaten den Zugang zu geistlichen Pfründen zu ermöglichen39, wurde mit einer Interzessionsschrift der protestantischen Kurfürsten40 unterstützt, jedoch vom Kaiser nicht beantwortet41. Mit derselben Interzessionsschrift übermittelten die weltlichen Kurfürsten dem Kaiser die an sie gelangten protestantischen Beschwerden über die Verletzung des Religionsfriedens. Zu nennen sind hier vor allem die von gegenreformatorischen Maßnahmen bedrängten Protestanten in Fulda und auf dem Eichsfeld, die mit ihrem Hilfegesuch an Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel die Diskussion um die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea überhaupt erst ins Rollen gebracht hatten42. Zwischen dem 26. und dem 29. Oktober wurden ihre Supplikationen und die anderer protestantischer Stände und Untertanen von kurfürstlichen Räten der Kurpfalz, Sachsens und Brandenburgs erörtert. Man einigte sich schließlich darauf, dass sich die weltlichen Kurfürsten beim Kaiser mündlich für die Belange der Protestanten einsetzen sollten, wozu es kurz vor Ende der Versammlung dann wahrscheinlich nicht mehr gekommen ist. Ihr Interzessionsschreiben enthielt neben dem Verweis auf die als Beilagen beigefügten Supplikationen lediglich den an Kaiser Maximilian II. gerichteten Appell, eine Verschlimmerung der Konflikte zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Protestanten wenigstens bis zur Klärung der Streitfragen auf dem bevorstehenden Reichstag nicht in ihrer Religionsausübung behindert würden.
Nachdem sich die Kurfürsten über den Text der Wahlkapitulation verständigt hatten, beschäftigten sie sich mit einigen reichspolitischen Themen, zu denen ihnen der Kaiser am 24. Oktober mehrere Schriften43 vorlegte und um ihre Gutachten bat. Die ersten beiden Beratungspunkte wurden bereits am Vormittag des 25. Oktober erledigt44, da sich die Kurfürsten schnell darauf einigten, die vom Kaiser gewünschte und mit der Türkengefahr begründete Einberufung eines Reichstags zu bewilligen45. Die entsprechende Resolution46, in der Ort und Termin ins Ermessen des Kaisers gesetzt wurden und die Kurfürsten ihre Unterstützung versprachen, wurde am 26. Oktober ohne Umfrage beschlossen47. Am 1. November präsentierte der Sekretär Andreas Erstenberger die Resolution Kaiser Maximilians II.48, für den 8. oder 12. Februar 1576 einen Reichstag nach Augsburg einzuberufen.
Im persönlichen Gespräch und ohne Abstimmung im Rat verständigten sich die Kurfürsten noch am 25. Oktober darauf, dem Wunsch des Kaisers zu entsprechen und eine Gesandtschaft zum polnischen Wahltag abzuordnen, um dem Haus Habsburg die Sukzession im Königreich Polen-Litauen zu sichern49. Graf Wolfgang von Ysenburg-Büdingen und Hartmann von Kronberg, zu deren Reisekosten jeder Kurfürst 500 Taler beitrug, sollten in Warschau die Kandidatur Erzherzog Ernsts für den polnischen Thron unterstützen50. Zwei Tage später, am Nachmittag des 27. Oktober51, berieten die kurfürstlichen Räte über den Wortlaut der Rede52, die die Gesandten am 15. November vor den polnischen Ständen halten sollten. Mitte Dezember 1575 kam es in Polen zu einer Doppelwahl, bei der sich eine Gruppe nicht für Erzherzog Ernst, sondern für Kaiser Maximilian II. entschied, während eine vorwiegend aus Vertretern des niederen Adels bestehende Gegenpartei Stephan Báthory von Siebenbürgen wählte, der sofort nach Polen reiste und sich die polnische Krone schließlich sichern konnte53.
Die Beratung über die dritte kaiserliche Proposition, die im Wesentlichen den Titelstreit im Herzogtum Toskana zum Inhalt hatte54, fand am Nachmittag des 25. Oktober statt55. Dabei einigten sich die kurfürstlichen Räte darauf, der Vorgehensweise des Kaisers zuzustimmen56, der sich bereit erklärte, den Großherzogstitel Francesco de' Medicis anzuerkennen und damit einen jahrelangen Streit mit dem Papst zu beenden. Dieser hatte damit begonnen, dass Papst Pius V. 1569 Cosimo I. de' Medici und seine Nachfahren zu Großherzögen von Toskana erhoben und damit nach kaiserlicher Auffassung die Rechte des Reichs verletzt hatte, zu dessen Lehnsverband Florenz gehörte. Dass der seit Jahren andauernde Konflikt nun eine Lösung fand, war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Herzog Alfonso von Ferrara, den Maximilian II. im Präzedenzstreit mit Florenz lange Zeit unterstützt hatte, beim Kaiser in Ungnade fiel, da er sich für den polnischen Thron bewarb und damit als Konkurrent zu Erzherzog Ernst auftrat. Mit der Entscheidung Maximilians II. konnte Francesco de' Medici den Großherzogstitel, den sein Vater vom Papst erhalten hatte, behalten, und zwar ohne zunächst förmlich darauf verzichten zu müssen. Und auch Papst Gregor XIII. konnte zufrieden sein, da er die Bulle von 1569 nicht zurücknehmen musste, was Maximilian II. lange Zeit gefordert hatte. Der Kaiser schließlich konnte durch die Verleihung des Großherzogtitels erreichen, dass die lange Zeit in Frage gestellte Lehnshoheit des Reichs über Florenz in aller Form anerkannt wurde57. Dass Francesco de' Medici sich im Sommer 1575 bereit erklärte, dem Kaiser ein für den Kampf gegen die Türken dringend benötigtes Darlehen zu gewähren und dass einer seiner Sekretäre 70.000 Dukaten nach Regensburg brachte, dürfte die Entscheidung des Kaisers befördert haben58. Die beiden anderen, in der dritten kaiserlichen Proposition angesprochenen Punkte betreffen den Konflikt, der im Frühjahr 1575 zwischen den Vertretern des alten und des neuen Adels in Genua ausgebrochen war, und zu dessen Beilegung der Kaiser Kommissare entsandt hatte, sowie die Vermittlungsbemühungen Maximilians am spanischen Hof betreffend den Aufstand in den Niederlanden. Die Kurfürsten nahmen in diesen beiden Angelegenheiten den Bericht Maximilians II. zur Kenntnis, gaben jedoch keine besondere Stellungnahme ab und beließen es dabei, dem Kaiser für seine friedensstiftenden Maßnahmen zu danken.
Nach der Verlesung des kaiserlichen Vortrags zur Gesandtschaft nach Moskau59 am 26. Oktober, wurde im Kurfürstenrat ein Thema diskutiert60, das das Reich bereits seit einigen Jahren beschäftigte und mit seinem Rechtsanspruch auf die Oberhoheit in Livland zusammenhängt. Im Herbst 1570 war im Frieden von Stettin, der den Nordischen Siebenjährigen Krieg beendet hatte, der Rechtsanspruch des Reichs bestätigt worden61. Voraussetzung dafür war jedoch, dass das Reich Kriegsentschädigung an Schweden zahlte und Livland gegen Angriffe des Zaren schützte, der mit dem Einfall in das Bistum Dorpat 1558 den Livländischen Krieg ausgelöst hatte. Da das Reich die finanziellen Mittel für die Verteidigung dieser Gebiete nicht aufbrachte, wurde seit 1570 auf mehreren Reichsversammlungen über eine Reichsgesandtschaft diskutiert, die den Zaren dazu bewegen sollte, die Angriffe auf Livland einzustellen62. Als russische Truppen im Sommer 1575 Pernau besetzten und immer größere Gebiete an der Ostseeküste eroberten, wurden die livländischen Hilfegesuche63 an das Reich lauter und so gelangte das Projekt einer Gesandtschaft nach Moskau erneut auf die Agenda64. Der Kurfürstenrat beschloss, die seit langem bewilligte Gesandtschaft nicht länger hinauszuzögern, zumal sich zu diesem Zeitpunkt bereits die kaiserlichen Gesandten Johann Kobenzl und Daniel Prinz als „vorschickung“ auf dem Weg zum Zaren befanden, um diesem eine Gesandtschaft des Reichs anzukündigen. Über die Verhandlungsziele dieser Gesandtschaft, deren Leitung Herzog Barnim X. von Pommern in Vertretung seines Bruders Herzog Johann Friedrich übernehmen sollte, berieten die kurfürstlichen Räte in ihrer Sitzung vom 2. November, an der auf Anregung Sachsens auch kaiserliche Räte teilnahmen. Der Beschluss lautete, dass Kurmainz die Rückkehr der kaiserlichen Gesandten aus Russland abwarten und auf der Grundlage ihres Berichts die Instruktion für die Reichsgesandtschaft formulieren sollte. Darin sollte es um eine Beendigung des Kriegs in Livland und um Handelserleichterungen gehen, aber auch um die Sondierung eines möglichen Bündnisses mit dem Zaren, über das auf dem für das Jahr 1576 geplanten Reichstag beraten werden sollte65. Da die Kurfürsten die nach wie vor umstrittenen Kosten der Gesandtschaft nicht tragen wollten, sollten die notwendigen Gelder von den interessierten wendischen Städten ganz oder teilweise übernommen werden oder, falls dies nicht erreicht werden könnte, wenigstens vorgestreckt werden. Da sich die Städte weigerten, scheiterte die Ausführung erneut, so dass die schon so lange geplante Gesandtschaft nach Moskau erneut auf dem Reichstag in Regensburg 1576 zum Thema wurde. Dort bewilligten die Reichsstände schließlich einen halben Römermonat für die Kosten, doch lehnte Herzog Barnim von Pommern die Leitung ab, so dass die Gesandtschaft nicht zustande kam66.
Im Anschluss an die Verhandlungen zu den vier kaiserlichen Einzelanträgen fanden im Kurfürstenrat die Beratungen zu den vom kaiserlichen Rat Viehauser mündlich vorgetragenen Anzeigen und zu den von der Mainzer Kanzlei vorgelegten Supplikationen statt. Am Vormittag des 29. Oktober67 berieten die Kurfürsten unter Ausschluss der kurpfälzischen Gesandtschaft über den geplanten Kriegszug des Pfalzgrafen Johann Casimir nach Frankreich. Dabei stimmten sie dem Kaiser zu, dass diese Unternehmung verhindert werden müsse, da sie eine Bedrohung für das Reich darstellte. In ihrem Beschluss68 verwiesen sie auf die Gefahr, dass die französischen Kriegshandlungen durch die Provokationen des Pfälzers auf das Reich übergreifen könnten und empfahlen Abmahnungsschreiben an Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz und seinen Sohn Johann Casimir69. Hinsichtlich des Aussöhnungsgesuchs des geächteten Ernst von Mandesloe, zu dem Kaiser Maximilian II. ein kurfürstliches Gutachten wünschte, fand keine intensive Diskussion statt70. Nach kurzer informeller Beratung am 31. Oktober einigten sich die Kurfürsten darauf, die Angelegenheit an den kommenden Reichstag zu verweisen71.
Die von der Kurmainzer Kanzlei als geschäftsführendem Organ vorgelegten Supplikationen wurden zwischen dem 28. Oktober und dem 3. November in den Sitzungen der kurfürstlichen Räte behandelt72. Die Mehrzahl der Bittgesuche steht in Zusammenhang mit dem spanisch-niederländischen Konflikt und betrifft Behinderungen des Handels sowie die Klagen einiger Adliger wegen rechtswidriger Konfiskation ihrer Güter73. Da diese Fälle ebenso wie die Bitte Lübecks um Einhaltung des Stettiner Friedens74 als Angelegenheiten mit weitreichender außenpolitischer Bedeutung betrachtet wurden, haben die Kurfürsten diese Bittgesuche an den Kaiser verwiesen. Die vom Prinzen von Condé gewünschte Genehmigung von Truppenwerbungen im Reich wurde ausweichend beantwortet75. Weitere Themengebiete der Supplikationen waren Münz- und Zollangelegenheiten76, Erbschaftsstreitigkeiten77, Restitutionsforderungen78 sowie ausstehende Geldrückzahlungen79.
In neueren Überblicksdarstellungen findet der Regensburger Kurfürstentag von 1575 meist nur eine kurze Erwähnung80, die sich auf die reibungslose Wahl Rudolfs II. zum römischen König und den ergebnislosen Streit um die Anerkennung der Declaratio Ferdinandea beschränkt. Diesem knappen Fazit ist nicht anzusehen, dass es im Verlauf des Kurfürstentags zu langen Diskussionen um die Echtheit der kaiserlichen Erklärung von 1555 und ihre Bestätigung in der Wahlkapitulation kam und dass die Verhandlungen nur deshalb nicht scheiterten, weil durch die Kompromissbereitschaft des Kurfürsten von Sachsen die Pattsituation zwischen den katholischen und den protestantischen Kurfürsten aufgehoben wurde. Der von Letzteren um Vermittlung angerufene Kaiser wollte in diesem Streit nicht eindeutig Stellung beziehen, um die Wahl seines Sohnes nicht zu gefährden. Schließlich gelang es ihm, im persönlichen Kontakt mit dem konzessionsbereiten Kurfürsten August von Sachsen die Situation aufzulösen und die Verhandlungen über die Frage der Rechtsgültigkeit der Declaratio Ferdinandea auf den nächsten Reichstag zu vertagen. Während Kurmainz, Kurtrier und Kurköln bei ihrer unnachgiebigen Haltung blieben, wichen die protestantischen Kurfürsten unter dem Einfluss Kursachsens schließlich der Auseinandersetzung aus und stimmten zu, die Wahlkapitulation für Rudolf nicht zu verändern. Am Ende gaben sie sich mit der vagen Zusage zufrieden, dass die Anerkennung der Declaratio Ferdinandea auf dem kommenden Reichstag behandelt würde, dessen baldiger Einberufung die Kurfürsten am 26. Oktober 1575 ihre Zustimmung erteilten.
Die wesentliche protestantische Forderung nach Abstellung der Religionsbeschwerden wurde somit nicht erfüllt und auf den Reichstag 1576 verschoben. Der Kaiser hingegen konnte sein wichtigstes Ziel erreichen und die Nachfolge im Reich für seinen Sohn Rudolf sichern. Daran konnten auch die kurpfälzischen Vertreter nichts ändern, denn diese waren – nicht zuletzt wegen des Streits zwischen dem reformierten Friedrich III. von der Pfalz und dem Lutheraner August von Sachsen – von Beginn an im protestantischen Lager isoliert und konnten ihre politischen und konfessionellen Forderungen nicht durchsetzen. Bezeichnend ist der resignierte Kommentar der pfälzischen Räte, die nach ihrer Rückkehr in Heidelberg erläuterten, „dz die glocken gossen gwesen ehe dan man zusamen khomen. Und ob sie wol die sach gern uffgehalten, sei es doch nicht fur rahtsam angesehen, damit Pfalz nicht darfur geachtet, als ob sie allein turbator weren.“81
Nach kontroversen Debatten über konfessionspolitische Zugeständnisse überwog beim Regensburger Kurfürstentag 1575 am Ende das Bestreben der Kurfürsten, ein Interregnum zu verhindern und die bestehende Friedensordnung aufrechtzuerhalten. Die Abwehr möglicher Gefahren für die innere und äußere Stabilität im Reich erschien wichtiger als konfessionelle Erwägungen.