Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Kurfürstentag zu Regensburg 1575 bearbeitet von Christiane Neerfeld
Während die kaiserliche Familie sich noch auf dem Weg zum Kurfürstentag befand, trafen in Regensburg die ersten Teilnehmer ein28. Die vorausgeschickten Kurbrandenburger Gesandten berichteten am 30. September ihrem Kurfürsten, dass sie am 26. in der Stadt angekommen seien: „Unnd habenn alhier niemandt mehr gefunden dan allein denn bischoff vonn Saltzburg etc. unnd die churfurstlichenn sechssischenn gesandten. Aber nach unser ankunfft ist Cölln deßelben tages auch anher kommen. Unnd des andern tages, als denn 27., der hertzog von Beyern mit seinn frawen zimmer zu schiff one alles geprenge. Vonn Meintz wegen ist nach niemandts hie dann alleine die jenigenn, die zu erbawung unnd anrichtung der losamenter verordnett. Vonn denn keyserischenn seint ettliche abgeordnete alhier, die den churfurstenn unnd ertzbischoff vonn Cölln entpfangenn.“29
Maximilian II. zog am 3. Oktober in Begleitung seiner Frau Maria, seines Sohnes Rudolf, des frisch gekrönten böhmischen Königs, sowie weiterer Söhne und Töchter in Regensburg ein. In seinem Bericht nach Rom schrieb der päpstliche Nuntius über den prächtigen Einzug des Kaisers: „L'entrata fu molto bella, così per l'ordine che i germani tengono nel cavalcare, come per le molte collane d'oro et ricchi habiti loro. Il numero di cavalli non passò 2 mila.“30 Zwei Tage später, früh morgens, „ehe es ihre Mt. oder jhemandts anders von den anwesenden chur- und fursten inne worden“31, erschien Kurfürst Johann Georg von Brandenburg in der Stadt. Am selben Tag zogen der Kaiser, der Erzbischof von Köln und der Herzog von Bayern dem Kurfürsten von Mainz entgegen, der am Nachmittag in die Stadt einritt. Am 7. Oktober trafen zuerst der Erzbischof von Trier, bei dessen Einzug es zu Streitigkeiten kam32, dann Pfalzgraf Ludwig mit seiner Frau, „on sonders gepräng und gleyd mit 150 Pferden“33, spät am Abend schließlich, als letzter der Hauptteilnehmer, Kurfürst August von Sachsen mit seiner Familie ein. Sein Weg nach Regensburg ist besonders gut dokumentiert, da er auf seiner Reise einen Wagenwegmesser einsetzte, der sowohl die zurückgelegte Strecke als auch die mittels eines Schiffskompasses ermittelte Veränderung der Wegrichtung mechanisch aufzeichnete. Anhand der gemessenen Strecken und Winkel wurde nach dem Ende der Reise eine rund 13,5 Meter lange Routenrolle angefertigt, auf der Ortschaften, Flüsse und andere markante Punkte eingezeichnet sind. Aus den Angaben geht hervor, dass der Kurfürst die Gesamtstrecke von rund 370 Kilometern mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 30 Kilometern am Tag zurücklegte34. Seine Route führte von Mühlberg an der Elbe über Dresden, Augustusburg, Annaburg, Sankt Joachimsthal, Schlaggenwald, Plan, Haid, Taus, Furth im Wald, Kötzting und Straubing bis nach Regensburg35.
Der päpstliche Nuntius berichtet, dass das Gefolge des Kaisers beim Einzug aus nicht mehr als 2000 Pferden bestanden habe. Wie groß der Anhang der Kurfürsten inklusive der Hofbediensteten und Kanzleibeamten, der sie begleitenden Fürsten, Grafen und Herren sowie des Gesindes gewesen sein mag, ist schwer abzuschätzen, da die überlieferten Furierlisten unterschiedliche Zahlen zu den mitreisenden Personen, Reit- und Kutschpferden nennen und mit den Angaben von Augenzeugen oft nicht übereinstimmen. Wahrscheinlich war das Gefolge des Kurfürsten von Brandenburg mit mehr als 500 Pferden am größten, gefolgt von Kursachsen und Kurpfalz mit jeweils 450 bis 500 Pferden und Kurköln mit ca. 430 Pferden. Für Kurmainz und Kurtrier werden Zahlen zwischen 250 und 300 genannt36.
Es ist auffällig, dass alle weltlichen Kurfürsten darauf verzichteten, vom Kaiser und den bereits anwesenden Kurfürsten in der üblichen Weise empfangen zu werden, und es vorzogen,unvermerkt in der Stadt anzukommen. In den Quellen wird die Vermutung geäußert, dass sie dies „vermeidung willen unrhue unnd pumps [= Pomps]“ taten oder weil sie „nicht gewolt, daß die ksl.Mt. inen entgegen ziehen sollen“37, wobei jedoch offenbleibt, ob dies aus Rücksicht auf die angeschlagene Gesundheit des Kaisers oder aus politischen Gründen geschah.
Wie bei der letzten Wahl 156238 ergingen auch diesmal Einladungen des Kaisers an einige wichtige Reichsfürsten. Während Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, Markgraf Karl II. von Baden-Durlach, Herzog Ludwig von Württemberg sowie Erzherzog Ferdinand II. aus unterschiedlichen Gründen absagten, kündigten der Erzbischof von Salzburg, Herzog Albrecht V. von Bayern und Pfalzgraf Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg ihr Kommen an39. Neben ihnen erschienen außerdem in Regensburg: Pfalzgraf Georg Johann I. von Pfalz-Veldenz, Herzog Barnim X. von Pommern, Markgraf Philipp II. von Baden-Baden, der Jungherzog Joachim Friedrich von Liegnitz-Brieg sowie die Pfalzgrafen Ottheinrich von Pfalz-Sulzbach und Friedrich von Pfalz-Zweibrücken40.
Auf Einladung Maximilians II. kamen auch auswärtige Gesandte zum Kurfürstentag nach Regensburg. Zu nennen sind hier in erster Linie der päpstliche Nuntius Giovanni Dolfin41, der venezianische Gesandte Vincenzo Tron42 sowie der spanische Botschafter am Kaiserhof Francisco Hurtado de Mendoza, Graf von Monteagudo, der den Kurfürsten die Wahl des in Spanien erzogenen Erzherzogs Rudolf empfehlen sollte43. Die Republik Genua war mit dem Agenten am Kaiserhof, Giorgio Giorgi, und mit dem Gesandten der Nobili vecchi, Domenico Grimaldi, vertreten, der jedoch erst am 1. November in Regensburg eintraf44. Für Ferrara waren Paolo Carandini und Dr. Renato Cato anwesend45. François d'Amours, sieur de La Galaizière, und François Bouchard kamen als Gesandte des Hugenottenführers Prinz Henri I. von Bourbon-Condé in die Stadt, um die Kurfürsten um militärische und diplomatische Unterstützung für die französischen Protestanten zu bitten46. Eine kaiserliche Einladung erging auch an den Leiter der Augsburger Handelsgesellschaft Marx Fugger, der sich jedoch entschuldigte und seinen Bruder Hans nach Regensburg schickte, um dort mit Vertretern des Kaisers und des bayerischen Herzogs Albrecht über die Beilegung eines innerhalb der Familienhandelsgesellschaft entstandenen Konflikts zu verhandeln47.
Neben Kaiser, Kurfürsten und Fürsten mit ihrem zahlreichen Gefolge, auswärtigen Beobachtern, Hofbeamten und Bittstellern kamen auch viele Kaufleute, Handwerker und Schaulustige in die Stadt, die im Zuge der Wahl- und Krönungsfeierlichkeiten zum Schauplatz feierlicher Umzüge und glanzvoller Feste wurde und zugleich Gelegenheit zu Informations- und Wissensaustausch bot48. Angesichts des immer wieder verschobenen Termins, der herbstlichen Witterung und nicht zuletzt wegen der Pest war der Andrang jedoch wahrscheinlich nicht so groß wie bei der letzten Herrschererhebung 1562 in der zentraler gelegenen Reichsstadt Frankfurt49.
Aus gesundheitlichen Gründen konnte Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz als einziger nicht persönlich an der Regensburger Versammlung teilnehmen. Sein Sohn und Vertreter Pfalzgraf Ludwig begab sich am Tag nach seiner Ankunft sogleich zu Kaiser Maximilian II., um sich für die krankheitsbedingte Abwesenheit seines Vaters zu entschuldigen und um den Kredenzbrief des Kurfürsten sowie einen Auszug aus der pfälzischen Instruktion zu übergeben50. Der Kurpfälzer Großhofmeister Sayn-Wittgenstein berichtet in seinem Diarium, dass der Kaiser und auch die Kurfürsten, bei denen der Pfalzgraf am 9. Oktober vorsprach51, die Entschuldigung Ludwigs mit Wohlwollen entgegengenommen hätten. Allein Kurfürst August von Sachsen, der die Krankheit des Pfälzers für vorgeschoben hielt, sei „ihme in die Rede gefallen, und gesagt, er wolls ihrer L., aber sonst keinem glauben“52. Die Unfreundlichkeit, mit der der sächsische Kurfürst den Kurprinzen empfing, war Ausdruck seiner Verärgerung über das Verhalten Kurfürst Friedrichs, den er dafür verantwortlich machte, dass Prinz Wilhelm I. von Oranien seine Frau Anna von Sachsen, die Nichte Kurfürst Augusts, verstoßen und im Juli 1575 die am Hof Friedrichs III. lebende Charlotte von Bourbon-Montpensier geheiratet hatte53. Der sächsische Kurfürst, der erst im Nachhinein von dieser Hochzeit unterrichtet worden war, fühlte sich in seiner Ehre verletzt und vermutete nun auch hinter der 1570 geschlossenen Verbindung seiner Tochter Elisabeth mit Pfalzgraf Johann Casimir unredliche Absichten des Pfälzers. In seinem Gespräch mit Pfalzgraf Ludwig kritisierte August überdies, dass Friedrich mit seiner Unterstützung für die französischen Hugenotten und die aufständischen Niederländer nicht nur den Kaiser, sondern auch die Könige von Frankreich und Spanien gegen sich aufbringe. Außerdem, so der letzte Punkt, wollte er den Kurpfälzer Kanzler Ehem nicht zu den Beratungen zulassen54. Pfalzgraf Ludwig informierte seinen Vater ausführlich über diese Vorwürfe55 und versuchte, die pfälzische Politik gegenüber Sachsen zu rechtfertigen, doch konnte er August, für den der Streit möglicherweise ein willkommener Anlass war, um sich vom Pfälzer zu distanzieren, letztlich nicht besänftigen56. Die schon vor Beginn des Kurfürstentags offensichtlichen privaten Spannungen zwischen der reformierten Pfalz und dem lutherischen Sachsen dürften auf den Verlauf der Beratungen, bei denen dann auch die unterschiedlichen politischen Ansichten deutlich zutage traten, einen nicht unwesentlichen Einfluss gehabt haben. Die Chancen für eine gemeinsame Linie der protestantischen Kurfürsten standen nach diesem unfreundlichen Auftakt jedenfalls nicht gut.