Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer

Mgf. Ernst von Baden und die Wetterauer Grafen wollten sich nicht von einer Religionspartei vereinnahmen lassen und lehnten die Teilnahme ihrer Reichstagsgesandten an Beratungen in konfessionell getrennten Räten ab. Sie sahen sich als Vermittler zwischen den Religionsparteien, bezeichneten sich selbst als „neutral“ und praktizierten eine Politik des Offenlassens und Abwartens1.

Der Vertreter Mgf. Ernsts von Baden, Dr. Johann Marquardt, schilderte eindrücklich die entscheidenden Sitzungen des Reichsrates zwischen 20. und 30. März 1543, als die altgläubigen Reichsstände vorherige Beratungen zu Friede und Recht endgültig ablehnten und die Verhandlungen über die Türkenhilfe ohne die Evangelischen in Angriff nahmen (Nr. 377–379).

Auch der Gesandte der Wetterauer Grafen, Lic. Gregor von Nallingen, berichtete über die mehrfach gescheiterten Versuche zur Überwindung der konfessionellen Spaltung, über die Konflikte in den Reichsratssitzungen und über die Bemühungen der Altgläubigen, die konfessionsneutralen Reichsstände auf ihre Seite zu ziehen (Nr. 373–376, Nr. 380). Seinen wiederholten Bitten um Instruktion, wie er sich bei Fortdauer des Konflikts zwischen Alt- und Neugläubigen verhalten solle, kamen die Wetterauer Grafen am 7. April 1543 nach (Nr. 381), indem sie Nallingen zur Teilnahme an den Beratungen der Altgläubigen und zur Bewilligung der Türkenhilfe unter bestimmten Bedingungen aufforderten und ihm das vorzeitige Verlassen des Reichstags untersagten. Schließlich stimmte Nallingen dem Reichsabschied auf Hintersichbringen zu, zweifelte allerdings an der Effektivität der beschlossenen Türkenhilfe wegen der Blockade durch die Protestanten (Nr. 382).

Nr. 373 Lic. Gregor von Nallingen an Heinrich Steindecker, den Sekretär der Wetterauer Grafen – Nürnberg, 1543 Febr. 16

Nr. 374 Lic. Gregor von Nallingen an Heinrich Steindecker, den Sekretär der Wetterauer Grafen – Nürnberg, 1543 Febr. 24

Nr. 375 Lic. Gregor von Nallingen an Heinrich Steindecker, den Sekretär der Wetterauer Grafen – Nürnberg, 1543 März 5

Nr. 376 Lic. Gregor von Nallingen an Heinrich Steindecker, den Sekretär der Wetterauer Grafen – Nürnberg, 1543 März 13

Nr. 377 Dr. Johann Marquardt an Mgf. Ernst von Baden – Nürnberg, 1543 März 20

Nr. 378 Dr. Johann Marquardt an Mgf. Ernst von Baden – Nürnberg, 1543 uff den Ostermontag (März 26)

Nr. 379 Dr. Johann Marquardt an Mgf. Ernst von Baden – Nürnberg, 1543 März 30

Nr. 380 Lic. Gregor von Nallingen an die in Mainz versammelten Wetterauer Grafen und die Rheingrafen – Nürnberg, 1543 März 30

Nr. 381 Weisung der Wetterauer Grafen und ihrer Gesandten am Grafentag an Lic. Gregor von Nallingen – Mainz, 1543 sampstags nach Quasimodogeniti (April 7)

Nr. 382 Lic. Gregor von Nallingen an Heinrich Steindecker, den Sekretär der Wetterauer Grafen – Nürnberg, 1543 April 26

Anmerkungen

1
Zu den Grundzügen der Politik konfessionsneutraler Reichsstände siehe: A. P. Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik (1530–1552) (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg) hier bes. S. 93–249. E. Wolgast, Die Einführung der Reformation, passim.
1
Die Wetterauer Grafen bemühten sich, die Religionsfrage beiseite zu schieben und in Hinblick auf die Durchsetzung ihrer korporativen Interessen die konfessionellen Probleme nicht zum Thema ihrer Versammlungen oder ihrer Reichstagspolitik zu machen. Obwohl sich die Mehrheit der Mitglieder des Wetterauer Grafenvereins mit fortschreitender Reformation der evangelischen Lehre zugehörig fühlte, fanden sie einen modus vivendi, um mit den am alten Glauben festhaltenden Grafen gemeinsam zu agieren. Nallingen wurde angewiesen, sich für eine Beteiligung aller Reichsstände an der Türkenhilfe einzusetzen und keinesfalls vorzeitig den RT zu verlassen, wie es die Evangelischen angedroht hatten, sondern den Reichsrat auf jeden Fall zu besuchen. Siehe: G. Schmidt, Der Wetterauer Grafenverein, hier S. 228–231.
2
Heinrich Steindecker ließ Nallingen am 25. Febr. 1543 im Auftrag der hanauischen Grafen wissen, dass er nicht in den Reichsrat gehen solle, so lange die Spaltung unter den Reichsständen bestehe. In: Marburg StA, Hanau 81 A, Nr. 181½ 2, fol. 201r–202r (Konz.).
3
Es herrschte ständige Angst vor einem Ausbruch der Pest in Nürnberg.
a
AB om., aus C. erg.
1
Von den Gesandten des in Höchst tagenden Wetterauer Grafentages erhielt Gregor von Nallingen auf seine Bitte um Instruktion folgende Weisung, Höchst, 1543 dinstags nach Judica (März 13): [...] Nachdem sich die sachen und handlungen in zweitracht ziehen und wir derhalben aller unser gnedigen herrn gemuet nit wissen mögen, euch, mit besten fugen und gelimpf ir immer kondet, aller sachen und rats biß uf unser gnedigen herrn ferner schreiben und bescheidt zu entschlagen und keinem teil oder parthey anhengig zu machen. Und ob sichs zutragen, das etlich stende verreitten und ir von den bleibenden angesprochen, euch in rath mit einzulassen, euch alsdan, mit vermeldung, das[ir] des zugetragen zweispalts halben euern gnedigen herrn geschrieben und antwort und bescheidts wartet, wheret, mit dieser schrift zu entschuldigen und ufzuhalten. In: Darmstadt StA, D 21 A, Konv. 15, Fasz. 2, unfol. (Kop.).
1
D.h. die altgläubigen Stände.
2
Dr. Melchior von Ossa.
3
Die Weisung der Wetterauer Grafen an Gregor von Nallingen betr. sein weiteres Verhalten in Nürnberg erging erst am Grafentag in Mainz am 7. April 1543: Nr. 381.
4
D.h. an den Reichsratssitzungen nicht teilnehmen.
5
Landschreiber Konrad Junge. Nach seiner vorzeitigen Abreise fungierte Dr. Werner Koch als Stellvertreter des Bf. von Speyer.
6
Johann Braun von Weimar.
7
Siehe den Befehl der Gesandten der oberrheinischen Kreisstände an die Kreiseinnehmer wegen Bezahlung der Reiter: Nr. 122.
1
Dr. Hans Jakob Varnbüler, Gesandter der baden-badischen Vormundschaftsregierung.
1
Mgf. Ernst von Baden an Dr. Marquardt, Pforzheim, 1543 März 20, in: Karlsruhe GLA, 50/59, Nr. 19, unfol. (Konz.).
2
Ältester Sohn des Mgf. Ernst von Baden aus dessen erster Ehe; Albrecht starb auf der Rückreise vom Türkenzug am 12. Dez. 1542 in Wasserburg am Inn.
1
Dr. Matthias Rast.
1
In einem Schreiben an Heinrich Steindecker, das ebenfalls vom 30. März 1543 stammt, beklagte sich Lic. Gregor von Nallingen noch bitterer über den unerfreulichen Verlauf des RT und die hohen Kosten des Aufenthalts in Nürnberg: [...] Und hapt mich warlich in ain unruwigen, ungeschlachten reychßtag, alß khainer gewest, wie ich von andern hör, dweyl die welt gestanden, gesteckt. Got vergeb euchs und helf mir mit fugen daruß. Und bedeucht mich warlich onnot, auch vergeblich sein, wo die augspurgischs confessionverwanten stende abritten, das meine hern verner costen litten und mich hie ligen liessen, auß ursach im nebenschreyben [siehe oben] gemelt, dan man unß auch weidlich schindt. Ich hab euch nechst geschriben, das ich nit mer gelt habe, daruber ir mir wider erbern beschaidt geben. Es ist aber ain sollich wuchergrub; wo ainer aim leyhen soll, vermaint er, wucher oder – wie sies nennen – interesse davon zu haben. Also das ich von meim wiert ain fl. oder 20 entlehenet, damit und zerung halb ain fl. 40 schuldig bin. Muß ain woch 15 oder 16 fl., auch minder oder mer haben, und speysen unß wie die hundt. Gedenckh, ich werdts noch woll erdarben mussen. [...]. In: Marburg StA, Hanau 81 A, Nr. 207/3 II, unfol. (Ausf.).
2
Im Sinne von: attackieren, angreifen.
3
Am 6. April 1543 berichtete Nallingen an Heinrich Steindecker, dass wegen der Differenzen zwischen Alt- und Neugläubigen ein abruptes Ende des RT jederzeit möglich sei: [...] Zum andern sten die sachen des reychstags heuttigs tags noch in der irrung, wie ich nechst nachainander meinen gnedigen hern und euch zugeschriben, das ich khain tag waiß, wie lang wir beyainander pleyben. Und farn die catholici fur, des wollen sich die protestirenden nit einlaßen. So halt ich mich biß uff vernern beschaidt alß ain neutralis. Wan gemaine stende durchauß, alß neben der hauptsach etwan in sondern fellen beschicht, zusamenkhomen, so bin ich auch zu rat. Sonst gesonderts radts enthalt ich mich und kondt euch noch unsers außrichtens nicht verstendigen, dan wir in sollicher irr durchainander, dergleichen nit erhört, und jeder des endts begert. Hör nieman, der lang hie zu sein ainich freudt hat. Got waist, wies endt nemen wurdt. Ich wölt, das mir frölich potschaft von euch kheme, das mir anhaim zu reytten erlaupt wurdt. Wir stehen in handlung, die gulchische kriegssachen zu fertigen. Ich sorg aber, wie michs ansicht, es wurdt nicht[s] darauß. Waß sie danider mitainander gehandelt und wollicher thail das feldt behalten, wist ir sonder zweyvel auch woll. [...] In: Marburg StA, Hanau 81 A 1/2 2, fol. 208r–209v, hier fol. 208v (Ausf.).
1
Im Schreiben der Wetterauer Grafen an Nallingen vom 13. März 1543 lautete die Weisung noch etwas anders, nämlich dass der Gesandte zwar nicht aus Nürnberg abreisen, die Teilnahme an den Ratssitzungen jedoch vermeiden solle: siehe Nr. 374, Anm. 1.
1
Heinrich Steindecker teilte Nallingen am 16. Mai 1543 mit, dass er in Vorbereitung für die Zusammenkunft des Oberrheinischen Kreises für den 24. Mai einen Wetterauer und oberrheinischen Grafentag nach Frankfurt ausgeschrieben habe, um Nallingens Relation vom RT, den Nürnberger RAb (Nr. 404) und den oberrheinischen Kreisabschied (Nr. 415) abzuhören, sich daruff notturftig zu bedenkcen und zu beratschlagen, auch – in betrachtung, [dass] allen iren Gnn. an der sachen gelegen und der reichsabschid uff hindersichbringen angenomen – in eigner person zu erscheinen. [...]. In: Marburg StA, Hanau 81 A 1/2 2, fol. 217rv, hier fol. 217r (Konz.).