Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer

Die Hoffnungen der Protestanten1, dass der König auf die ihm vorgetragenen Bitten (Nr. 151) in der Proposition eingehen werde, erfüllten sich in keiner Weise. König Ferdinand widmete sich ausschließlich dem Thema der Türkenhilfe und berührte die offenen Fragen zu Religion, Friede und Recht überhaupt nicht. Er ersuchte die Reichsstände, mit der Zahlung der in Speyer 1542 bewilligten beharrlichen Türkenhilfe fortzufahren und, da „das vergangen jar vast die halb hilf zu roß und fueß abgangen, auch die hilf an ir selbst uber das halb jar nit gelaist worden, das demnach sy, die stende, in bedengkhung desselben die continuation der turggenhilf auf diss jar umb so vil mer ansechlicher und statlicher in das werckh richten“ (Nr. 43). Die Kreiseinnehmer, die er für 12. Februar zum Erscheinen in Nürnberg aufgefordert hatte (Nr. 26), sollten ihre Abrechnungen vorlegen und den finanziellen Ausgleich unter den Reichskreisen durchführen. Ferdinand erklärte sich bereit, die Bestallung und Finanzierung des von den Reichsständen bewilligten Winterlagers der Truppen in Ungarn (Nr. 134) einstweilen zu übernehmen und sich mit seinen Erblanden an der Türkenhilfe zu beteiligen. Angesichts des für Frühjahr erwarteten Vorrückens des Sultans nach Ungarn beschloss er die Proposition mit einem Appell an die Hilfsbereitschaft der Reichsstände.

Der völlig anders gelagerte Schwerpunkt kaiserlicher Politik kam in der lateinischen Rede Granvelles vor den Reichsständen am 5. Februar 1543 (Nr. 197) zum Ausdruck. Ähnlich wie der Kaiser in den Briefen an seinen Bruder Ferdinand erklärte und entschuldigte der kaiserliche Minister das fehlende Engagement seines Herrn bei der kontinentalen Türkenabwehr damit, dass Karl V. durch das Parieren der Angriffe des französischen Königs, der mit dem Sultan und dem klevischen Herzog im Bunde stehe, okkupiert sei. Er legte den Reichsständen die Unterstützung des Hauses Habsburg im Krieg gegen Frankreich und Kleve als vordringlich ans Herz, da diese indirekt auch der Türkenabwehr diene. Seine Rede im Namen des Kaisers hatte keine Erfolgsaussichten bei den Reichsfürsten, die sich nicht zu Gunsten habsburgischer Machtvergrößerung gegen ihren Standesgenossen, den Herzog von Jülich, wenden wollten. Die Reichsstädte ihrerseits befürchteten von militärischer Hilfe gegen Frankreich eine Schädigung ihrer Handelsinteressen. Die Protestanten waren an einer Stärkung des Kaisers nicht interessiert, sie wollten im Gegenteil die habsburgische Bedrängnis an allen Fronten für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu Friede und Recht nutzen2. Der Machtpolitiker Granvelle war sich dieser schwierigen Situation durchaus bewusst und wollte durch die Reaktion der Reichsstände auf seine Werbung Aufschluss über vorhandene Parteiungen und die im Reich vorherrschende Stimmung erhalten.

Anmerkungen

1
Die in der modernen Forschung neutral verwendete Bezeichnung „alt- und neugläubig“ zur Unterscheidung zwischen altkirchlichen und evangelischen (protestierenden) Reichsständen wurde bereits im Rahmen der konfessionellen Auseinandersetzung des 16. Jhdts. verwendet, allerdings entsprach dieser seit den frühen 20er Jahren auftauchende Begriff nicht der Selbstwahrnehmung der Evangelischen und wurde von ihnen nicht gebraucht, während „altgläubig“ von den Anhängern der altkirchlichen Lehre als ehrenvoller Titel empfunden wurde. Die von den Protestanten verwendeten Begriffe „Augsburger Konfessionsverwandte“ und „Stände der alten Religion“, auch als „andere Stände“ bezeichnet, während sie sich selbst „diese Stände“ nannten, etablierten sich seit Beginn der 40er Jahre des 16. Jhdts. Der Oberbegriff „Augsburger Konfessionsverwandte“ schloss dabei alle evangelischen Stände ein, also auch jene, die sich der Reformation zugewandt hatten, ohne gegen den Augsburger Reichsabschied von 1530 protestiert zu haben oder dem Schmalkaldischen Bund beigetreten zu sein. Diese Terminologie erfüllte für das Selbstverständnis der Religionsparteien und für ihre Kommunikation untereinander eine wichtige Funktion, wobei die Unterscheidung von Fremd- und Selbstbezeichnung grundlegend ist. Die Schwierigkeit der Übertragung der aus den Quellentexten übernommenen, unterschiedlich konnotierten Begriffe in die Terminologie moderner Forschung ist ein stets präsentes Problem bei der Edition der Reichstagsakten. Siehe dazu die grundlegenden Ausführungen von B. Jörgensen, Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen. Zur Terminologie der Religionsparteien im 16. Jahrhundert, hier S. 11–14, S. 244. Jörgensen unterzog sich u.a. der verdienstvollen Aufgabe, die bisher erschienenen Bände der Reichstagsakten Jüngere Reihe an Hand von Schlagwortforschung und klassischer Begriffsgeschichte zu analysieren (vor allem in Kap. 5 und 6, S. 169–314), was interessante Einblicke in die Mechanismen politischer Kommunikation erlaubt. Siehe auch die Rezensionen zu Jörgensen von H. Ziegler, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 11(15.11.2014), und von A. Beutel, in: Theologische Literaturzeitung, Jahrgang 140 (April 2015), Nr. 4, Spalte 406–407.
2
P. Heidrich, Karl V. und die deutschen Protestanten, Teil 1, S. 118.