Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

2. HA (Türkenhilfe): Strittige Beratungsaufnahme zur konkreten Bewilligung vor einer Erklärung des Kgs. zum Beitrag auswärtiger Potentaten, zur eigenen finanziellen Beteiligung und zur Anregung von Waffenstillstandsverhandlungen.

/455/ (Vormittaga ) Kurfürstenrat. Mainzer Kanzler proponiert: 2. HA (Türkenhilfe).

1. Umfrage. Trier: Da Kg. sich noch nicht zur Hilfe anderer Potentaten erklärt hat, were zubedencken, obe stendt sich allain in diß werck einlassen solten. Hielten demnach ratsam, das zuforderst ein anstandt bei dem turcken zu suchen. In mittelst man konte andere auch in hilff pringen. Da aber der anstandt nit zuerhalten, alßdan erachten sie, das konig nit zu verlassen, b–und das das Reich sich defensive oder offensive het /456/ einzulassen und die grenitzen und flecken mit kriegß volck zu besetzen–b. Welchs sie nit darumb meldeten, das ir her nit zur hilff geneigt, sonder sein kfl. Gn. urpietig, sich wie andere zuhalten.

Köln: Wolte man des anstandts halben bei kgl. Mt. anlangens thun, solt inen auch nit zuwider seinc. Da man aber auf die hilff sich ercleren wolte, solten sie auch gehort werden.

Pfalz: Ir her het geacht, das die hilff zu laisten, jedoch das sie dermassen angestelt, domit sie erschießlich. Darzu dienstlich, das man wuste eigentlich, wes extere potestates thun welle. Ideo were zuvorderst der kgl. Mt. zurathen, bevor sie wiß, was der potestaten will, das sie sich allain sambt dem Reich nit gegen ime einlasse. Des anstandts halben: Dweil die kgl. /457/ Mt. hievor mit dem jungen weivoda in vertrags handlung gestanden und derselbig des konigs von Polen schwester sone1, were konig zurathen, das er sich mit dem weivoda christlich vertruge. Wurde darauß erfolgen, das Polen sich mit in die hilff begebe. Zudeme es zu dem gantzen werck dienstlich, ausserthalb, das die ding ausser wegs, so die expedition verhindern mogten. Ires hern gemut der hilff halben zu ercleren, were inen nit befolhen. Schleust demnach, das bede stuck bei konig nochmals zu suchen, zuvorderst aber, das man wisse, wes konig sambt andern potentaten vermoge, uff das es, Reich, nit vergeblichen sein hilff thu und nit so baldtd hinein platze.

Sachsen: Weren hievor gehort, das an irem hern der hilff halben kein mangel sein soll. Und nachdem /458/ kgl. Mt. sich der potentaten halben erclert, ob es bei solcher erclerung wenden zu lassen: Konten die fernere erraigen wol dißmolß verpleiben, biß man sich verglichen, wes Reich thun well. Zu deme so hette man in letzer relation erpieten gethan, das man in mittelst furgehen wolle, wes fur hilff irer Mt. zu laisten. Da man von solchem erpieten yetzt fallen, wurde das ansehen haben, alß gedechte man nichst zuthun. Derwegen uff die hilff in der beratschlagung furzugehen. Des anstandts halben: Were konig offt gehort, das ire Mt. solchen anstandt gesucht, aber nit erlangen mogen, noch auch zu verhoffen. Derwegen solch bedencken unfruchtbarlich. So hette auch in vorigen anstenden der turck meher vortheils erlangt, und weren ime zu gutem komen2. Wen man nun solchs fallen liesse, obe alßdan defensive oder offensive hilff zu laisten, /459/ wolten sie sich ires bedenckens auch horen lassen. Schliessen, das der fernerer declaration halben konig nit zu bemuhen, sonder dem erpieten nach auf die hilff, wes und wie die zu laisten, furzugehen.

Brandenburg: Dweil sich konig der potentaten halben erclert etc., so weren sie der meinung wie Sachssen, das derwegen yetziger zeit nichst weiters zu suchen, biß man sich sonst der hilff entschlossen. Anstandts halben auch wie Sachssen, dan sie den zu erlangen nit verhoffen; und da diß konig furpracht, wurde es ire Mt. zu ungnaden bewegen. Und nachdem man hievor aller seitz der mainung gewesen, das konig hilff zu laisten, so were daruf, wie sie zethun, fürzugehen. Das per Pfaltz erregt, zuzesehen, domit die hilff erschießlich, der mainung were ir her auch: Also das nit /460/ allein die acht monat der doppel romzugk zu laisten3, sonder daruf zu gedencken, wie ein beharliche hilff moge gelaistet werden, und das solche hilff gelaistet werde mit gelt und nit mit volck, in ansehung der großen unrichtigkaiten, so hievor darauß erfolgt, da man folck geschickt. Zu deme dardurch viel dem Reich erspart werden mochte, dan da gelt, konte man kriegß folgk bekomen. e–Mochte bei konig zu erlernen sein, wie sie die sachen gedechten anzustellen–e. Und wiewol sie fürsorg trugen, konig wurde bedencken tragen, sich gegen furstenrathe darumb vernemen zulassen, so mochte es doch per churfursten ad partem gesucht werden.

Mainz: /460 f./ Wünscht aufgrund der divergierenden Voten weitere Umfrage.

/461/ 2. Umfrage. Trier: Befürworten nochmals die Nachfrage wegen der Erklärung der auswärtigen Potentaten und ebenso die Empfehlung des Waffenstillstands, nit darumb, das einzustellen mit der beratschlagung der hilff, sonder den anstandt der kgl. Mt. allein für ein bedencken anzutragen. Und auf den fal, da die potentaten sich ye nit erclerten und der anstandt nit zu treffen, das mit in solchem bedencken mit zumelden, das man /462/ gedechte, ire Mt. nit zu verlassen. Auf den fall dan secunda consultatio were, obe man defensive vel offensive helffen welle. Darunther ire meinung defensive. Was von dem weyvoda geret, mochte auch bedenckens weis angehenckt werden dem anstandt.

Köln: Wie in 1. Umfrage. Zur Anregung des Waffenstillstands wie Sachsen. Dweil sie dan befelch, das kgl. Mt. hilff zu laisten, so wolten sie sich daruf einlassen. Obe man wolte alßdan erclerung der kgl. Mt. ersuchen ad partem, wie per Brandenburg, solte inen nit zuwider sein.

/463/ Pfalz: Beharren auf dem vorherigen Votum insbesondere bezüglich des Waffenstillstands. Aber mochten auch leiden, das solche bedencken nit also ploß konig fürzupringen, sonder irer Mt. auch etwas trost mit zethun. Von solcher hilff man unverpundtlichen reden mochte, dweil one das die sachen alle unverpuntlich gehandelt werden von wegen unerledigter freistellung.

Sachsen: Der potentaten halben erclerung etc.: Dieselb einzustellen und doch hernachmals nit zu umbgehen, wen man der hilff verglichen sein wurdet. /464/ Anstant: Weil turck im anzugk und vortheil, were vergeblich zu suchen. 2) Weren die anstendt nie nutzlich dem Reich gewesen. 3) Erachten, das mit eim gemeinen feindt der christenhait nit friden zu machen. Derhalb erachten sie nochmals, das von der hilff zureden, gleich defensive oder offensive, doch das die defension statlichen angestelt werde. Konten auch geschehen lassen, wen man der ding einig, das alßdan bei konig gesucht wurde das vermogen. Weivoda stelten sie zum anstandt.

Brandenburg: Ut supra. Des anstandts halben wie Sachssen. Es solt inen auch nit zuwider sein, domit desto statlicher zur beratschlagung zu komen, ad partem zu suchen, wes konig laisten konne.

Mainz: Vermercken trierische und pfaltzische /465/ vast voriger meinung, doch mit eim anhang etc. Da sich dan andern auch mit Trier und Pfaltz der erclerungf halben vergleichen wolten, solte inen nit zuwider sein; deßgleichen, wes ire Mt. für hilff laisten mochten.

3. Umfrage. Trier: Keine Nachfrage wegen des kgl. Vermögens, dan sonst zu befharen, man wurde es alßpaldt zu Constantinopl auch wissen etc. Da sie aber ye zu suchen, alßdan per ein ausschuß auß den churfursten, domit die sachen nit erpraitert.

Köln: Der declaration halben, wo die nutzlich sein solte, were sie zu suchen, wie per Brandenburg, hoc est per churfursten abgesondert.

Pfalz: Anstandts halben ut supra, das der zuversuchen, der ursachen, uff das potentaten und Reich sambtlich sich in mittelst /466/ gefast zumachen. Und nachdem der ursprung diesses kriegß vom alten weivoda4 herrurete, solte ire Mt. zupitten sein, friden mitt deme5 zu machen, uff das Polen alß vetter ursach neme, auch hilff zu laisten. Der declaration halben kgl. vermogens: Dweil nit heimblich sein soll, wes stendt laisten wellen, were pillig, das man auch wisse, wes konig thun welle. Ideo die zu suchen. Wolte man alßdan dabeneben erpietens thun auf die conditionen, wofer sich andere mit einlassen und hilff erschießlich, das man sich auch der gepur erzaigen welle, solt inen nit zuwider sein. Pleiben also voriges bedenckens.

Sachsen: Forderung der Erklärung des Kgs. ist noch zu frühe und dem beschehenen erpieten zuwider. Tragen auch fursorg, ob schon churfursten solchs allein theten, wurde /467/ nit zuerhalten sein. Zudeme das es nit preuchlich herkomen, churfursten solchs allain gesucht. Das es auch bedenckens weiß anzuzeigen, were gleicher gestalt nit ratsam. Anstandts halben ut supra, aber mocht mit eingemischt werden. g–Weivoda, domit nit der last auf konig gelangt, were zuumbgehen–g. Dan auch wissentlich, das hievor ein vertrag gemacht, aber weivoda nit gehalten6. Erpieten sich zur consultation der hilff.

Brandenburg: Weren noch der meinung, das zu tractieren von einer beharlichen hilff. Anstandt und weivoda wie Sachssen, dan wissentlich, wie der weivoda halte, nachdem er sein vortheil ersicht. Da nun gleich diß alles konig anzupringen: Aber nachdem kuntbar, wie turck im anzugk, wurde dennochst jamerlich sein, /468/ das man inen liesse furziehen und erwarte, biß er da were. Weivoda were nit die ursach diß kriegs, sonder das turck sein fuß gern in Teutschlandt setzen wolt. Dweil sie dan ires bedenckens gehort, trugen sie kein scheuch, das die opiniones konig furpracht.

Mainz: Der declaration halben, wofer die ye geschehen solte, das sie nit per churfursten allein zu suchen, sonder in gemein, und wofer andere auch der mainung sein welten, solte es inen [nicht] zuwider sein. Deßgleichen konten sie auch geschehen lassen, das man des anstandts halben erregung thu. Weivoda betreffendt, achten sie zuumbgehen.

Vertagung bis morgen, da Pfalz, Sachsen und Brandenburg zusammen mit den anderen CA-Ständen Audienz beim Kg. habenh.

Anmerkungen

a
 Vormittag] Kursachsen (fol. 234) differenzierter: 7 Uhr.
b–
 und ... besetzen] Kurpfalz (fol. 374) eindeutig und differenzierter: Es ist zu entscheiden, ob man defensive oder offensive Hilfe bewilligt. Da man sich nun defensive einlaßen, wirdt sich ir her von andern nit absondern. Achten ratsam, die festungen und grentzen versehen, damit man sich dest bas beschutzen mag, bis man sich eines statlichen verglichen, wie ein offensif hilff zelaisten.
c
 sein] Kursachsen (fol. 234’) zusätzlich: wiewol sie achten, es wurde ein seltzam ansehen bei irer Mt. haben.
1
 Bezugnahme auf die Verhandlungen Kg. Ferdinands I. mit Kgn. Isabella, der Schwester Kg. Sigismunds II. August von Polen, und deren unmündigem Sohn, Johann Sigismund Szapolyai, dem angesprochenen Wojwoden: Nachdem Isabella Siebenbürgen im Vertrag von Weißenburg 1551 (vgl. unten, Anm. 6) Ferdinand I. gegen eine territoriale Entschädigung in Schlesien und Geldzahlungen überlassen hatte, kam es beim Vertragsvollzug zu erheblichen Differenzen (vgl. Huber, Verhandlungen, 5–19), die den Kg. seit 1553 veranlassten, eine nochmalige Verzichtserklärung Isabellas für sich und ihren Sohn zu erreichen. Da die Kgn. im Mai 1554 neuerlich die unzureichende Entschädigung beklagte und mit dem Sultan in Kontakt trat, wandte sich Ferdinand im Sommer 1554 und im Januar 1555 an Kg. Sigismund II. August (Gesandtschaften Erasmus Heidenreich), um über ihn Isabella mit erhöhten Entschädigungszusagen von der Rückkehr nach Siebenbürgen abzuhalten. Sigismund August veranlasste seine Schwester weder zur Annahme des Angebots noch unterband er ihre Kontakte nach Siebenbürgen und zum Sultan. Wegen der zunehmend schlechteren Position Ferdinands im Lauf des Jahres 1555 (Rückendeckung des Sultans für die Szapolyai) ließ er Sigismund August die Gefahren verdeutlichen, die mit der Rückkehr der Szapolyai auch für Polen aufgrund der türkischen Festsetzung in Siebenbürgen verbunden waren (Weisung an Heidenreich vom 4. 5. 1555: HHStA Wien, Polonica 8 Konv. 1, fol. 115–117. Konz.). Im November 1555 erläuterte Ferdinand dem polnischen Kg. diese Gefahren nochmals und bat ihn um seine Vermittlung, die er auch dem Sultan mitteilen sollte (Schreiben vom 12. 11. 1555: Ebd., Konv. 2, fol. 164–166’. Kop.). Sigismund August verweigerte die Mitwirkung, Isabella ging auf die Angebote Ferdinands nicht mehr ein und betrieb weiterhin die Rekuperation Siebensbürgens für ihren Sohn mit Hilfe des Sultans. Nachdem Siebenbürgen faktisch verloren war (vgl. Anm.13 bei Nr. 1), versuchte Ferdinand im Sommer 1556, über Kg. Sigismund August zumindest Ansprüche der Szapolyai auf Orte in Restungarn abzuwehren und Polen enger in die Türkenabwehr einzubinden (Gesandtschaft des Johann von Wylak). Auch dies konnte er nicht durchsetzen, da Isabella weiterhin auf die Unterstützung des Sultans baute und Johann Sigismund eine Intervention scheute ( Huber, Verhandlungen, 22–38; Schwerpunkt auf den Verhandlungen mit Polen:  Laubach, Ferdinand I., 631–637. Akten und Korrespondenzen in HHStA Wien, Polonica 8 Konv. 1–3 passim).
d
 nit so baldt] Kursachsen (fol. 235) deutlicher: nicht blindt.
2
 Vgl. zu den letzten Verhandlungen des Kgs. mit dem Sultan und den Übergriffen während des Waffenstillstands: Anm.1922, 3638 bei Nr. 1.
3
 = die Forderung des Kgs. in der Proposition.
e–
 Mochte ... anzustellen] Kursachsen (fol. 236’) differenzierter: Anforderung einer Erklärung des Kgs. gemäß Votum Pfalz, wes ire Mt. vor ire person, konigreich und lande etc. zuthun.
f
 erclerung] Kursachsen (fol. 238’) deutlicher: Erklärung des Kgs. zum Beitrag auswärtiger Potentaten.
4
 Johann I. Szapolyai (1487–1540), Wojwode von Siebenbürgen und (gewählter) Kg. von Ungarn.
5
 Gemeint: Mit dessen Sohn (Johann Sigismund) bzw. mit Kgn. Isabella, der Witwe Kg. Johanns (vgl. Anm. 1).
g–
 Weivoda ... zuumbgehen] Kurpfalz (fol. 379) deutlicher: Würde man sagen, das die ursach deß kriegs vom Weiden [Wojwoden] herrur, wurd dem konig tacite die schuldt geben.
6
 Wohl nicht Bezugnahme auf den Vertrag von Weißenburg vom 19. 7. 1551 zwischen Ferdinand I. und Kgn. Isabella sowie deren Sohn Johann Sigismund Szapolyai: Auslieferung der ungarischen Königskrone, Verzicht auf alle Hoheitsrechte und Besitzungen in Ungarn und Siebenbürgen durch Isabella und Johann Sigismund gegen territoriale und finanzielle Entschädigung. Übergabe Siebenbürgens an Kg. Ferdinand ( Gooss, Staatsverträge, Nr. 20–23 S. 114–149; Bittner, Verzeichnis, Nr. 83 S. 17. Vgl. Huber, Erwerbung, 499–516; Huber IV, 159–172; Volkmer, Fürstentum, 75–78). Zum Bruch dieses Vertrags vgl. Anm. 1. Wohl gemeint: Der Vertrag von Großwardein zwischen Kg. Ferdinand und Johann I. Szapolyai vom 24. 2. 1538 mit der Überlassung des ungarischen Königstitels, Siebenbürgens und eines Teils von Ungarn an Szapolyai auf Lebenszeit. Dafür sollte Ferdinand nach dessen Tod alle von ihm beherrschten Gebiete und die alleinige Königswürde erhalten ( Gooss, Staatsverträge, Nr. 16 S. 65–85; Bittner, Verzeichnis, Nr. 53 S. 11). Szapolyai brach den Vertrag, indem er kurz vor seinem Tod (22. 7. 1540) die Wahl seinen Sohnes Johann Sigismund unmittelbar nach dessen Geburt (7. 7. 1540) zum Kg. von Ungarn veranlasste. Nachfolgend gewährleistete als eigentlicher Regent der Paulinermönch Georg Martinuzzi-Utiešenović, Bf. von Großwardein, dass der Vertrag nicht vollzogen wurde und damit die Herrschaft der Szapolyai unter seiner Leitung in der Gunst des Sultans aufrecht erhalten blieb ( Huber IV, 63–66;  Petritsch, Problematik, 675 f.; Kohler, Reich, 14; Volkmer, Fürstentum, 27 f., 62 f.; Barta, Anfänge, 248 f.).
h
 haben] Kursachsen (fol. 240) zusätzlich und differenzierter: In dieser Audienz nachmittags um 4 Uhr Übergabe der Supplikation zur Freistellung [Nr. 503].