Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Antwort der Reichsstände zum 2. HA (Türkenhilfe) und Resolution zur Koadjutorfehde in Livland. Mündliche Replik des Kgs. zum 2. HA. Unzufriedenheit mit dem Verhandlungsfortgang in Anbetracht der Gefahrensituation. Aufforderung, die tägliche Beratungszeit zu verlängern.

/433/ (Vormittaga ) Kgl. Herberge. Vor dem Kg. erscheinen die Gesandten der Kff., die Bff. von Eichstätt und Regensburg sowie Hg. Albrecht von Bayern persönlich und die Deputierten der übrigen Reichsstände und –städte.

/433 f./ Mainzer Kanzler referiert: Die Reichsstände haben nach der Ankunft des Kgs. und auf dessen Ermahnung hin den 2. HA (Türkenhilfe) beraten. Übergeben dazu ihre Antwort1.

/434 f./ Ebenso legen sie gemäß der kgl. Aufforderung ihre schriftliche Resolution zur Koadjutorfehde in Livland vor. Mainzer Kanzler erläutert die Gründe für die divergierende Formulierung bezüglich der Restitution des Ebf. von Riga2.

/435/ Kurze Besprechung des Kgs. mit Hg. Albrecht von Bayern und den kgl. Räten. Vortrag der Antwort durch Vizekanzler Jonas: Kg. will die schriftlichen Resolutionen sofort einsehen und sich nach kurzer Unterbrechung dazu erklären.

/436/ Kg. zieht sich mit Hg. Albrecht von Bayern und den Räten in sein Zimmer zurück. Nach der Rückkehr in den Audienzsaal lässt er von Dr. Jonas vortragen3 : /436 f./ Kg. hat die Antwort zum 2. HA (Türkenhilfe) eingesehen und daraus vernommen, dass die Reichsstände vorrangig die Wendung an andere Potentaten um deren Unterstützung anmahnen. /437/ Daruf liessen ire Mt. anzaigen, das sie iren vortrag und proposition per Bayern vor einem halben jar thun lassen und darin vermelden, wie sie nit umbgangen, andere christenliche potentaten umb hilff und beistandt wider diessen der christenhait algemeinen vheyandt anzusuchen und derhalben bei inen in handlung stunden4. In solcher werbung weren ire Mt. auch yetzt noch, und wolten, sovil immer möglichen, daran sein, auch an irem vleiß nichst erwinden lassen, auff das andere potentaten auch in diesse hilff pracht.

Kg. nimmt das Erbieten der Stände an, weiter über eine Hilfe zu beraten. Es hetten sich aber ire Mt. versehen, die /438/ stendt und potschafften wurden uff die erofnete proposition und daruf erfolgte, meherfaltige vermanungen5 sich viel zeitlicher mit erclerung uf die hilff eingelassen haben. Und dweil die sachen keinen verzugk erleiden konten, sonder eilender befurderung bedurfftig, so liessen ire Mt. die stendt und potschafften abermals gnediglichen vermanen, sie wolten disse notwendige beratschlagung irem erpieten nach lenger oder ferner nit einstellen, sonder mit allem vleiß befurdern, in ansehung, solchs die hohe notturfft erfordern thete; und dan auch, das noch gestriges tages irer Mt. zeitung und kuntschafften einkomen, wie der turckisch kaiser den 28. Octobris zu Constantinopel gewesen und von dannen den Embri Wascha mit eim ansehenlichen kriegß folgk auf die christliche landt abgefertigt, auch selbst auf Andrinopel gezogen, fürhabens, further auf Ofen und irer Mt. christliche lande in der person zu ziehen6 und dieselbig mit seinem tirannischen gewaldt zubelaidigen. Solte nun solchem seinem vorhaben widerstandt gethan werden, so welle nach gelegenhait /439/ am allermaisten von noten sein, das man keine stundt verfeire, zuberatschlagen, wie dem listigen feyndt bei zeiten begegnet und er hindergetrieben werden möge.

7–Nachdem auch ire Mt. bericht worden, das zu den beratschlagungen die rethe, potschafft und gesandten wenig zusamen komen oder aber doch spede auf den tag, und doch nit langb beisamen pleiben solten, und sich ire Mt. zu erinnern, das auf andern tagen, da auch churfursten, fursten und stende in der person selbst gewesen, vil empsiger und ernstlicher in sachen furgangen, also das sie etwo vom morgen zu 6 uhren an biß auf 10 gehandlet, deßgleichen des nachmittags von einer oder zweyen uhren an biß gegen der nacht8, so ersuchten ire Mt. die stendt und potschafften gnediglichen, sie wolten furtmeher sich zeitlicher beisamen thun, auch lenger und vleisiger beieinander verharren und in deme sonderlichen bedencken, das die hochste notturfft bevorabe des turcken halb solchs erfordere.–7

/439 f./ Zur Bitte der Stände, den inneren Frieden im Reich herzustellen, um Hilfe gegen den äußeren Feind leisten zu können, /440/ wolten ire Mt. nit pergen, das sie solchs nit allein für ein notturfft erachten, sonder auch mit allen gnaden geneigt, an irem vleiß nichst manglen zu lassen, domit alles, was zu ruge, fride und einigkait immer dienstlich, gefürdert werde. Das auch ire Mt. der brandenburgischen sachen halben vom negstverschienen Martio an ire commissarien alhie gehabt und mit allem ernst inen aufferlegt und befolhen, moglichen vleiß furzuwenden, auf das die parthien [!] zu rugen gepracht. Wie ire Mt. auch in kein zweivel setzten, dieselbige commissarien werden sambt und neben den deputierten ausser den stenden nichst /441/ an inen haben abgehen lassen. Es weren aber ire Mt. bericht, das yetztmals die sachen auf marggraf Albrechten und seinem fernerm bericht, dessen man von ime gewertig, berugen solten; an welchem seine schwacheit villeucht ursach gewesen, wie dan derwegen bei irer Mt. auch entschuldigung furgewendet9. So bald aber solcher bericht oder marggraf Albrechts fernere erclerung einkemen und man fürschreiten mochte, wolten ire Mt. eigner person es [!] pest thun etc.10 Der nassauischen sachen halben11 were nichst an ire Mt. hievor gelangt. Allein were negsten ein schreiben von graf Wilhelmen zu Nassau komen, welchs ire Mt. noch nit verlesen. Die Antwort der Reichsstände zur Koadjutorfehde in Livland will Kg. schriftlich erwidern. Nach diessem haben ire Mt., was vorhin per Jonam geantwurt, mit etwas bewegnuß widerumb erholet und befurderniß halben weiter anmanung gethan, auch die stendt beurlaubt, dan ire Mt. daruf erachten, kein weiter anzeig oder replick von noten, sonder wurde die beste antwurt sein, wen sie die sachen befurderten.

/442/ (Nachmittag) Kurfürstenrat. Mainzer Kanzler proponiert: Mündliche Resolution [Replik] des Kgs. zum 2. HA (Türkenhilfe)c.

Umfrage. Trier: Sovil die resolution der potentaten halben anlangt, das die zuersuchen, hetten sie verstanden, das konig in arbeit stehe. Dabei mochte man es wenden lassen. Die anmanung12 anlangendt, wuste man, was bißhero verhinderlichs fürgefallend. Der innerlichen krieg halben und Mgf. Albrechts sache sonderlich belangendt, wuste man, wie es mit Mgf. Albrechts sachen geschaffen, das kein vleiß gespart. Der kgl. Mt. gesinnen nach der zeit halben, das man fruher zusamen komen well: Ist inen nit zuwider. Was aber numeher den principal handl /443/ der turcken halb anlangt, wil es vonnoten sein, das auf heutige resolution man sich aller seitz in den instructionen weiter ersehe. Derwegen mochte zu solchem ein ander stundt zu benennen sein uff morgen oder sonst.

Köln: Wie Trier.

Pfalz: Auß heutiger antwurt hette man gehort, das konig potentaten ersucht. e–Aber die notturfft erforderte wol, das man wuste, was die potentaten, alß keiser und andere, thun wolten–e, auff das man sich desto baß zurichten in die sach. Da man dan zu anderer gelegenhaitf wel hievon reden, solten sie auch gehort werden. Das zeitlicher zu rathe zu gehen: Solt an inen nit manglen. Doch also die zeit anzustellen, domit man auch nebensachen, wie die ein yeder in befelch, außrichten konne. Were demnach ein gewisse stundt zubestimmen, wen man wolt zu rathe gehen und wen man abtretten wolte. Negotium principale anlangendt, hette /444/ man sich verglichen, das religion punct solt yederzeit furgehen und dabeneben andere puncten zuhandlen. Bei dem schluß solte man es lassen, also das erst die consultation der religion, darin man yetzt stehet, absolviert werde, und folgendts in der turcken hilff furzugeheng.

Sachsen: Wes die ersuchung der potentaten anlangt, hetten sie konig verstanden, das ire Mt. noch in handlung stunden. Derwegen were diss halben nit mit der beratschlagung einzuhalten, sonder furzugehen. Der rats stunde halben were kein mangel in dissem rathe erschienen. Mogen leiden, das ein gewisse stundt benampt. Den processum anlangendt, wusten sie, das man sich verglichen, religion und turcken hilff alternatis vicibus zu tractieren. Dabei mochte es pleiben. Doch da die religion referiert sein wurde, in mittelst sich dan konig resolviert, mogen sie /445/ leiden, das der turcken hilff halben furgangen werde.

Brandenburg: Wie Sachsen.

Mainz: Auf den 1. articul der potentaten halben, daruf zu antwurten: Man zweivele nit, wes in proposition gestelt, das dem also nachkomen sei, und das man wolle dero erclerung in underthenigkait gewertig sein. Der rats stunde halben alß ein extraordinari anmanung: Were daruf nit zu antwurten. h–Wel man aber furt meher die rats stunde gegen sieben setzen, solt inen nit zuwider sein–h, doch nachmittags hora secunda. Dem erpieten, das man zur beratschlagung furgehen welle, dem were nachzusetzen. Innerliche krieg etc.: Der kgl. Mt. derhalb danck zusagen.

/446/ Beschluss: Man belässt es zunächst dabei und vertagt die weitere Hauptberatung zur Türkenhilfe.

Anmerkungen

a
 Vormittag] Kurpfalz A (fol. 611’) differenzierter: 8 Uhr.
1
 Nr. 435.
2
 Nr. 517. Strittige Restitution im Absatz: Dem herr maister ... benüegen lasse.
3
 Folgende Replik als wörtliche Übernahme aus der Textvorlage (Kurmainz) auch in HHStA Wien, MEA RTA 43/II, fol. 88–89’ (Aufzeichnung. Schlussvermerk: Vertzeichnus der kgl. Mt. mundtlichen bescheen resolution in puncto der turggen hulff. No. 2.). Die Replik wurde in dieser schriftlichen Form von den Mainzer Gesandten zusammen mit dem Bericht vom 21. 12. 1556 an Kf. Daniel geschickt, verbunden mit der dringenden Bitte um die noch ausstehende Weisung für die weiteren Verhandlungen zur Türkenhilfe, da sie diese nicht länger verzögern könnten (ebd., fol. 83–85’, hier 83. Or.; präs. Mainz, 28. 12. Vgl. auch Anm.12 bei Nr. 59). Referat der Replik bei Laubach, Ferdinand I., 168; knapp bei Kohler, Ferdinand I., 255.
4
 Vgl. Proposition [Nr. 1], fol. 68.
5
 Vgl. Kurmainz, pag. 354–361, 365 [Nr. 42].
6
 Wohl Bezugnahme auf die Beauftragung des Wesirs Ibrahim Pascha im Oktober 1556, mit 1000 Janitscharen und 2000 Reitern nach Ofen zu ziehen und dort den Oberbefehl (von Ali Pascha) zu übernehmen. Ibrahim Pascha brach Mitte Oktober nach Ungarn auf, musste aber umkehren, da die Planungen bekannt geworden waren (Bericht des habsburgischen Geheimagenten Černović vom 25. 10. 1556: Žontar, Černović, 174 f.). Zu den Feldzugsplänen des Sultans vgl. Anm.9 bei Nr. 42.
7–
 Nachdem ... erfordere] Dieser Absatz fehlt in der Abschrift in HHStA Wien, MEA RTA 43/II, fol. 89.
b
 nit lang] Kurpfalz (fol. 369) deutlicher: nit uber 3 stundt.
8
 Vgl. die genaueren Angaben im Bericht des Mecklenburger Gesandten Drachstedt an Hg. Johann Albrecht vom 23. 12. 1556: Auf RTT war es gängige Praxis, von 6 Uhr morgens bis 10 oder 11 Uhr sowie von 1 Uhr nachmittags bis 5 oder 6 Uhr zu beraten. Dagegen findet Kg. hier ein große unordnung vor, indem vormittags um 8 Uhr angesagt werde, die Verhandlungen erst um 9 Uhr beginnen und bereits um 10 Uhr beendet werden; nachmittags werde um 2 Uhr angesagt, um 3 Uhr komme man zusammen und berate bis 4 oder 5 Uhr (LHA Schwerin, RTA I SchwR 50 Fasz. 3, fol. 66–73’, hier 70’. Or.). Zur Anmahnung vgl. auch Heischmann, Anfänge, 75, Anm. 200; Aulinger, Bild, 211.
9
 Der für 1. 3. 1556 anberaumte und seither neben dem RT verlaufende Vergleichstag im Markgrafenkrieg (vgl. Einleitung, Kap. 1.2) hatte aufgrund der gegenseitigen Vorwürfe wegen Verfahrensverstößen die Hauptverhandlungen bis dahin nicht aufgenommen und war im Oktober zum Stillstand gekommen ( Bauer, Zobel, 498–501; Zeissner, Hochstift, 157 f.; zum Abbruch:  Voigt II, 267). Zu der vom Kg. angesprochenen Erklärung von Mgf. Albrecht Alkibiades vgl. dessen Supplikation vom 17. 12. 1556 [Nr. 524].
10
 Die Aufzeichnung in HHStA Wien, MEA RTA 43/II, fol. 89’, endet hier.
11
 Bezugnahme auf den Katzenelnbogener Erbfolgestreit zwischen den Gff. von Nassau und Hessen. Vgl. Anm.4 bei Nr. 125.
c
 Türkenhilfe)] Kursachsen (fol. 223’) zusätzlich: sowie Anmahnung des Kgs., künftig die tägliche Beratungszeit zu verlängern. Beschleunigung der Verhandlungen zum 1. und 2. HA.
12
 Anmahnung des Kgs. wegen des bisherigen Verhandlungsverzugs.
d
 fürgefallen] Kurpfalz (fol. 370) zusätzlich: So weren gleichwoll diese sachen also geschaffen /370’/ und so wichtig, das sie sich nit in einem, zweien oder dreien tagen verrichten liessen.
e–
 Aber ... wolten] Kurpfalz (fol. 370’) differenzierter: Man hat diese declaration darumb begert, das man etwas gewist haben und vernemen wollen, /371/ was konig in specie zu roß und fueß und wie lang fur sich und derselben konigreich und lannde thun wolle und khonne; item ob die potentaten hilff bewilligt.
f
 zu anderer gelegenhait] Kurpfalz (fol. 371) deutlicher: Wenn man ein gewisse anzeigung erlangt, das die andern potentaten sich auch in diese christliche hilff begeben wolten.
g
 furzugehen] Kurpfalz (fol. 371’) zusätzlich: Dann geschrieben steet: „Suchet das reich Gottes zum ersten etc.“ [NT, Mt 6,33.]
h–
 Wel ... sein] Kursachsen (fol. 225’) differenzierter: Wellen die hern uf das anmanen umb 7 uhr zusamen komen, das lassen sie inen nicht zuwider sein, wiewol sie auch achten, do man resolvirt und mit bevelch versehen, es konne von acht bis uf 11 vil ausgericht werden. Aber umb 6 zusamen zukomen, achten sie nicht fur verglichen und fruchtbar sein.