Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Textvorlage: Augsburg, fol. 72’–75’.

Freistellungsdebatte im SR: Keine Unterstützung der Freistellungsforderung durch Augsburg, Nürnberg und Ulm. Einwände gegen die Teilnahme des katholischen Augsburger Delegierten Rehlinger an diesen Beratungen. 1. HA (Religionsvergleich): Antwort der Reichsstände. Koadjutorfehde in Livland: Replik des Kgs.

/72’/ (Vormittag, 9 Uhr) Städterat (Straßburg, Rothenburg, Regensburg, Augsburg, Nürnberg, Ulm; ohne Schwäbisch Gmünd).

Die Straßburger Gesandten fassen die gestrigen Beratungen zur Supplikation der CA-Stände um Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts zusammen und teilen mit: Haben im Anschluss an die gestrige Sitzung den Kurpfälzer Großhofmeister davon unterrichtet, dass Augsburg, Nürnberg und Ulm die schriftliche Vorlage der Supplikation um Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts wünschen. Dieser hat daraufhin erlaubt, das Konzept zu verlesen, jedoch die Vorlage einer Abschrift vor der Übergabe an den Kg. abgelehnt, verbunden mit der Anmerkung: Die höheren CA-Stände haben dafur gehalten, sy, die stett, solten deßhalben ain pesser vertrauen inn sie gesetzt haben, weder das sy der kgl. Mt. diß puncten halben etwas ungereimbts unnd den stetten zu nachtail furprächten.

Als man mit der Verlesung beginnen will, kommt Rehlinger1  verspätet in das Beratungszimmer. Daraufhin ist die verlesung alspald eingestelt unnd durch den straßburgischen angezaigt, man hett sein, Dr. Rehlingers, person beim pfaltz- /73/ ischen großhofmaister innsonnderhait gedacht; unnd bevelch geben worden, das die verlesung inn seinem beisein nit beschehen solte, weil er sich hievor im Reichs rath seiner religion halben offenntlich declarirt hete etc.a

Umfrage. Augsburg: Haben ihre Instruktion eingesehen. Der Augsburger Rat misstraut den höheren CA-Ständen keineswegs. Weß si sich aber vernemmen laßen, das geburte inen, habendem bevelch nach anzezaigen. Rehlinger bringt, seine Person betreffend, vor: Er hätte nichts liebers leiden mögen, dann das er solchs enntlassen wer. Het aber inn dem meinen herrn2 khain maß oder ordnung zugeben. Unnd wiewol si bed3 mit bevelch unnd instructionen, samenntlich zehanndlen, abgefertigt, so wer doch er, Dr. Rehlinger, fur sein person urbuttig, abtzutretten, da der herr Haintzl sich der sachen alain wolt unndernemmen unnd es gegen meinen herrn veranntwurten. Welches er sich aber zethun beschwert. /73 f./ Zur Hauptsache: Haben vom Augsburger Rat den ausdrücklichen Bescheid erhalten, sich zur Freistellung entsprechend ihrer Instruktion4  zu äußern, /73’/ und da si derhalben ervordert, das sie sich von den hohern stennden der augspurgischen confession khains wegs absonndern, sonnder der enden erscheinen, auch dabei, was ir instruction vermöcht, antzaigen solten. Es wurd auch meinen herrn5 nit zuwider sein, was die kgl. Mt. mit chur- unnd fursten inn dem fall schliessen wurden, demselben wie auch inn allem annderm gehorsame volntziehung zethun. Unnd wer also diser punct hoch wichtig und derhalb wol zubedennckhen. Es weren auch auff verganngnem reichstag die erbarn stett durch die höhern stennde zu diser beratschlagung nie getzogen oder ervordert worden. Meine herrn wisten auch nit, inn was weg dise freystellung den erbarn stetten zu gutem khommen möchte. Zudem sich auch die erbarn stett auff jungsten reichstag diser sachen nit anhenngig gemacht, sonnder sich dahin erclärt, das sie leiden möchten, was chur- unnd fursten derhalben mitt der kgl. Mt. hanndlten. Unnd heten also damaln allerlai bedennckhens gehabt, sich eintzulassen; wie dann die ursachen noch verhannden6. Es hetten auch meine herrn nit khönnen versteen, das diser articl die religion betref, dan es ain schlechter eyfer, da ainer sein seel seligkhait von gelt unnd guts wegen inn die /74/ schantz schluege. So khönt auch den erbarn stetten khain nutz, sonnder inen, ja auch gemainen stennden inn mehr weg nachtail darauß volgen; welches gleichwol inn irer instruction nit specificiert. Das wurde aber auch wol zubedennckhen sein, das man an jetzo der gaistlichen jurißdiction befreyt, man aber durch die freystellung widerumb unnder das joch gebracht wurd etc., welches dann allerlai ob ime trueg. Welche ursachen also zuvermelden unnd dagegen die ursachen, was fur frucht unnd nutz hierauß zugewarten, anztuhören si bevelch heten7. Was si auch also inn der beratschlagung vermerckhten, das sie es hinder sich gelanngen unnd, wa von nöten, sich ferrers beschaidts erholen solten.

Nürnberg: b– Haben außtruckhlichen bevelch, sich khainem thail anhengig zemachen–b. Bitten um Verlesung und Abschrift der Supplikation, um sie gegebenenfalls ihren Herren zu schicken und Bescheid anzufordern.

Ulm: Entsprechend Nürnberg.

Straßburg, Rothenburg, Regensburg: c– Beharren auf ihrer bisherigen Erklärung –c.

Anschließend besprechen sich die beiden Augsburger Gesandten. Rehlinger verlässt daraufhin das Sitzungszimmer8 , Hainzel (Augsburg) teilt mit: Weil die instruction auff si bed gestelt, diser punct an ime selbs wichtig unnd weitleuff[ig], so wer ime beschwerlich, solchs allain auff sich zenemmen. Wan man aber die schrifften verlesen unnd abschrifften davon, die hinder sich gelangen zelassen und beschaidts daruber zuerholen, mitthailn wolte, solte es ime nit zuwider sein.

/74’/ Nürnberg: Entsprechend Augsburg, bekräftigt mit dem Argument, das Straßburg unnd Regenspurg von der erbarn stett wegen alain zum ausschuß inn religions sachen unnd gar nit der freystellung halben verordennt wern etc.d

2. Umfrage. Straßburg betont nochmals, dass keine Abschrift der Supplikation möglich ist.

Beschluss: Verlesung des Konzepts9.

Umfrage nach der Verlesung. Augsburg (Hainzel), Nürnberg und Ulm fordern erneut Abschrift. Dies wird wieder abgelehnte.

Als man die Sitzung bereits beenden will, bringt Straßburg vor: /74’ f./ Regt an, dass ein Deputierter der Städte Augsburg, Nürnberg und Ulm mit zum Kurpfälzer Großhofmeister kommt, um anzuhören, /75/ wie ime ir bedenckhen referirt unnd abschrifft begert wurd. Welches sie10 sich aber zethun gewaigert mit vermeldung, das sie inen11 inn deme unnd annderm wol trauten unnd khain mißtrauen inn sie setzten. Wern auch zweifls on, si wurden die sach aufs glimpflichest anbrinngen.

(Nachmittag, 3 Uhr) /75 f./ Kgl. Herberge. [Entsprechend Protokoll des KR, 447.]

Anmerkungen

1
  Dr. Sebastian Christoph Rehlinger, (katholischer) Augsburger Delegierter. Vgl. zur folgenden Bezugnahme Anm.3 bei Nr. 244. Die angesprochene Erklärung im RR ist in den Protokollen nicht überliefert.
a
 etc.] Nürnberg (fol. 165’ f.) zusätzlich: Nürnberg fordert in Anknüpfung an die Vereinbarung vom Vortag eine Umfrage zum Inhalt der reichsstädtischen Instruktionen bezüglich der Freistellung.
2
 = dem Augsburger Rat als Dienstherren des Protokollanten David Linß.
3
 = Rehlinger und Hainzel als Augsburger Gesandte.
4
 Die Instruktion für Hainzel und Rehlinger liegt im Gegensatz zu jener für den Gesandten Zimmermann, die auf die Freistellung jedoch nicht eingeht, nicht vor.
5
 = dem Augsburger rat.
6
 Der in KR und FR verglichene Entwurf des Religionsfriedens wurde SR am 19. 6. 1555 verlesen. Dieser kritisierte, an dessen Genese nicht beteiligt worden zu sein. Auch die Abschrift des Entwurfs wurde SR in dieser Sitzung verweigert ( Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 144, fol. 455–457’, S. 997–999). Am 20. 6. bedauerte SR, dass sich die höheren Stände zur Freistellung nicht einigen konnten, und verhielt sich ansonsten passiv: Falls keine Einigung möglich sei und man derwegen für khunig und commissari zu komen, theten sie in deme sich mit den stenden auch vergleichen (ebd., Nr. 144, fol. 460, S. 1000). Vgl. daneben die Resolution des SR zum Religionsfrieden, die auf die Freistellung nicht eingeht (ebd., Nr. 194 S. 1936–1938 mit Anm. 2). Verhandlungen am 19./20. 6. auch bei Friedensburg, Protokoll, 56–58. Vgl. Pfeiffer, Religionsfrieden, 252 f.; Gotthard, Religionsfrieden, 55 mit Anm. 132; Laubach, Ferdinand I., 87 f.
7
 Vgl. die Weisung des Augsburger Rates vom 5. 12. 1556: Bestätigen, dass die Freistellung, da sie erhalten wurd, zu der erbarn frei- unnd reichsstedt vorderblichem nachteil unnd schaden in mer weder ainen weg gelangen wurd. Sollen diese im SR nit allein fur beschwerlich, jedoch uffs gelimpffigst, anziehen, sunnder auch mit pester gelegenheit bei der erbarn stedt gesanndten unnd in anndere weg, wie ir die gelegenhait fünden, muglichs vleiß befurdern, damit sie verhindert unnd ins werckh khains wegs gericht werde (StadtA Augsburg, Lit. 1556–57, unfol. Or.; präs. 7. 12.). In der Weisung vom 24. 12. 1556 bekräftigte der Rat im Rückbezug auf obige Sitzung das Verhalten der Deputierten und beauftragte sie, auch künftig auf der Ablehnung der Freistellung zu beharren in der Hoffnung, dass Straßburg, Regensburg und Rothenburg ihre Meinung ändern würden, falls ihnen die beschwerlich volg, so auß der freystellung zubesorgen, ettwaß verstendlicher angedeutt. Fordert man eine weitere Erklärung, sollen sie vorbringen: Da der RAb 1555 angenommen und gegen diesen Punkt nicht protestiert worden ist, wäre es gegenüber dem Kg. unstatthaft, unns jetzt allererst darwider zu setzen oder denen, so es understunden, anhenngig zumachen. Sollen bei der Übergabe einer anders lautenden Resolution an den Kg. zusammen mit Nürnberg und Ulm verlangen, das eur mainung der kgl. Mt. neben dem andern furgetragen oder, da es den anndern auch gefellig, dasselb eur bedenckhen kgl. Mt. alßpald oder ad partem selbs anzaigen (ebd., unfol. Or.; präs. 27. 12. Auszüge: Goetz, Beiträge, S. 54, Anm. 2).
b–
 Haben ... zemachen] Nürnberg (fol. 166) deutlicher als Votum der Städte Augsburg, Nürnberg und Ulm: Erklären, dz sie dieses punctens der freistellung halben keinen bevelch, wissten sich auch von irer herrn unnd obern wegen auß angetzeigten unnd ausfurlichen ursachen unnd furnemlich, dz diser punct die religion nitt betreff, nitt einzelassen.
c–
 Beharren ... Erklärung] Nürnberg (fol. 166 f.) differenzierter: Beharren darauf, sich den höheren CA-Ständen anzuschließen. Abschrift des Konzepts ist nicht möglich, da den verordneten Städten [Straßburg und Regensburg] vom Kurpfälzer Großhofmeister /166’/ verpoten worden, fur sich selbs kein abschrifft davon zubehallten noch dieselb yemands andern mittzetheilen.
8
 Der Augsburger Rat hatte seine Deputierten am 11. 12. 1556 angewiesen, auf der weiteren Teilnahme Rehlingers an allen Verhandlungen zu beharren (StadtA Augsburg, Lit. 1556–57, unfol. Or.; präs. 14. 12.). Als Reaktion auf die neuerlichen Beschwerden am 20. 12. äußerte er sich in der Weisung vom 24. 12. 1556 (ebd., unfol. Or.; präs. 27. 12.) nur an Hainzel befremdet über das anhaltende Misstrauen Straßburgs und Regensburgs gegen Rehlinger. Er ging davon aus, dass deren Gesandte die höheren CA-Stände erst auf die Konfession Rehlingers hingewiesen hatten. Der Rat wollte ihn dennoch nicht abberufen – wie wir auch andern erbaren stetten oder stennden irer verordnung halb nit maß zugeben –, sondern richtete eine Rechtfertigung vor den höheren CA-Ständen an den Kurpfälzer Großhofmeister. Vgl. Stadt Augsburg an Eberhard von der Tann (24. 12. 1556): Begründen die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit Rehlingers und bitten, von der Tann möge jeglichen Verdacht gegen diesen, in den er villicht durch ungleichen bericht gerathen sein möcht, seinethalb fallen laßen (ebd., unfol. Konzeptkop.). Rehlinger und Hainzel kamen allerdings überein, das Schreiben von der Tann vorerst nicht zu übergeben, da es allerlai weiterung und erst merer verdacht bewirken könnte (Bericht vom 29. 12. 1556: Ebd., unfol. Or.; präs. 5. 1.).
d
 etc.] Nürnberg (fol. 167) zusätzlich: Votum Straßburg und Regensburg: Wiewol sein mug, dz dises artickels halben kein verordnung von den erbarn steten geschehen, so weren sy doch zu diser hanndlung erfordert worden und fur ir person nitt selbst dartzu kommen; dz sy auch den erbarn steten zum pessten gethan, unnd gleichwoll nitt gewist, was die hanndlungen sein wurden. Mit pitt, sy hierynnen entschuldigt zehallten. Mit dem ferrnerm antzeigen, dz sy ganntz wol leiden mochten, dz andere dartzu verordent worden weren, dieweil sy in dem den erbarn steten nitt recht thun konnten. Sy nemen sich aber des hanndls von irer herrn unnd obern wegen crafft habenden bevelchs an. Wollten aber gleichwol yetzt nitt disputiern, ob diser articl der religion anhenngig oder nitt. Allein stunde es yetzt an dem, ob man dz gestellt bedencken der augspurgischen confessions verwandten /167’/ abhoren wollt oder nitt, dann es inen eben gleich gulte.
9
 Vgl. die Ausfertigung: Nr. 503.
e
 abgelehnt] Nürnberg (fol. 167’) zusätzlich: Straßburg, Rothenburg, Regensburg beharren auf ihrem Votum.
10
 = die Gesandten von Augsburg, Nürnberg und Ulm.
11
 = den Gesandten von Straßburg und Regensburg.