Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XI. Band. Der Reichstag zu Regensburg 1541 bearbeitet von Albrecht P. Luttenberger, für den Druck vorbereitet von Christiane Neerfeld
Seit dem Augsburger Reichstag von 1530 verdichtete sich die reichspolitische Entwicklung unter dem Einfluss interner und externer Faktoren in wechselnden Konfrontationen und Interessenlagen in einem konfliktträchtigen Prozess, dessen Brisanz zum einen aus den Doppelrolle des Hauses Habsburg im Reich und auf europäischer Ebene und aus dem seit Luthers früher Publizistik virulenten religiös-theologischen bzw. kirchenpolitischen Dissens resultierte, der spätestens seit dem Reichsabschied von 1530, der die Protestierenden dem Ketzerrecht unterwarf, die Friedensordnung des Reiches gravierend belastete. In den Nürnberger Verhandlungen (1532) hatten Mainz und Pfalz mit Zustimmung des Kaisers zunächst versucht, durch eine partielle Revision des Augsburger Abschiedes mit den Protestierenden einen politischen Ersatzkonsens auf der Basis des Status quo, der die künftige Funktionsfähigkeit der Reichsordnung gewährleisten sollte, zu vereinbaren, aber diese Lösungskonzeption war dann auf dem Reichstag in Regensburg am dezidierten Einspruch der altgläubigen Stände gescheitert. Der von den Protestierenden bereits in Nürnberg angeregte Ausweg, der dann gewählt wurde, basierte auf einer von vorneherein problematischen Konstruktion. Das allgemeine religionspolitische Friedgebot wurde kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit ohne Konsens der altgläubigen Stände kurz nach Ende des Regensburger Reichstages, am 3. August 1532, publiziert. Die Suspension der Religionsprozesse wurde nicht nur in jedem Einzelfall vom ausdrücklichen Konsens des Kaisers bzw. König Ferdinands als seines Stellvertreters abhängig gemacht, sondern auch als persönliche Erklärung des Kaisers nur den Vermittlern zur Kenntnis gebracht. Über ihren Inhalt sollten sie zwar den Protestanten Auskunft geben dürfen, die Originale aber vertraulich verwahren. Damit fiel den Vermittlern eine besondere Verantwortung zu, da die reichsrechtliche Verbindlichkeit des gewählten Verfahrens für die altgläubigen Stände durchaus fragwürdig war. Kontrovers blieb zudem die Interpretation des Begriffes „Religionssachen“. Zündstoff boten auch die Klausel über die Geltungsdauer des vereinbarten Friedstandes, weil die beiderseits verwendeten Konzilsbegriffe stark differierten und der missverständliche Zusatz „oder bis die gemain stend deß reichs uff ain gelegen malstatt wider beruefft und beschriben wurden“, der eigentlich für den Fall, dass ein Konzil nicht zustande kam, erneute Beratungen über die Wahrung des Reichsfriedens sicher stellen sollte, von den Protestierenden aber als Endtermin der kaiserlichen Konzession interpretiert wurde1.
So bot der Friedstand zwar einen gewissen Schutz gegen die Exekution des Augsburger Abschiedes, indem er dessen Verbindlichkeitsanspruch und die Gültigkeit des tradierten Ketzerrechtes, wenn auch in sehr eingeschränkter Form, durch die Prozessklausel relativierte, er erhöhte auch die Schwelle im Übergang vom politischen zum militärischen Konflikt, aber er konnte in der Folgezeit die fortschreitende konfessionspolitische Polarisierung nicht verhindern und die expansive Dynamik des Protestantismus nicht brechen, das heißt er bot keinen politischen Ersatzkonsens, der den Status quo von 1532 hätte festschreiben und bis zur Wiederherstellung der religiösen Einheit als Stabilisator hätte fungieren können. Dieses Defizit zeigt sich vor allem darin, dass er keine Handhabe bot, das Problem der Religionsprozesse, die am Reichskammergericht, am Rottweiler Hofgericht, beim Schwäbischen Bund etc. eingeleitet wurden, zuverlässig zu lösen. Während die altgläubigen Kläger die strittigen kirchlichen Güter und Rechte nicht zu den Glaubenssachen zählten und deshalb die Relevanz des Friedstandes negierten, vertraten die Protestierenden den gegenteiligen Standpunkt, weil sie die Streitgegenstände als Folgen der kirchlichen Reform, das heißt einer religiösen Gewissensentscheidung auffassten2. Da der Kaiser auf seine entsprechenden Anfragen, die auf eine präzise Definition des Begriffs „Religionssachen“ zielten, zunächst ausweichend bzw. dissimulierend reagierte, votierte das Kammergericht in dem ihm belassenen Spielraum für eine restriktive Interpretation des Friedstands, die dessen Schutz nur für das religiöse Bekenntnis, nicht aber für dessen reformpolitischen säkularisierenden Konsequenzen gelten ließ3. Im Übrigen tendierte das Kammergericht offenbar dazu, religionspolitisch belastete Prozesse auf der Basis des formalen Prozessrechtes zu neutralisieren4. Das litis consortium der Protestierenden suchte im aus geprägten Interesse an der Durchsetzung der eigenen konfessionsspezifischen Normen vergeblich, diese Spruchpraxis durch Gesandtschaften nach Speyer und an die beiden Nürnberger Vermittler zu revidieren und entschloss sich schließlich, das Reichskammergericht in Religionssachen am 30. Januar 1534 zu rekusieren. Da das Gericht daraufhin bei religionspolitisch begründeten Klagen auf Contumacialverfahren auswich, verlor das consortium in der Folgezeit jede Bedeutung. Damit konzentrierte sich der reichs- und religionspolitische Handlungsraum der protestantischen Partei auf den Schmalkaldischen Bund5.
Auf politischer Ebene konnte der Friedstand die Expansion des Schmalkaldischen Bundes nur anfänglich verzögern, solange Kursachsen eine entsprechend restriktive Interpretation vertrat6. Dass der innere Ausbau des Bundes ansonsten nur schrittweise vorankam, war zum einen auf die konfessionellen Differenzen zwischen Lutheranern und zwinglisch beeinflussten Mitgliedern zurückzuführen, die die ursprüngliche, religiös begründete Legitimation des Bundes tangierten und – vor allem zu Anfang – diplomatisch überspielt werden mussten, zum anderen auf den Widerstand vor allem der niederdeutschen Städte gegen ihnen zu weit gehende Auflagen und Verpflichtungen aufgrund der seit dem Frühjahr 1531 auf mehreren Bundestagen diskutierten Wehrverfassung des Bundes, die dann auch erst im Dezember 1535 in Kraft gesetzt werden konnte, und zum dritten und nicht zuletzt auf die politischen Differenzen zwischen den beiden Hauptleuten, dem hessischen Landgrafen und dem Kurfürsten von Sachsen7. Ihre Kontroverse um den Nürnberger Anstand belegt die Diskrepanz ihrer politischen Konzeptionen schlaglichtartig8. Landgraf Philipp, der noch um die Jahreswende 1530/1531 die Alternative einer politischen Verständigung mit dem Kaiser durch Herzog Heinrich von Braunschweig ausloten ließ9, war weitgehend fixiert auf seinen Plan, Herzog Ulrich von Württemberg wieder in sein Herzogtum zurückzubringen. Ihm lag deshalb wenig an einem friedenspolitischen Provisorium, wie es der Nürnberger Friedstand bot, weil es einer auf Dynamik angelegten Politik der Konfrontation nur hinderlich war. Seit November 1530 war er im christlichen Burgrecht mit Zürich, Basel und Straßburg verbündet10. Anfang November 1532 schloss er mit den Kurfürsten von Trier, Mainz und von der Pfalz die 1533 um Würzburg erweiterte rheinische Einung, die den Glaubenskonflikt ausnahm und deren Spitze gegen die Verlängerung des Schwäbischen Bundes und den dort vorherrschenden habsburgischen und reichsstädtischen Einfluss gerichtet war11. Zur Vorbereitung seiner Invasion in Württemberg drängte der Landgraf die oberdeutschen Reichsstädte, die auch dem Schmalkaldischen Bund angehörten, die im Frühjahr 1534 anstehende Verlängerung des Schwäbischen Bundes zu verhindern bzw., wenn dies nicht gelang, wenigstens Herzog Ulrich auszunehmen12. Auch seine Mitgliedschaft im Saalfelder Bündnis, das ihn im Oktober 1531 unter anderen mit Kursachsen und Bayern in der Opposition gegen die Wahl Erzherzog Ferdinands zum römischen König zusammenführte und das durch den am 26. Mai 1532 in Scheyern abgeschlossenen Allianzvertrag mit Frankreich ergänzt wurde, erklärt sich zu einem erheblichen Teil aus der Vorbereitung der württembergischen Operation13. Auf diese Kombination bündnispolitischer Bezugsfelder, die durch den Subsidienvertrag von Bar-le-Duc mit dem französischen König (27. Januar 1534) ergänzt wurde, konnte sich der Landgraf stützen, als er im Mai 1534 nach dem Zerfall des Schwäbischen Bundes, dessen friedenspolitische Funktion der 1535 gegründete kaiserlich-neunjährige Bund nur partiell übernehmen konnte14, in Württemberg einfiel, am 13. Mai 1534 bei Lauffen einen raschen, entscheidenden Sieg über die unzulänglichen Truppen der württembergischen Statthalterschaft erringen und damit einen wichtigen Stützpunkt des habsburgischen Einflusses im Südwesten des Reiches ausschalten konnte15. Seine These, mit diesem Feldzug in Oberdeutschland einen Stabilitätsfaktor zu etablieren, der den dortigen evangelischen Reichsstädten Rückhalt bieten konnte16, widerlegte die bald einsetzende städtefeindliche Politik Herzog Ulrichs, nicht zuletzt sein Vorgehen gegen Esslingen 1541, deutlich genug.
Kurfürst Johann Friedrich hatte sich strikt geweigert, das württembergische Unternehmen des Landgrafen zu unterstützen. Er hatte den in Augsburg mit dem französischen Gesandten du Bellay ausgehandelten Vertragsentwurf vom 28. Januar 1534, der das Scheyerner Bündnis der reichsständischen Wahlopponenten mit Frankreich (31. Mai 1532) ergänzen sollte, nicht ratifiziert, um die auf die Eroberung Württembergs zielenden bayerisch-hessischen Offensivpläne zu durchkreuzen17. Seine Politik in der Wahlfrage intendierte auch nicht den Sturz Ferdinands und eine anschließende Neuwahl, sondern eine verfassungsrechtliche Klärung der mit Wahlen vivente imperatore verbundenen Problematik18. Wiederholt weckten die konzeptionellen Differenzen sein Misstrauen gegenüber Bayern und/oder Hessen19. Dies gilt erst recht für deren Pläne in der württembergischen Frage20. Deshalb ließ er sich, nachdem sein noch vor Beginn des hessischen Feldzuges initiierter Vermittlungsversuch gescheitert war und es nicht gelang, den hessischen Landgrafen im Schmalkaldischen Bund zu isolieren, unter dem Einfluss des Mainzer Kurfürsten und Herzog Georgs von Sachsen, die seit November 1533 bzw. seit Februar 1534 die verfassungs- und religionspolitischen Differenzen durch ihre von ihm akzeptierte Vermittlung auszuräumen suchten, in Annaberg auch auf Verhandlungen über eine rasche friedliche Lösung des württembergischen Konfliktes ein21, die dann im Vertrag von Kaaden vom 28. Juni 1534, der die Vermittlungsinitiative der rheinischen Kurfürsten unter pfälzischer Führung und der in Augsburg tagenden Schwäbischen Bundesstände obsolet werden ließ, mit Vereinbarungen über die Wahlfrage und die Handhabung des Nürnberger Anstandes kombiniert werden konnte. Der Nürnberger Friedstand wurde ohne Modifikation seiner Laufzeit bestätigt. Die Anerkennung Ferdinands als römischer König stand unter dem Vorbehalt, dass es ihm gelang, Kaiser und Kurfürsten bis Ostern 1535 für die Veranstaltung eines Kurfürstentages zu gewinnen, der durch Mehrheitsbeschluss über die entsprechenden kursächsischen Forderungen die Modalitäten einer römischen Königswahl vivente imperatore neu regeln sollte. Bis zum genannten Datum sollte auch die Belehnung Kurfürst Johann Friedrichs erfolgen. König Ferdinand versprach zudem, sich beim Kaiser für die Bestätigung seines Heiratsvertrages mit Jülich einzusetzen. Das Herzogtum Württemberg sollte Herzog Ulrich restituiert werden, allerdings als Afterlehen des Hauses Österreich. Von dem ursprünglich von Ferdinand verlangten Verbot, die württembergische Kirche neugläubig zu reformieren, war keine Rede mehr. Nur die Untertanen und Besitztümer anderer Reichsstände im württembergischen Raum wurden gegen reformatorische Eingriffe ausdrücklich geschützt22. Mit diesem Vertrag, den auch Johann Friedrichs Verbündete akzeptierten, mit dem Linzer Abkommen vom 11. September 1534 zwischen Bayern und Österreich, das die wechselseitigen Beziehungen entspannen und normalisieren sollte23, und mit der Verständigung des Landgrafen mit König Ferdinand anlässlich seiner Reise nach Wien im Frühjahr 153524 war das reichspolitische Konfliktpotenzial der letzten Jahre, abgesehen von den noch anhängigen Kammergerichtsprozessen gegen Protestierende, weitgehend neutralisiert25. Da es aber Ferdinand nicht gelang, die in Kaaden vorgesehene Konferenz der Kurfürsten zur Beratung über die Neuregelung des Verfahrens bei römischen Königswahlen vivente imperatore zu organisieren, und seine Mandate zur Unterbindung der Religionsprozesse am Kammergericht nicht verfingen, bestand seit dem Frühjahr 1535 erneut Verhandlungsbedarf mit Kursachsen, der nach Maßgabe eines entsprechenden Vertrages vom 4. August 1535 anlässlich der Belehnung Johann Friedrichs in Wien im Spätjahr 1535 abgearbeitet werden sollte. Im Wiener Vertrag vom 20. November 1535 verpflichtete sich der Kurfürst aufgrund entsprechender Forderungen Karls V., keine kirchlichen Reformen über die Confessio Augustana hinaus vorzunehmen, gegen die Täufer und andere Sekten vorzugehen, den Herzog von Geldern nicht zu unterstützen, habsburgische Untertanen in Glaubensangelegenheiten nicht zu protegieren, das Konzil in Mantua zu beschicken, wenn dafür auch eine Mehrheit der Kurfürsten und Fürsten gewonnen werden könne, und mit 500 Reitern fünf Monate lang Hilfe gegen Frankreich zu leisten. Die Anerkennung der Wahl Ferdinands zum römischen König aber blieb abhängig von der Bestätigung seines Heiratsvertrages mit Jülich bzw. von der Realisierung der Zusage Ferdinands, sich um den Kon sens der übrigen Kurfürsten zu der geforderten Modifikation der Goldenen Bulle zu bemühen oder, wenn dies fehlschlug, den Kaiser dazu zu bewegen, unter Androhung schwerer Strafen die exakte Einhaltung der Goldenen Bulle bei künftigen römischen Königswahlen verbindlich zu verfügen und eigens zu bestätigen, dass der Boykott der Wahl Ferdinands die kurfürstlichen Rechte des Hauses Sachsen nicht tangiere. Diese Vereinbarungen wurden durch einen weiteren Vertrag ergänzt, der die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kursachsen und den Niederlanden und das Verhalten bei Truppenwerbungen in beiden Territorien regulierte. Seine Forderung, die seit 1532 konvertierten und die künftig noch konvertierenden Stände in den Nürnberger Friedstand mit einzubeziehen, und auf dessen Terminierung bis zu einem Reichstag zu verzichten, konnte der Kurfürst jedoch nicht durchsetzen. Ferdinand mochte für seine Person nur eine Suspension der umstrittenen Kammergerichtsprozesse bis Martini 1536 zugestehen und sich für die Folgezeit bis zum Konzil bzw. bis zu einem Reichstag um eine entsprechende Anordnung des Kaisers bemühen26. Da die vereinbarten Bedingungen und Zusagen in den folgenden Jahren nicht eingehalten wurden bzw. werden konnten, blieb die Frage der Anerkennung der römischen Königswahl von 1531, obwohl sie reichspolitisch mittlerweile weitgehend belanglos geworden war, auch noch 1540/1541 Verhandlungsgegenstand zwischen Kursachsen und den habsburgischen Brüdern.
Während der nordische Konflikt um die dänische Thronfolge, der im Mai 1534 zum offenen Krieg eskalierte und in dem der hessische Landgraf – wie Frankreich auf der Seite Christians III. – und der sächsische Kurfürst – im politischen Kontakt zu Lübeck, das heißt zur Unterstützung Christians II. – ebenfalls divergente Positionen einnahmen, erst mit dem Hamburger Frieden zwischen Lübeck (1536) und Christian III. und dessen Waffenstillstand mit den habsburgischen Niederlanden (1537) zu Ende ging, ohne freilich die reichspolitische Entwicklung direkt und nachhaltig zu beeinflussen27, bewegten sich seit dem Zerfall der Wahlopposition und dem Kaadener Vertrag die protestantisch/reichsständischen – kaiserlich/königlichen Beziehungen in ruhigeren Bahnen, von einigen geringfügigeren Misshelligkeiten in der Wahlfrage abgesehen. Zwar lösten das erst im Februar 1536 im Reich bekannt gewordene Schreiben des Kaisers vom 30. November 1535 aus Neapel, in dem er die Auffassung des Kammergerichtes zur Frage der strittigen Kirchengüter übernahm28, und die Nachrichten über seine vor dem Papst und dem Kardinalskollegium in Rom am 17. April 1536 gehaltene Rede vorübergehend eine gewisse Irritation unter den Protestierenden aus29, aber darauf folgte die außerordentlich konziliante Erklärung Karls vom 7. Juli 1536 aus Savigliano, die wiederum beruhigend wirkte30. Zwar blieb auch in dieser Phase das Problem der Religionsprozesse am Kammergericht akut und gab Anlass zu Eingaben und Vorstellungen beim Kaiser und König31, doch ließen sich auch außergerichtliche Lösungen zwischen betroffenen Kontrahenten finden und tendierten beide schmalkaldischen Bundeshauptleute mitunter zu gemäßigten Reaktionen, um einer unnötigen Eskalation vorzubeugen32.
Umso auffälliger erscheint die schubartige Dynamik, mit der auf dem Schmalkaldener Bundestag im Dezember 1535 trotz der Spannungen zwischen dem sächsischen Kurfürsten und dem Landgrafen eine zukunftsweisende, grundlegende Weichenstellung gelang33, die den Bund vorrangig auf die militärische Bewältigung akuter Konflikte als neuen Schwerpunkt ausrichtete, seinen Ausbau zu einer schlagkräftigen Militärorganisation projektierte und ihm für Konflikte um neugläubige Reforminitiativen eine politisch-juristische Beratungsfunktion zuwies. In einem günstigen Umfeld, das aus der reichspolitischen Schwäche Karls V. und König Ferdinands und aus dem Fehlen einer effektiven Konkurrenz resultierte und in dem kein Reichstag, der aus Rücksicht auf den Nürnberger Anstand nicht opportun schien, den politischen Spielraum einengte, vermochte sich der Bund trotz gewisser Divergenzen zwischen Fürsten und Städten nach außen als schlagkräftiger, geschlossen operierender Akteur zu präsentieren, der das Bekenntnis seiner Mitglieder schützte und nicht zuletzt ihr gemeinsames Interesse in der Kirchengüterfrage verteidigte34. Die bundesinterne Voraussetzung dazu ergab sich aus einer signifikanten Korrektur der kursächsischen Politik. Offenbar unter dem Eindruck der religionspolitisch unbefriedigenden Wiener Verhandlungen akzeptierte Kurfürst Johann Friedrich, dessen zögerliche Haltung die Verlängerung des Bundes bis in den Sommer 1535 hinein hatte zweifelhaft erscheinen lassen, so dass die oberdeutschen Bundesstädte bereits eine neue Bundesgründung mit hessischer Beteiligung, aber ohne Kursachsen ins Auge gefasst hatten, den durch die Verabschiedung der seit langem diskutierten Wehrverfassung konsolidierten Ausbau und die bislang unter Hinweis auf den Nürnberger Anstand widerratene Erweiterung des Schmalkaldischen Bundes, der eine effektive politische Alternative zur Verständigung mit dem Haus Habsburg bieten konnte. Zur Gewährleistung der konfessionellen Konformität des Bündnisses, die Kurfürst Johann Friedrich nach wie vor einforderte, galt das offizielle Bekenntnis zur CA und zu deren Apologie als hinreichend35. Mit der von Melanchthon und Bucer ausgehandelten Wittenberger Konkordie entspannte sich im Frühjahr 1536 der theologische Dissens zwischen Lutheranern und zwinglisch beeinflussten Oberdeutschen vollends. Die Aufnahme neuer Mitglieder wie Herzog Ulrichs von Württemberg, der Herzöge von Pommern, der Fürsten Georg, Johann und Joachim von Anhalt, der Städte Augsburg, Frankfurt, Kempten, Hamburg, Hannover und Minden und durch Nebenverschreibung Graf Wilhelms von Nassau, die den Schutz des Nürnberger Friedstandes nicht in Anspruch nehmen konnten, erhöhte allerdings – jedenfalls formal – das Risiko etwaiger Religionsprozesse am Kammergericht36. Dessen jurisdiktionelle Praxis kann freilich nicht mit der zeitgenössischen Propaganda als „rechtlicher Krieg“ klassifiziert werden, weil die weitaus meisten Verfahren entweder ohne rechtliche Erkenntnis versandeten oder so lange hinausgezögert wurden, bis sie durch kaiserliche Suspension stillgelegt wurden bzw. durch einen außergerichtlichen Vergleich obsolet wurden37. Bis 1542, als das Gericht sich anschickte, die schmalkaldische Offensive gegen Herzog Heinrich von Braunschweig, die die Städte Goslar und Braunschweig vor Übergriffen schützen sollte, in der Hauptsache aber ein Rachefeldzug der beiden Bundeshauptleute gegen ihren Erzfeind war, zu ahnden38, spielte die Option einer Rekusation auch in weltlichen Streitsachen nur vorübergehend – auf Initiative Straßburgs in den Verhandlungen des Braunschweiger Bundestages 1538 – eine nennenswerte Rolle39. Zwar schrieb das Gericht bereits im Januar 1535 potenziellen Klägern vor, vor Eröffnung eines Contumazialverfahrens, das seit der Rekusation vom Januar 1534 in religionspolitischen Streitsachen angewandt wurde, einen ernsthaften außergerichtlichen Versuch der gütlichen Verständigung zu unternehmen40, aber dies relativierte nicht die Überzeugung, dass das Gericht es zielstrebig darauf anlege, sich als entschiedener Widerpart der protestantischen Reform zu profilieren, und änderte auch nichts an der Gewissheit massiver Bedrohung durch diverse jurisdiktionelle Aktivitäten, gegen die sich die protestierenden Stände durch Interventionen beim Kaiser und bei König Ferdinand immer wieder energisch zur Wehr setzten.
Während die auf dem Bundestag in Schmalkalden Ende 1535 angeknüpften auswärtigen Kontakte zu Frankreich und England ohne spektakuläre Folgen blieben und sich das Verhältnis zum Kaiser nach einiger Irritation im Sommer 1536 zunächst wieder entspannte41, implizierten die Ankündigung des Generalkonzils und seine Einberufung nach Mantua ein brisantes Konfliktpotenzial, das die Verhandlungen des Reichsvizekanzlers Held, der bereits zuvor in München und Nürnberg für den Konzilsbesuch bzw. um Vorschläge für einen konzilsunabhängigen Reunionsversuch, für die Türkenhilfe, für eine Neuregelung der Finanzierung des Kammergerichts geworben und um Gutachten zur Wahrung des Reichsfriedens gebeten hatte42, auf dem Bundestag in Schmalkalden aktivierten. Diese Eskalation erklärt sich nicht, wie eine auf die zeitgenössische protestantische Propaganda zurückgehende, hartnäckige historiographische Legende meint43, aus dem ‚schroffen’ Gebaren Helds, der sich an seine deutsche Instruktion – die französische war nur für seine Beratungen mit König Ferdinand gedacht – hielt44, sondern vornehmlich aus den Rahmenbedingungen, unter denen er seinen Auftrag zu erledigen hatte, und aus den sachlichen Differenzen in den religions- und friedenspolitischen Vorstellungen des Kaisers und der Protestierenden45. Die Ankündigung eines Generalkonzils für Mai 1537 und die Einladung an die Protestierenden, daran teilzunehmen, stellten den Nürnberger Anstand in Frage, dessen Ende damit bevorzustehen schien. Dass Held zugleich auch das Interesse des Kaisers an einer friedlichen Lösung des Glaubensproblems und an gleichzeitigen durchgreifenden kirchlichen Reformen hervorhob, blieb ohne Resonanz46. Sehr aufmerksam und missfällig wurde dagegen registriert, dass Held keine positive Entscheidung des Kaisers auf den im Vorjahr durch eine eigene Gesandtschaft übermittelten Antrag der schmalkaldischen Verbündeten mitbrachte, den Frieden auf die nach 1532 konvertierten Stände auszudehnen. Statt dessen vertrat Held konsequent die offizielle religions- und friedenspolitische Konzeption der kaiserlichen Regierung, das heißt eine eher restriktive Interpretation des Friedstandes von 1532, die darauf abzielte, den konfessionellen Status quo von 1532 festzuschreiben, das Recht des Papstes zur Einberufung und Organisation des Konzils voraussetzte und dahin tendierte, den Begriff „Religionssachen“ wie das Kammergericht enger als die Rechtsauffassung der Protestierenden zu definieren47. Die kaiserliche Regierung hoffte, das Reich in diesem Rahmen mit prokaiserlicher Tendenz stabilisieren und in Distanz zu Frankreich, wenn aktive Unterstützung schon nicht zu gewinnen war, halten zu können. Es lag allerdings nahe, die Ausführungen Helds, die nach den bisherigen kaiserlichen Verlautbarungen und dem Fehlschlag der vorjährigen schmalkaldischen Gesandtschaft kaum überraschen konnten, unter dem Eindruck der gleichzeitigen innerbündischen Diskussion als Bestätigung der an den Vortagen referierten Argumentation der Bundeshauptleute zu interpretieren, die das aktuelle Gefahrenpotenzial der politischen Entwicklung im Reich als höchst bedrohlich eingeschätzt hatten und diese Lagebeurteilung an den Tagen nach Helds Vortrag wiederholten. Da ein päpstliches Konzil unter keinen Umständen anerkannt, mit seiner Eröffnung aber der Friedstand für beendet erklärt werden konnte und die Neumitglieder des Bundes friedensrechtlich ungeschützt blieben, lag es nahe, auf eine dezidierte Konfrontationsstrategie zu setzen, um die Vorbehalte gegen das päpstliche Konzilsprojekt zu unterstreichen, die protestantische Interpretation des Nürnberger Friedstandes, was die Kammergerichtsprozesse betraf, unnachgiebig zu vertreten, die Entschlossenheit der Verbündeten, die Neumitglieder im Notfall militärisch zu schützen, nachdrücklich zu betonen und sich zu der Verpflichtung zu vorbehaltloser gesamtprotestantischer Solidarität unmissverständlich zu bekennen48. Dass sich Held in seiner Replik vornehmlich auf formaljuristische Argumente stützte49, aber auch missbilligte, „dass man einem das sein Thätlicher Weiß ausserhalb Rechtens entziehen solt“, zudem die Nürnberger Suspensionsklausel auf alle religionspolitisch relevanten Beschlüsse und Verfügungen seit dem Wormser Edikt ausdehnte50 und damit implizit zu erkennen gab, dass die kaiserliche Regierung die neugläubige Interpretation des Speyerer Reichsabschiedes von 1526 in Zweifel stellte, die Verbindlichkeit des Augsburger Abschiedes von 1530 für alle Unterzeichner postulierte und den Nürnberger Friedstand als eng begrenzte Ausnahmeregelung zur Sicherung des 1532 gegebenen konfessionellen Status quo auffasste, jedenfalls nicht als Freibrief für die Expansion der neuen Lehre gelten lassen wollte, verstanden die Schmalkaldener unter dem Eindruck des ihnen an den Vortagen beschriebenen aktuellen Bedrohungsszenariums als bedrohlichen Frontalangriff auf ihre kirchliche Reformpolitik, für die sie theologisch verbürgte Legitimität, also höheres Recht glaubten in Anspruch nehmen zu können. Während die kaiser liche Regierung primär von traditionalen Rechtsvorstellungen ausging, die nur in enger Begrenzung vorübergehend relativiert werden durften, beanspruchten die Protestierenden eine grundlegend neue kirchliche Rechtsordnung, die die überkommenen Strukturen weitgehend auflösen bzw. modifizieren sollte, und scheuten sich nicht, ihre Position in diesem grundsätzlichen Konflikt klar zu profilieren. Dementsprechend kompromisslos und harsch fiel ihre Duplik auf Helds Erläuterungen aus, in der sie sich vor allem auf die Rechtfertigung der Konfiskation von Kirchengut konzentrierten und dabei den Kern des Glaubenskonfliktes schonungslos offenlegten, indem sie zum Beispiel klarstellten: „Daß aber vielleicht dafür wölle gehalten werden, ob wir gleich in unsern Gebieten den wahren Gottesdienst auffgericht, so sollten wir doch gleich wol die Mönch und andere bey ihren sondern Messen und andern Missbrauchen bleiben haben lassen, solches will uns nicht gebühren noch zustehen, wir wollten uns dann ihrer Mißbräuch und Gotteslästerung zu Beschwerung unser Seelen und Gewissen mit theilhaftig machen [...]. So leugneten wir dannoch gleichwol mit der That die Warheit Gottes dardurch, dass wir solchen Grewel und Missbrauch darneben in unsern Obrigkeiten und Gebieten duldeten. Dann nicht allein mit Worten, sondern auch mit widerwertiger That unrechtes Gottes-Dienst wird die Warheit und Christus selbst verleugnet, wie das ihre eigene geistliche Recht sagen“51. Damit war die substantielle Tragweite der konfessionellen Auseinandersetzung offen benannt. Denn während sich Held und die kaiserliche Regierung im politischen Umgang mit der Glaubensspaltung auf die juristisch-politische Perspektive beschränkten und die religiös-theologische Entscheidung dem Generalkonzil überließen, rekurrierten die Protestierenden auf ein Problemverständnis, das auf ihrer festen Glaubensüberzeugung basierte. Deren theologische Fundierung begründete für die kirchenpolitische Praxis ein höheres Recht, das die protestantische Expansion legitimierte und sonstige, zum Beispiel kanonische Rechtsansprüche oder rechtlich-politische Einwände relativierte. Was für die eine Seite im juristischen Urteil ein eindeutiger Rechtsbruch war, der allenfalls um des Friedens willen bzw. aus politischem Interesse notgedrungen in Kauf genommen werden konnte, galt der anderen Seite in der theologischen Überzeugung vom wahren Glauben als Auftrag Gottes, der den Anspruch der Obrigkeit auf das ius reformandi legitimierte und um des Seelenheiles willen zu erfüllen war. Dieser grundlegende Dissens im Urteil über Legalität und Legitimität religionspolitischen Handelns, der den Kern des Konfliktes der Protestierenden mit dem Reichsvizekanzler, das heißt mit der offiziellen Konzeption der kaiserlichen Politik in Schmalkalden ausmachte und der im Übrigen auch den von Held eingebrachten kaiserlichen Antrag auf Hilfe gegen die Türken bzw. Frankreich, über die man nur auf einem Reichstag beraten und die man nur nach einer verlässlichen Friedensgarantie leisten wollte, auf Übernahme der Kammergerichtsfinanzierung und auf ein Verbot des Kriegsdienstes für den französischen König hinfällig werden ließ52, belastete die reichspolitische Entwicklung künftig erheblich.
Während die internen theologischen Differenzen nach der Diskussion über die Schmalkaldischen Artikel Luthers und nach der Annahme des Verdikts Melanchthons gegen das Papsttum seit dem Frühjahr 1537 im Schmalkaldischen Bund nicht mehr kontrovers thematisiert wurden und dieser Sprengsatz auf der Basis der Wittenberger Konkordie von 1536 definitiv neutralisiert werden konnte53 und auch in der reichsrechtlich prekären Frage der Kirchengüter eine nach außen schlüssig vertretbare Verständigung gelang54, gab die Entwicklung im reichspolitischen Umfeld den Verbündeten immer wieder Anlass zu Sorge und Furcht. In den folgenden Jahren liefen in den fürstlichen Residenzen und den Reichsstädten in unregelmäßigen Abständen immer wieder Gerüchte, Nachrichten und Informationen ein, die die Protestierenden enorm beunruhigten und von der Notwendigkeit zielstrebiger Vorkehrungen und Rüstungen für den Ernstfall überzeugten, die dann unter dem Druck der Bundeshauptleute im Rahmen der 1535 verabschiedeten, 1536 noch einmal modifizierten Wehrverfassung des Bündnisses auch schrittweise vorangebracht wurden55. Dabei handelte es sich 1537–1538/1539 unter anderem um Indiskretionen über die Aktivitäten Helds, der spätestens in Schmalkalden endgültig die Überzeugung gewann, dass die Politik der Sicherung des Status quo von 1532 der machtpolitischen Stütze im Reich bedurfte, und deshalb das bereits Ende 1536 sondierend angebahnte Projekt eines reichsweiten Gegenbundes gegen die Allianz der Protestierenden nunmehr tatkräftig und zielstrebig betrieb und schließlich nach zähen Verhandlungen mit potenziellen Interessenten und Gleichgesinnten im Juni 1538 die Gründung des Nürnberger Bundes zuwege bringen konnte, dem zunächst König Ferdinand, der zwar Helds Verhandlungsführung in Schmalkalden vorübergehend kritisierte, dessen Bundesplan aber bei seinem Bruder energisch unterstützte56, die bayerischen Herzöge Wilhelm und Ludwig, Herzog Georg von Sachsen, die Herzöge Erich und Heinrich d. J. von Braunschweig, der Erzbischof von Salzburg und Albrecht von Brandenburg als Erzbischof von Magdeburg und Bischof von Halberstadt angehörten und dem sich später nur noch die Bischöfe von Merseburg und Meißen und die thüringische Stadt Mühlhausen anschlossen57. Der Bund sollte die weitere dynamische Ausbreitung des Protestantismus verhindern, um die politische Dimension des Religionsproblems sowohl im Hinblick auf die Reichsordnung als auch auf die zwischenterritorialen Beziehungen im Rahmen des im altgläubigen und kaiserlichen Sinne interpretierten Nürnberger Friedstandes festzuhalten und weiteren Einbrüchen in die recht verstandene Ordnung vorzubeugen58. Held konnte sich bei seinen Sondierungen für den Bundesplan mit einigem Recht auf die Konzeption der bisherigen kaiserlichen Reichspolitik, die seiner deutschen Instruktion zugrundelag, und auf die in seiner Geheiminstruktion unter anderem zur Diskussion gestellte Idee eines reichsweiten Bundes oder Bündnissystems zur Sicherung der politischen Stabilität und des Landfriedens, zudem auf die Klausel berufen, die ihm und Ferdinand für die Sicherung des Reichsfriedens freie Hand gab59. Dazu passt, dass der Nürnberger Bund offenblieb für den Beitritt protestantischer Stände, die bereit waren, auf weitere Neuerungen zu verzichten und die Entscheidungen eines Generalkonzils bzw. einer ersatzweise in kaiserlicher Regie organisierten Reforminitiative anzuerkennen60. Dementsprechend definierte man auch in München den Bund gelegentlich als potenziell interkonfessionelle, auf den Landfrieden gegründete Einung, die als Gegengewicht gegen den Schmalkaldischen Bund fungieren sollte61. Die Gründung des Bundes, der gegebenenfalls auch auf einem etwaigen Reichstag der kaiserlichen Politik Rückhalt bieten konnte, sollte im ganzen Reich publiziert werden, um den Friedenswillen des Kaisers zu dokumentieren und Gehorsam und Loyalität zu sichern, denn „sans ce moyen le tout va pour le tout en perdition, non seullement en tant que concerne la religion, mais aussi quant a la police, regime seculiere [sic!] et la souverainete de ladicte Germanie“62. Diese Konzeption, die einer laut vorliegender Informationen in Kürze bevorstehenden präventiven Offensive der Schmalkaldener vorbeugen und einen Religionskrieg verhindern sollte63, konnte allerdings nach außen kaum die nötige Überzeugungskraft entfalten, weil die Nürnberger Verbündeten an der grundsätzlichen Verbindlichkeit des Augsburger Reichsabschieds von 1530, der ja die überkommenen Ordnungsprinzipien vorbehaltlos bestätigt hatte, konsequent festhielten und darauf ihr Legitimitätsverständnis und die Rechtfertigung ihrer politischen Praxis stützten. Denn die Intention, der dynamischen Expansion des im Schmalkaldischen Bund organisierten Protestantismus entgegenzuwirken, um sie zum Stillstand zu bringen, verlangte eine Politik der klaren konfessionspolitischen Konfrontation, die weitere religionspolitische Kompromisse nach Art des Nürnberger Anstands ausschloss64 und eine endgültige Lösung der aus dem Glaubenszwiespalt entstandenen Reichsfriedensproblematik unter der Autorität eines Generalkonzils, das heißt durch die Durchsetzung der traditionalen Ordnungsprinzipien, oder ersatzweise eine interimistische Entspannung durch eine kaiserliche Reforminitiative gewährleisten sollte65. Diese traditionsgebundene Strategie ließ sich zwar trotz intensiver Bemühungen bei Kaiser und König nicht im vollen Umfang realisieren66, weil es nicht gelang, wie geplant alle nicht-schmalkaldischen Kräfte im Reich zusammenzufassen und entsprechend zu aktivieren67, und weil die kaiserliche Verständigungs- und Religionspolitik sie in der Folgezeit als Alternative erfolgreich überspielte, die Bundesgründung verschärfte aber die politische Polarisierung zwischen den Religionsparteien erheblich, so dass sich die schmalkaldischen Verbündeten einer ständigen, latenten militärischen Bedrohung ausgesetzt glaubten. Diese Konstellation und die Verhängung der Reichsacht über die Stadt Minden durch das Kammergericht im Oktober 1538, die das Trauma des „rechtlichen Krieges“ unabweislich zu bestätigen schien68, motivierten die beiden Bundeshauptleute seit Mai 1538 zur intensiven Diskussion über die Zweckmäßigkeit bzw. Notwendigkeit eines Präventivkrieges gegen die altgläubigen Kräfte im Reich69. Sie konnten sich in ihren Überlegungen bestätigt fühlen, als Ende Dezember 1538 ein Sekretär Herzog Heinrichs von Braunschweig, der ihnen zu Beginn des Jahres, als sie zum Bundestag nach Braunschweig reisten, das Geleit verweigert hatte und seitdem und als Protagonist des Nürnberger Bundes als ihr erklärter Feind galt, in die Hand des hessischen Landgrafen geriet und das bei ihm gefundene Material aggressive Pläne und Absichten der Gegenseite vermuten ließ70. Dass das skizzierte Bedrohungsszenarium nicht zum offenen militärischen Konflikt führte, lag vor allem daran, dass bereits 1538 Bestrebungen einsetzten, die auf Friedenssicherung und Entspannung abzielten. Zwar bewirkte die Initiative der Königin Maria, die Johann von Naves in Hessen sondieren und über die Sicherung des Friedens im Reich und über eine Verständigung des Kaisers mit den Protestierenden konferieren ließ, noch keine unmittelbare Revision der Politik des Landgrafen, wenn auch das Angebot seiner Dienste für den Kaiser und die Zusage seiner Neutralität im Konflikt um Geldern mittelfristig eine reichspolitische Alternative zu eröffnen schienen71, und fand das Ergebnis des von Georg von Carlowitz Ende 1538 angeregten, im Januar 1539 veranstalteten Leipziger Kolloquiums zwischen Bucer und Witzel zwar weite Verbreitung und lebhaftes Interesse, wenn auch keine offizielle Anerkennung als Entwurf einer allgemein überzeugenden religiösen Konkordie72, aber die im Sommer 1538 von Kurfürst Joachim von Brandenburg angebahnte Vorbereitung neuer Friedstandsverhandlungen zeitigte im Folgejahr in Frankfurt einen immerhin partiellen Erfolg, der sich nach geraumer Zeit als Weichenstellung für eine konzeptionelle Alternative zur parallelen Politik der Nürnberger Verbündeten und zu den von Karl V. geduldeten Kontakten der Königin Maria zu den schmalkaldischen Bundeshauptleuten bewähren sollte73.
König Ferdinand ließ sich, obwohl er zugleich die Pläne Helds und dessen bündnispolitische Strategie nachdrücklich unterstützte und beim Kaiser engagiert befürwortete74, auf das brandenburgische Projekt ein, weil sein Königtum zwar mittlerweile, von den noch nicht erledigten kursächsischen Vorbehalten abgesehen, allgemein anerkannt war, seine Handlungsmöglichkeiten aber aufgrund der mit Karl V. 1531 vereinbarten Moderación del Poder beschränkt blieben und er auf die Reichshilfe gegen die Türken angewiesen war75.
Nach dem Ende des Feldzuges von 1532 hatte Ferdinand Verhandlungen mit dem Sultan eingeleitet und im Sommer 1533 die Vereinbarung eine mehrjährigen Waffenstillstandes erreicht, damit aber die häufigen türkischen Grenzübergriffe nicht verhindern können, die sich 1536 unter Führung des Paschas von Belgrad zu einem regelrechten Grenzkrieg ausweiteten. Die deshalb mobilisierte Armee unter Katzianer erlitt im Folgejahr bei Esseg eine vernichtende Niederlage. Die Türkenliga von 1538 zwischen dem Papst, Venedig, dem Kaiser und König Ferdinand und der Waffenstillstand von Nizza brachten nicht die erhoffte Entlastung. Zwar konnte Johann Zápolya 1538 den geplanten Vorstoß Suleimans auf Siebenbürgen durch umfangreiche Geschenke und erhebliche Konzessionen abwenden, aber im Juli 1539 ließen Nachrichten aus Slawonien eine erneute türkische Offensive befürchten, die sich verheerender als alle früheren Angriffe auszuwirken drohte, wenn Frankreich, England und Venedig, das sich bereits um einen Waffenstillstand bemühte, sich mit dem Sultan verbündeten. Der um die Jahreswende 1539/1540 initiierte Aufstand in Siebenbürgen unter Führung der dortigen Woiwoden, die Ferdinand um Intervention ersuchten, blieb Episode76. Die Verhandlungen, die Ferdinand in wiederholten Anläufen mit Zápolya, zum Teil unter Einschaltung des Erzbischofs von Lund und des Reichsvizekanzlers Held, das heißt unter kaiserlicher Vermittlung, führte, zeitigten zwar schließlich mit dem Vertrag von Großwardein vom 24. Februar 1538, der den von Zápolya beherrschten Teil des Königreiches Ungarn nach dessen Tod Ferdinand übertrug, das gewünschte Ergebnis, aber die Auseinandersetzung um die Publikation dieses Vertrages, die das habsburgische Thronfolgerecht bekräftigen sollte, den Sultan aber provozieren musste und deshalb durch umfangreiche Rüstungen Karls V. und seines Bruders zum Schutz Zápolyas abgesichert werden sollte, zog sich jahrelang hin77. Erst mit dem Tod Zápolyas am 22. Juli 1540 trat eine grundlegende Wende ein78, die Ferdinand denn auch umgehend in Verhandlungen mit Königin Isabella über ihren Thronverzicht und durch die Belagerung Ofens zu nutzen suchte. Da der Sultan nicht bereit war, diese Entwicklung hinzunehmen, und sich anschickte, militärisch zu intervenieren, sah sich Ferdinand gezwungen, sich auf dem Regensburger Reichstag 1541 erneut um die Türkenhilfe des Reiches zu bemühen, nachdem solche Initiativen in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre wiederholt fehlgeschlagen waren.
Nach den Erfahrungen, die er 1534/35 mit einem entsprechenden Projekt gemacht hatte, schied die Möglichkeit, einen Reichstag einzuberufen, unter den gegebenen Umständen aus. Damals hatte er unmittelbar nach dem Abschluss des Vertrages von Kaaden zur Festigung seiner Stellung als römischer König und zur Konsolidierung der reichspolitischen Verhältnisse die Veranstaltung eines Reichstages erwogen, der über die Religionsfrage, die Sicherung des Landfriedens, besonders durch Maßnahmen gegen die Münsteraner Täufer, die Türkenabwehr, die Finanzierung des Kammergerichts und über die auf früheren Reichstagen unerledigten Punkte beraten sollte. Der Kaiser hatte sich mit diesem Plan zwar einverstanden erklärt, aber zugleich empfohlen, seine Realisierung umsichtig abzusichern und überhaupt vorsichtig vorzugehen. Noch bevor der kaiserliche Konsens vorlag, begann Ferdinand sein Projekt in Gang zu setzen, indem er umfangreiche Sondierungen bei Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädten organisierte, die Aufschluss geben sollten über die Akzeptanz und die Erfolgsaussichten eines umgehend einzuberufenden Reichstages. Dabei ergab sich ein mehrheitliches Votum, das von einer Thematisierung der Religionsfrage abriet, weil damit der Nürnberger Friedstand enden würde. Zum Problem des Landfriedens konnten viele befragte Stände auf den Ende Dezember 1534 in Koblenz von den Vertretern der drei rheinischen Reichskreise vereinbarten allgemeinen Verhandlungstag verweisen, der am 4. April 1535 in Worms zusammentreten und über Maßnahmen gegen die Münsteraner Täufer befinden sollte. Ferdinand fand sich seinerseits bereit, diese Lösungskonzeption, die 1535 in einer kreis- und konfessionsübergreifenden Aktion mit Erfolg, das heißt mit der Bestrafung und Vertreibung der Täufer und der Restitution der Stadt an Fürstbischof Franz von Waldeck realisiert werden konnte79, durch zweckdienliche Ermahnungen an die kreisausschreibenden Fürsten und durch Vertreter des österreichischen Reichskreises zu unterstützen, so dass aus dem ursprünglich für einen Reichstag vorgesehenen Beratungsprogramm nur noch das damals nicht akute Problem der Türkenabwehr und einige Punkte übrig blieben, die – zumindest in ständischer Sicht – den Aufwand eines Reichstages kaum rechtfertigen konnten80.
Zudem hatte man in Wien einsehen müssen, dass die Terminierung des Nürnberger Friedstandes die Veranstaltung eines Reichstages vorab ausschloss bzw. dazu zwang, bei entsprechendem Handlungsbedarf die politische Repräsentation des Reiches in einer strukturellen Alternative zu organisieren. In Koblenz hatte man sich auf den Ausweg verständigt, die Gesamtheit des Reiches in der Kooperation aller Reichskreise zu aktivieren81. Um der Klassifikation des auf den 4. April nach Worms ausgeschriebenen Tages als Reichstag vorzubeugen, weil dann der Nürnberger Anstand in Frage stand, legte Ferdinand strikt Wert darauf, dass seine Vertreter sich nur auf Verhandlungen über eine Lösung des Münsteraner Täuferproblems, für die die Kompetenz der Reichskreise zur Sicherung des Landfriedens in Anspruch genommen werden konnte, einlassen durften82. Dabei konnte man sich zusätzlich auf die in den Reichsabschieden von 1529 und 1530 festgeschriebene allgemeine Verpflichtung zur Unterdrückung des Täufertums berufen, um das auf Reichsebene geplante Vorgehen zu legalisieren83. Dass dieses Verfahren nicht widerspruchslos hingenommen und vor allem seitens der Reichsstädte gravierende Einwände geltend gemacht wurden, kann nicht überraschen, weil es sich um eine ganz neuartige Initiative handelte, die durch das reichspolitische Herkommen nicht autorisiert war84. Daraus erklären sich auch die nachweisbaren formalen Parallelen zur Verhandlungsführung auf Reichstagen und die verfassungsrechtlichen Unstimmigkeiten im Vergleich zum späteren, voll ausgebildeten Reichskreistag. Es spricht deshalb nichts dagegen, entsprechend der Intention der Zeitgenossen, eine Alternative zum regulären Reichstag zu organisieren, um unter den gegebenen Umständen reichspolitische Handlungsfähigkeit zu sichern, den Koblenzer Beschluss vom Dezember 1534 zur Einberufung der Wormser Versammlung als frühen Ansatz zur Entwicklung des Reichskreistages aufzufassen85, der auch die Wormser Tagungen vom Juli und November 1535, die mit der Abwicklung der erfolgreichen Exekution gegen das Münsteraner Täufertum befasst waren86, zugeordnet werden können.
Die Strategie, die politische Repräsentation der Ständegesamtheit über die Reichskreise zu organisieren, hat König Ferdinand in den folgenden Jahren noch einmal erprobt, freilich ohne überzeugenden Erfolg. Unter dem Eindruck massiver türkischer Operationen in Slawonien versuchte Ferdinand, da der Kaiser einen Reichstag unter den gegebenen Umständen nicht für opportun hielt, in einem eher umständlichen, von vorneherein kaum aussichtsreichen Verfahren, die Hilfe der Reichsstände zu mobilisieren. Es fiel den Adressaten nicht allzu schwer, seine Rundschreiben vom Dezember 1536 hinhaltend, ablehnend oder ausweichend zu beantworten87. Auch der Versuch, unter Verweis auf das Vorbild des bayerischen Kreises, der sich am 18. Februar 1537 auf seinen Beitrag zur Türkenabwehr verständigte, die Beschlussfassung und administrative Vorbereitung zur Türkenhilfe über die einzelnen Reichskreise zu organisieren, schlug fehl88. Da die kreisausschreibenden Fürsten höchst unbefriedigend bzw. gar nicht reagierten, entschied sich Ferdinand für die Alternative, die Entscheidungsfindung über die Türkenhilfe zentral zu forcieren. Da der Kaiser sich gegenwärtig nicht für die Einberufung eines Reichstages gewinnen ließ, plante er für den 1. August 1537 einen Reichskreistag in Worms, zu dem die Kreise auf voraufgehenden Kreistagen ihre Delegierten abfertigen sollten. Als Beratungsgegenstand war zwar nur die Finanzierung des Kammergerichts vorgesehen, die bis zum 1. Mai 1534 je zur Hälfte vom Kaiser und den Reichsständen getragen werden sollte, seitdem aber vom Kaiser allein aufgebracht werden musste. Da aber Ferdinands Ansuchen vom 1. Mai 1537, die Türkenhilfe über die Reichs kreise zu organisieren, noch unerledigt war, gingen kreisausschreibende Fürsten und Kreisstände davon aus, dass in Worms auch darüber verhandelt werden sollte. Die königlichen Kommissare setzten denn auch in ihrer Proposition zur Wormser Tagung Anfang August die Türkenhilfe auf die Tagesordnung, freilich ohne Erfolg. Denn die Stände negierten zum Teil bereits im Vorfeld der Versammlung, die sich auch nicht, wie von Ferdinand intendiert, als Vertretung der Reichskreise konstituierte, sondern eher disparat und informell zusammengesetzt war, im Übrigen auch die schmalkaldischen Verbündeten, die auf einer Parallelveranstaltung in Ladenburg berieten, nicht einschloss, deren Kompetenz zur Repräsentation der Gesamtheit des Reiches. Demnach war die Wormser Tagung zu verbindlicher Beschlussfassung über die Unterhaltung des Kammergerichtes und die Leistung einer Türkenhilfe nicht befugt, nicht nur weil die für diesen Fall zugesagte Ermäßigung der Reichsanschläge nicht erfolgt war, sondern vor allem, weil es sich um eine Partikularinitiative handelte, deren Ergebnis keine allgemeine Verpflichtung der Reichsstände begründen konnte89. Die dazu notwendige reichspolitische Repräsentationskompetenz wurde nur für den Reichstag anerkannt, der zwar in der Diskussion über die Wormser Veranstaltung als verfassungskonforme Alternative ins Spiel gebracht wurde, dessen Einberufung aber wegen der Terminierung des Nürnberger Anstandes zu riskant schien. Damit war Ferdinands Projekt, reichspolitische Handlungsfähigkeit über einen Reichskreistag zu initiieren, gescheitert90. So blieb im Frühjahr 1538 zunächst wieder nur der Appell an einzelne Reichsstände, finanziell zur Abwehr der Türkengefahr beizutragen91. Auch der Versuch, nach der Vereinbarung des Frankfurter Anstandes führende altgläubige Reichsstände in Kooperation mit den schmalkaldischen Verbündeten zur Bewilligung einer Türkenhilfe zu bewegen, schlug gründlich fehl. Die im Juni 1539 in Worms geführten Verhandlungen blieben ohne Ergebnis, weil die Stände wie 1537 die Moderation der Reichsanschläge als Voraussetzung für eine neue Hilfsleistung einforderten und vor allem nur den Reichstag als reichspolitisches Repräsentationsorgan anerkennen wollten, für dessen Beschlüsse in politisch bedeutsamen bzw. verfassungsrelevanten Fragen allgemeine Verbindlichkeit beansprucht werden konnte92. Dieses ständische Votum bestätigte erneut die Aporie, in die die reichspolitische Entwicklung nach 1532 geraten war. Da nur der Reichstag als kompetentes Organ zentraler Entscheidungsfindung und Handlungsberechtigung galt, seine Einberufung sich aber nicht empfahl, weil dann der Nürnberger Friede in Frage stand und eine Eskalation der religionspolitischen Polarisierung zu befürchten war, war das politische Potenzial des Reiches lahmgelegt und seine vor allem von Ferdinand dringend gewünschte Mobilisierung gegen die Türken unmöglich. Diese Stagnation schien nur überwindbar, wenn eine konsensfähige Lösung des Glaubensproblems gelang. Damit gewann die Konzilsfrage erneut reichspolitische Relevanz.
Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 hatte der Kaiser im Juli und im Oktober 1530 in eigenhändigen Schreiben an Clemens VII. auf die Veranstaltung eines Generalkonzils gedrängt und hatte dies nicht nur mit der Notwendigkeit, eine Lösung des deutschen Häresieproblems herbeizuführen, sondern auch mit dem allgemeinen Reformbedarf, den er in der Christenheit bei Klerus und Laien konstatierte, begründet. Demnach sollte das Konzil neben der definitiven Klärung der theologischen Kontroverse ein wirksames innerkirchliches Reformprogramm entwickeln und beschließen, dessen Realisierung Kirche und Gesellschaft in christlichem Geist erneuern sollte93.
Auf dem Regensburger Reichstag von 1532 hatte die altgläubige Mehrheit beantragt, der Kaiser solle sich mit allem Nachdruck in Rom für die Einberufung eines Generalkonzils einsetzen oder, wenn dies fehlschlug, selbst ein Generalkonzil ausschreiben bzw. ein Nationalkonzil veranstalten. Die Anregung des Kaisers, seine Bemühungen durch eigene Gesandte beim Papst, möglichst auch beim König von Frankreich und anderen christlichen Herrschern zu unterstützen, lehnten die Stände ab94. Der Reichsabschied vom 27. Juli 1532 sah dann vor, dass der Kaiser, wenn er beim Papst nicht erreichen konnte, dass das Generalkonzil innerhalb von sechs Monaten ausgeschrieben und danach innerhalb eines Jahres gehalten wurde, auf einem neuen Reichstag darüber beraten lasse, wie das Religionsproblem „durch berueffung eines gemeinen generalconcili oder sunst durch ander mittel und außtreglich weg, wie die zum gelegnisten und fur notturftig angesehen“, gelöst werden könne95. Gegenüber den Protestierenden verpflichtete sich der Kaiser, die Veranstaltung eines freien, christlichen Konzils zu betreiben oder, wenn dies fehlschlug, einen neuen Reichstag einzuberufen. Es ist Karl V. dann nicht gelungen, bei seinem Treffen mit Clemens VII. in Bologna vom 13. Dezember 1532 bis zum 28. Februar 1533 die sofortige Einberufung eines Generalkonzils, das notfalls auch ohne Konsens Englands und Frankreichs in einer oberitalienischen Stadt zusammentreten sollte, durchzusetzen. Papst und Kardinalskollegium hielten voraufgehende Sondierungen nicht nur bei den Königen von Frankreich, England, Polen und Portugal, sondern auch im Reich für unumgänglich. In ihrem Geheimvertrag vom 24. Februar 1533 vereinbarten Kaiser und Papst zudem für den Fall, dass die deutschen Protestanten den Konzilsplan ablehnten, einen neuen konzilsunabhängigen Reunionsversuch, den der französische König tolerieren sollte96. Zwar fand die Konzilswerbung des päpstlichen Nuntius Rangoni, den Lambert de Briarde als Vertreter des Kaisers begleitete, bei den altgläubigen Reichsständen durchweg eine positive Resonanz, sie stieß aber – wie im Übrigen aufgrund machtpolitischer Rivalität mit Karl V. auch bei Frankreich – auf die grundsätzliche Ablehnung der Protestierenden im Reich, deren Theologen vor allem die Berufung auf die konziliare Tradition der römischen Kirche, die im Voraus geforderte Verpflichtung auf die Konzilsbeschlüsse und den päpstlichen Führungsanspruch monierten, den Vorschlag Kurfürst Johann Friedrichs, ein Gegenkonzil zu veranstalten, allerdings aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung ablehnten. Die Antwort der schmalkaldischen Verbündeten vom 30. Juni 1533 auf die Werbung Rangonis fiel dementsprechend rundweg negativ aus97. Dass sich hinter der gleichzeitigen Forderung nach Unparteilichkeit einer Konzilsentscheidung in Glaubensfragen ein divergentes Konzilsverständnis verbarg, das sich mit der altkirchlichen Konzeption nicht vereinbaren ließ, belastete gravierend die religionspolitische Kommunikation zwischen Kaiser und Protestierenden in der Folgezeit.
Dem französischen König gelang es wenig später während ihrer Begegnung in Marseille im Oktober 1533 anlässlich der Hochzeit des Herzogs von Orléans mit Katharina von Medici, Clemens VII. das Konzilsprojekt, auf das er sich in Bologna nur widerwillig und zögerlich eingelassen hatte, definitiv auszureden und für die Alternative einer französischen Reunionsinitiative zu gewinnen, die durch die Organisation eines interkonfessionellen Religionsgespräches die religiöse Einheit wiederherstellen und so die kaiserliche Konzilspolitik durchkreuzen sollte. Auf diese Weise sollte die Voraussetzung geschaffen werden für den Anschluss des Schmalkaldischen Bundes an ein weitgreifendes europäisches, auch den Sultan einschließendes Allianzsystem gegen das Haus Habsburg. Guillaume du Bellay übernahm die Aufgabe, namhafte Schweizer Theologen und vor allem Philipp Melanchthon als führenden Vertreter der Wittenberger Theologie zur Mitwirkung an diesem Reunionsprojekt zu motivieren98. Unter dem Einfluss des Straßburger Arztes Ulrich Geiger ließ sich Melanchthon bewegen, seine theologische Position als Anleitung für die Reformation in Frankreich in seinem consilium ad Gallos zu erläutern, das aus Rücksicht auf die innerfranzösische Situation altgläubigen Vorstellungen weit, wie seine Kritiker meinten, zu weit entgegenkam99. Nach der „affaire des placards“, die die deutschen Protestanten als eklatanten Affront empfinden mussten, suchte der König mit seinem Manifest vom 1. Februar 1535, auf das Karl V. mit einer durch Adrian von Croy, Graf von Rœulx an die Reichsstände übermittelten Rechtfertigung seiner Politik gegenüber Frankreich und der Beteuerung seiner Friedfertigkeit gegenüber den Protestierenden reagierte, seine Religionspolitik und seine Kontakte zu den Türken zu rechtfertigen, um seine Beziehungen zu den deutschen Reichsständen zu entspannen und wieder zu konsolidieren100. Das nach wie vor propagierte Projekt interkonfessioneller Bemühungen um die religiöse Konkordie sollte nunmehr – nach dem Tod Clemens‘ VII. am 25. September 1534 – nicht mehr das Konzil ersetzen, sondern als unverzichtbarer Beitrag zu seiner Vorbereitung fungieren101. Im Sommer 1535 lud der König, der im Übrigen wenig später mit dem Amnestieedikt von Coucy vom 16. Juli 1535 einen Schlussstrich unter die Plakataffäre zog, Melanchthon zu Religionsgesprächen nach Frankreich ein und wollte Guillaume du Bellay mit führenden Protestanten im Reich verhandeln lassen, um eine möglichst weitreichende Übereinkunft, die auch die Anerkennung des päpstlichen Primats einschließen sollte, zur Entlastung künftiger Konzilsverhandlungen anzustreben, die später in päpstlicher Regie, womöglich sogar in Rom, geführt werden könnten102. Die Pariser Sorbonne widersetzte sich energisch dieser Strategie und Kurfürst Johann Friedrich verweigerte Melanchthon die erbetene Reiseerlaubnis, vor allem aus Rücksicht auf die bevorstehenden Verhandlungen mit König Ferdinand in Wien, wohl auch weil er zu weitgehende theologische Konzessionen fürchtete103. Aber Guillaume du Bellay setzte im Spätjahr 1535 mit seiner bereits im Sommer geplanten Reise ins Reich die französische Reunionsinitiative fort, für die er im Dezember 1535 die schmalkaldischen Verbündeten auf deren Bundestag in Schmalkalden gewinnen sollte. In seiner Rede vom 19. Dezember 1535 bestritt er zwar nicht die Notwendigkeit eines Generalkonzils, erklärte aber zu seiner Vorbereitung eine Konferenz deutscher und französischer Theologen in Frankreich oder im Reich für unbedingt erforderlich. Am folgenden Tag erläuterte du Bellay einigen Gesandten, darunter Melanchthon, Gregor Brück und Jakob Sturm, die religiösen Auffassungen seines Königs, um ihn als Verhandlungspartner zu empfehlen. Da aber die Schmalkaldener keine Neigung zeigten, auf den Antrag Franz‘ I. einzugehen, der zusammen mit England und Geldern ihrem Bündnis beizutreten wünschte, blieb auch die Reunionsinitiative folgenlos104.
Das französische Plädoyer für einen konzilsunabhängigen Reunionsversuch war konzipiert als Versuch, eine Alternative zum Generalkonzil zu konstruieren, das seit dem Nürnberger Reichstag von den Reichsständen und seit seiner Ablehnung der 1524 geplanten Nationalversammlung auch vom Kaiser zur Lösung des Häresieproblems und zur Erledigung der Reformforderungen gefordert wurde und das der neue Papst Paul III. zu organisieren entschlossen war. Unter den Nuntien, die die europäischen Hauptmächte über die Entschlossenheit des Papstes informieren und wegen der Wahl des Konzilsortes – vorgeschlagen wurden Mantua, Turin, Piacenza und Bologna – sondieren sollten, hatte Pier Paolo Vergerio, der bislang Nuntius in Wien gewesen war, den schwierigsten Auftrag zu erledigen, nämlich das Konzil im Reich anzukündigen. Die Reaktion der altkirchlichen Reichsstände fiel allerdings durchweg positiv aus105, wenn auch in variierender Akzentuierung und gelegentlich nicht ohne skeptischen Unterton. Selbst Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, der wenige Jahre später eine gemäßigt neugläubige Kirchenreform durchführen ließ, akzeptierte den päpstlichen Konzilsplan ohne grundsätzliche Vorbehalte. Nur Kurfürst Ludwig von der Pfalz lehnte unter Berufung auf die früheren Reichsabschiede Mantua und jeden anderen italienischen Konzilsort schroff ab, und Herzog Johann von Jülich-Kleve, der in seinen Territorien eine landesherrlich autorisierte, erasmisch inspirierte Kirchenreform in Gang gebracht hatte, beließ es bei einer allgemeinen, nichtssagenden Erklärung, die seine Skepsis notdürftig kaschierte. Der Kaiser und ihm folgend König Ferdinand wollten in der Ortsfrage den Konsens der Reichsstände akzeptieren, um dem Vorwurf der Missachtung verbindlicher Reichsabschiede zu entgehen. Das eigentliche Problem für Vergerio war die Konzilswerbung bei den Protestierenden, die auf dem Bundestag in Schmalkalden am 21. Dezember 1535 zwar erneut ihre Bereitschaft erklärten, an einem freien, christlichen Konzil in deutscher Nation teilzunehmen, die päpstliche Konzilsankündigung aber rigoros und scharf zurückwiesen, weil Mantua nicht als der auf Reichstagen beschlossene deutsche Tagungsort gelten könne, weil die Sicherheit der Teilnehmer und die Freiheit der Diskussion und der Beschlüsse nicht gewährleistet seien, der Papst sich nicht der Autorität des Konzils unterordne und weltliche Regierungsvertreter von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen blieben106. Da auch Frankreich und Heinrich VIII. von England, der sich und sein Land mit der Suprematsakte vom 3. November 1534 der päpstlichen Autorität entzog, dessen in Wittenberg vom Januar bis März 1536 geführten Verhandlungen über eine kirchliche Union mit den deutschen Protestierenden allerdings fehlschlugen, gegen den Konzilsplan Pauls III. opponierten und nach Kräften intrigierten107, scheiterte die päpstliche Initiative bereits im Stadium der Sondierung. Erst die Kooperation Pauls III. mit Karl V. nach dessen Rückkehr von seinem erfolgreichen Unternehmen gegen Tunis eröffnete eine neue konzilspolitische Perspektive108. Zwar war das kaiserlich-päpstliche Verhältnis zu diesem Zeitpunkt nicht frei von Spannungen, die aus verschiedenen Differenzen, besonders aus der kaiserlichen Resistenz gegenüber den familiären Interessen der Farnese an Camerino und an dem spanischen Bistum Jaén resultierten109, dies hinderte Karl V. aber nicht, in dem Promemoria, das am 9. Dezember 1535 in Neapel für Pier Luigi Farnese ausgefertigt wurde, die Notwendigkeit der Lösung der Glaubensfrage und die vorrangige Verantwortung des Papstes für die Ordnung in der Christenheit eindringlich in Erinnerung zu rufen, um damit die Forderung nach umgehender Einberufung eines Generalkonzils zu begründen. Die Alternative, mit den Protestierenden wie in Augsburg Sonderverhandlungen, deren etwaigen Ergebnisse ohnehin nur durch ein Konzil Rechtskraft und allgemeine Verbindlichkeit gewinnen konnten, zu führen, schien nicht opportun, weil damit nur Anlass gegeben würde zur weiteren Ausbreitung der Irrlehren und der ohnehin herrschenden Verwirrung. Der Kaiser glaubte im Reich ein allgemeines Interesse am Konzil voraussetzen zu können, nahm aber wie schon Ende September an, dass nicht nur England, sondern auch Kursachsen und sein Anhang die Teilnahme verweigern würden. Notfalls musste das Konzil auch ohne Frankreich veranstaltet werden, wenn es sich durch den Papst nicht gewinnen ließ. In diesem Fall sollte sich der Papst mit dem Kaiser, König Ferdinand und den übrigen italienischen Mächten mit dem Ziel verbinden, Frieden und Ordnung in Italien zu sichern, die Türken defensiv und offensiv zu bekämpfen, die Glaubensfrage durch ein Generalkonzil zu lösen, die Würde und die Autorität des Papstes zu wahren und die Interessen des Hauses Farnese zu fördern110. Der Kaiser hat mit dieser Argumentation Paul III. ebenso wenig zum Verzicht auf seine Neutralität bewegen können wie mit seiner engagierten Rede vor Papst und Kardinälen am Ostermontag 1536 in der Sala dei paramenti111. Immerhin gelang es ihm, nachdem Franz I. dem Drängen des Nuntius Pio da Carpi nachgegeben und, wenn auch unter Vorbehalt, der Veranstaltung eines Konzils zugestimmt hatte, in den während seines Romaufenthaltes im April 1536 geführten Verhandlungen die Berufung des Generalkonzils nach Mantua zum 23. Mai 1537 durchzusetzen. Als Aufgaben des Konzils nannte die Berufungsbulle Ad dominici gregis curam vom 2. Juni 1536 die Überwindung der Häresien, die sittliche Reform, die Befriedung der Christenheit und die Organisation des Kampfes gegen die Ungläubigen112.
Bereits bei der Abreise Karls V. aus Rom am 18. April 1536 standen die Aussichten, dieses Programm wie geplant zu realisieren, ungünstig. In den Verhandlungen nach dem Tod Francesco Sforzas hatte der Kaiser Mailand für den dritten Sohn des französischen Königs, Karl von Angoulême, angeboten, Franz I. verlangte aber nicht nur Ende März 1536 die Überlassung aller mailändischen Einkünfte, sondern seit Dezember 1535 auch die Übertragung des Herzogtums auf seinen zweitgeborenen Sohn Henri, den duc d’Orléans, der wegen seiner Ehe mit Katharina von Medici und etwaiger expansiver italienischer Ambitio nen für den Kaiser im Interesse am Frieden und an der politischen Stabilität Italiens nicht akzeptabel war113. Im März 1536 okkupierten französische Truppen Savoyen unter dem Vorwand, Ansprüche der Königinmutter sichern zu müssen, in Wahrheit, um über ein Faustpfand verfügen zu können in dem eskalierenden Konflikt um Mailand, der im Frühsommer 1536 in den offenen Krieg zwischen dem Kaiser und Frankreich mündete. Der kaiserliche Feldzug in der Provence mit dem Ziel, Marseille einzunehmen, scheiterte an der von Montmorency umsichtig organisierten Taktik der verbrannten Erde und endete mit dem Rückzug des Kaisers Ende Oktober 1536 nach Genua114. Aus diesem deprimierenden Misserfolg erklärt sich nicht nur die gesteigerte Entrüstung über die Neutralität des Papstes, dem er drohte, künftig nur noch seine Interessen zu verfolgen oder sich mit den deutschen Protestanten zu verständigen „con disavantaggio senza saputa di V. Stà.“115.
In dieser depressiven Grundstimmung wurde die Geheiminstruktion formuliert, die dem Reichsvizekanzler Dr. Matthias Held, der am 30. Oktober 1536 in Genua ins Reich abgefertigt wurde, nur als Anleitung für seine Beratungen mit König Ferdinand und dem Kardinal von Trient, Bernhard von Cles, dienen sollte und für sonstige Verhandlungen nicht gedacht war. Held sollte Ferdinand über den Stand der auswärtigen Beziehungen des Kaisers und die internationale Lage, die keine verlässlichen Schlussfolgerungen für die Planung der kaiserlichen Politik erlaubte, unterrichten. Diese Aporie und die katastrophale finanzielle Notlage, in der sich der Kaiser befand, motivierten dazu, die Möglichkeit zu sondieren, die Ressourcen des Reiches zu mobilisieren. Zu diesem Zweck mussten die Reichsstände über die Kooperation des französischen Königs mit den Türken und seine destruktive Konzilspolitik, die die religiöse Konfusion verschärfte, informiert und für das Problem der Glaubensspaltung eine konsensfähige Lösung gefunden werden, wenn der Papst, der trotz der Übeltaten des französischen Königs auf seiner ungerechtfertigten Neutralität beharrte, wegen des aktuellen Krieges, nicht zuletzt in der Furcht vor dem Verlust der Oboedienz der französischen Kirche, das Konzil, wie man offenbar fürchtete, weiterhin sabotierte. Die Beteuerung, trotz dieser negativen Erfahrungen nicht „contre lauctorite et dignite apostolique“ bzw. auf irgendeine Weise „contre le substancial de nre foy et les sainctes institutions catholicques“ handeln zu wollen, hinderte den Kaiser nicht, religionspolitische Varianten zur Diskussion zu stellen, die mit den kirchenpolitischen Vorstellungen und Intentionen der römischen Kurie kollidierten.
Unter strengster Geheimhaltung sollten Ferdinand und Held darüber beraten, ob man ohne Papst und Frankreich ein Generalkonzil unter Mitwirkung Portugals, Polens, der italienischen Staaten und der deutschen Reichsstände abhalten könne oder ob man, wenn man die Reichsstände entweder gar nicht oder nicht mehrheitlich für diesen Ausweg gewinnen könne, den Protestierenden einen unbefristeten Frieden auf der Basis des Nürnberger Anstandes oder einer neuen Vereinbarung einräumen könne oder ob sich ein Nationalkonzil zur Vereinbarung dissimulierender Kompromisse empfehle, „que ne seront substanciales et essentiales de nre saincte foy“, oder ob sich eine andere Lösung anbiete, die die Autorität des Kaisers und König Ferdinands nicht beeinträchtigte, oder ob man sich gedulden müsse, bis Gott, der den guten Willen der habsburgischen Brüder, eine konstruktive Konzeption zu finden, kenne, ein brauchbares Mittel schicke „tel quil congnoit convenir a son seruice“. Eine Präferenz für eine bestimmte Variante lässt der Text der Instruktion nicht erkennen116. Es handelt sich vielmehr um einen reinen Fragekatalog, der immerhin die Bandbreite der religionspolitischen Reflexion innerhalb der kaiserlichen Regierung belegt, aber als Maßstab für die Interpretation der Verhandlungsführung Helds in Schmalkalden völlig ungeeignet ist. Neben der deutschen Instruktion, die Held verpflichtete, die offizielle Linie der kaiserlichen Reichs- und Religionspolitik zu vertreten, das heißt die Festschreibung des konfessionellen Entwicklungsstandes von 1532 auf der Basis des Nürnberger Friedstandes abzusichern und die Anerkennung des nach Mantua ausgeschriebenen Konzils durchzusetzen, lässt die Geheiminstruktion ein vorab rein theoretisches Lösungspotenzial erkennen, das auch Spielraum ließ für die bündnispolitische Strategie, die schließlich 1538 in Nürnberg zu partiellem Erfolg führte. Denkbar waren freilich auch andere Konsequenzen aus dem Misserfolg Helds in Schmalkalden. Im März 1537 äußerte sich der Kaiser unter Bezug auf die dortigen Vorgänge sehr zurückhaltend zur Anfrage des Papstes nach einem Ersatz für Mantua als Konzilsort, weil seine und König Ferdinands Autorität im Reich auf dem Spiel stehe117. Im Mai/Juni 1537 wollte er Held und Lund bevollmächtigen, zusammen mit Ferdinand und in Kooperation mit altgläubigen Ständen im Reich für Entspannung zu sorgen. Notfalls könne man für einen späteren Zeitpunkt einen Reichstag in Aussicht stellen. Vor allem komme es darauf an, die Protestierenden auf den Status quo des Nürnberger Friedstandes festzulegen118. Im August billigte er zwar Helds Plan für ein Defensivbündnis, schlug aber zugleich einen Reichstag vor, um die Religionsparteien zu beruhigen und Aufruhr und sonstigen ständischen Machenschaften vorzubeugen. Held, der zugleich die Chancen eines Generalkonzils sehr skeptisch einschätzte, riet davon ab, weil die Protestierenden, solange der geplante Bund nicht existiere, ihre gewalttätigen Vorhaben nicht aufgeben würden. Und auch nach Gründung der Liga sei es nicht möglich, einen Reichstag zu veranstalten, ohne das Religionsproblem zu behandeln. Wenn der Kaiser dazu die Initiative nicht ergreife, würden sich zweifellos die Stände in eigener Regie um eine Lösung bemühen. Im Übrigen könnten Reichstagsverhandlungen über Religion und Türkenabwehr mit Unterstützung der künftigen Verbündeten durchaus erfolgreich verlaufen. Dann konnte die Strategie der Protestanten, auf einem Reichstag ihre Interessen durchzusetzen, wirksam durchkreuzt werden119. An einen Reichstag unter kaiserlicher Leitung war freilich vorab nicht zu denken, solange der Krieg mit Frankreich nicht beigelegt war.
Während Held im Reich den Auftrag seiner deutschen Instruktion erledigte und dann seinen Bundesplan zu realisieren suchte, warb der außerordentliche Nuntius Peter van der Vorst, der am 11. November 1536 die päpstliche Ankündigungsbulle König Ferdinand in Wien aushändigte, für die Teilnahme an dem nach Mantua ausgeschriebenen Konzil. Nicht bei allen von ihm angesprochenen altgläubigen Reichsständen erhielt er eine vorbehaltlose Zusage. In Schmalkalden gaben ihm die Protestierenden am 2. März 1537 die gleiche dezidiert negative Antwort wie dem gleichzeitig anwesenden Reichsvizekanzler Held120. Während die Wittenberger Theologen zwar das angekündigte Generalkonzil aus sachlichen Gründen ablehnten, weil es nicht ihren Kriterien entsprach, aber zusammen mit den Juristen in ihrem von Kurfürst Johann Friedrich geforderten Gutachten vom 6. August 1536 aus juristischen Überlegungen für eine formal flexible bzw. dilatorische Reaktion auf die päpstliche Konzilsinitiative plädierten und die Stellungnahmen der Theologen anderer Obrigkeiten eine beachtliche Bandbreite von rigoroser Ablehnung bis hin zur Empfehlung der Teilnahme, die zur Werbung für die neugläubige Lehre und zu deren Verteidigung bzw. zur Kritik an der altgläubigen Konzilskonzeption genutzt werden sollte121, sorgten die Politiker in Schmalkalden für eine schroffe Absage, nicht nur in der Überzeugung, „daß man in des Papsts Ausschreibens angemaßte Gewalt und Hoheit nicht willigen wollte, nachdem seine Anmaßung nicht von Gott, sondern wider Gott wäre, auch sein Reich ein lauter Gräuel und Tirannei“, sondern auch weil angenommen werden konnte, dass Karl V. die für Mantua vorgesehene Kirchenversammlung als das Konzil ansehen würde, bis zu dem der Nürnberger Anstand befristet war122. In ihrer Resolution vom 24. Februar/3. März 1537 machten die schmalkaldischen Verbündeten geltend, dass ihre Konfession bereits in der Berufungsbulle als Häresie diskriminiert werde und der Papst ihre Anhänger unerbittlich verfolge, sich dazu auch Könige und Fürsten bereits vor dem Konzil zu verpflichten suche, dass er und seine Anhänger als feindliche Partei, die zahlreiche Irrlehren und Missbräuche zu verantworten habe, nicht als Richter fungieren könnten und dass Mantua als Tagungsort nicht akzeptiert werden könne, weil Konsens bestehe, dass dazu eine Stadt in deutscher Nation gewählt werden müsse, zudem weil die große Macht, die der Papst in Italien habe, eine unzumutbare, enorme Bedrohung darstelle und weil die protestantischen Gemeinden während einer langen Abwesenheit ihrer Pastoren durch feindselige Einflüsse gefährdet seien. Unter Beteuerung ihrer Rechtgläubigkeit baten die Unterzeichner den Kaiser, „ut, cum tanta sit magnitudo causae, efficiat, ut aeterna Christi veritas patefiat et retineatur, et ut vera, pia et durabilis concordia, innixa firmo fundamento, quod est Christus et ipsius Evangelium, ad gloriam Dei et salutem universae Ecclesiae constituatur in generali synodo christiana et libera rebus cognitis per delectos iudices pios et doctos, non partiales non suspectos, et ut talis synodus in Germania habeatur“ 123. Mit dieser dezidierten Absage an ein nach altkirchlichem Muster organisiertes Generalkonzil erübrigten sich auch die Schmalkaldischen Artikel, die Luther auf Bitten Johann Friedrichs als persönliches testamentarisches Glaubensbekenntnis formuliert hatte und die die theologischen Differenzen zur rechtgläubigen Orientierung in der Auseinandersetzung mit der ‚Partei des Antichrist‘ provokativ markierten. Sie eigneten sich im Übrigen auch nicht als gesamtprotestantische Bekenntnisschrift, die nach dem ursprünglichen Plan des sächsischen Kurfürsten die Confessio Augustana, die Apologie und die Wittenberger Konkordie vom Mai 1536 hätte ersetzen können124. Auch Johann Friedrichs Projekt eines gesamtkirchlichen Gegenkonzils, das in Augsburg tagen und nach neugläubigen Maximen verfahren sollte, fand nicht die erwünschte Resonanz. Es erledigte sich wie auch die hessischen Überlegungen über die Veranstaltung einer protestantischen Generalsynode, die die Irrtümer des päpstlichen Konzils diskutieren und korrigieren sollte, im Übrigen von selbst, weil die päpstliche Konzilsplanung in ernsthafte Schwierigkeiten geriet125.
Nicht nur die kaiserlich-französische Kriegführung, sondern vor allem die nach wie vor destruktive Taktik Franz' I. in der Konzilsfrage und die Bedingungen, die Herzog Federico von Mantua für die Sicherung des Konzilsortes stellte, veranlassten den Papst, das Konzil am 20. April 1537 auf den 1. November 1537 zu prorogieren. Dabei tendierte der Papst bereits dahin, als Zweck des Konzils nicht mehr die Wiederherstellung der religiösen Einheit, sondern die dogmatische Abgrenzung und die Stabilisierung des Katholizismus zu definieren, während der Kaiser auch fortan die religiöse Konkordie mit dem Protestantismus und die Reform der Kirche als doppelte Zielsetzung postulierte. Diese Differenz blieb freilich vorab noch folgenlos. Vielmehr kam es im Sommer 1537 vornehmlich darauf an, das Konzil trotz der Obstruktion des französischen Königs, der nun auch einen Tagungsort in Deutschland favorisierte und eine italienische Stadt rundweg ablehnte, zudem die Publikation der Prorogationsbulle verhinderte, überhaupt zustande zu bringen. Da die Zustimmung Venedigs zur Wahl Vicenzas als neuen Tagungsort erst am 29. September 1537 vorlag, wurde eine zweite Prorogation notwendig, diesmal auf Empfehlung des Kardinalskollegiums bis zum 1. Mai 1538. Unter den Altgläubigen im Reich verlor die päpstliche Konzilsankündigung damit alle Glaubwürdigkeit. Die Protestierenden nutzten die willkommene Gelegenheit zu scharfer Polemik gegen das Papsttum. In Rom und Vicenza begann man zwar seit Januar 1538 mit ernsthaften Vorbereitungen auf die Eröffnung des Konzils, zu der aber zum festgesetzten Termin nur ein einziger Teilnehmer erschien. Dies nahm der Papst zum Anlass, um am 25. April das Konzil auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Der wahre Grund für diese Entscheidung ergab sich aus der Rücksicht auf die bevorstehenden Verhandlungen zwischen Karl V. und Franz I. in Nizza126.
Im Feldzug des Jahres 1537 hatte keine Seite einen durchschlagenden Erfolg erringen können. Bereits im Sommer war es Königin Maria gelungen, in Bomy für den niederländischen Kriegsschauplatz einen Waffenstillstand auszuhandeln, den die kaiserliche Regierung zunächst ambivalent beurteilte, weil er französische Kräfte für die Kriegführung im Süden freisetzte, den sie aber dann doch bestätigte. Die geplante französisch-türkische Kooperation schlug zwar fehl, aber dem Kaiser blieb am Ende nur die Einwilligung in den Waffenstillstand von Monzón vom 16. November 1537, der am 18. Januar 1538 um weitere drei Monate verlängert wurde. Schon im Dezember 1537 wurden die Friedensverhandlungen in den Fischerhütten von Fitou aufgenommen, an denen seit Anfang 1538 auch die Kardinäle Pio da Carpi und Jacovacci als päpstliche Legaten und Vermittler teilnahmen, ohne dass dies die Erfolgsaussichten erhöht hätte. Denn für das Problem des Herzogtums Mailand fand sich keine Lösung, die beide Seiten hätten akzeptieren können. Deshalb schien viel für den schon im Januar eingebrachten Vorschlag Karls V. zu sprechen, die Verhandlungen auf ein persönliches Treffen zwischen ihm selbst und Franz I. zu verlegen bzw. auch den Papst hinzuzuziehen. Als dann feststand, dass es zu einer persönlichen Begegnung des Kaisers mit Paul III. in Nizza kommen würde, blieb dem französischen König, der zunächst reserviert reagiert hatte, nichts anderes übrig, als dort ebenfalls persönlich zu erscheinen. Allerdings brachte die päpstliche Vermittlung nur einen zehnjährigen Waffenstillstand zustande. Deshalb blieb Franz I. dabei, die Beschickung des Konzils abzulehnen, weil ihm dies nur nach einem Friedensvertrag und der Abtretung Mailands, worüber in der Folgezeit ergebnislos verhandelt wurde, zugemutet werden könne127. Auf der Rückreise nach Genua vereinbarten Kaiser und Papst, das Konzil erneut zu verschieben und zwar auf den 6. April 1539. Der Papst gab in der Folgezeit das Konzilsprojekt zwar nicht vollständig auf, wurde sich aber mehr und mehr der mit ihm verbundenen Risiken für den Hl. Stuhl bewusst. Am 21. Mai 1539 suspendierte er schließlich das Konzil ad beneplacitum, das heißt ohne erneut einen Eröffnungstermin zu nennen, weil der französische König nach wie vor auf seinem ablehnenden Votum beharrte und der Kaiser in tiefem Zweifel an der Aufrichtigkeit der päpstlichen Konzilspolitik einem konzilsunabhängigen Reunionsversuch den Vorzug gab128.
In der kritischen Phase seiner Verhandlungen mit dem Papst in Genua erreichte den Kaiser am 24. Juni 1538 König Ferdinands Vorschlag, unter Mitwirkung eines päpstlichen Legaten umgehend konzilsunabhängige Reunionsverhandlungen mit den Protestierenden, die trotz aller Bemühung für das geplante Generalkonzil nicht zu gewinnen seien, zu organisieren. Diese Anregung ging auf Ferdinands Konferenzen mit Kurfürst Joachim von Brandenburg Ende Mai in Bautzen und dessen Vorschlag zurück, zur Beseitigung des wechselseitigen konfessionellen Misstrauens, das eine erfolgversprechende Kooperation aller Reichsstände zur Abwehr der Türken verhindere, mit den Neugläubigen einen Vertrauen stiftenden Friedstand abzuschließen und daran anschließend in informellen Verhandlungen unter Mitwirkung päpstlicher Nuntien die Wiederherstellung der religiösen Einheit in Angriff zu nehmen. Konzessionen der römischen Kirche in der Frage der Eucharistie und des Zölibats und in anderen nicht näher bezeichneten Punkten hielt Joachim für unbedingt erforderlich. Seine Gesamtkonzeption bestand also aus zwei ungefähr gleichgewichtigen Teilen, die in ihrer Reihenfolge und Zielsetzung einander inhaltlich eng zugeordnet waren. Ferdinands Bericht an seinen Bruder legte allerdings den Akzent recht einseitig auf den Reunionsversuch, auf den Papst und Kaiser sich in Genua rasch verständigten, weil er einen Weg zu weisen schien aus dem Dilemma, das aus der strikten Weigerung des französischen Königs, ein Generalkonzil vor einem definitiven Friedensschluss zu beschicken, resultierte. Man kam also überein, dass unter Mitwirkung Frankreichs und eines päpstlichen Legaten zur Wiederherstellung der religiösen Einheit in Deutschland umgehend Religionsverhandlungen geführt werden sollten129. Zur Umsetzung dieser Vereinbarung bevollmächtigte der Kaiser Ende November 1538 den Erzbischof von Lund und den Reichsvizekanzler Dr. Matthias Held, unter Vermittlung der Kurfürsten von Brandenburg und von der Pfalz und unter Mitwirkung Ferdinands mit dem Ziel der Reunion in Verhandlungen mit den Protestierenden einzutreten. Unter Berücksichtigung der politischen Lage in Deutschland und auf der Basis der Beschlüsse von Nizza und Aigues-Mortes sollten sie, soweit dies möglich sein würde, unter aktiver Teilnahme des Legaten und des Nuntius, zumindest aber in informeller Kooperation mit ihnen bis zur Grenze des Vertretbaren auf die Wiederherstellung der religiösen Einheit hinarbeiten. Die dazu nötigen Konzessionen sollten sich allerdings auf nicht-substantielle Punkte des alten Glaubens beschränken und mussten die Zustimmung des Papstes und des französischen Königs finden, die Karl beide in die Verantwortung für das Reunionsprojekt einzubinden suchte. Gegenüber den Protestanten sollten seine Kommissare beruhigende Erklärungen über seine reichspolitischen Intentionen abgeben und in dem wahrscheinlichen Fall, dass die Konkordie sich nicht so rasch zustande bringen ließ, mit ihnen einen Friedstand vereinbaren mit möglichst kurzer Laufzeit und mit einer solchen Konditionierung, dass keine schädlichen Folgen daraus resultierten. Diese provisorische Regelung, die die Reichsjustiz und deren Rechtsprechung nicht tangieren sollte, sollte die Reunionsbemühungen nicht beenden, die vielmehr fortgeführt werden sollten, zumindest um ihre Erfolgsaussichten auszuloten. Der Friedstand sollte den Protestierenden lediglich Sicherheit garantieren als Gegenleistung für ihre Türkenhilfe, zu der auch der französische König beitragen werde. Der Kaiser war auch bereit, bei Bedarf einen Reichstag einzuberufen, ohne sich allerdings näherhin festzulegen130. Ansonsten gewährte er seinen Kommissaren einen großzügigen Spielraum, den sie unter Einhaltung der Grundlinie seiner Instruktion im Einvernehmen mit Ferdinand nutzen durften131.
Aus den Sondierungen Kurfürst Joachims bei den schmalkaldischen Verbündeten und den Wiener Konferenzen König Ferdinands mit dem Erzbischof von Lund aber ergab sich, nicht zuletzt auch unter dem Druck der Türkengefahr, der keine Zeit ließ zu vermutlich schwierigen theologischen Gesprächen, die Option, die Vorbehalte der päpstlichen Nuntien, die nur die Wiederherstellung der religiösen Einheit unter altkirchlichem Vorzeichen als vertretbares Lösungskonzept gelten lassen mochten, zu ignorieren und entsprechend dem brandenburgischen Konzept zunächst Friedstandsverhandlungen zu führen132, die dann auch auf dem schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt, auf dem die Verbündeten allerdings auch über die Alternative eines Präventivkrieges diskutierten133, im Februar 1539 eröffnet werden konnten. Dabei zeigte sich freilich rasch, dass die friedenspolitischen Vorstellungen beider Seiten stark differierten. Der Vergleich zwischen beiden Konzeptionen mag die grundsätzliche Tragweite der reichspolitischen Problematik vergegenwärtigen, die bis zur Vereinbarung des Augsburger Religionsfriedens in wechselnden Konstellationen und in variierender Akzentuierung zu politischer Polarisierung motivierte und zu deren Lösung sehr unterschiedliche Konzeptionen wie unter anderem die Regensburger Reunionspolitik entwickelt und erprobt wurden. Dazu zählt auch das Verhandlungsprogramm, das die Protestierenden in Frankfurt im Februar 1539 vorlegten. Die Protestierenden erweiterten den Entwurf, den Sachsen und Hessen am 14. Dezember 1538 Kurfürst Joachim unter dem Siegel der Vertraulichkeit hatten zukommen lassen, und verlangten einen Friedstand, der weder bis zu einem Konzil noch bis zum Beginn eines Reichstages terminiert sein sollte, die Annullierung aller anhängigen und das Verbot aller zukünftigen Prozesse, die in ihrem Verständnis Religionssachen betrafen, die Aufhebung aller bisher ergangenen Urteile, die Einrichtung eines Schiedsgerichtes zur Klärung, ob ein Streitgegenstand die Religion betreffe, die Suspension der Jurisdiktion des Kammergerichtes auch in Profansachen bis zu dessen Neubesetzung mit unparteiischen Richtern, die uneingeschränkte Religionsfreiheit für alle Reichsstände, die Duldung neugläubiger Untertanen unter altgläubigen Obrigkeiten, die auch das Recht zur Auswanderung einräumen sollten, die ungehinderte Auszahlung von Zinsen, Renten und Erbschaften ungeachtet konfessioneller Differenzen zwischen den Beteiligten und schließlich die Gültigkeit des angestrebten Vertrages auch für die Herzöge von Preußen und Liegnitz und die Städte Riga und Reval134. Wie die Schweinfurter Forderungen vom 9. April 1532 zielte auch dieser Katalog auf einen umfassenden, reichsrechtlichen Schutz nicht nur für den gegenwärtigen Entwicklungsstand des Protestantismus, sondern auch für dessen künftige Ausbreitung. Es ging den Protestierenden nicht nur um die aktuelle Sicherung des Friedens, sondern zugleich auch um die grundsätzliche Anerkennung ihrer eigenen ordnungspolitischen Vorstellungen, die das Friedens- und Rechtssystem des Reiches und damit seine Ordnungsfunktion tangierten. Diese konsequente Orientierung der Protestierenden an ihrem konfessionspolitischen Interesse belastete vor allem die Verhandlungen über die Kirchengüter und den Friedensschutz für künftig konvertierende Stände, so dass wiederholt die Gefahr ihres Scheiterns bestand. Dazu trug allerdings auch die nicht minder konsequente Verhandlungsführung Lunds maßgeblich bei, obwohl er keineswegs die rigorose, konzessionsresistente Konzeption übernahm, die König Ferdinand in entschieden altkirchlichem Interesse für geboten hielt und die selbst seine eigenen Kommissare kritisch und unverhohlen unwillig kommentierten135. In seiner Stellungnahme zu den ihm am 1. März 1539 mitgeteilten protestantischen Forderungen machte Lund unmissverständlich deutlich, dass die Rücksicht auf die Ordnung der Kirche, auf die Integrität der Reichsjurisdiktion und die Verbindlichkeit der Reichstagsabschiede so weitgehende Zugeständnisse an die Protestanten verbiete. Zugleich betonte er, dass ein beständiger Friede nur durch die Wiederherstellung der religiösen Einheit erreichbar sei, und schlug mit dieser Zielsetzung ein Religionsgespräch vor. Im Übrigen wollte er nur einen einjährigen Frieden und die Suspension der aktuel len Prozesse in Religionssachen zugestehen und verlangte als Gegenleistung den Verzicht der Protestanten auf weiter religiöse Neuerungen und Konfiskationen kirchlichen Besitzes. Darüber hinaus sollten die Protestierenden die nach 1532 konvertierten Stände nicht in Schutz nehmen dürfen. Im Laufe der Verhandlungen ließ er diesen letzten Punkt fallen, so dass die betroffenen Stände in den Frieden einbezogen werden konnten, und gestand zu, das Konfiskationsverbot auf die Zeit des Anstandes einzuschränken136. Abgesehen von diesen beiden Konzessionen hielt sich Lund strikt an die Weisung des Kaisers, der nur die unbedingt notwendigen friedenspolitischen Konzessionen akzeptieren mochte und vorrangig an dem vorgeschlagenen Reunionsversuch interessiert war137, für den er die Protestierenden ohne Mühe, wenn auch nicht ganz ohne Entgegenkommen, gewinnen konnte. Die beiden vermittelnden Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg bemühten sich um eine zwischen den stark divergierenden Positionen ihrer Verhandlungspartner ausgleichende Lösung, indem sie einen mehrjährigen Frieden vorschlugen, manche friedenspolitischen Forderungen der Protestierenden aufnahmen, andere ablehnten oder modifizierten, um die störende Tendenz zur konfessionspolitischen Konfrontation abzufangen, und die allgemein gehaltene Anregung Lunds, einen Reunionsversuch ins Auge zu fassen, durch den Vorschlag konkretisierten, von beiden Seiten je sechs Vertreter, jeweils drei Theologen und drei Juristen, und zwei vom Kaiser benannte unparteiische Kolloquenten miteinander verhandeln zu lassen und das Ergebnis dieser Diskussion Kaiser und Reichstag zur Ratifizierung vorzulegen. Die Form der päpstlichen Beteiligung blieb offen138. Dass die Protestierenden unter erheblichen Zugeständnissen und Abstrichen von ihrer Ausgangsposition auf dieser Linie trotz schwerer Bedenken die Verhandlungen fortsetzten, erklärt sich vornehmlich aus dem aktuellen Interesse, durch einen Friedstand, der ihre konfessionspolitischen Handlungsmöglichkeiten möglichst wenig beeinträchtigte, zur Festigung ihrer politischen und militärischen Position eine Atempause zu gewinnen, um sich je nach Entwicklung der Gesamtlage notfalls auch durch einen Präventivkrieg die gewünschte Sicherheit verschaffen zu können. Verlauf und Ergebnis des vorgesehenen Religionsgespräches konnten dann in Ruhe abgewartet werden. Die Vermittler brachten denn auch eine Minimallösung zustande, die dem kaiserlichen Orator nur wenige Konzessionen abverlangte, für die Protestierenden aber höchst unbefriedigend war. Danach galt der vereinbarte Friedstand für alle gegenwärtig protestantischen Stände unter Ausschluss der Täufer und sonstiger Sekten vorbehaltlich der kaiserlichen Ratifikation für die Dauer von 15 Monaten. Über diese Frist hinaus sollte der Nürnberger Friedstand bis zum nächsten Reichstag für alle jetzigen Anhänger der Confessio Augustana in Kraft bleiben. So lange sollten auch alle anhängigen Religionsprozesse und die Acht gegen Minden suspendiert sein139. Für die Geltungsdauer des Friedstandes verzichteten die Schmalkaldener auf die Erweiterung ihres Bundes und auf die Konfiskation von Kirchenbesitz. Im Gegenzug sollte in dieser Zeit niemand wegen seines Bekenntnisses zur Augsburger Konfession angegriffen oder beschwert werden. Die Möglichkeit, dass sich der Kaiser bereit finde, während des Anstandes den Ausbau des Nürnberger Bundes zu verhindern, wurde in Aussicht gestellt. Da Lund in diesem Punkt und zur Forderung der Protestanten nach Friedenssicherung auch ihrer künftigen Anhänger keine endgültige Zusage geben konnte, wurde vereinbart, dass der Friedstand, wenn der Kaiser dazu keine positive Entscheidung traf, schon nach sechs Monaten auslaufen sollte. Beide Seiten sollten umgehend abrüsten und im Übrigen den Landfrieden einhalten. Zur Organisation des Reunionsversuches sollte auf einem ungefähr zum 1. August 1539 einzuberufenden Konvent in Nürnberg ein Ausschuss verständigungsbereiter Theologen einen engeren Ausschuss mit der Durchführung des Religionsgespräches beauftragen. Eine Mitwirkung päpstlicher Vertreter lehnten die Protestierenden entschieden ab, erklärten sich aber mit der Teilnahme kaiserlicher und königlicher Gesandter einverstanden. Die Ratifikation der Ergebnisse des Kolloquiums sollte erst nach dem Konsens aller Reichsstände erfolgen. Darüber hinaus verpflichteten sich die Protestierenden, an den Beratungen über die Türkenhilfe auf dem dazu auf den 18. Mai angesetzten Tag in Worms teilzunehmen und den dort zu fassenden Mehrheitsbeschlüssen entsprechend Hilfe zu leisten140. Damit hatte sich Lund als Bevollmächtigter des Kaisers trotz aller Unnachgiebigkeit erneut darauf eingelassen, die Exekutionsverpflichtung des Augsburger Reichsabschiedes von 1530, auf die die katholische Aktionspartei pochte, um ein gut Stück zu relativieren. Die Suspensionsklausel stand nun im offiziellen Vertragsinstrument, ohne dass allerdings altkirchliche Rechtsansprüche endgültig aufgegeben worden wären. Die nach 1532 konvertierten Stände waren offiziell in den Frieden mit einbezogen. Darüber hinaus waren die Konfessionsbünde in ihren Entfaltungsmöglichkeiten zumindest für eine gewisse Zeit eingeschränkt und war ein Präventivkrieg der Protestanten vorläufig überflüssig geworden. Trotz der bereits erfolgten offiziellen Verurteilung der lutherischen Lehre als Ketzerei wurde die Glaubensfrage durch die Planung eines Reunionsversuches auf Reichsebene als quasi offen behandelt. Dies alles lag durchaus in der Logik der von den Vermittlern vertretenen, von Lund für die kaiserliche Entspannungspolitik genutzten friedenspolitischen Konzeption, wenn auch die angestrebte politische Stabilisierung nur für einen kurzen Zeitraum erreicht werden konnte. In der Sicht der Konfessionsparteien stellte sich der Frankfurter Kompromiss als Verrat am jeweiligen konfessionellen Anliegen dar141.
Während König Ferdinand in den folgenden Monaten sein zunächst positives Urteil über das Frankfurter Verhandlungsergebnis unter dem Einfluss der Nuntien schrittweise revidierte142, entschloss sich die Kurie, die zunächst in ihrem Urteil wochenlang schwankte und zu keiner eindeutigen Entscheidung fand, schließlich unter dem Eindruck der massiven Kritik Aleanders und Morones an der Verhandlungsführung Lunds zur direkten Intervention bei Karl V., der zwar am 20. März 1539 den Nürnberger Bund ratifiziert, Ende April auch Held mit 150.000 Dukaten für etwa notwendige Rüstungen ins Reich abgefertigt und die altgläubigen Kurfürsten zum Bundesbeitritt aufgefordert, auch die Eventualität offener Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen hatte143, aber nach wie vor Interesse an einem konzilsunabhängigen Reunionsversuch bekundete144, wozu er allerdings die definitive Stellungnahme der Kurie abwarten wollte, auch das Gutachten der Königin Maria erbat145.
Das päpstliche Urteil über den Frankfurter Anstand fiel Ende Juli völlig negativ aus, vor allem weil die Planung eines Religionsgespräches in Nürnberg den päpstlichen Autoritätsanspruch völlig außer acht ließ und die Gefahr eines Nationalkonzils heraufbeschwor. Als Alternative schlug der Papst einen Reichstag vor, den Karl persönlich leiten müsse, und erklärte sich bereit, durch eigene Gesandte die katholische Sache fördern zu lassen. Die Erweiterung des Nürnberger Bundes notfalls auch mit konfessionell nicht ganz zuverlässigen Ständen sollte die Protestanten unter Druck setzen. Die angeblich von Lund empfohlene uneingeschränkte Duldung der Lutheraner lehnte der Papst kategorisch ab, „perchè è impossibile che gente di diversa relligione possino lungo tempo durare insieme“146.
In seiner Resolution vom September 1539 bevorzugte der Kaiser eine andere Konzeption. Zwar dachte er wegen der Beeinträchtigung der kaiserlichen und päpstlichen Autorität nicht daran, den Frankfurter Friedstand zu ratifizieren, wollte aber damit die Protestanten nicht zu einer extremen Reaktion zu Lasten der altgläubigen Stände provozieren, sondern blieb an der Fortsetzung der von Lund begonnenen Befriedungspolitik interessiert. Für das weitere Vorgehen schloss er allerdings einen Reichstag aus, weil damit die Gefahr verbunden war, dass die Stände zu Lasten der päpstlichen Autorität und zum Nachteil der Religion eigenmächtige Beschlüsse fassten, die Kaiser und König nicht verhindern konnten. Unter Verweis auf die Expansion des Protestantismus seit 1532 und den daraus resultierenden dringenden Handlungsbedarf schlug er statt dessen einen von den Ständen beschickten Theologenkonvent vor, an dem päpstliche, kaiserliche, königliche und französische Deputierte beteiligt sein sollten. Weitere Schritte, auch die Einberufung eines Reichstages konnten vom Verlauf und Ergebnis dieser Reunionsverhandlungen, die auch Gelegenheit boten, die Anführer der Protestierenden zu gewinnen, abhängig gemacht werden. Diese Strategie sollten der Beitritt des Papstes zum Nürnberger Bund und die Hinterlegung von 50.000 Dukaten als Mitgliedsbeitrag zur Stärkung und Ermutigung der katholischen Religionspartei flankieren. Um einen Bruch mit den Protestanten zu vermeiden, musste der Konvent noch vor Ablauf der Ratifikationsfrist angekündigt werden. Dies blieb samt der Entscheidung über die Modalitäten Ferdinand überlassen147.
Am 25. November traf der Erzbischof von Lund in Wien ein mit dem Auftrag, zur Vorbereitung von Reunionsverhandlungen deren Modalitäten mit dem Kurfürsten von Sachsen und dem Landgrafen von Hessen persönlich zu klären. Gedacht war an einen Konvent gemäßigter, friedensbereiter altgläubiger und protestantischer Theologen, dem Vertreter des Kaisers, König Ferdinands, des Papstes und des französischen Königs beiwohnen sollten und der vor der Ankunft Karls in den Niederlanden zusammentreten sollte.
Der päpstliche Nuntius Morone verurteilte diesen Plan und die kaiserliche Septemberresolution als verdeckte Bestätigung des Frankfurter Friedstandes und rekapitulierte sein eigenes Programm: Stärkung der katholischen Liga zur Einschüchterung der Protestanten, dann Reunionsverhandlungen auf einem besonderen Konvent und schließlich Reichstag zu abschließender Beschlussfassung148. Morones massiver Einspruch zwang Ferdinand in der Folgezeit zu einer schwierigen Gratwanderung zwischen der kurialen Intervention, die ihm sachlich begründet schien, und der Intention des Kaisers149, der die Frankfurter Verhandlungsführung Lunds nunmehr ausdrücklich rechtfertigte und sich mit der Anweisung zur Fortsetzung der Reunionspolitik gegen die vom Reichsvizekanzler Held vertretene reichspolitische Linie entschied150, der mittlerweile auch Ferdinand stark zuneigte.
Auf der einen Seite lehnte er in der Überzeugung, dass auf dem Verhandlungswege eine tragfähige Verständigung mit den Protestierenden nicht zu erreichen sei151, im Einvernehmen mit Morone die neue Mission Lunds ab, weil sie wie die Frankfurter Vereinbarungen Kritik und Widerstand auf altkirchlicher Seite provozieren würde. Lunds Reise nach Sachsen und Hessen hielt er für überflüssig152. Es genügte, wenn der Erzbischof die Verschiebung der Resolution des Kaisers zum Frankfurter Anstand bis zu dessen Ankunft in den Niederlanden rechtfertigte, zu Vorbereitungen auf Verhandlungen in der Religionsfrage aufforderte und für die Zwischenzeit den Protestierenden Frieden zusagte153. Auf der anderen Seite betonte Ferdinand die dringende Notwendigkeit zielstrebiger Bemühungen um die Konkordie. Im altkirchlichen Interesse kam es allerdings zunächst einmal vor allem darauf an, dass für die angestrebten Gespräche kompetente Gelehrte zur Verfügung standen und im Vorfeld rechtzeitig die nötigen Absprachen mit dem Papst getroffen wurden154. Damit war die vom Kaiser intendierte Fortsetzung der Reunionspolitik bis auf weiteres vertagt, um sicher zu stellen, dass die päpstliche Autorität gebührend zur Geltung kam. Karl V. fand sich damit vorläufig ab und versicherte, mit Ferdinand, den katholischen Verbündeten, dem Papst und dem Legaten Farnese die künftige Religionspolitik im Reich gründlich beraten zu wollen155.
Den Ausführungen Lunds, der sich zu rechtfertigen suchte, glaubte der Nuntius aber entnehmen zu können, dass die kaiserliche Politik einen neutralen Vermittlerstatus zwischen den Religionsparteien anstrebe, was befürchten ließ, dass man sich im Reich unter Ausschluss des Papstes einigte und dann ganz Deutschland von Rom abfiel156. Deshalb musste man den Kaiser, dessen Politik Morone Ende 1539 zutiefst misstraute, unbedingt dazu bringen, sich auf etwaige Konzessionen nur mit dem Konsens des Papstes einzulassen. Von Ferdinand glaubte Morone wegen seiner starken Abhängigkeit von seinen Räten nicht viel erwarten zu können, „vedendo infinite contrarietà in l’attioni et parole sue“157. In der Tat ergab sich aus den Handlungsbedingungen, unter denen Ferdinand agierte158, ein wechselhafter Prozess der Meinungsbildung, der zwischen aktuellen politischen Sachzwängen und religiösem Verantwortungsbewusstsein oszillierte. Dabei stand der päpstliche Autoritätsanspruch in Glaubensdingen zu keinem Zeitpunkt grundsätzlich in Frage. Zu klären war allerdings, in welchem Grade er den religionspolitischen Spielraum einengen durfte. Unter dem Einfluss Morones entschied sich Ferdinand zu einem Zeitpunkt, als der Kaiser in eigener Regie den Erzbischof von Lund auch weiterhin nach Wegen zur Anbahnung der Konkordie suchen lassen wollte, für eine Unterbrechung der diplomatischen Aktivitäten, um durch gründliche Vorbereitungen in enger Kooperation mit der Kurie die Voraussetzungen für die Selbstbehauptung der altkirchlichen Seite zu optimieren. Für die folgenden Monate war damit die kaiserliche Reunionspolitik zum Stillstand gebracht.
Da die kaiserliche Ratifikation des Frankfurter Anstandes ausblieb, trat keine verlässliche Entspannung zwischen den Konfessionsparteien im Reich ein. Die Nürnberger Verbündeten lehnten den neuen Friedstand ohnedies strikt ab, weil er ihrer reichspolitischen Konzeption und ihrem Ordnungsverständnis widersprach. Seit Ende 1538 und erst recht nach dem Tod Herzog Georgs von Sachsen, der den Weg freimachte für die Durchführung einer protestantischen Kirchenreform im Herzogtum Sachsen, suchten Bayern, Mainz und Herzog Heinrich von Braunschweig den Kaiser und König Ferdinand in einer Serie von Legationen nach Spanien und Wien zu einer dezidierten und konsequenten Politik der Repression und Einschüchterung zu bewegen159. Sie verlangten nicht nur wiederholt eine massive Intervention gegen die Kirchenpolitik Herzog Heinrichs von Sachsen, sondern vor allem die Veranstaltung eines Reichstages in persönlicher Anwesenheit des Kaisers zur Konsolidierung der reichspolitischen Verhältnisse auf der Basis des Augsburger Abschiedes von 1530, die die Restitution des konfiszierten Kirchengutes gewährleisten sollte, und des Nürnberger Friedstandes, den sie wie das Kammergericht restriktiv interpretierten. Die kontroversen theologischen Fragen sollte ein in päpstlicher Verantwortung organisiertes Generalkonzil entscheiden, das auch die überfällige Kirchenreform in Angriff nehmen sollte und für dessen Einberufung der Kaiser sich nachdrücklich einsetzen sollte160. In der Perspektive dieses Ordnungsverständnisses, das strikt auf die Wahrung des altkirchlichen Rechtsstandpunktes festgelegt war, schien eine Politik der klaren Konfrontation gegenüber den Protestierenden als der gebotene Weg zur vorläufigen Sicherung der politischen Stabilität im Reich. „Und wäre“, ließen die bayerischen Herzöge ihren Gesandten Bonacorsi Gryn gegenüber dem Kaiser erklären, „die unwidersprechlich warhait, das alle jhene, so sych von got und der chrisstlichn gmainschafft abzühen, nichts anderes gedencken, üben und bedrachten mugen, dann irer welltlichen oberkait und allen andern, die irer parthei nit sein, den höchsten neyd, has und veindschafft zu tragen und alle gehorsam zu entziehen und den Turcken vil lieber dann ire recht cristglaubige oberkhait und nachpern zu gedulden. Welches gleich das werckhh darinnen die abgesönderten stende ytzt stienden und sich lenger nit niderdruckhen lassen wollten [...]“161. In ähnlichem Tenor argumentierte auch der bayerische Gesandte Johann Weißenfelder im November 1539 in Wien, um König Ferdinand zu einer energischen Intervention gegen die Religionspolitik Herzog Heinrichs von Sachsen zu bewegen162. In gleichem Sinne agierte auch Herzog Heinrich von Braunschweig im März 1540 in Gent, indem er Bemühungen um eine friedliche Verständigung mit den Protestierenden für aussichtslos erklärte, die Stärkung der altgläubigen Liga verlangte und eine Politik der Konfrontation einforderte163.
Gegen Jahresende 1539 glaubten auch die schmalkaldischen Bundeshauptleute sich auf die Gefahr fortschreitender Polarisierung einstellen zu müssen. Zwar konnte Kurfürst Johann Friedrich, dessen Politik seit 1538/1539 aufgrund der Erbansprüche seines Hauses an den niederrheinischen Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg im Kontext des Konfliktes um Geldern und in der religionspolitischen Auseinandersetzung mit den mitteldeutschen Hochstiften zunehmend ein konfessionell- konfrontatives und antihabsburgisches Profil gewann und den Schmalkaldischen Bund in den Dienst spezifisch kursächsischer Interessen zu stellen suchte164, den Landgrafen von seinem neuerlichen Plan, Herzog Heinrich von Braunschweig anzugreifen, abbringen, beide stellten aber wie schon im Februar 1539 in Frankfurt auf dem Bundestag in Arnstadt erneut – allerdings ohne Erfolg – die Option für einen Präventivkrieg zur Diskussion165. Der Landgraf plante sogar Anfang Januar 1540, durch umfangreiche Rüstungen zur Unterstützung der Interessen Jülichs den Kaiser im Konflikt um Geldern mittelfristig militärisch zu binden und so an einer Unternehmung gegen die Protestierenden im Reich zu hindern166. Dieser Plan war freilich Teil einer hessischen Doppelstrategie, die sich bereits in den Verhandlungen Philipps mit Johann von Naves 1538 anbahnte und die die Möglichkeit einer Annäherung an den Kaiser eröffnete. Denn am gleichen Tag, an dem er seinen Rüstungsplan dem sächsischen Kurfürsten mitteilte, erläuterte er dem Erzbischof von Lund in einem sehr freundlich gehaltenen Schreiben seine Vorstellungen von erfolgversprechenden Reunionsbemühungen167, zu deren Vorbereitung er zusammen mit dem sächsischen Kurfürsten aufgefordert worden war168. Die hier angedeutete Bereitschaft, sich konstruktiv auf eine religionspolitische Verhandlungsinitiative des Kaisers einzulassen, steht allerdings in einem gewissen Kontrast zu den gleichzeitigen Bestrebungen des Landgrafen, aus der Anregung des Kurfürsten von Trier und des Herzogs von Jülich zu friedens- und religions politischer Kooperation auf ständischer Ebene eine tragfähige Alternative zur kaiserlichen Politik zu entwickeln.
Mit dem Verdacht, dass der Kaiser seiner Verantwortung für das Reich nicht gerecht werde, ließ sich im Spätjahr 1539 die Notwendigkeit einer reichspolitischen Initiative der Stände zur Sicherung des Reichsfriedens und zur Wahrung der deutschen Libertät plausibel begründen, mithin auch das Plädoyer für den Versuch, durch eine religions- und friedenspolitische Übereinkunft zwischen den gemäßigten altgläubigen und den protestantischen Ständen die Religionsfrage politisch zu neutralisieren und zugleich einen festen Zusammenhalt herzustellen, um die befürchtete habsburgische Repressionsoffensive erfolgreich abzuwehren169. Einen entsprechenden konkreten Plan ließ Kurfürst Johann von Trier am 7. November 1539 unter Bezug auf die Warnung Jülichs vor einem von Kaiser und Papst vorbereiteten Religionskrieg in Deutschland dem hessischen Landgrafen vortragen. Demnach sollten führende Reichsstände die Initiative ergreifen, um unter sich die religiöse Einheit wiederherzustellen. Falls nur eine Teilkonkordie gelang, sollten die noch strittigen Punkte vertagt und ein Bund abgeschlossen werden mit dem Zweck, dass die Mitglieder in politischen Fragen „und ins glaubens sachen gleich als wol einander vor gewalt handthabten, als ob sie einerlei glaubens weren“. Wenn der Kaiser das Ergebnis des Reunionsversuches annehme, so sei dies zu begrüßen. Lehne er ab, so sei man durch den Bund gegen einen Religionskrieg gesichert. Der Trierer Kurfürst, der sich im Übrigen zugleich von der Politik und der Konzeption des Nürnberger Bundes von 1538 distanzierte, hoffte, neben den Protestierenden Köln, Pfalz, Würzburg und das Mainzer Domkapitel für seinen Plan gewinnen zu können170.
Die schmalkaldischen Verbündeten zeigten sich trotz mancher Vorbehalte des ebenfalls von Jülich angesprochenen sächsischen Kurfürsten geneigt, sich auf das Trierer Projekt einzulassen und die Veranstaltung eines Fürstenkonventes anzustreben, der ihren religions- und reichspolitischen Anliegen Rechnung tragen, das heißt für eine allgemeine Kirchenreform nach den Prinzipien der neugläubigen Theologie optieren bzw. zumindest den interkonfessionellen Frieden sichern und verbürgen sollte171. Sie vergaßen darüber allerdings auch nicht die Aufforderung des Erzbischofs von Lund, sich auf die Fortführung der kaiserlichen Verständigungspolitik einzustellen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Diesem Zweck dienten nicht nur die Gutachten, die die kursächsischen und die hessischen Theologen im Auftrag ihrer Obrigkeiten über den protestantischen Spielraum bei Reunionsverhandlungen ausarbeiteten, sondern auch die in Arnstadt beschlossene Gesandtschaft, die dem Kaiser das Friedensinteresse der protestantischen Stände und ihre Bereitschaft zum Religionsgespräch nach der in Frankfurt vereinbarten Konzeption erläutern und klären sollte, ob von seiner Seite eine konstruktive Reichspolitik im protestantischen Sinne erwartet werden durfte172. Parallel dazu setzte Landgraf Philipp seine bereits im November begonnenen Bemühungen fort, das Trierer Projekt, das auf die reichspolitische Isolation des Kaisers und des Nürnberger Bundes zielte, zur Formierung einer militanten überkonfessionellen, antihabsburgischen Front auszuweiten, die sich einer skrupellosen, für das Reich und die ständische Libertät ruinösen kaiserlichen Machtpolitik in den Weg stellen und eine Politik der religiösen Verständigung absichern sollte173.
Eben für eine solche Reunionspolitik plädierte Georg von Carlowitz, der Ende Dezember 1539 mit dem Vorschlag hervortrat, noch vor Ankunft des Kaisers religiös-theologische Ausgleichsverhandlungen in die Wege zu leiten und durch die Vorlage ihrer Ergebnisse die kaiserliche Regierung mit dem Ziel einer allgemeinen, einvernehmlichen Kirchenreform unter Druck zu setzen. Carlowitz ging dabei davon aus, dass die religiösen Differenzen nur äußerliche Dinge, nicht die Glaubenssubstanz betrafen, und empfahl das Vorbild der frühchristlichen Kirche als Maßstab für die angestrebte Reform, für die er zugleich einen eigenen Entwurf vorlegte174. Von diesem Projekt setzte er nicht nur Landgraf Philipp von Hessen in Kenntnis, sondern auch Kurfürst Albrecht von Mainz und über Bischof Johann von Meißen auch König Ferdinand, der allerdings ausweichend reagierte und auf die Kompetenz des Kaisers verwies175. Unterstützung für seinen Plan fand Carlowitz, der zuvor bereits Martin Bucer kontaktiert hatte176, bei Kurfürst Joachim von Brandenburg, der umgehend den Mainzer Erzbischof zu gewinnen suchte und diesen veranlasste, den ihm empfohlenen Reunionsentwurf unter seinen Suffraganen zur Prüfung kursieren zu lassen177. Außerdem sollte Kurfürst Albrecht einen Konvent führender Reichsstände einberufen, der über die Konkordie beraten, gegebenenfalls auch nur eine Teilkonkordie vereinbaren sollte, die dann die Grundlage für weitere Reunionsbemühungen abgeben konnte. Von der Zweckmäßigkeit dieses Konzeptes, das den Kaiser unter Zugzwang setzen sollte, glaubte Joachim nicht nur die einzuladenden Stände, sondern auch König Ferdinand überzeugen zu können178. Seiner umgehenden Realisierung standen allerdings formale Vorbehalte unter den rheinischen Kurfürsten, die Warnungen König Ferdinands vor eigenmächtigem Vorgehen und Zweifel an der Unterstellung, dass der Kaiser die Interessen des Reiches missachte und eine militante, repressive Politik plane, entgegen179.
Das Scheitern seiner durch das Trierer Projekt angeregten Aktivitäten und die ermutigenden, günstigen Berichte Georgs von Boineburg, seines Gesandten am kaiserlichen Hof, veranlassten den Landgrafen, die auf Johann von Naves zurückgehende Anregung Graf Dietrichs von Manderscheid, zur Verständigung mit dem Kaiser die Vermittlung Granvelles in Anspruch zu nehmen180, aufzugreifen, um auf diesem Wege, weil eine erfolgversprechende militärische Operation nicht realisierbar schien, durch eine reunionspolitische Initiative eine grundsätzliche Lösung des Religions- und Friedensproblems im Reich herbeizuführen181. Martin Bucer, der zunächst schwere Bedenken gegen eine Kontaktaufnahme zu Granvelle und gegen kaiserlich-protestantische Sonderverhandlungen geltend machte und im Interesse an der Protestantisierung des Reiches dezidiert für Religionsverhandlungen auf einem Reichstag bzw. einer Nationalversammlung oder nach dem in Frankfurt 1539 vereinbarten Modell plädierte, ließ sich schließlich doch darauf ein, in relativ konziliantem Tenor das protestantische Minimalprogramm für Reunionsbemühungen zu konzipieren182. Sie lagen offenbar spätestens Ende März 1540 in Gent vor. Welche Resonanz sie in der kaiserlichen Regierung fanden, ist zwar nicht erkennbar, sie konnten aber als Bestätigung der Tendenz, die sich seit Februar in deren Meinungsbildung abzeichnete, interpretiert werden.
Karl V., der nach seiner spektakulären Reise durch Frankreich mittlerweile in den Niederlanden eingetroffen war, votierte im Frühjahr 1540 für eine Doppelstrategie. Einerseits zeigte er sich aufgeschlossen für eine Politik, die auf die Wahrung der altkirchlichen Interessen zielte183. Andererseits hütete er sich, seine Verhandlungsbereitschaft explizit zu widerrufen. Allerdings bestanden offenbar Zweifel, ob auf protestantischer Seite ein ernsthafter Wille zur Verständigung tatsächlich gegeben war184. Der Instruktion der protestantischen Gesandtschaft, die am 24. Februar Audienz erhielt, konnte der Kaiser dann – für ihn offenbar überraschend – entnehmen185, dass die schmalkaldischen Verbündeten an baldigen Religionsverhandlungen, allerdings auf der Grundlage des Frankfurter Anstandes, durchaus interessiert waren186. In seiner Resolution vom 13. März deutete er seinerseits allerdings nur sehr allgemein seine Bereitschaft zu Religionsverhandlungen an und vermied eine befriedigende Friedenszusage und das geforderte Zugeständnis einer Suspension der Kammergerichtsprozesse in Religionskonflikten187. Zugleich vertraten der Kaiser und seine Umgebung unmissverständlich die Auffassung, dass das Interesse an der Kirchenreform die Konfiskation von Kirchengütern und die Missachtung von Eigentumsrechten nicht legitimieren könne188. Dementsprechend wurde die Kirchenpolitik der Protestierenden, die ohne den Zugriff auf das vorhandene Kirchengut nicht auskommen konnte, als unzulässige, gravierende Störung der Rechtsordnung wahrgenommen. Dieses rechtlich akzentuierte Problemverständnis, dem ein systemimmanenter Kirchen- und Reformbegriff entsprach, rechtfertigte die Taktik, die Protestierenden mit dem Vorwurf des permanenten Rechtsbruchs unter Druck zu setzen. Damit wollte sich die kaiserliche Regierung allerdings nicht auf einen Kurs konsequenter Konfrontation festlegen. Dem stand die Absicht entgegen, die Möglichkeiten einer Verständigung, die offenbar nicht als aussichtslos galt, durch Verhandlungen auszuloten. Dass ein solcher Versuch sinnvoll erscheinen konnte, setzte die Vermutung voraus, dass genügend Spielraum für Konzessionen vorhanden war. Man operierte also kaiserlicherseits Mitte März 1540 mit einem ambivalenten Problemverständnis. Daraus erklärt sich das Interesse des Kaisers, nicht nur Aufschluss zu gewinnen über die Haltung der Protestierenden in der Frage der Kirchengüter, deren Einziehung ihnen als eigennützige Selbstbereicherung und als rechtswidriges Vergehen angelastet wurde, sondern auch die Ernsthaftigkeit ihrer signalisierten Verständigungsbereitschaft zu prüfen189. Diesem Zweck sollte jedenfalls die geheime Mission der Grafen Manderscheid und Neuenahr dienen, die bei den schmalkaldischen Verbündeten deren Bereitschaft zu Zugeständnissen und deren Grenzen eruieren und dabei nicht nur über das Interesse des Kaisers und Granvelles an einer friedlichen Lösung des Religionsproblems, sondern auch über deren Verdacht informieren sollten, dass die Protestierenden nur aus reinem Eigennutz Kirchengüter einzogen und eine Hinhaltetaktik verfolgten, ohne tatsächlich in Religionsverhandlungen eintreten zu wollen. Dabei sollte auch deutlich werden, dass der Kaiser sich der kirchlichen Missstände durchaus bewusst war und selbst die Reform der Kirche wünschte, allerdings die Reformkonzeption der Protestierenden für verfehlt hielt. Um die offenbar intendierte religionspolitische Kommunikation in Gang zu bringen, rieten die kaiserlichen Gesandten den schmalkaldischen Bundeshauptleuten, die lauteren Motive der protestantischen Religionspolitik glaubwürdig darzulegen und vor allem, was den Umgang mit den Kirchengütern betraf, den Vorwurf der Habgier überzeugend zu entkräften, um eine Verständigung in den übrigen strittigen Fragen zu ermöglichen, die offenbar in einem zweistufigen, durch einen Friedstand gesicherten Verfahren, zu einem Teil zunächst in vertraulichen Verhandlungen mit dem Kaiser bzw. seinen Vertretern, vor allem Granvelle, in den dann noch unverglichenen Punkten unter informeller Mitwirkung von Theologen beider Konfessionen erreicht werden sollte. Das Ergebnis dieser Reunionsbemühungen, über das sich der Kaiser mit dem Papst im Nachhinein verständigen wollte, konnte dann auf einem Reichstag veröffentlicht und für rechtskräftig und allgemein verbindlich erklärt werden190. Dabei war – dies gilt zumindest für einige kaiserliche Räte – offenbar angenommen, dass auf der Basis beiderseitiger Zugeständnisse eine Lösung des Religionsproblems im Kompromiss gefunden werden könne191. Dagegen sollte sich nach protestantischer Vorstellung die Reunion aus einer „christlichen“ Reformation ergeben, die der neuen Theologie zu allgemeiner Geltung verhelfen sollte, eher in zwischenständischen Verhandlungen zu erreichen als vom Kaiser zu erwarten war und allenfalls vorübergehend bzw. in marginalen Fragen der Gegenseite entgegenkommen konnte192. Die schmalkaldischen Verbündeten, denen zugleich daran gelegen war, in der Hoffnung auf den Einfluss gemäßigter kaiserlicher Räte ihr Interesse an der Suspension der gegen sie gerichteten Kammergerichtsprozesse und Achtverfahren in Erinnerung zu bringen193, bekräftigten denn auch in ihrer Stellungnahme ihr Bekenntnis zur neuen Lehre, rechtfertigten ausführlich ihren Umgang mit Kirchengut, lehnten jede Abweichung von der Confessio Augustana entschieden ab, bekundeten erneut ihr dringendes Interesse an einer gründlichen Kirchenreform auf der Basis der Hl. Schrift und der apostolischen Lehre und verwiesen auf die Bestimmungen des Frankfurter Anstandes über ein öffentliches Religionsgespräch. Das Interesse an der Reunion definierten sie als Auftrag zur grundlegenden Reform der Kirche194. Diese Positionsbestimmung lag in der Logik der Beratungen der voraufgehenden schmalkaldischen Bundestage seit dem Frühjahr 1539 und war durch deren Beschlüsse gedeckt. Ihr kam deshalb ein hoher Verbindlichkeitsgrad für die protestantische Partei zu.
Noch während der Legation der beiden Grafen initiierten die habsburgischen Geschwister in Gent in kleinem Kreis intensive Beratungen über das künftige religions- und reichspolitische Procedere. In der Einsicht, dass nach dem bisherigen Verhandlungsverlauf auf einen baldigen Frieden mit Frankreich, der die habsburgische Politik dauerhaft entlasten konnte, vorab nicht zu rechnen war, damit das oft beschworene Generalkonzil erneut in weite Ferne rückte und die Entscheidung von Nizza für eine konzilsunabhängige Reunionspolitik ihre Aktualität behielt, verständigte man sich auf eine Strategie, die die politischen Verhältnisse im Reich auf der Basis der Konkordie konsolidieren und damit die Voraussetzung für die Türkenhilfe der Stände, auf die Ferdinand dringend angewiesen war, schaffen sollte, die zudem Gelegenheit bot, den französischen König seinem Versprechen gemäß in die Verhandlungen mit den Protestanten einzubinden195, und die man glaubte dem Papst zumuten zu dürfen, wenn man – zumindest verbal – keinen Zweifel an der eigenen Loyalität gegenüber der römischen Kirche und ihrem Oberhaupt aufkommen ließ, auch wenn der Kaiser der päpstlichen Konzilspolitik gründlich misstraute196. Da Gewaltanwendung in seiner Sicht nicht in Frage kam, blieb nur die Option für eine einigermaßen Erfolg versprechende konzilsunabhängige Alternative, um der Expansion der neuen Lehre und der sich abzeichnenden konfliktträchtigen Entwicklung im Reich vorzubeugen197. Die kaiserliche Regierung kannte zudem den Erwartungsdruck, der sich in beiden Religionsparteien gegenüber ihrer Politik aufgebaut hatte198, auch den daraus resultierenden Kommunikationsbedarf und wusste, dass man die reichspolitische Initiative nicht an die zwischenständischen Bestrebungen verlieren durfte, die darauf hinausliefen, im Interesse am Reichsfrieden die religionspolitische Problematik notfalls ohne den Kaiser zu lösen199. Einer solchen Entwicklung durch die Einberufung eines Reichstages vorzubeugen, schien nicht opportun, nicht nur, weil man 1532 in Regensburg mit der Eigenmächtigkeit der Reichsstände schlechte Erfahrungen gemacht hatte200, sondern auch weil damit der Nürnberger Friedstand ein Ende gefunden hätte201. Zugleich war zu befürchten, dass die katholische Aktionspartei energisch opponierte, wenn sie nicht angemessen beteiligt wurde202. Da der Kaiser zudem in der Frage, was religionspolitisch zulässig und angebracht war, unschlüssig war, empfahl es sich umso mehr, in einem ersten Schritt das Meinungsbild der altgläubigen Stände zu sondieren bzw. mit ihnen Einvernehmen über einen gemeinsamen politischen Kurs gegenüber den Protestierenden herzustellen, um sich abzusichern203. Es lag deshalb nahe, die geplanten Religionsverhandlungen in einem zweistufigen Verfahren zu organisieren. Dies bot zudem den Vorteil, dass sich so der im Frankfurter Anstand vereinbarte Beratungsmodus umgehen ließ, den die Kurie so vehement abgelehnt hatte204.
Die Konzeption, auf die sich die kaiserliche Regierung schließlich in Gent festlegte205, sah vor, zunächst ab dem 23. Mai 1540 mit den führenden alt gläubigen Ständen in Speyer über die Erweiterung des Nürnberger Bundes, die der altkirchlichen Position in den folgenden Verhandlungen erhöhtes Gewicht geben sollte, über vertretbare religiöse Konzessionen und die Vorgehensweise im Rahmen des geplanten Reunionsversuches zu beraten, der dann unter Mitwirkung der Protestanten ab dem 6. Juni in Angriff genommen werden sollte. Wenn mit einer so begonnenen Politik der Verständigung ein überzeugender Erfolg bzw. zumindest ein Teilerfolg erzielt werden konnte, bot es sich an, in einem letzten Schritt auf einem Reichstag eine tragfähige Einigung zu suchen206. An einer offiziellen Vertretung des Papstes durch einen Legaten war man zunächst nicht sonderlich interessiert. Es genügte – gedacht war wohl an Morone – einer der ohnehin akkreditierten Nuntien207. Umso mehr Wert legte man seit längerer Zeit auf den Beitritt des Papstes zur katholischen Liga208, der die altgläubigen Kräfte im Reich stabilisieren sollte209.
Die kaiserliche Regierung entwickelte also aus der reichspolitischen Kommunikation des Frühjahrs 1540 und unter dem Eindruck der außenpolitischen Entwicklung eine Doppelstrategie, der die Doppelstruktur des geplanten Konventes korrespondierte und die sich nicht zuletzt aus der Ambivalenz ihres Problemverständnisses erklärt, das einerseits die Verbindlichkeit der tradierten Rechtsordnung anerkannte und andererseits das Projekt der Reunion nicht aussichtslos erscheinen ließ. Seine Durchführung sollte allerdings nicht mehr allein der kaiserlichen Regie und Verantwortung vorbehalten sein, sondern in Kooperation mit führenden altgläubigen Ständen in Angriff genommen werden. Diese Konzeption war auf eine doppelte Zielsetzung ausgerichtet: Angestrebt war zum einen die Konsolidierung der altgläubigen Partei, zum anderen die Einleitung zielstrebiger Reunionsverhandlungen mit den Protestierenden. Bereits in Gent wurde offenbar erwogen, dabei an die auf dem Augsburger Reichstag von 1530 schließlich abgebrochenen Ausgleichsbemühungen anzuknüpfen210.
Auf dem schließlich nach Hagenau verlegten Konvent vertraten die geladenen altgläubigen Stände ein sehr divergentes Meinungsbild, dessen Spektrum von friedfertiger Konzessionsbereitschaft bis zu schroffer Militanz reichte. Während die Vertreter der katholischen Aktionspartei Reunionsverhandlungen überhaupt ablehnten, die Durchsetzung und Erfüllung der altkirchlichen Restitutionsforderungen und die Erneuerung der Augsburger Verpflichtung zur Verteidigung der altkirchlichen Ordnung verlangten und die Erweiterung der katholischen Liga anstrebten, zeigten sich die gemäßigten und die neutralen Stände für den Reunionsgedanken aufgeschlossen und plädierten für eine entsprechende Verhandlungskonzeption211. Auf protestantischer Seite war man fest entschlossen, von der Confessio Augustana und der Apologie nicht im Geringsten abzugehen und auf jeden Fall auf der im Frankfurter Anstand vereinbarten Form eines öffentlichen Religionsgespräches zu bestehen. Ziel sollte nicht die Rückkehr der Protestierenden zur römischen Kirche, sondern die Bekehrung der Gegenseite sein212. Der Kaiser sollte auf ein „christlich gesprech mit erwegung der hailigen schrifft zu ainer rechtgeschaffenen, gotlichen vergleichung“ festgelegt werden213. Damit war aus der vagen Formulierung des Ausschreibens ein konkretes Programm abgeleitet, um die kaiserliche Konzeption in wichtigen Punkten zu konterkarieren.
In dieser divergenten Konstellation operierte König Ferdinand in Hagenau in Vertretung des Kaisers mit der in Gent vereinbarten Doppelstrategie. Die kaiserliche Regierung orientierte sich demnach an der Grundmaxime, dass die katholische Religion und die Autorität des Hl. Stuhles gewahrt bleiben müssten. Deshalb sollten auf dem Konvent Entscheidungen in Religionsfragen stets nur mit dem ausdrücklichen Konsens der päpstlichen Vertreter getroffen werden. Dogmatische Fragen, die bereits auf Konzilien definitiv entschieden worden waren, sollten überhaupt nicht mehr zur Diskussion stehen. Neu auftretende Differenzen wollte der Kaiser durch den Papst, dessen Kompetenz vorbehaltlos anerkannt wurde, ordnungsgemäß entscheiden lassen, Fragen des Ritus und des positiven Rechts wollte er zusammen mit dem Papst klären mit dem Ziel, alle Abgewichenen wieder in den Gehorsam gegenüber dem Hl. Stuhl zurückzuführen. In ihrem eigenen Verantwortungsbereich wollte sich die kaiserliche Regierung vor allem auf den Ausbau des Nürnberger Bundes, auf die Bemühung, die Funktionsfähigkeit der Reichsrechtsordnung sicherzustellen, und auf die Restitution der Kirchengüter konzentrieren, die man von den Protestanten glaubte umstandslos erwarten zu dürfen und deren Modalitäten, was die zwischenzeitlich eingenommenen Erträge betraf, ebenfalls im Einvernehmen mit dem Papst geregelt werden sollten. Dabei wurde erwartet, dass der Hl. Stuhl die kaiserliche Religionspolitik durch eine überzeugende Reforminitiative stützte214. Notfalls, nämlich wenn die Protestanten in Hagenau nicht erschie nen, musste man unter Berufung auf ihre Verpflichtung zur Exekution des Augsburger Reichsabschiedes von 1530 mit den altgläubigen Ständen allein Wege finden, um dem weiteren Verfall der Justiz vorzubeugen, und das Procedere zum Schutz des wahren Glaubens vereinbaren215. Die Darstellung der kaiserlichen Position gegenüber den Nuntien schloss allerdings Modifikationen des Verhandlungskonzeptes nicht zwingend aus. Jedenfalls gingen Kaiser und König Anfang Mai davon aus, dass bei den bevorstehenden Verhandlungen in Hagenau zwischen ihrer politischen Verantwortung und der religiös-kirchlichen Zuständigkeit des Papstes und seiner Vertreter sorgfältig zu trennen sei216. In Ferdinands Hagenauer Proposition vom 12. Juni war dann allerdings vom Hl. Stuhl und seinem Autoritätsanspruch keine Rede217. Nach einer Skizze der religionspolitischen Entwicklung seit 1530 definierte der König unter Bezug auf die Option des Kaisers für eine friedlich-gütliche Lösung der Religionsproblematik den Verhandlungsauftrag in der Frage, „wie und wolcher gstalt in disem strit, sonderlich auf di handlung, zu Augspurg gepflegen, an dero di vergleichung erwunden sei, dise sach ferrer vor handt zu nemen und mit den Protestirenden auf annemlich leidlich und cristlicher wege und mitl zu handln“, damit sie wieder in den Gehorsam gegenüber Kirche, Kaiser und Reich zurückkehrten218. Für den Fall, dass dies fehlschlug, sollte darüber beraten werden, „wie di notwendig defension und gegen were zu erhaltung unsers waren, Cristlichen glaubens, auch fridens und rechtens im Heill. Reiche fur handt genommen“ werden könne, um die altgläubigen Stände gegen den offensiven protestantischen Druck zu schützen. Die Proposition schloss mit dem nochmaligen Hinweis auf die Notwendigkeit der Gütlichkeit, die zusätzlich mit der Türkengefahr begründet wurde219.
Während die Defensionsfrage vorab nicht weiter diskutiert wurde, führten die folgenden Verhandlungen zwischen Ferdinand und den altgläubigen Ständen schrittweise zur Vereinbarung, Gespräche mit den Protestierenden über die Wiederherstellung der religiösen Einheit zu eröffnen. Die von Ferdinand ernannten Unterhändler – Kurpfalz, Kurtrier, Bayern und der Bischof von Straßburg – forderten deshalb die neugläubigen Gesandten zur Vorlage einer Kurzfassung der ihrer Ansicht nach strittigen Lehraussagen auf. Diesen Vorstoß bogen die Adressaten sehr geschickt ab, indem sie sich erneut zur Confessio Augustana und zur Apologie bekannten und vorgaben, nicht zu wissen, was die Altgläubigen an diesen für sie verbindlichen Bekenntnisschriften gegenwärtig zu beanstanden hatten. Deshalb erklärten sie sich außerstande, die gewünschte Kurzfassung der religiösen Kontroverse vorzulegen220. Nach diesem Fehlschlag verständigten sich die Vermittler Anfang Juli auf den pfälzischen Vorschlag, an die Augsburger Ausschussverhandlungen von 1530 anzuknüpfen. Dieses von Ferdinand am 5. Juli gebilligte Konzept lehnten die Protestanten rundheraus ab221. Während die pfälzischen Räte bereits über Kompromissformeln zu den drei in Augsburg nicht ganz erledigten Lehrartikeln über die Buße, die Verdienstlichkeit der Werke und die Heiligenverehrung nachdachten und mit den anderen Unterhändlern darüber berieten222, erinnerten die protestantischen Gesandten daran, dass über die Ergebnisse und Absprachen der Augsburger Ausschussverhandlungen keine formellen, offiziellen Beschlüsse gefasst worden waren, mithin von verglichenen Artikeln keine Rede sein konnte. Die Augsburger Handlung eignete sich deshalb nicht als Gesprächsbasis, nicht zuletzt auch, weil zu befürchten war, dass die protestantischen Theologen die damaligen Einigungsformeln mittlerweile nicht mehr als rechtgläubig akzeptierten bzw. darüber untereinander in Streit gerieten. Sinnvoll schien nur ein Religionskolloquium in dem in Frankfurt 1539 vereinbarten Modus223. König Ferdinand überließ es den Ständen, zu diesem Votum Stellung zu nehmen224. Diese Resolution ließ hinreichend Spielraum für die ständische Meinungsbildung und damit auch für die Steuerung der Beratungen im pfälzischen Sinne.
Am 8. Juli verständigte sich Kurfürst Ludwig mit seinem Hofrat auf den Vorschlag, zu einem anderen Termin ein paritätisch besetztes Religionskolloquium zu veranstalten, dessen Teilnehmer durch einen besonderen Eid auf die ausschließliche Bemühung um die religiöse Wahrheit gemäß der Hl. Schrift verpflichtet werden sollten und über dessen Ergebnisse ein Reichstag befinden sollte. Die dann noch offenen Streitfragen sollten dem Konzil überlassen bleiben. Dieses Konzept schloss einen Friedstand und einen Kompromiss in der Kirchengüterfrage mit ein, der den Rechtsweg offen hielt und den noch vorhandenen kirchlichen Besitz schützte bzw. eine Sequestrationslösung beinhalten konnte. Der pfälzische Vorschlag kam der entsprechenden Frankfurter Vereinbarung von 1539 ziemlich nahe. Trier brachte dies denn auch treffend auf den Punkt mit der zustimmenden Bemerkung, dass „in den irrigen artickeln gehandelt wurde in form des Frankfurter abscheyds, ob man glich das nit Frankfurter abscheyd nendt“225.
Die Fürstenkurie, die diesen Zusammenhang ebenfalls durchschaute und sich zunächst aus Rücksicht auf die kaiserliche Ablehnung des Frankfurter Anstandes auf dessen verdeckte Bestätigung nicht einlassen wollte, am liebsten den Kaiser über den gegebenen ergebnislosen Verhandlungsstand informiert und damit den Konvent formell beendet hätte, aber den offenen Bruch mit den Kurfürsten scheute, ließ sich trotz ihrer Überzeugung, dass in Glaubensdingen nur auf einem Konzil entschieden werden könne, auf die kurfürstliche Konzeption ein, allerdings mit dem Vorbehalt, dass die Expansion des Protestantismus eingedämmt und die Gültigkeit des Augsburger Reichsabschiedes nicht tangiert wurde226. Denn die Fürsten konnten sich kaum einer konstruktiven Diskussion über einen Kompromiss, der sich am Meinungsbild der Kurfürsten orientierte, verweigern, wenn sie sich ihrer politischen Mitverantwortung nicht entziehen wollten. Ihre Mehrheit akzeptierte denn auch den kurfürstlichen Plan, wünschte aber – wie übrigens zunächst auch Köln, Mainz und Trier, denen Pfalz mit Erfolg widersprochen hatte – die ausdrückliche Berücksichtigung des päpstlichen Approbationsrechtes in religiösen Fragen, wollte außerdem die Verbindlichkeit des Reichsabschiedes von 1530 gewahrt sehen, plädierte für die Teilnahme kaiserlicher und königlicher Vertreter am Kolloquium, lehnte die Zulassung auch von Laien ab und verlangte in der Restitutionsfrage und zur Abwehr der protestantischen Expansion schärfere Regelungen, die die Autorität des Kammergerichtes und die Exekution seiner Urteile sicherstellen sollten. Gegen den Protest der Minderheit, die den wahren katholischen Glauben in Gefahr sah und religionspolitisch auf die Erfüllung der Defensionsverpflichtung des Augsburger Abschiedes von 1530 pochte, hatte die Fürstenratsmehrheit damit allerdings nur einigen Einwänden des päpstlichen Nuntius Morone Rechnung getragen, der nicht nur eine angemessene Berücksichtigung des päpstlichen Approbationsrechtes und die Stärkung der Autorität des Kammergerichtes forderte, sondern auch das Kolloquium ständischer Deputierter durch einen internationalen Theologenkongress, der die Universalität der römischen Kirche repräsentieren konnte, ersetzen, die theologische Entscheidungsgrundlage durch den ausdrücklichen Einschluss der Patristik präzisiert sehen und die Stände zur tatkräftigen Abwehr aller künftigen protestantischen Übergriffe – möglichst im Rahmen des Nürnberger Bundes – verpflichtet wissen wollte227. Mit ihrer Option für eine moderatere Variante hatte die Fürstenratsmehrheit, wenn auch nicht ohne gewichtige Vorbehalte, ihr Interesse an einer konstruktiven einvernehmlichen Lösung signalisiert. Man einigte sich neben einigen eher geringfügigen Korrekturen schließlich darauf, den Augsburger Reichsabschied unerwähnt zu lassen, Kaiser und König als potentielle Vermittler zu behandeln, was die Mitwirkung ihrer Theologen am Kolloquium ausschloss und zugleich ihren politischen Spielraum ausweitete, und für den Passus über die Rechtsprechung des Kammergerichts und ihre Exekution eine Kompromissformel zu wählen, die die Protestanten nicht unnötig provozierte. In der gleichen Absicht umging man die ausdrückliche Erwähnung des Papstes, indem man entsprechend dem Vorschlag der Kurfürsten ergänzend zum kaiserlichen und ständischen Konsens dissimulierend nur von der Bewilligung „geburlicher ordenlicher oberkeyt“ sprach. Damit hatte sich in der Hauptsache die von Köln, in vielem auch von Trier unterstützte, von Mainz jedenfalls hingenommene, von Kurpfalz dezidiert vertretene konfessionsneutrale Linie des Kurfürstenrates, die auch bei den gemäßigten Ständen im Fürstenrat Anklang fand, gegen den Widerstand der entschieden katholischen Fürsten durchgesetzt228.
Trotz seiner beschwichtigenden Beteuerungen gegenüber Morone, der gegen die ständische Beschlussfassung schwerwiegende Bedenken erhob und dessen Plan für einen internationalen Theologenkongress er noch am 10. Juli dem Kaiser empfohlen hatte229, schwenkte Ferdinand bereits am 12. Juli auf die Linie der ständischen Resolution vom Vortage ein, die den konfessionsneutralen Intentionen der Kurfürsten folgte und ein reichsinternes Reunionskolloquium vorsah. Zugleich entschärfte er geschickt die Kontroverse um die Rolle des Papstes. Demnach sollte dem Kaiser und dem Papst freistehen, das Kolloquium zu beschicken, ohne dass ihre Vertreter zur altkirchlichen Seite gezählt wurden. Falls der Papst davon keinen Gebrauch machte, sollte der Kaiser ihn über das unverbindliche Ergebnis des Religionsgesprächs informieren, auch zum folgenden Reichstag einladen, um an der Entscheidungsfindung mitzuwirken230. Auf diese Weise schien dem vom Kaiser unterstützten kurialen Anliegen, dass der Hl. Stuhl aus der Reunionspolitik nicht ausgeschlossen werden dürfe, hinreichend Genüge getan, ohne dass ein umfassender päpstlicher Autoritätsanspruch expressis verbis postuliert wurde. Weil der Papst nun ausdrücklich genannt war, gab sich Morone mit dieser Minimallösung vorab zufrieden, zumal auch die Stände klarstellten, dass an eine Ausschließung des Papstes nicht gedacht gewesen sei231.
Die Resolution Ferdinands vom 12. Juli bot trotz massiver bayerischer Störmanöver die Basis für die abschließende Beschlussfassung über den Kolloquiumsplan232. Die Stände verzichteten auf eine besondere Vereidigung der Kolloquenten233. Gegenüber den Protestierenden genügten einige wenige Zugeständnisse. Bewilligt wurden auf ihren Antrag die notarielle Protokollierung des Kolloquiums und die Erweiterung der Gesprächsgrundlage durch die Erwähnung der Apologie. Zudem wurde die Berufung auf den Augsburger Abschied von 1530 durch die Bestätigung des Nürnberger Anstandes abgeschwächt234. Diese Korrekturen genügten, um die Zustimmung der Protestanten zu gewinnen. Während die Bemühungen Ferdinands, die katholischen Stände auf die Verteidigung der altkirchlichen Ordnung und die Protestierenden auf einen limitierten Friedstand zu verpflichten, der auch die Restitution der Kirchengüter vorsah und nur für die 1532 bereits konvertierten Stände gelten sollte, und den Nürnberger Bund zu erweitern, scheiterten235, gelang es in Hagenau, die Reunionspolitik aus der Sackgasse herauszuführen und ihre Fortsetzung auf einem paritätisch besetzten theologischen Kolloquium zu ermöglichen, das am 28. Oktober 1540 in Worms beginnen und dessen Ertrag auf einem danach folgenden Reichstag diskutiert werden sollte. Dieses Ergebnis verdankte sich nicht zuletzt der Anpassungsfähigkeit König Ferdinands, der allerdings die volle Verantwortung dafür dann doch nicht übernehmen wollte und die letzte Entscheidung dem Kaiser zuschob236, und der Vermittlungs- und Kooperationsbereitschaft der konfessionsneutralen Stände. Unter dem Druck der strukturell bedingten Zwänge der habsburgischen Politik und in der kontingenten personalen Konstellation, die in Hagenau den konfessionell neutralen Einfluss verstärkte, ließ sich der König für ein konzilsunabhängiges Reunionsprojekt gewinnen, das erst auf dem Konvent konkrete Kontur erhielt, jedenfalls in der dort beschlossenen Form in den Genter Beratungen noch nicht konzipiert worden war, demnach nicht als Ergebnis programmatischer Zielstrebigkeit aufzufassen ist, vielmehr die in Wien im Spätjahr 1539 bevorzugte religionspolitische Option, die im Entwurf der dann fehlgeschlagenen Doppelstrategie noch stark nachwirkte, erheblich revidierte. Um den Preis des unfreiwilligen Verzichts auf die konsequente Durchsetzung bzw. Sicherung altgläubiger Interessen, die Bayern und sein Anhang einforderten, ließ sich Ferdinand auf das Unterfangen ein, einen reunionspolitischen Handlungsraum zu konstruieren, dessen Erprobung für die altkirchliche Seite nicht frei von Risiken war. Morone jedenfalls erkannte scharfsichtig die konkrete Gefahr, die in den Hagenauer Beschlüssen angelegt war. Denn die konfessionell unzuverlässige Haltung einiger Stände, die zur altgläubigen Partei gezählt wurden, ließ befürchten, dass sich auf dem Kolloquium die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Protestanten verschoben237. Damit stellte sich der kaiserlichen Politik in Worms die Aufgabe, Kommunikationsstrukturen zu vereinbaren, die geeignet waren, dieser Gefahr vorzubeugen, und zugleich zur Förderung des Reunionsprojektes genutzt werden konnten. Der Kaiser billigte jedenfalls die Hagenauer Beschlüsse ohne Vorbehalt und traf umgehend Maßnahmen zur Organisation des Reunionskolloquiums in Worms und zur Veranstaltung eines Reichstages in Regensburg238.
Etwa gleichzeitig zeichnete sich auf protestantischer Seite eine weitreichende Verschiebung der politischen Konstellation ab. In Hagenau hatte der französische Gesandte Lazare Baïf auftragsgemäß Kontakt aufgenommen zu den Gesandten Sachsens und Hessens und eine Legation der deutschen Protestanten zum französischen König angeregt. Dies und die Informationen über die erfolgversprechenden Sondierungen Herzog Wilhelms von Jülich in Frankreich bewogen Kurfürst Johann Friedrich aufgrund seines dezidierten Interesses an einer später möglichen Realisierung des kursächsischen Erbanspruchs auf die niederrheinischen Herzogtümer und damit auch auf Geldern zu dem Plan, eine machtvolle antihabsburgische Allianz anzubahnen, die neben den schmalkaldischen Verbündeten und Jülich Frankreich, Ungarn, Polen, Dänemark, Brandenburg, den Herzog von Preußen, womöglich auch Bayern umfassen sollte239. Es gelang freilich im Herbst 1540 nicht, Philipp von Hessen für diesen Plan und für die dazu nötige Annäherung an Frankreich, die auch andere schmalkaldische Verbündete nicht für opportun hielten, zu gewinnen240. Der Landgraf hatte zwar selbst zu Jahresbeginn zum Schutz Jülichs und zur Verteidigung des deutschen Protestantismus die Bildung einer schlagkräftigen antihabsburgischen Allianz aus Hessen, Kursachsen, dem König von Dänemark, den Herzögen von Württemberg, Braunschweig-Lüneburg, Sachsen und Jülich, wenn möglich auch Straßburg, Trier und Münster vorgeschlagen241. Auch reagierte er auf die Initiative Baïfs durchaus mit Interesse242. Aber er hatte seit 1538, seit seinen Verhandlungen mit Johann von Naves, auch die habsburgische Seite nicht ganz aus den Augen verloren, hatte im Frühsommer 1539 dem Kaiser seine Dienste anbieten lassen und Anfang 1540 Kontakt zu Lund aufgenommen, den er für eine friedliche Lösung der Religionsfrage zu gewinnen suchte und mit dem er seinen Sekretär Lersner Anfang März 1540 in Köln entsprechende Sondierungsgespräche führen ließ243. Der darauf folgende Versuch, Granvelle für eine reunionspolitische Initiative zu gewinnen und Kontakt zum Kaiser herzustellen, auch die Verbindung zu Königin Maria zu reaktivieren244, eröffnete die Möglichkeit einer politischen Alternative, die der Landgraf bereits Ende 1539 in Erwägung zog und auf die er im Sommer 1540 nachdrücklich rekurrierte245. Die Annäherung an den Kaiser erschien ihm vollends als attraktive politische Option, nachdem ihm Mitte Juli auf der Eisenacher Konferenz die Solidarität, die er für den Fall erbeten hatte, dass er wegen seiner Bigamie in Gefahr geriet, versagt worden war246. In den folgenden Monaten blockierte er nicht nur das kursächsische Plädoyer für ein Bündnis mit Frankreich mit dem Hinweis auf die kaiserliche Reunionspolitik, deren Ergebnis abzuwarten sei und die er durch Konzessionen zu unterstützen bereit war247, sondern verteidigte auch energisch seine Entscheidung, die Verständigung mit dem Kaiser zu suchen, ohne freilich seine Pflicht zur konfessionellen Solidarität zu vernachlässigen, gegen die intransigente Polemik Bucers248, der Karl V. als Verbündeten des Antichrist nicht für vertrauenswürdig hielt, dessen Reichspolitik als geradezu hemmungslose Tyrannis glaubte charakterisieren zu müssen und zur Allianz mit dem französischen König riet249. Im Oktober 1540 ließ der Landgraf seinen Gesandten Siebert von Löwenberg, der zugleich auch über die jüngsten Kontakte Kursachsens zu Frankreich informieren sollte, gegenüber Cornelius Schepper als Vertreter Granvelles seine Bereitschaft signalisieren, die habsbur gischen Interessen zu fördern, die Politik Karls V., soweit die Reichsstände nicht betroffen waren, zu unterstützen, ihn über die französischen Aktivitäten im Reich zu informieren und diese zu durchkreuzen, wenn ihm dafür seine direkten und indirekten Vergehen gegen den Kaiser verziehen wurden250. In Worms versuchte Granvelle, in seinen Verhandlungen, die er mit Löwenberg und dem hessischen Kanzler Dr. Johann Feige über dieses Angebot führte, ein Junktim zwischen dem landgräflichen Interesse an einem Generalpardon und den Bemühungen um eine Lösung der Glaubensfrage herzustellen, um religiös-theologische Konzessionen von protestantischer Seite zu erreichen. Dabei war unter anderem angenommen, dass der Landgraf die Meinungsbildung seiner Religionspartei uneingeschränkt dominieren und sich dazu auch im gewünschten Sinne bereit finden konnte251.
Es zeigte sich freilich recht bald, dass nicht eigentlich in der dezidierten Entschlossenheit der Protestierenden, von der CA und Apologie kein Jota zu weichen, und ihrer offensiven missionarischen Strategie das Hauptproblem der in Worms vorgesehenen Religionsverhandlungen lag, sondern vielmehr in den internen Differenzen unter den als altgläubig deklarierten Reichsständen, weil die Theologen Kurbrandenburgs, der Kurpfalz und Jülichs dissentierende theologische Positionen vertraten und deshalb als konfessionell unzuverlässig eingestuft wurden. Die Bemühungen Granvelles, einen Verhandlungsmodus zu vereinbaren, der die Spaltung der katholischen Partei neutralisierte und Mehrheitsentscheidungen unter den im Hagenau Abschied vorgesehenen 22 Kolloquenten ausschloss, führten schließlich nach mehrwöchiger Kontroverse unter gewissen Vorbehalten zu der Abmachung, nur je einen Vertreter jeder Religionspartei als deren Sprecher fungieren zu lassen252. Granvelle selbst nahm für sich das Recht in Anspruch, das Religionsgespräch je nach Verlauf und mit Rücksicht auf den Termin des bereits ausgeschriebenen Reichstages vorzeitig abzubrechen, und ließ sich vorab eine entsprechende Weisung des Kaisers ausstellen253. Ihm lag vor allem daran, die Protestanten davon zu überzeugen, dass Reunionsgespräche nur in kleinem Kreis Erfolg versprechend sein konnten, in einem Rahmen, „que conviendra a la practique quest en terme“254. Dass dann noch in Worms ein Kompromiss in der Lehre über die Erbsünde gelang, durfte als ermutigendes Omen für die Fortsetzung der Kolloquiumspolitik auf dem Reichstag interpretiert werden255.
Während der Widerstand der Mainzer unter der Führung Konrad Brauns und der Bayern gegen die Reunionsbestrebungen Granvelles offenbar nicht zuletzt von Matthias Held inspiriert war256, erklärt sich die Flexibilität und Konzessionsbereitschaft Martin Bucers und Jakob Sturms aus ihrer Kenntnis einer Entwicklung, die Mitte Dezember begann und ermutigende Aussicht auf die religiöse Konkordie zu eröffnen schien. Als sich die Gefahr abzeichnete, dass die der altgläubigen Partei zugeordneten Theologen nicht geschlossen votieren würden, nachdem die Vertreter der Pfalz, Jülichs und Brandenburgs dissentierende Gutachten abgegeben hatten, organisierte Granvelle Mitte Dezember – möglicherweise auf Betreiben seines Sekretärs Gerhard Veltwyck und offenbar in der Annahme, mit den altgläubigen Theologen in Worms nicht im gewünschten Sinne kooperieren zu können257 – ein Geheimkolloquium über einen Reunionsentwurf, der in der Hauptsache von dem Kölner Kanoniker Johannes Gropper stammte258. Trotz erheblicher Bedenken und Skrupel ließ sich Bucer, der bis dahin den vom Landgrafen empfohlenen Zugang zu Granvelle nicht hatte finden können259, zusammen mit Wolfgang Capito, nachträglich durch eine von ihm selbst angeforderte Weisung des Landgrafen inoffiziell autorisiert, auf diese Initiative ein260, an der Gropper, dessen Reforminteresse er anerkannte261, Veltwyck, dessen Gelehrsamkeit ihn sehr beeindruckte262, Capito und er selbst teilnehmen sollten. Der Verlauf dieser geheimen Diskussionen überzeugte den Straßburger Prädikanten, dessen strategische Überlegungen ansonsten bevorzugt darauf abzielten, auf dem Wormser Kolloquium bzw. auf dem späteren Reichstag möglichst viele Reichsstände für die protestantische Lehre und Reformkonzeption zu gewinnen und so den Kaiser zu überspielen bzw. zu einer im protestantischen Sinne konstruktiven Religionspolitik zu drängen263, schrittweise von der Gesprächs-, Konzessions- und Reformbereitschaft Granvelles, so dass er sein bisheriges konfrontatives, das heißt polarisierendes Klischee von einer starren Fixierung der kaiserlichen Regierung auf die Postulate des Antichrist modifizierte264. Möglicherweise spielte dabei nicht zuletzt auch die Warnung der Kaiserlichen vor der Kriegsbereitschaft der katholischen Aktionspartei eine Rolle265. Jedenfalls motivierte ihn offenbar das von ihm trotz gewisser Einschränkungen positiv bewertete Ergebnis der Wormser Geheimverhandlungen, Granvelles Plan für ein Zweier-Kolloquium nachdrücklich zu unterstützen. Auch Jakob Sturm und Johann Feige, die zumindest vage über das Geheimkolloquium informiert waren266, gaben sich in der Verfahrensfrage konzessionsbereit. Der Landgraf, der im Übrigen bezeichnenderweise in der Befriedigung der politischen Interessen des sächsischen Kurfürsten eine wichtige Voraussetzung für einen Erfolg der Reunionsbestrebungen und für die Kooperationsbereitschaft Luthers und Melanchthons sah267, erklärte sich zu wohlwollender Prüfung des ausgehandelten, ihm von Bucer persönlich erläuterten Reunionsentwurfes bereit268, der im Verständnis der Beteiligten auch als Basis für die Reform der deutschen Kirche fungieren und den Kurfürst Joachim von Brandenburg Luther zur Stellungnahme übermitteln und später auf dem Reichstag zusammen mit Pfalz und anderen vermittlungsbereiten Fürsten mit dem Ziel, zumindest eine in Zukunft komplementierbare Teilkonkordie zu erreichen, zur Diskussion stellen sollte269.
Erst danach kam wieder Bewegung in die Verhandlungen über einen Aussöhnungsvertrag Landgraf Philipps mit dem Kaiser, die seit November stagnierten, weil Granvelle, um die hessische Verhandlungsführung in der Religionsfrage unter Druck zu setzen, sich trotz des kaiserlichen Interesses, Hessen auf Distanz zum französischen König zu halten270, nicht von der Prämisse abbringen ließ, ein solcher Vertrag mache ohne die Wiederherstellung der religiösen Einheit keinen Sinn271. Seit Anfang Januar lockerte Granvelle, ohne freilich dieses Junktim aufzulösen272, seine bisherige Verhandlungsposition, indem er sich zu konkreteren Aussagen über das künftige Verhältnis zwischen Kaiser und Landgraf herbeiließ, ohne allerdings damit Feiges Erwartungen vollauf zu erfüllen273. Erst die in Speyer ausgestellte kaiserliche Gnadenerklärung bot die Gewissheit, dass die Verhandlungen auf dem bevorstehenden Reichstag, zu dessen persönlichem Besuch der Landgraf wiederholt dringend aufgefordert wurde274, mit Aussicht auf Erfolg – der in Regensburg abgeschlossene Vertrag datiert vom 13. Juni 1541 – fortgesetzt werden konnten. Sie setzte allerdings die Bereitschaft des Landgrafen, der sich Anfang Februar zur Reise nach Regensburg entschloss und Mitte März dorthin aufbrach275, zu konstruktiver Kooperation in den dorthin verlegten Konsultationen über die Reunion explizit voraus276.
In sächsischer Perspektive erschien die hessische Politik in Worms, auch jede Vermittlungsinitiative höchst suspekt277. Kurfürst Johann Friedrich war fest entschlossen, auf dem Kolloquium jeden päpstlichen Autoritätsanspruch dezidiert abzuwehren, die Confessio Augustana unnachgiebig zu verteidigen, dadurch das Scheitern des Reunionsversuches zu provozieren, kompromisstheologische Lösungsvorschläge strikt zurückzuweisen, notfalls auch die Spaltung der protestantischen Partei in Kauf zu nehmen und in der Interpretation des Nürnberger Friedstandes und in der Frage der Kirchengüter jede Konzession an die altgläubige Rechtsauffassung entschieden abzulehnen278. Mit dieser rigiden Opposition gegen das Projekt der Reunion verband sich das lebhafte, nicht zuletzt im potenziellen Erbanspruch gründende Interesse, zur Unterstützung Jülichs im Konflikt um Geldern in Kooperation mit Frankreich eine breite antikaiserliche Front aufzubauen279. Die Annäherung Hessens an den Kaiser durchkreuzte diesen Plan, der im Übrigen auch bei anderen Verbündeten kaum Resonanz fand. Die kursächsischen Gesandten mussten sich auf dem schmalkaldischen Bundestag in Naumburg schließlich mit dem Kompromiss zufriedengeben, die definitive Stellungnahme der schmalkaldischen Verbündeten zum Allianzplan auf den Regensburger Reichstag zu verschieben280. Auch gelang trotz straßburgischer Vermittlung kein tragfähiger Konsens im Umgang mit der landgräflichen Bigamie281. Da sich für den Fall, dass die an sich rein weltlichen, also durch den schmalkaldischen Bundesvertrag nicht abgedeckten, mittlerweile am Kammergericht anhängigen Konflikte Kursachsens mit Albrecht von Brandenburg um das Burggrafentum Magdeburg und mit Bischof Johann von Meißen um dessen Reichsstandschaft weiter eskalierten282, eine Hilfszusage der Verbündeten nicht erreichen ließ, ließ sich Johann Friedrich nur höchst widerwillig dazu bewegen, die Bundeshauptmannschaft neben dem Landgrafen, dem er wegen seiner Verhandlungen mit dem Kaiser misstraute, noch ein weiteres Jahr zu übernehmen283. Ausschlaggebend dafür war wohl nicht zuletzt das Argument seiner Gesandten, dass andernfalls die Existenz des Schmalkaldischen Bundes auf dem Spiel stehe284.
Dass die internen Spannungen den Handlungsraum der protestantischen Partei, vor allem ihrer Führung, erheblich belasteten, belegt auch die Kontroverse um die Bundeshilfe für die Städte Braunschweig und Goslar. Zwar wurde in Naumburg beschlossen, die bereits zugesagte Hilfe der Stadt Braunschweig, von der auch Goslar, obwohl inzwischen in die Acht erklärt, indirekt profitieren sollte, nunmehr zu leisten. Offen blieb aber, ob der Konflikt Goslars mit Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel formell als Religionssache anzuerkennen und damit als Bündnisfall zu behandeln sei285. In dieser Frage stimmten Hessen und Kursachsen im Plädoyer für ein positives Votum zwar überein, beurteilten aber die Dringlichkeit der braunschweigischen Hilfe unterschiedlich. Während der Landgraf immer entschiedener davon abriet, durch eine voreilige Entsendung des Hilfskorps die Lage zu verschärfen, und auf ein erfolgreiches Eingreifen des Kaisers setzte286, die protestantischen Verhandlungsführer in Worms und Speyer für die Reise zum Reichstag und den dortigen Aufenthalt eine Fassung des kaiserlichen Geleites, die ihren Forderungen weit entgegenkam287, aushandeln konnten, auch die Suspension der gegen protestantische Stände anhängigen Kammergerichtsprozesse und der Acht gegen Goslar und Minden erreichten288 und die kaiserliche Regierung auf Drängen des Landgrafen Herzog Heinrich in Regensburg unter Druck setzte, Anfang Februar durch einen Herold, und dann durch einen kaiserlichen Kommissar intervenierte, um die beiden Städte gegen herzogliche Übergriffe zu schützen289, so dass die Vorbehalte, die Hessen und Sachsen im Spätjahr 1540 gegen einen persönlichen Besuch des Reichstages geltend gemacht hatten290, zu einem erheblichen Teil erledigt schienen, beharrte Kurfürst Johann Friedrich, dem im Übrigen wie auch dem Landgrafen durchaus klar war, dass die Leistung der Hilfe einen „heuptkrige“ provozieren könne291, auf seiner pessimistischen Lagebeurteilung, drängte auf sofortigen Vollzug des Naumburger Beschlusses und mochte Ende Februar allenfalls einen vierwöchigen Aufschub akzeptieren292. Das mit dieser Strategie verbundene Konfliktpotenzial nahm der Kurfürst in Kauf, nicht nur, weil er der kaiserlichen Politik trotz ihrer Konzessionsbereitschaft zutiefst misstraute293, sondern nicht zuletzt auch, weil eine Eskalation der Entwicklung im Braunschweigischen unter Umständen Gelegenheit bot, den persönlichen Besuch des Reichstages plausibel abzulehnen294. Jedenfalls ließ sich Johann Friedrich durch die Argumentation des Landgrafen, der ihn wiederholt drängte, sich wie er selbst persönlich zum Reichstag bzw. wenigstens in die Nähe Regensburgs zu begeben295, nicht beein- drucken296, auch wenn er gelegentlich Reisevorbereitungen traf und offenbar noch Anfang Mai 1541 nicht definitiv entschieden war297. Zwar scheute er sich, sich durch den Empfang des neuen französischen Gesandten Morelet zu kompromittieren298, aber er wahrte zugleich auch, während der Landgraf seit Anfang Februar 1541 unter anderem zur Eindämmung des braunschweigischen Konflikts intensiv mit Granvelle korrespondierte299, sorgfältig Distanz zur kaiserlichen Regierung, die auf sein persönliches Erscheinen in Regensburg vergeblich großen Wert legte300. Deren Reunionspolitik schien ihm in höchstem Grade suspekt, weil er sie als groß angelegtes Täuschungsmanöver interpretierte, das auf eine vollständige Revision der protestantischen Theologie und kirchlichen Reformkonzeption abzielte. Spielraum für vertretbare religiöse Konzessionen an die altgläubige Seite konnte er nicht erkennen. Deshalb wies er seine Gesandten an, aus Gewissensgründen an der Confessio Augustana, der Apologie und den auf dem schmalkaldischen Bundestag im März 1540 vereinbarten Richtlinien strikt und unnachgiebig festzuhalten und die Glaubensverwandten, nicht zuletzt den Landgrafen, der zudem noch einmal an die Alternative eines Bündnisses mit Frankreich erinnert werden sollte, auf diese rigide Linie zu verpflichten301.
Während die schmalkaldischen Verbündeten sich bereits in Naumburg darauf verständigt hatten, auf dem bevorstehenden Reichstag ihre Theologen dazu anzuhalten, in den Religionsverhandlungen einmütig und geschlossen aufzutreten, im Übrigen solidarisch zu agieren und die Bewilligung einer Türkenhilfe und der Finanzierung des Kammergerichts von einer verlässlichen Friedensgarantie und der Zusage einer gründlichen Reform des Gerichts abhängig zu machen302, ergriff auf der Gegenseite die katholische Aktionspartei wenige Tage nach der Ankunft Karls V. in Regensburg die Initiative, um gegen die kaiserliche Reunionspolitik zu agitieren303. Das bayerische Plädoyer für eine entschiedene religionspolitische Polarisierung blieb allerdings ohne die intendierte Resonanz. Auch die Bemühungen, den päpstlichen Legaten, der am 12. März 1541 in Regensburg eintraf, für eine kompromisslose Opposition gegen die kaiserliche Kolloquiumspolitik zu gewinnen304, schlugen fehl. Da die in Rom mit der Entwicklung im Reich befassten Kardinäle, die die Bemühungen des Kaisers um die kirchliche Konkordie im Grunde sehr skeptisch beurteilten und dementsprechend gravierende Vorbehalte hegten, war zwar die Instruktion für Contarini darauf angelegt, die tradierte Lehre der römischen Kirche, ungeachtet der neugläubigen Kritik, erneut festzuschreiben und die Autorität des Papsttums zu verteidigen, so dass kaum nennenswerter Spielraum für Konzessionen, wie ihn Granvelle für die kaiserliche Reunionspolitik postulierte, blieb. Dass Contarini persönlich aber eine flexiblere Position vertrat, zwischen essentiellen Glaubensaussagen und indifferenten Punkten differenzierte und auf die Überzeugungskraft sachlicher Argumentation vertraute, erlaubte eine modifizierte Einschätzung der Erfolgschancen der kaiserlichen Reunionspolitik und rechtfertigte die Absicht, die Protestanten „con humanità“ zu behandeln305. Contarini votierte deshalb in den Wochen nach seiner Ankunft für eine „via di mezzo“306, eine vermittelnde Linie zwischen dem Rigorismus der katholischen Aktionspartei, die zur Mäßigung ermahnt werden musste, und dem fragwürdigen Optimismus Granvelles, der wie die konfessionsneutralen Stände von der Tragfähigkeit einer kompromisstheologischen Lösung des Glaubensproblems überzeugt war307. Unter dem Einfluss des Legaten fand sich denn auch Morone bereit, den Versuch, die theologischen Differenzen im gelehrten Diskurs auszutragen und zu beheben, nach Möglichkeit konstruktiv zu unterstützen308. Dies hinderte freilich die bayerischen Herzöge nicht, unmittelbar vor Reichstagsbeginn gegen den Plan der kaiserlichen Regierung, das Glaubensproblem durch ein Religionsgespräch auf dem Wege der Verständigung zu lösen, massiven Einspruch zu erheben309. Indem sie eine Strategie der klaren konfessionellen Abgrenzung bevorzugten und zugleich im Frühjahr 1541 auf die Durchführung der als Voraussetzung für kirchliche Reformmaßnahmen geplanten Visitation in ihrem Territorium drängten310, optierten sie bereits zu diesem frühen Zeitpunkt für das Grundmuster der späteren tridentinischen Reform.
Bereits am 14. September 1540 hatte der Kaiser unter Bezug auf den Hagenauer Abschied den dort vorgesehenen Reichstag zur Lösung des Religionsproblems und zur Beratung über die Türkenabwehr, die Unterhaltung des Kammergerichts, die Sicherung des Reichsfriedens und Polizei und Münze zum 6. Januar 1541 ausgeschrieben und seine persönliche Teilnahme angekündigt311. Die Wahl des zunächst noch offen gebliebenen Tagungsortes überließ er König Ferdinand, der unter Ablehnung Nürnbergs für Regensburg votierte und sich damit gegen die Präferenz der rheinischen Kurfürsten, die einen Ort am Rhein vorgezogen hätten312, durchsetzen konnte313. Parallel zum Reichstag plante Frankfurt einen Städtetag, der vier Tage nach Reichstagsbeginn in Regensburg zur Beratung über den Konflikt zwischen Herzog Heinrich von Braunschweig und der Stadt Goslar, auch sonstige, die Städte betreffende politische Probleme zusammentreten sollte314.
Nach einer Serie schwerer Gichtanfälle, die ihn länger als geplant in Speyer festhielten und deshalb ein zweites Ladungsschreiben nötig machten315, konnte der Kaiser die Reise nach Regensburg erst Anfang Februar 1541 über Heidelberg, Brandenburg-Ansbach, Nürnberg und Neumarkt/Oberpfalz nach Regensburg fortsetzen, wo er am 23. Februar 1541 eintraf. In den Wochen zuvor hatten die Furiere des Kaisers und König Ferdinands, indem sie offenbar recht rücksichtslos für ihre Herren und ihr Gefolge sehr zahlreiche Quartiere reservieren ließen, dabei rigoros reichsständische Bewerber beiseite schoben bzw. benachteiligten und damit erhebliche Spannungen und Konflikte pro vozierten, den Reichserbmarschall von Pappenheim enorm erbittert. Granvelle sorgte dann unmittelbar nach seiner Ankunft dafür, dass sich die Lage wieder entspannte316. Auch erließ der Kaiser am 10. März eine Anordnung zur Fixierung der Lebensmittelpreise und eine Verfügung zur Sicherung der öffentlichen Ordnung, zur Regulierung der Gastronomie, zur Zuweisung von Marktplätzen für den Handel mit Gütern des alltäglichen Gebrauchs und zur Festlegung der Wechselkurse317. Noch im März 1541 nahm unter der Leitung des Pfalzgrafen Friedrich der sog. ‚deutsche Hofrat‘, dem der Kaiser die Erledigung der während des Reichstages anfallenden Aufgaben der zentralen Reichsverwaltung übertrug, seine Tätigkeit auf318.
Ansonsten sah sich der Kaiser gezwungen, auf die Ankunft der Reichsstände bzw. ihrer Gesandten zu warten. Am 1. März forderte er die Stände noch einmal sehr nachdrücklich zum Besuch bzw. zur Beschickung des Reichstages auf319. Zur inhaltlichen Vorbereitung auf die Reichstagsverhandlungen dienten der kaiserlichen Regierung nicht zuletzt die Gutachten und Memoranden, die König Ferdinand, auf dessen Rat sich der Kaiser dringend angewiesen fühlte320, dessen Anreise sich aber wegen der Entwicklung in Ungarn verzögerte, ihr zur Planung des Beratungsprogramms übersandte321. In der zweiten Märzhälfte bot sich wiederholt Gelegenheit, dessen reunionspolitische Zielsetzung in Gesprächen mit dem Legaten und mit Morone, der an die Stelle des am kaiserlichen Hof besonders beliebten Nuntius Poggio berufen wurde, um ein Gegengewicht gegen Contarini zu bilden, als aussichtsreiche Lösungskonzeption darzustellen und zu rechtfertigen. Dabei rechnete Granvelle bereits Ende März 1541 die Möglichkeit mit ein, dass nur eine Teilkonkordie gelang322. Dies hinderte ihn freilich keineswegs, im Frühjahr 1541 in Regensburg in engagierter Argumentation propagandistisch für die geplante kaiserliche Reunionspolitik zu werben. Granvelle, der wiederholt eine gewaltsame Lösung des Glaubensproblems dezidiert ablehnte und immer wieder die Bedeutung der Konkordie für die politische Stabilität des Reiches betonte, fand nicht nur anerkennende Worte für die Ernsthaftigkeit der protestantischen Religiosität und das pastorale Engagement der protestantischen Prediger und kritisierte die Missstände der römischen Kirche, die dringend einer durchgreifenden Reform bedurften, sondern warb zugleich auf altgläubiger Seite um Vertrauen auf die Kirchentreue des Kaisers und seine Bereitschaft, stets eng und loyal mit den Vertretern der Kurie zu kooperieren323. Bereits Anfang April zeigte sich allerdings, dass die kaiserliche Regierung nicht gewillt war, sich im Hinblick auf die Rolle des Legaten in den bevorstehenden Religionsverhandlungen offiziell und definitiv festzulegen324.