Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XI. Band. Der Reichstag zu Regensburg 1541 bearbeitet von Albrecht P. Luttenberger, für den Druck vorbereitet von Christiane Neerfeld
Die Proposition, die der Kaiser am 5. April nach der Heilig-Geist-Messe vortragen ließ, thematisierte neben der Wahrung und Sicherung der öffentlichen Ordnung im Reich das kirchliche Reunionsprojekt und die Türkenhilfe als Schwerpunkte des Reichstagsprogramms1. In den folgenden Tagen konnte der Kaiser, der offenbar auch mit der Notwendigkeit rechnete, sich für seine Politik seit 1532 explizit rechtfertigen zu müssen, und eine entsprechende Verteidigungsschrift vorbereiten ließ2, seinen Plan durchsetzen, in einem kleinen Kreis von ihm ausgewählter Theologen über das Glaubensproblem beraten zu lassen3. Nach der Ernennung der Kolloquenten Philipp Melanchthon, Martin Bucer, Johannes Pistorius, Johann Eck, Johannes Gropper und Julius Pflug konzedierte er auch ohne erkennbaren Vorbehalt die Einrichtung eines Präsidiums, das er Granvelle und Pfalzgraf Friedrich übertrug, und die Erweiterung des Teilnehmerkreises durch je drei Auditoren aus beiden Konfessionen. Als Beratungsgrundlage sollte der Reunionsentwurf dienen, den Gropper und Bucer bereits in Worms im Dezember 1540 vereinbart hatten. Zwar gelang es den sechs Theologen, sich Anfang Mai 1541 auf eine Formel über die Rechtfertigungslehre zu einigen, aber danach blieben substanzielle Erfolge aus. Über zentrale Fragen der Ekklesiologie und der Eucharistie, über die Beichte, die Heiligenverehrung, die Messe und die Priesterehe konnte man sich nicht mehr verständigen4. Der Kaiser, der zugleich sein eigenes Interesse an einer umgehenden, gründlichen Reform der Kirche betonte, konnte mit dem Versuch, vom 17. bis 19. Mai 1541 in einer Reihe von Audienzen führende protestantische Stände zu motivieren, ihre Theologen zu Mäßigung und Konzessionsbereitschaft zu bewegen5, das überwiegend negative Ergebnis des Kolloquiums nicht verhindern. Am 31. Mai übergaben die Protestanten ihre Stellungnahmen zu den strittig gebliebenen Punkten. Die verglichenen Artikel mochten die protestantischen Theologen allerdings nur akzeptieren unter dem Vorbehalt einer konfessionell unbedenklichen Erläuterung nach Maßgabe ihrer Bekenntnisschriften6.
Auf das Scheitern des Kolloquiums reagierte der Kaiser Anfang Juni zum einen mit dem Versuch, die schmale Basis der erreichten Verständigung zu verbreitern, indem er Kurfürst Joachim von Brandenburg und den Erzbischof von Lund den Protestanten Vorschläge theologischer Kompromisse anbieten ließ, die allerdings abgelehnt wurden. Zum andern ließ er Granvelle für ein auch von ihm selbst in Audienzen propagiertes Toleranzprojekt werben, das die allseitige Anerkennung der verglichenen Artikel und wechselseitige Duldung der Konfessionsparteien in den noch unverglichenen Punkten vorsah und für das Meinungsführer beider Konfessionsparteien gewonnen werden sollten, ne ben Kurmainz und Bayern, vor allem Martin Luther, den Kurfürst Joachim und Markgraf Georg von Brandenburg durch eine eigene Gesandtschaft zu überzeugen hofften7. Die Kurie, Contarini und Morone lehnten samt der katholischen Aktionspartei den kaiserlichen Plan schroff und vehement ab und Kurfürst Johann Friedrich sorgte dafür, dass auch Luthers Antwort entschieden negativ ausfiel8. Dass der Kaiser seit Mitte Mai wiederholt sein starkes Interesse an einer gründlichen Reform der Kirche betonte, schließlich sogar von Bucer und Melanchthon entsprechende Gutachten anfordern ließ9, konnte das Scheitern der Reunionspolitik nicht überspielen. Als er am 8. Juni den Ständen das Kolloquiumsergebnis zur Stellungnahme vorlegte, beließ er es bezeichnenderweise bei einer allgemeinen Anregung, auch das Problem der kirchlichen Reform zu diskutieren10. Erst seine Vorlage vom 12. Juli offerierte den Ständen die Möglichkeit, den Konsens in den verglichenen Artikeln als Teilkonkordie bis zum Konzil verbindlich festzuschreiben11, eine Anregung, die auf altgläubiger Seite eine heftige Kontroverse auslöste, weil sie bei der Mehrheit der Kurfürsten, bei einer Minderheit im Fürstenrat und bei den altkirchlichen Reichsstädten wie im Übrigen auch bei den Protestierenden Zustimmung fand12, von der Fürstenratsmehrheit, die auf bayerische Initiative schon in der Beratung des Kolloquiumsergebnisses einen dezidiert oppositionell-altgläubigen Standpunkt eingenommen hatte13, und von den Kurfürsten von Mainz und Trier aber strikt abgelehnt wurde14. Der Kaiser, dessen Religionspolitik seit Mai 1541 zunehmend das Misstrauen und die Kritik des päpstlichen Legaten Contarini, schließlich gar seinen offenen Einspruch zum Beispiel gegen die Alternative des Nationalkonzils provozierte15, hat denn auch diese Konzeption nicht mehr weiter verfolgt, sondern sich auf die Vereinbarung eines religionspolitischen Friedstandes konzentriert. So enthielt seine Vorlage vom 23. Juli 1541 zur Vorbereitung des Reichsabschiedes neben dem Vorschlag, das Religionsproblem auf das anzustrebende Generalkonzil, bzw. ein Nationalkonzil oder einen künftigen Reichstag zu vertagen, ein allgemeines Friedgebot, das sich auf den Nürnberger Anstand stützte, die Suspension der religionspolitisch relevanten Kammergerichtsprozesse und Ächtungen, deren Reichweite in strittigen Fällen von kaiserlichen Kommissaren überprüft werden sollte, die Bestätigung der jurisdiktionellen Kompetenz des Kammergerichts, das künftig von den Ständen finanziert werden sollte, die Verpflichtung für die Protestierenden, die im Kolloquium verglichenen Artikel anzunehmen, ein Verbot des Abbruchs noch bestehender Klöster und Kirchen, eine Garantie des aktuellen materiellen Besitzstandes der altgläubigen Geistlichkeit, die zugleich zu tatkräftigen Reformen aufgefordert wurde, eine Klausel über die Verbindlichkeit des Augsburger Abschiedes von 1530, ein Verbot polemischer Publikationen und den Vorschlag, das Münzproblem und die Reform der Reichsmatrikel auf einen Tag zu Speyer zu verschieben16. Diese Resolution entsprach zwar keineswegs den Vorstellungen der protestantischen Stände, die in ihrer Stellungnahme zur kaiserlichen Vorlage vom 12. Juli, ihre Vorbehalte gegen ein päpstlich geleitetes Konzil noch einmal erläutert, die Zensur religiöser Publikationen und Streitschriften abgelehnt und die Aufhebung bzw. Suspension des Augsburger Abschiedes von 1530, eine Reform des Kammergerichtes zur Erledigung ihrer einschlägigen Gravamina und eine Reform des Nürnberger Friedstandes auf der Basis ihres gleichzeitig eingereichten Gutachtens gefordert hatten17. Aber mit der kaiserlichen Vorlage vom 23. Juli war der Rahmen für die Formulierung des Reichsabschiedes zu Religion, Friede und Recht weitgehend abgesteckt18. Die Einwände, die beide Religionsparteien in den Schlussverhandlungen noch geltend machten, ließen sich freilich nicht mehr einvernehmlich erledigen. So blieb nur der Ausweg, in Geheimdeklarationen des Kaisers auf die jeweiligen Forderungen einzugehen. Den altgläubigen Ständen wurde zugestanden, dass nicht nur die noch vorhandenen materiellen Nutzungs- und Besitzrechte der Geistlichen, sondern auch ihre Hoheitsrechte geschützt sein sollten19. Den Protestanten kam der Kaiser entgegen mit einer Erläuterung zur Interpretation der verglichenen Artikel, zur Reform reichsmittelbarer kirchlicher Einrichtungen, zu den kirchlichen Besitzrechten und Einkünften, zur Konversion von Untertanen, zu den protestantischen Gravamina im Hinblick auf die Besetzung und die Rechtsprechung des Kammergerichts, die Suspension der Acht gegen Goslar und die Verbindlichkeit des Augsburger Reichsabschiedes von 153020.
Als zweiten Schwerpunkt der Reichstagsverhandlungen hatte der Kaiser die Türkenhilfe proponieren lassen. Am 9. Juni 1541 erhielten die Vertreter der österreichischen Erblande und Franjo Frankopan, der Bischof von Erlau, als Sprecher der Gesandten der ungarischen Stände Gelegenheit, die drohende Gefahr einer machtvollen türkischen Offensive den Reichsständen in engagierter Rede zu vergegenwärtigen21. Am 25. Juni 1541 folgte der Vortrag König Ferdinands über die akute Gefahr in Ungarn22. Aus Rücksicht auf aktuelle Sessionsstreitigkeiten ließ der Kaiser die Aufforderung zur umgehenden Eröffnung der Beratungen über die Türkenhilfe den protestantischen und den altgläubigen Ständen jeweils gesondert vortragen23. Trotz seiner ausdrücklichen Aufforderung zu konfessionsübergreifenden Beratungen blieb es fortan bei getrennten Verhandlungen der Konfessionsparteien, nicht nur weil die Session im Fürstenrat erneut strittig war, sondern vor allem, weil die Protestierenden, nachdem sie – nicht zuletzt aus Furcht vor Majorisierung – nur unverbindlich in den Kurien mitberaten und die altgläubigen Stände dies nicht hinnehmen wollten24, damit freie Hand erhielten, nach ihrer eigenen Strategie zu verfahren. Während die altgläubigen Kurfürsten und Fürsten sich unter dem Vorbehalt der Sicherung des Friedens im Reich schließlich auf das Angebot verständigten, eine eilende Türkenhilfe in Höhe des halben Romzuges auf drei Monate und im Fall besonderen Bedarfs auf vier Monate in Geld zu leisten, wobei König Ferdinand für Doppelsold- und Sonderzahlungen und das Geschütz etc. aufkommen und auf die Besteuerung des österreichischen Besitzes betroffener Reichsstände verzichten sollte25, bewilligten die protestantischen Stände die Hälfte der 1532 beschlossenen Türkenhilfe auf vier Monate vorbehaltlich ihrer Mitwirkung bei der Bestellung der Offiziere und überließen die Ausrüstung mit Geschütz und Munition und die Versorgung der Armee mit Proviant der Verantwortung König Ferdinands26, dies jedoch unter der Bedingung, dass ihnen eine befriedigende Reform des Nürnberger Friedstandes und eine unparteiische Jurisdiktion des Kammergerichtes garantiert wurden27. Auch die altgläubigen Reichsstädte nannten nach Konsultation der protestantischen Städtevertreter einen sicheren Frieden und gleichmäßiges Recht als Bedingungen für die Bewilligung einer Türkenhilfe28, schwächten diese Forderung in ihrer zweiten Stellungnahme, die vor allem ihren Sessionsstreit mit den beiden Oberen Kurien thematisierte, auch das Problem der Doppelbesteuerung städtischer Bürger zur Sprache brachte, deutlich ab29, während die Protestierenden vorab hartnäckig auf ihren Konditionen beharrten. Zwar fanden sie sich schließlich mit der kaiserlichen Zusage ab, ihrem Sicherheitsbedürfnis entgegenzukommen und erneut einen Friedstand einschließlich der Suspension der Kammergerichtsprozesse zu vereinbaren, sie verteidigten aber zäh ihre Forderung, im Rahmen der Suspension der Acht auch die Rechtsfähigkeit der Stadt Goslar zu gewährleisten30. Erst mit ihrer Konzession vom 19. Juli 1541 schien ihre Beteiligung an der eilenden Türkenhilfe sichergestellt, nachdem die altgläubigen Stände sich mit Kaiser und König mittlerweile über einige Modalitäten ihrer Finanzierung, die Bestellung des Führungspersonals und den Einsatz leichter Reiterei hatten verständigen können31. Gegen Ende des Reichstages wurde dann zwar noch über die Leistung einer beharrlichen Hilfe beraten, aber nicht mehr definitiv und verbindlich beschlossen32.
Unter den sonstigen Agenden, mit denen der Reichstag in Regensburg befasst war, kommt dem Konflikt zwischen dem Kaiser und Herzog Wilhelm von Jülich um das Herzogtum Geldern besondere Bedeutung zu. Die machtpolitische Dimension der beiderseitigen Aktivitäten auf dem Reichstag legt es nahe, die einschlägigen Akten in einem eigenen Kapitel zu gruppieren33.
Dass während der Verhandlungen über die Türkenhilfe im Streit um den regulären Verfahrensmodus die Spannungen zwischen den altgläubigen Reichsstädten und den Kurfürsten und Fürsten ihrer Religionspartei eskalierten34, ordnet sich ein in das Konfliktpotenzial, das aus Differenzen in der Zurechnung bzw. Beanspruchung reichspolitischer Kompetenz und politischer Reputation resultierte. In diesem Kontext sind auch die Auseinandersetzungen um die Reichsstandschaft der im Bauernkrieg von Hessen, Kursachsen und Herzog Georg von Sachsen unterworfenen thüringischen Stadt Mühlhausen35 und Session und Stimme der Bischöfe von Meißen und Merseburg zu dokumentieren36, weil auch hier mit der Negation bzw. Verteidigung fremder territorialer Hoheitsrechte die politische Berechtigung am Reich zur Disputation stand. Dies war auch implizit, mitunter auch in demonstrativer Provokation bei allen Sessionsstreitigkeiten der Fall, bei denen es um die Sitzordnung und damit zugleich um Rang und reichspolitische Dignität eines Reichsstandes zu tun war37.
Neben dem in der Proposition thematisierten politischen Beratungsprogramm und gegebenenfalls seiner offiziellen Modifikation bot der Reichstag zudem als zentrale Organisation reichspolitischer Autorität und Kompetenz, vor allem wenn der Kaiser persönlich anwesend war, jedem Reichsstand seit je Gelegenheit, durch Gesuche an den Kaiser und die Stände um Unterstützung zur Realisierung und Durchsetzung spezieller partikularer Interessen zu werben bzw. solche Bemühungen zielstrebig zu durchkreuzen. Diese Praxis stand ganz offenkundig in der Tradition der spätmittelalterlichen Hoftage, die nicht zuletzt darauf abzielten, durch obrigkeitliche Gunst als Gegenleistung persönliche Loyalität zu gewinnen. Die Spielbreite der in Regensburg 1541 auf dem Wege von Supplikationen eingebrachten Anliegen reichte vom Antrag des Herzogs von Savoyen auf Unterstützung zum Rückgewinn seines Herzogtums über religions- und kirchenpolitische Streitigkeiten bzw. rechtliche Differenzen und jurisdiktionelle Probleme bis zur Bitte des Speyerer Webers Hans Winzinger, der darauf hoffte, durch Fürbitte der Reichsstände wieder in seine Vaterstadt heimkehren zu dürfen38. Neben den üblichen Anträgen auf Nachlass der Reichssteuern39 und Vergabe bzw. Modifikation von Privilegien und neben sonstigen speziellen Anliegen einzelner Reichsstände40 und einigen amtlichen Anträgen des Reichskammergerichts auf rechtspolitische Entscheidungen41 sind die auf ein entsprechendes päpstliches Urteil gestützten Bemühungen Bischof Valentins von Hildesheim um die Restitution der von den braunschweigischen Herzögen seit der Stiftsfehde entfremdeten Teile seines Hochstiftes42 und das Interesse des Hauses Brandenburg an der Annullierung der Acht gegen Herzog Albrecht von Preußen43 wegen der Komplexität beider Anliegen und der daraus resultierenden politischen Relevanz eigens hervorzuheben. Besondere politische Brisanz aber kam, vom erneuten Plädoyer Kursachsens für ein Bündnis mit Frankreich und eine antihabsburgische Koalition abgesehen44, vor allem den religionspolitisch motivierten Supplikationen der schmalkaldischen Verbündeten45, ihrer Solidarität mit der Stadt Goslar und den sonstigen Initiativen zu, die sich gegen Herzog Heinrich von Braunschweig richteten46, weil sie ein enorm konfliktträchtiges Potenzial mit hoher Sprengkraft tangierten.
Im neunten Kapitel der Edition sind einige Dokumente zusammengestellt, denen ein je eigener Stellenwert zukommt. Dies gilt vor allem für die Verträge, die der Kaiser mit Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst Joachim II. von Brandenburg in Regensburg schloss47. Zwar bot der Reichstag für die entsprechenden Verhandlungen den organisatorischen Rahmen, die Verträge aber fungierten davon unabhängig inhaltlich als markante Optionen in einer mittelfristigen Strategie der kaiserlichen Politik. Darüberhinaus sind schließlich auch die Bemühungen um die Erneuerung des 1538 in Nürnberg abgeschlossenen altgläubigen Bundes zu dokumentieren48, auch wenn sie nicht die Bedeutung erlangte, die vor allem Bayern ihr beigemessen haben mag.