Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth
Seit Beginn seiner Alleinregierung waren es weniger reichsinterne Ereignisse oder Probleme, sondern weit öfter bestimmte Konstellationen und Zielsetzungen im Rahmen seiner auswärtigen Politik gewesen, die Maximilian zur Durchführung eines Reichstags veranlaßt hatten. Dies gilt auch und sogar in besonderem Maße für die Reichsversammlung von 1512, deren Vorgeschichte, Verlauf und thematische Ausrichtung von den außen- und bündnispolitischen Absichten des Kaisers nachhaltig bestimmt wurden.
In den ersten Monaten des Jahres dominierte der nunmehr schon so lange andauernde Konflikt mit Venedig weiterhin das Denken und Handeln des Monarchen. Rastlos bemühte er sich in seinen niederösterreichischen Erbländern und in Tirol um Unterstützung für die Kriegführung, wartete aber daneben doch auch gespannt auf den Ausgang der Verhandlungen über einen Waffenstillstand zwischen ihm und der Adriametropole, die Papst Julius II. und ein Beauftragter König Ferdinands von Aragón in Rom ohne offizielle Beteiligung eines kaiserlichen Vertreters führten. Am 6. April kam endlich der entsprechende Vertrag zustande (Nr. 816), am 12. Mai wurde er vom Dogen (Nr. 827 Anm. 1), am 20. Mai von Maximilian ratifiziert (Nr. 827). Dies änderte allerdings kaum etwas an dessen Abneigung gegen seinen jahrelangen Erzfeind, so daß der venezianische Gesandte Francesco Cappello, als er im August 1512 dem Kaiser in Köln den Wunsch der Signorie nach Wiederherstellung des vor dem Krieg bestehenden guten beiderseitigen Verhältnisses übermitteln wollte, mit absurden Vorwürfen gegen seine Person konfrontiert wurde, kein Geleit erhielt und deshalb seine Werbung dem kaiserlichen Beauftragten Dr. Konrad Peutinger am Landshuter Hof Herzog Wilhelms von Bayern vortragen mußte (Nr. 856, 857).
Zum Zeitpunkt des Waffenstillstands mit Venedig war der Kaiser aufgrund der Liga von Cambrai noch offiziell mit König Ludwig XII. von Frankreich verbündet. Am 11. April besiegte sogar ein französisch-kaiserliches Heer in der Schlacht bei Ravenna die vereint kämpfenden Truppen des Papstes und des Königs von Aragón (Nr. 821). Doch schon gegen Jahresende 1511 war das langjährige, tiefsitzende Mißtrauen Maximilians gegen Frankreich wieder erwacht, als er gehört hatte, König Ludwig XII. unterstütze heimlich den geldrischen Herzog Karl von Egmont, der erneut gegen die Habsburger Krieg führte (Nr. 802). Deshalb wurde er auch vom Kaiser in die Acht erklärt (Nr. 808). In der Folgezeit wuchs Maximilians Sorge um seine durch Herzog Karl bedrohten niederländischen Besitzungen so stark an, daß er nicht umhin konnte, seiner um persönliche Unterstützung bittenden Tochter Margarethe, die als Statthalterin der Niederlande fungierte, sein baldiges Kommen in Aussicht zu stellen (Nr. 818, 823). Am 17. Mai reiste er aus Trier ab und eilte nach Brabant. Es war mithin nur eine folgerichtige Begleiterscheinung des wachsenden Geldernproblems, daß Maximilian eine vollständige Abkehr vom Bündnis mit Frankreich vollzog und dies Mitte Juni den in Trier weilenden Reichsständen schriftlich mitteilte. Zur Begründung kreidete er seinem ehemaligen Verbündeten nicht nur dessen Unterstützung für Herzog Karl an, sondern warf ihm auch vor, in den vergangenen Jahren nie die von ihm erwartete tatkräftige Hilfe gegen den gemeinsamen Feind Venedig geleistet zu haben (Nr. 820 [5.] und [7.], 990 [6.] – [9.], 993 [3.]). Als die Reichsstände daraufhin Maximilian anboten, in seinem Konflikt mit dem Geldernherzog zu vermitteln, lehnte er dies rundweg ab (Nr. 994 [2.], 995 [2.]).
Die konkreten Auswirkungen des scharfen politischen Richtungswechsels des Kaisers zeigten sich schon bald auf mehreren Ebenen. Als König Heinrich VIII. von England – selbst im Begriff, Frankreich mit Kriegsschiffen anzugreifen (Nr. 831) – Maximilian durch eigens nach Brüssel beorderte Gesandte hohe Summen zur Besoldung von Truppen für den Geldernkrieg anbot, nahm dieser sie gerne an (Nr. 837, 839). Den ihm ebenfalls angetragenen Abschluß eines Bündnisses mit dem englischen König zögerte er allerdings immer wieder hinaus (Nr. 843, 846, 855, 862).
Auch in Italien standen der Kaiser und König Ludwig XII. nunmehr gegeneinander. Letzterer hatte durch seinen Sieg in der Schlacht bei Ravenna beste Aussichten, seine italienische Machtposition weiter auszubauen, was Papst Julius II. in helle Aufregung versetzte. Durch diese Konstellation wiederum sahen sich die wegen ihrer kampfkräftigen Söldner seit langem von vielen Seiten umworbenen Eidgenossen plötzlich in einer interessanten und finanziell lukrativen Position. Bereits im Februar hatte Maximilian ihnen im Rahmen einer Einung stattliche Pensionszahlungen versprochen (Nr. 866 [4.]), unmittelbar darauf bemühte sich auch der französische König intensiv um ein Bündnis mit den Schweizern (Nr. 864, 866 [1.] und [2.], 867 [1.]), und schließlich stellte ihnen der bedrohte Papst 20000 Gulden für militärische Hilfe gegen Frankreich in Aussicht (Nr. 869 [1.]). So begehrt die Schweizer mithin als militärische Kraft allseits waren, als politischer Partner kamen sie für Kaiser Maximilian doch nicht in Frage. Deshalb ließ er ihnen am 13. April durch eine Gesandtschaft zwar Gespräche auf dem Reichstag über ihre eventuelle Indienstnahme für das Reich anbieten, lehnte aber gleichzeitig ihren Vorschlag einer Vermittlung in seinem Konflikt mit Venedig höflich ab (Nr. 867). Als dann Anfang Mai zwei eidgenössische Vertreter nach Trier kamen, erteilte er zum einen den dem Papst zuziehenden Schweizer Kriegsknechten die Erlaubnis zum Durchzug durch die kaiserlichen Lande, zum anderen unterbreitete er einen Plan, der ebenfalls massiv gegen Frankreichs Interessen in Italien gerichtet war: Die kampfkräftigen Eidgenossen sollten das Herzogtum Mailand, das sich schon seit 1500 in der Hand König Ludwigs XII. befand, für Massimiliano Sforza, den Sohn des 1508 in französischer Gefangenschaft verstorbenen Mailänder Herzogs Ludovico Moro, erobern und dafür 300000 Dukaten sowie weitere 40000-50000 Dukaten als jährliche Pension erhalten (Nr. 882 [1.], 888 [3.]). Massimiliano, benannt nach seinem kaiserlichen Protektor, hielt sich seit Jahren am Hof des Kaisers und in dessen Begleitung auch auf dem Kölner Reichstag auf. Die Verhandlungen und Diskussionen Maximilians mit den Eidgenossen über die Rückführung des jungen Mannes nach Mailand dauerten bis weit in den Herbst hinein an. Es ging dabei insbesondere auch um die Frage, welche Rechtsstellung Massimiliano in Mailand erhalten sollte, um eine möglichst enge Bindung des Herzogtums ans Reich zu gewährleisten (Nr. 901 [1.], 902 [2.], 903 [1.], 904, 906 [3.]). Vorübergehend dachte der Kaiser sogar daran, seinen Enkel Erzherzog Karl anstelle des Italieners als mailändischen Gubernator einzusetzen (Nr. 902 [3.], 903 [4.], [8.]), doch widerstanden die Eidgenossen diesem Plan erfolgreich (Nr. 904). Drei Monate nach Ende des Kölner Reichstags, am 15. Dezember 1512, konnte Massimiliano in Mailand Einzug halten und wurde zwei Wochen später offiziell als Herzog eingesetzt.
Maximilians neue Frontstellung gegen König Ludwig XII. offenbarte sich nicht zuletzt auch in seinem scharfen Vorgehen gegen französische Truppenwerbungen am Oberrhein und in Böhmen. Da er fürchtete, die zu Tausenden rekrutierten Söldner könnten im bevorstehenden Geldernkrieg gegen ihn eingesetzt werden, untersagte er in einer ganzen Reihe scharfer Mandate an die Untertanen im Reich und in den Erbländern jegliche Indienstnahme fremder Kriegsknechte (Nr. 911, 918, 920, 924, 927, 933). Gegen die Grafen Heinrich von Thierstein und Emich von Leiningen, die das Anwerbeverbot in besonders eklatanter Weise mißachtet hatten, verhängte er schwere Strafen. Ihr Besitz wurde konfisziert und zum Teil an neue Besitzer verteilt (Nr. 912, 913, 915, 916, 922, 923, 928-931), Graf Emich zudem in die Acht erklärt (Nr. 925).