Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 9. Der Reichstag zu Konstanz 1507 bearbeitet von Dietmar Heil
Wohl kurz vor dem 17. Juni erlangten die Wormser Gesandten Philipp Wolff und Balthasar Mühl durch Vermittlung Niklas Zieglers eine Audienz beim Kg. und brachten weisungsgemäß die städtischen Beschwerden gegen den Wormser Klerus vor.1 Nach Beratung mit Ziegler ließ der Kg. den beiden Gesandten einen Vorschlag unterbreiten, in dem wir kgl. Mt. hitziges und erzornt gemut gegen der pfaffheit offentlich spuren, und das ire Mt. zu anderm, des wir hoffen, uns erlaubet werden mag, auch gegen pfaffen selbs durch irer Mt. procurator fiscal auf ire verachtung zu handlen furgenommen hat. Wir haben aber in solchen noch keynen gewissen abschied und steen noch deßhalb in steter handlung by irer Mt. in geheym.
Am 17. Juni übergab – laut mehreren Informanten der Wormser Gesandten – Bf. Reinhard im Reichsrat einige Supplikationen und bat die Stände um Fürsprache beim Kg. Dieser sollte die Stadt veranlassen, die Rechte von Bf. und Hst. zu respektieren. Die Gesandten kündigten dem Wormser Magistrat an, dem entgegenzuarbeiten und sich um die Erlangung der gewünschten kgl. Mandate2 zu bemühen.3
Bf. Reinhard hatte die Stände um Fürsprache beim Kg. in vier Punkten gebeten: 1. Belehnung mit den Reichsregalien, 2. Vollzug des Antwerpener Spruches4 durch die Stadt, 3. Aushändigung der ihm von der Stadt vorenthaltenen Einkünfte, 4. Respektierung des vom Wormser Klerus anhängig gemachten geistlichen Prozesses und des erwirkten Bannes gegen die Stadt sowie Sicherung der Rechte und Freiheiten der Wormser Geistlichkeit. Kg. Maximilian verwies nach der ständischen Interzession die Supplikation des Bf. an den kgl. Hofrat. Am 23. Juni teilten Bf. Georg von Trient und Kaspar von Mörsberg mit, daß der Kg. sie gemeinsam mit Degen Fuchs und Dr. Hans Schad beauftragt habe, im Rahmen eines Schiedsverfahrens die Parteien anzuhören, jedoch nichts ohne den Kg. zu beschließen. Die drei Parteien sollten ihre Klagen schriftlich vorlegen. Bf. Reinhard sowie Dr. Haring Sinnama als Vertreter der fünf Wormser Stifte akzeptierten dies jeweils, behielten sich jedoch vor, für die Verhandlungen nicht bevollmächtigt zu sein.5
Drei Tage später, am 26. Juni, reichten der Bf. und Sinnama ihre Klagen gegen die Stadt bei den vier Hofräten ein: Der Bf. forderte unter Vorbehalt seiner und der stiftischen Rechte erneut 1. den Vollzug des in Antwerpen ergangenen und in Augsburg6 sowie durch das Nürnberger Reichsregiment mit Verhängung der Reichsacht und einem Exekutorialmandat7 bestätigten kgl. Urteils bezüglich der Besetzung von Rat und Gericht sowie anderer Ämter durch die Stadt. 2. Die Stadt soll ihm alle während und nach dem durch Mgf. Christoph von Baden im Landshuter Erbfolgekrieg vermittelten Waffenstillstand8 bzw. auf der Grundlage einer angeblichen Achterklärung gegen den Bf. vorenthaltenen Einkünfte aushändigen und die weitere Nutznießung seiner Güter nicht mehr behindern. 3. Die Gegenpartei darf ihn nicht am Einzug in die Stadt hindern und muß ihm den Eid in der Form leisten, wie dies durch den Bf. von Speyer sowie die Städte Straßburg und Frankfurt vermittelt9 und von der Stadt angenommen wurde. 4. Die Gegenpartei soll sich mit der bfl. Bestätigung der städtischen Rechte in der von seinen Vorgängern gepflegten Form10 begnügen und alle damit nicht im Einklang stehenden, von der Stadt durch Statuten und Ordnungen eingeführten Neuerungen aufheben sowie sämtliche ihm im Zusammenhang mit den genannten Streitpunkten entstandenen Kosten und Schäden ersetzen.11
Sinnama forderte unter Vorbehalt der Rechte des Wormser Klerus und unter Protest über seine fehlende Vollmacht für die Verhandlungen, daß die Stadt die durch Kg. und Kff. vermittelten und von beiden Seiten angenommenen Rachtungen12 einhalten, die dementgegen erlassenen Ordnungen und Satzungen aufheben und die dem Klerus entstandenen Kosten und Schäden erstatten soll.13
Die städtischen Vertreter überreichten den Hofräten am 28. Juni ihre Stellungnahmen zu den beiden Klageschriften ebenfalls vorbehaltlich der städtischen Rechte. Sie machten gegenüber dem Bf. die längst erfolgte Umsetzung des Antwerpener Urteils geltend und führten einen gesiegelten Reversbrief Bf. Johanns14 als Beweis an. Als Voraussetzung für eine qualifizierte Stellungnahme der Stadt sollte der Bf. über die ihm angeblich vorenthaltenen Einkünfte eine genaue Aufstellung übergeben. Als Vorbedingung für seinen Einzug in die Stadt sollte er dem Herkommen gemäß einen Eid über die Respektierung der städtischen Rechte und Freiheiten leisten und einen schriftlichen Reversbrief übergeben. Die Stadt sagte zu, ihn dann an geburlichem, unnachteyligem inryten nicht zu hindern. Bezüglich des geforderten Eides sollte den städtischen Anwälten ein Entwurf vorgelegt werden, wellen wir uns gepurlich und unverwyßlich erzeigen, auch uns der billicheit gemeß bewysen. Die vom Bf. inkriminierten städtischen Ordnungen und Statuten sollte die Gegenseite für eine Stellungnahme im einzelnen benennen. Im übrigen lehnten die städtischen Vertreter die geforderten Zahlungen ab. Statt dessen erhoben sie ihrerseits Anspruch auf Kostenerstattung durch die Gegenseite.15 Unter dem Vorbehalt des beim Kg. anhängigen Verfahrens und der kgl. Tagsatzung [vom 13.5.] forderten Wolff und Mühl in Beantwortung der von Sinnama übergebenen Klageschrift die Vorlage der geltend gemachten Rachtungen sowie der städtischen Ordnungen und Satzungen, um dazu im einzelnen Stellung nehmen zu können.16
Am gleichen Tag übergaben die städtischen Gesandten den kgl. Hofräten eine Klage wegen des von der Wormser Stiftsgeistlichkeit gegen die Stadt geführten geistlichen Prozesses und wegen des vom geistlichen Richter [Anton Leist] verhängten Bannes. Nach ihrer Auffassung lag aufgrund des städtischen Rechtserbietens, der Klassifikation des Streits als weltlicher Angelegenheit und dessen Anhängigkeit vor dem röm. Kg. eine Mißachtung der Rechtsordnung, des kgl. Mandats17 und der Reichsordnung und damit eine Verletzung der kgl. Jurisdiktion durch die Gegenseite vor. Die Stadt beantragte deshalb die Einstellung des geistlichen Prozesses, die Kassation des ergangenen Urteils, die kostenfreie Absolution vom Bann sowie die Fortsetzung des Verfahrens vor dem röm. Kg.18
Bf. Reinhard räumte in seiner mündlichen Replik am Nachmittag des 29. Juni bezüglich des ersten Verhandlungspunktes ein: Es sy ware, demselben sy sym furfare Bf. Johansen gnugen und volstreckung gescheen eynmal und darnach das ander jare auch bis auf den eid, so man eym Bf. am andern tag nach Martini [12.11.] sweren solt etc. Aber darnach haben die von Worms ime nit wollen gestatten, burgermeister und rat zu setzen, sunder setzen die noch jerlich etc. 2. Die Wormser haben ihm Zoll und Waage sowie die Abgaben der Zünfte und weitere Einkünfte, über die sie selbst am besten Bescheid wissen, entzogen. 3. Erneuert sein früheres Angebot, den Eid und die Verschreibung gegenüber der Stadt wie seine Amtsvorgänger zu leisten. Die Stadt soll ihren Eid in der Form wie gegenüber Bf. Johann ablegen19, wie dies seinerzeit auch die Vermittler, Bf. [Ludwig] von Speyer sowie die Städte Straßburg und Frankfurt, vereinbart haben. 4. Die Statuten und Ordnungen brauchen nicht spezifiziert zu werden, die Wormser haben davon ein Buch20 drucken lassen.21
Der gemeinsam mit dem Bf. vor die Hofräte getretene Sinnama übergab als Anwalt des Wormser Klerus dem Bf. von Trient den Schiedsspruch Kg. Ruprechts.22 Die strittigen, der Gegenseite ohnehin bekannten städtischen Statuten und Ordnungen vorzulegen, erachtete er hingegen für unnötig.23
Am folgenden Tag, den 30. Juni, verlas Bf. Georg von Trient in Anwesenheit der städtischen Bevollmächtigten Sinnama die am 28. Juni eingebrachte Supplikation und übergab ihm eine Abschrift davon zur Stellungnahme.24
Am 2. Juli trugen Wolff und Mühl ihre Duplik gegen den Klerus vor: 1. Die von der Gegenseite herangezogenen Verträge wurden durch ksl. Rechtsspruch als dem Hl. Reich nachteilig kassiert; der röm. Kg. hat diese Entscheidung bestätigt.25 Die Stadt wird sich jedoch bei gütlichen Verhandlungen über den Weinausschank und die übrigen Differenzen kompromißbereit zeigen. 2. Sie wiederholen ihre Forderung, daß die Gegenpartei diejenigen städtischen Statuten und Ordnungen benennen soll, die unrechtmäßige Neuerungen enthalten. – Zugleich erneuerten die beiden Gesandten ihre Klage gegen den Klerus: Die Stadt hat zu keinem Zeitpunkt das Recht verweigert und will den vom Kg. anberaumten gütlichen Verhandlungen gerne Folge leisten. Allerdings ging den Wormsern ein Schreiben zahlreicher Adliger26 zu, das die Absichten der Gegenseite erhellt. Die Geistlichen gehen mit widerrechtlichem Bann und dessen Reaggravation27 gegen die Stadt vor, während die Schiedsverhandlungen zugleich durch ungenügend bevollmächtigte Vertreter geführt werden. Falls die Gegenpartei ihr unrechtmäßiges Vorgehen nicht einstellt, sollen die Schiedsrichter den Kg. darüber informieren, damit dieser eingreift, und ihn ebenso über das großzügige Angebot der Stadt in Kenntnis setzen.28
Vermutlich ebenfalls am 2. Juli übergaben die städtischen Gesandten den deputierten Hofräten ihre Duplik gegen den Bischof: 1. Der Bf. gesteht selbst zu, daß das Antwerpener Urteil vollzogen wurde, weshalb er die Stadt offenkundig zu Unrecht verklagt hat. Die Besetzung der Rats- und Gerichtsämter durch den Wormser Rat statt durch den Bf. geschah keineswegs unter Mißachtung eines geltenden Urteils, sondern weil der Kg. diese Befugnis dem Bf. als verwirkt entzogen und an den Magistrat übertragen hat.29 2. Gleiches gilt für den Wegezoll und die Abgaben der Zünfte. 3. Hinsichtlich des bfl. Einzugs in die Stadt und der Eide erneuern sie ihren vorherigen Antrag. 4. Der Magistrat hat pflichtgemäß als zuständige Obrigkeit die Ordnungen für die Stadt reformiert und im Druck publiziert. Falls der Bf. Bestimmungen benennen kann, die unrechtmäßig sind, wollen sie sich aller gepure wysen lassen.
Dies und andere bericht haben wir angezeigt in der gutlicheit, doch mit vorbehaltung aller notturft und unbegeben der injurien, der erbern statt wider die offenbare lantkundige warheit vor kgl. Mt. und des Hl. Rychs versamlung, auch hofrichtern und kgl. reten, uns zugezogen, des wir uns als geschickten protestiren.30
Balthasar Schlör triplizierte als Vertreter des Bf. am 3. Juli in einem langen mündlichen Vortrag; die städtischen Gesandten entgegneten darauf ebenfalls unverbindlich mündlich, bestanden indessen auf der Übergabe einer schriftlichen Triplik gemäß den Verfahrensregeln.31 Im übrigen entgegnete Schlör auf die städtische Klage gegen den Stiftsklerus vom 28. Juni, daß die Stadt aus dem Bann gelöst werde, wenn sie die bestehenden Verträge einhalte; sie dazu zu zwingen, sei der Zweck des Bannspruches.32
Die kgl. Hofräte stellten daraufhin die Unvereinbarkeit der Positionen fest: Der Bf. beharrt auf dem Vollzug des ergangenen Urteils [von 1494], die Stadt macht dagegen die kgl. Begnadung [von 1504] geltend. Der Klerus erachtet die vermittelten Schiedsverträge für relevant, die Stadt dagegen deren Kassation durch den Ks.33 Da dies Angelegenheiten des Kg. sind, wollen sie ihm dieses Ergebnis vortragen und dessen Erklärung anschließend den Parteien eröffnen. Bezüglich der dem Bf. von Trient und anderen Hofräten übergebenen Supplikation der Stadt gegen den Klerus wegen des Bannes und seiner Verschärfung sowie des Absagebriefes der 65 Adligen wurde im Hofrat beschlossen, den Kg. zu informieren und die Ausstellung entsprechender Mandate zu empfehlen.34
Wyter ist in des Bf. sachen nicht entlichs gehandelt wurden.35
Kg. Maximilian stellte der Stadt am 15. Juli ein Mandat an alle Reichsstände, Amtsträger und Reichsuntertanen aus: Er hat erfahren, daß die fünf in Worms ansässigen Stifte versuchen, die Stadt wegen einiger Streitpunkte durch geistliche Prozesse und mit anderen Mitteln zum Einlenken zu bewegen – und dies, obwohl bei ihm in dieser Sache ein Verfahren anhängig ist und er beide Parteien zum gütlichen bzw. rechtlichen Verfahren vorgeladen hat. Er kann als röm. Kg. nicht hinnehmen, daß sich jemand in eine Angelegenheit einmischt, mit der er befaßt ist, und verbietet deshalb unter Androhung schwerer Ungnade und der im kgl. Landfrieden vorgesehenen Strafe, gegen Bürgermeister und Rat – und denen, so inen zu versprechen steen – in irgendeiner Weise gewaltsam vorzugehen oder sich sonst dieser Sache anzunehmen.36
Inzwischen war am 10. Juli der Wormser Stadtschreiber Adam von Schwechenheim – als einer der Bevollmächtigten zu dem gemäß kgl. Zitation [Nr. 92] anberaumten Gerichtstag37 – und mit ihm der in Worms ansässige kgl. Sekretär Jörg Mosbach in Konstanz eingetroffen. Bf. Reinhard sowie Dr. Sinnama und andere Bevollmächtigte des Wormser Klerus bekundeten am Nachmittag des 12. Juli vor dem kgl. Hofrat, aufgrund der kgl. Zitation termingerecht in Verhandlungen eintreten zu wollen, und machten die Mißachtung des festgesetzten Termins (Montag, den 12.7.), durch die Gegenseite geltend. Die durch einen Vertrauensmann informierten Wormser Anwälte Wolff, Mühl und Schwechenheim verfügten sich daraufhin am Morgen des 13. Juli zu den Hofräten in das Dominikanerkloster. Der Stadtschreiber legte dar, daß dieser Dienstag als der 45. Tag nach Verkündung des kgl. Mandats38 der korrekte Termin sei. Einer der kgl. Räte, der Wormser Domherr Dr. [Ludwig] Vergenhans, sprach sich dafür aus, die Versäumung des Termins durch die Stadt zu konstatieren; diese müsse als ungehorsam angesehen und dürfe nicht mehr angehört werden. Nach Vermittlung durch den als Vorsitzenden des Hofrats mit dem Richterstab ausgestatteten Bf. von Trient wurde das Verfahren am 14. Juli eröffnet. Die Vertreter des Klerus – Bf. Reinhard, der Domdekan Erpho von Gemmingen, die Domherren Lukas von Ehrenberg und Dr. Sinnama sowie die Dekane von St. Paul [Nikolaus Bart] und des Liebfrauenstifts [Jost Buwer] – beklagten durch ihren Sprecher Balthasar Schlör die Verletzung ihrer Rechte und Privilegien durch die Stadt und reichten einen entsprechenden Schriftsatz39 ein. Schwechenheim beanspruchte demgegenüber die Rolle des Klägers für die Stadt und forderte die Verlesung der von ihm eingereichten Klageschrift an erster Stelle. Nach einer Erklärung Gf. Eitelfriedrichs von Zollern über die Unerheblichkeit der Reihenfolge wurde zuerst die Klageschrift des Klerus vorgetragen. Laut der anschließend verlesenen städtischen Klageschrift beruhte der Konflikt zwischen der Stadt und der Stiftsgeistlichkeit vor allem auf drei Punkten: 1. Der – zum Teil gar nicht in Worms residierende – Klerus beansprucht das ganze Jahr über das Recht auf freie Einfuhr in die Stadt und auf freien öffentlichen Ausschank unterschiedslos für seinen gesamten, auch den zugekauften Wein. 2. Der Klerus verweigert eine seit über hundert Jahren auch von allen Bürgern zu entrichtende Abgabe auf das zu Handelszwecken aus der Stadt ausgeführte Getreide – 2 Pf. für jeden Malter Roggen oder Weizen, 1 Pf. je Malter Rauhfrucht [= Dinkel und Hafer] –, die zum Unterhalt der Verkehrswege dient. 3. Der Klerus verweigert sämtliche Abgaben von seinem im städtischen Gerichtsbezirk gelegenen, durch Kauf, Verpfändung oder in anderer Weise aus den Händen von Laien an ihn gelangten Immobilienbesitz. Dadurch wird 4. das Einkommen der Stadt, wovon die öffentlichen Aufgaben und der Dienst für das Reich finanziert werden, erheblich geschmälert. Der für das städtische Gemeinwesen existenzielle Weinanbau wird beeinträchtigt. 5. Die drei angesprochenen Beschwerdepunkte sind offenkundig weltliche Angelegenheiten und, zumal die Stadt Worms reichsunmittelbar ist, Sache der kgl. Jurisdiktion. 6. Der Klerus hat die Stadt wegen dieser Punkte vor dem Kg. verklagt und Mandate erwirkt. 7. Die Stadt hat dazu durch ihre zum Kg. entsandten Anwälte Stellung genommen. 8. Dadurch wurde der Streit vor dem röm. Kg. als für die Stadt zuständigem Richter anhängig gemacht, was er noch ist. 9. Ungeachtet des laufenden Verfahrens und unter Verletzung der städtischen Rechte brachte der Klerus den Fall vor einen geistlichen Richter seiner Wahl, den Dechant von St. Johann in Mainz, Anton Leist. 10. Die Stadt beklagte sich darüber vor dem Kg., der daraufhin eine Ladung ausgehen ließ, aufgrund derer beide Parteien auf dem Augsburger Reichstag (1500) erschienen sind. 11. Wegen des Landshuter Erbfolgekrieges konnte sich der Kg. dieser Angelegenheit nicht annehmen und setzte deshalb mit Zustimmung beider Seiten [am 31.3.504] eine Schiedskommission ein. 12. Diese remittierte das Verfahren an den Kg., nachdem die Vertreter des Klerus auf einem Schiedstag zu Mainz jegliche Verhandlungen zur Sache verweigert hatten.40 13. Ungeachtet des anhängigen Verfahrens setzte der Klerus den geistlichen Prozeß vor Anton Leist fort, um die Bürgerschaft durch Verhängung des Banns zum Einlenken zu zwingen. 14. Die Bürgerschaft klagte gegen dieses Vorgehen erneut beim Kg., der daraufhin gemäß einem Beschluß des kgl. Hofrates ein Inhibitionsmandat an den Klerus41 ausgehen ließ. 15. Das Mandat wurde dem Klerus mitgeteilt. Dennoch prozessierte dieser weiter vor dem geistlichen Richter. Der von der Stadt informierte Kg. gebot dem Klerus erneut und unter Androhung des Verlusts seiner Freiheiten die Einstellung des geistlichen Prozesses und zitierte die Parteien vor sich, um eine gütliche Einigung herbeizuführen oder, falls diese scheitern sollte, zu entscheiden, welche Punkte vor geistlichen und welche vor weltlichen Richtern zu verhandeln seien.42 16. Dessenungeachtet verhängte der geistliche Richter bald nach Zustellung des Mandats [am 31.5.] erneut den Bann über die Wormser Bürgerschaft. 17. Ohne Einhaltung der vorgeschriebenen Frist und in ungewöhnlicher Form ließ der Klerus den Bann unverzüglich verkünden. 18. Allen übrigen Einwohnern wurde unter Androhung des Banns der Abzug aus der Stadt innerhalb von sechs Tagen befohlen. 19. Aufgrund von Bemühungen der Geistlichen sagten 65 Adlige dem Wormser Magistrat ab, falls dieser nicht dem Klerus nachgeben würde. Der Bürgerschaft gehen täglich weitere Drohungen zu. 20. Der Klerus mißachtete durch sein Vorgehen die kgl. Jurisdiktion, das gemeine Recht, die [Wormser] Reichsordnung, den Landfrieden und die kgl. Mandate einschließlich der Zitation und ist deshalb den darin vorgesehenen Strafen verfallen. Die städtischen Anwälte bitten den Kg., den Streit in allen genannten Punkten zu einer weltlichen und somit in seine jurisdiktionelle Zuständigkeit gehörigen Angelegenheit zu erklären, für die Einstellung des geistlichen Prozesses zu sorgen, festzustellen, daß der Klerus wegen hartnäckigen Ungehorsams der Strafe des Landfriedens und der kgl. Mandate verfallen und Schutz und Schirm des Hl. Reiches verlustig geworden sei, und entsprechende Mandate ausgehen zu lassen. Der Klerus soll der Stadt überdies für die entstandenen Kosten und Schäden einstehen.43
Nach Verlesung der beiden Klageschriften wurde auf Forderung Schwechenheims hin auch die von den fünf Stiften ausgestellte Vollmacht für ihre Anwälte vorgelesen. Der Stadtschreiber machte wegen des darin enthaltenen Protests bzgl. des kgl. Gerichtszwangs ungenügende Bevollmächtigung und Ungehorsam der Gegenpartei gegenüber dem kgl. Mandat geltend44 und beantragte für die Klageschrift der Stadt die Zulassung zum Beweisverfahren. Der Sprecher der Gegenpartei, Schlör, forderte wiederum die Übergabe der städtischen Klageschrift und Vollmacht. Die kgl. Räte zogen sich daraufhin zur Beratung zurück.45
Am 16. Juli teilte der Bf. von Trient den allein vorgeladenen städtischen Vertretern die mündliche Stellungnahme der Gegenseite zur städtischen Klageschrift und zu den Vermittlungsvorschlägen der Kommissare mit: Der Klerus verweist auf die ergangenen Schiedssprüche und seine urkundlich belegten Rechte und Freiheiten. Die Stadt hat insbesondere den von Kg. Ruprecht vermittelten, den Klerus ohnehin benachteiligenden Vertrag bzgl. des Weinausschanks46 lange Zeit eingehalten. Der mit den Geistlichen mutwillig begonnene Streit ist eigentlich eine Konsequenz aus dem Konflikt der Stadt mit Bf. Johann. Da sie darin erfolglos blieb, wandte sie sich gegen den Klerus. Die Angaben der städtischen Anwälte über angeblich vom Klerus eingeführten Wein im Umfang von mehr als 1000 Fuder sind falsch. In guten Jahren beläuft sich der gesamte Ertrag auf höchstens 400 Fuder Wein. – Angesichts dieser widersprüchlichen Angaben bekundeten die Vermittler ihre Ratlosigkeit und baten um Mitteilung von Vorschlägen für einen Vergleich.47
Am 21. Juli traten die Vertreter der Stadt erneut vor den von Bf. Georg von Trient geleiteten Hofrat. Schwechenheim bestritt [1.] die Existenz gültiger Verträge oder Urteile. [2.] Auch beeinträchtigte der von Kg. Ruprecht vermittelte Vertrag nicht etwa ein zuvor bestehendes freies Weinausschankrecht des Klerus. Dies geht aus zwei älteren Verträgen48 hervor: Zum einen durften die Geistlichen nur den von ihren in der Stadt gestifteten Pfründen stammenden Wein abgabenfrei einführen, für den übrigen eingeführten Wein hatten sie jedoch Ungeld bezahlen müssen. Zum anderen galt die Erlaubnis zum Weinausschank nur für die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. [3.] Die Stadt hat den sie benachteiligenden, von Kg. Ruprecht als parteiischem Schiedsmann und Ebf. [Johann] von Mainz vermittelten Vertrag [von 1407] nur widerwillig und unter Druck akzeptiert. Dies kann erforderlichenfalls schriftlich belegt werden. Indessen hat sich die Bürgerschaft unverzüglich beklagt, als der Klerus begann, seine Weingefälle zu mehren, die Stadt zu benachteiligen und gegen geltende Ordnungen und Verträge Wein auszuschenken. Dies geht aus insbesondere zu Zeiten der Bff. Reinhard und Johann eingereichten Schriften hervor. Die der Stadt gegebenen Zusagen, Mißstände abzustellen, die Schuldigen zu bestrafen und für die Zahlung der Abgaben zu sorgen, wurden nicht eingehalten. Der Rechtsstreit darüber dauert bis heute an. [4.] Die Stadt hat den Konflikt mit dem Klerus keineswegs mutwillig vom Zaun gebrochen. Vielmehr hat Bf. Johann seit seinem Amtsantritt Streit mit der Stadt angefangen, um ihre obrigkeitlichen Rechte und ihre Freiheiten einzuschränken, wogegen sich der Rat, wie es ihm obliegt, bislang erfolgreich zur Wehr gesetzt hat. Das Vorgehen des Klerus beim Weinausschank ist aus zwei Gründen nicht hinnehmbar: a) Die Wormser Bürger beziehen den größten Teil ihres Einkommens aus dem Weinanbau und -handel. Sie können jedoch im unfairen Preiskampf mit den Geistlichen nicht bestehen. Diese weisen überdies weitaus mehr Wein als von ihren Pfründen stammend aus, als dies tatsächlich der Fall ist, und verkaufen ihn das ganze Jahr über. b) Durch das Vorgehen des Klerus werden mit dem Weingeld als wichtigster Geldquelle die Einkünfte der Stadt geschmälert, die davon die öffentlichen Ausgaben und die durch Anleihen finanzierten Aufwendungen für das Reich – seit dem Neußer Krieg über 24 000 fl. – bestreiten muß. Diese laufenden Ausgaben können nicht länger getragen werden. Die Klage wurde also nicht mutwillig, sondern aufgrund von existenziellen Interessen der Gemeinde und der Stadt anhängig gemacht. Dem Klerus hingegen geht es nur um eigennütziges Gewinnstreben, von dem zum Nachteil einer ganzen Stadt höchstens 50 Angehörige des Domstifts und des Stifts St. Andreas profitierten, während sich nur wenige Angehörige des Frauenstifts und der Stifte St. Paul und St. Martin an den Klagen gegen die Stadt beteiligten. Diesen wurde bewilligt, für den Eigenbedarf gekauften Wein frei einzuführen. Das Domstift und St. Andreas haben inzwischen allerdings sehr viele Weinzehnten an sich gebracht. – Nach Verlesung eines vorgelegten Verzeichnisses über die Weinzehnten49 setzte Schwechenheim seinen Vortrag fort: Das Verzeichnis listet über 30 Weinzehnten auf, von denen der Klerus Wein die Stadt einführt und von denen die Hälfte erst in jüngerer Zeit durch Kauf oder Verpfändung in dessen Besitz gelangt ist. Der Gesamtertrag beläuft sich auf 2100 Fuder Wein. In Worms residierten nicht einmal 200 Geistliche, deren Weinverbrauch keine 400 Fuder erreicht. Der Rest wird ausgeschenkt oder verkauft. Die bürgerlichen Händler werden verdrängt, die städtischen Einnahmen aus dem Ungeld gehen dramatisch zurück. Die Stadt kann die öffentlichen Ausgaben nicht mehr bestreiten und ihre Schulden nicht mehr bedienen. Es steht zu befürchten, daß die Gläubiger sich an das Eigentum der Bürger halten werden. Die Stadt bittet den Kg., diesen Mißstand abzustellen. [5.] Falls sich der Klerus mit den angegebenen 400 Fudern tatsächlich begnügen würde, würde die Stadt ihre Klage fallenlassen, die abgabenfreie Einfuhr für den Hausverbrauch gestatten und den Verkauf des restlichen Weins erlauben. Diese Behauptung der Gegenpartei entspricht aber nicht der Wahrheit, weswegen die Stadt erneut bittet, deren Ungehorsam festzustellen.
Die kgl. Hofräte kündigten anschließend Berichterstattung an den Kg. an.50 Kg. Maximilian wurde allerdings vollständig durch die Reichstagsverhandlungen über den Romzug in Anspruch genommen und vertröstete die Wormser Gesandten auf den Abschluß der Reichsangelegenheiten. Die kgl. Räte zeigten sich von der Argumentation der Stadt überzeugt und vertraten dies auch gegenüber dem Kg. Sie erreichten auch bei etlichen Ff. und Adligen eine Distanzierung vom Klerus. Am Abend des 25. Juli51 gewährte der Kg. den Wormser Vertretern eine Audienz, bei der auch der Hofmarschall Gf. Wolfgang von Fürstenberg und der Kanzler Zyprian von Serntein zugegen waren. Schwechenheim bekundete seine Hoffnung, daß der Kg. über die Wormser Angelegenheiten und die vor den kgl. Hofräten geführten Verhandlungen gut unterrichtet sei, und legte dar, daß die Wohlfahrt der Stadt Worms auf zwei Säulen ruhe: Für (1.) ein gutes Regiment hat der Kg. die Stadt gnädig ausgestattet; man hoffe, daß er ihre Rechte schützen wird. Dagegen ist (2.) ihr finanzielles Wohlergehen durch den Klerus bedroht, der zum einen sein Weinausschankrecht mißbraucht und zum anderen Güter der Bürger an sich bringt. Das Einkommen der Bürger und infolgedessen der Stadt, das für die öffentlichen Ausgaben und den Dienst für das Hl. Reich benötigt wird, wird dadurch geschmälert. Die Wormser konnten einem röm. Kg. einmal 2000 Bewaffnete zur Verfügung stellen, doch haben Ritter und Adel unter dem Druck des Klerus die Stadt inzwischen verlassen. Der Klerus wird reich, die Stadt verarmt. Die Stadt bittet deshalb um die Hilfe des Kg. Sie erinnert ihn außerdem an seine Zusage, für die Rückgabe der Urkunden über die Einung und das Schirmverhältnis mit Kurpfalz zu sorgen. Die Wormser Bürger werden ständig bedroht und bedrängt, wogegen sie den kgl. Schutz erflehen. Die Stadt macht außerdem den Vorschlag, zur Begleichung seiner Schulden bei den Wormsern entweder zu jeder Frankfurter Messe Silber zu liefern oder fur IIII- oder funftusent fl. kupfer zu geben. Das wollt eyn rait zu buchsen zu Inßpruck giessen und sich also schicken, damit man ir Mt. und dem Reich auch, so es noit were, desto stattlicher dienen mochten etc. – Kg. Maximilian bat um eine schriftliche Fassung des Vortrags.
Einige kgl. Räte erhielten den Befehl, einen Vertrag zwischen Klerus und Stadt auszuarbeiten. Die Geistlichen versuchten jedoch durch ihre Fürsprecher, namentlich Gf. Eitelfriedrich von Zollern, zu erreichen, daß lediglich eine Vereinbarung für einen Austrag verabschiedet werden sollte.52 Die städtischen Verordneten lehnten dies als Zeitverlust ab: Die Gegenseite spielt lediglich auf Zeitgewinn, um – wie schon mehrmals geschehen – das Verfahren dann durch Ausflüchte zum Scheitern zu bringen. Der Kg. und die Räte sollen deshalb über den Weinschank und die anderen Streitpunkte, bei denen es sich um weltliche Angelegenheiten handelt, entscheiden, damit der Streit ein Ende hat und die Stadt vom Bann gelöst wird.
Nach weiteren Verhandlungen legten die städtischen Vertreter einen Entwurf für einen Schiedsgerichtsvertrag vor, den Mosbach Kg. Maximilian unterbreitete. Dieser erteilte den mit den Verhandlungen betrauten kgl. Räten Befehl, auf die Annahme des Entwurfs durch die Parteien hinzuarbeiten. Also arbeiten die rete daruf und ward beslussen uf form und masse, wie hienach geschriben [Nr. 970].
Anmerkungen
Soweit nicht anders angegeben, basiert die Darstellung des Gerichtstages im folgenden auf dem Protokoll (B) (StdA Worms, 1 B, 1939,3, unfol.).