Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth
[Köln, Mitte Juli 1512]1
Kop.: Weimar, HStA, EGA, Reg G Nr. 208, fol. 95a-118a (auf dem Deckblatt fol. 94a: Erfurdische clagen; kollationiert und beglaubigt durch Christoph Hofmann); Magdeburg/Wernigerode, LHA, A 37b I, I III Nr. 10, fol. 17a-28a (auf dem Deckblatt fol. 16a: Erfurdische clagen wider alle Ff. von Sachsen und wider alle ausgelaufene bürger von Erfurt).
Der Anwalt und Syndikus der Stadt Erfurt trägt Ks. Maximilian, den Reichsständen oder deren in dieser Angelegenheit verordneten Kommissaren in gestalt einer schlechten gesantenclage eine Reihe von Beschwerden gegen die Hgg. Friedrich, Georg, Johann und Heinrich von Sachsen sowie 23 ehemals zum Stadtregiment gehörige und weitere 8 jeweils namentlich genannte ausgetretene Erfurter Bürger vor. So auch rat und gemeinde zu Erfurt von den Hl. Vätern, den Bebsten, röm. Kss. und Kgg., auch den EBB zu Menz gevreyt sein, das sie sonderlich in der ersten instanz nicht usgeheischen oder geladen werden, sonder vor den geordenten richtern in Erfurt des EB zu Menz furgenomen werden sollen, protestirt anwalt auch, das er durch diese noch keiner andern erscheinung und handlung, die eu, ksl. Mt., zu undertenigem gehorsam geschicht, solche noch keiner andern der stat freiheit begeben, sondern seiner partei vorbehalten haben will.
1. Vor dreißig Jahren war Erfurt eine reiche, völlig schuldenfreie Stadt, so daß die große Not, in der es sich jetzt befindet, in keiner Weise erwartet werden konnte. 1509 erfuhr jedoch die Erfurter Gemeinde, daß verschiedene Mitglieder des Regiments Schulden von 550 000 fl. Hauptgeld und jährliche Zinszahlungsverpflichtungen von 30 000 fl. angehäuft hatten. Nach eingehender Beratung beschlossen der Erfurter Rat und hundert von der Gemeinde gewählte Personen, den EB von Mainz als ihren Erbherrn um Hilfe zu bitten. Die zu ihm entsandte Delegation wurde allerdings zusammen mit einigen mitreisenden Kurmainzer Räten durch den kursächsischen Hauptmann zu Weimar, Friedrich Thun, aufgehalten, die Kurmainzer Räte wurden nach Hause zurückgeschickt und die Erfurter Gesandten gefangengesetzt. Ein Gesuch um deren Freilassung lehnten die sächsischen Hgg. ab, billigten dadurch gleichsam den gewaltsamen Übergriff auf die Erfurter Delegation und machten sich mitschuldig. Der Ks. befahl ihnen durch ein Mandat aus Innsbruck (Nr. 128) die Freilassung der Gefangenen, zudem erging auf dem Augsburger Reichstag ein entsprechender Abschied (Nr. 158). Der Erfurter Rat beantragt, rechtlich festzustellen, daß der Übergriff Friedrich Thuns auf die Gesandten unrechtmäßig war, von den Hgg. von Sachsen gebilligt wurde und diese deswegen zur Zahlung einer Entschädigung von 100 000 fl. an Erfurt, Freilassung der Gefangenen, Rückgabe des ihnen abgenommenen Geldbetrags sowie Zahlung einer Kaution, damit sie künftig keine derartigen Taten mehr gegen Erfurt verüben, verpflichtet werden.
2. Entgegen dem gemeinen Recht, dem Landfrieden und der Reichsordnung sowie trotz einer seit 1483 geleisteten Zahlung Erfurts von jährlich 1500 fl., insgesamt 30 000 fl., an die Hgg. von Sachsen für besonderen Schutz und Schirm wurden auf sächsischem Gebiet zahlreiche gewaltsame Übergriffe auf Erfurter Bürger und deren Besitz verübt. (Folgt eine Beschreibung von dreißig entsprechenden Vorkommnissen in den Jahren 1510-1512.) Da diese Attacken gegen das Recht, die Billigkeit, den Augsburger Abschied und andere ksl. Gebote verstoßen, beantragt der Erfurter Anwalt, rechtlich festzustellen, daß die Hgg. von Sachsen zur Verhinderung der Übergriffe verpflichtet gewesen wären und deshalb eine Entschädigung von 50 000 fl. zu zahlen haben.
3. Die gemäß dem Augsburger Abschied berufenen ksl. Kommissare Bf. Lorenz von Würzburg und Gf. Michael von Wertheim beraumten im Beisein der kftl. Räte und der Vertreter Nürnbergs und Frankfurts einen Tag zur gütlichen oder rechtlichen Entscheidung des Erfurter Konflikts an, den jedoch die Hgg. im Gegensatz zu Erfurt ebenso ablehnten wie einen von den Kommissaren einberufenen Rechtstag. Ein Friedgebot blieb unbeachtet, statt dessen setzten die Hgg. ihre Attacken gegen Erfurt fort. Dessen Anwalt beantragt deshalb, rechtlich festzustellen, daß die Hgg. den Augsburger Abschied des Ks. und der Reichsstände sowie die ksl. Mandate nicht befolgt haben und daher den Abschied zu Augsburg nicht gegen Erfurt einsetzen können.
4. Während der genannten Tagsatzung und des Gerichtstages ließ Hg. Georg von Sachsen das Schloß und den Ort Vargula widerrechtlich einnehmen und hat beides bis heute nicht an Erfurt zurückgegeben. Dessen Anwalt beantragt, rechtlich festzustellen, daß Hg. Georg zur Restitution dieses Besitzes und zur Erstattung der entgangenen Nutzung verpflichtet ist.
5. Erfurt besaß Schloß und Hft. Kapellendorf als Lehen von Reich und stand deswegen trotz seiner Zugehörigkeit zum Erzstift Mainz unter dem Schutz und Schirm des Reiches. Zudem war festgelegt, daß besagtes Lehen niemals verkauft, versetzt oder verpfändet werden dürfe, sondern immer beim Reich bleiben solle. Dies ist urkundlich nachweisbar. Dennoch nahmen Kf. Friedrich und Hg. Johann Kapellendorf in ihren Besitz und enthalten es bis heute Erfurt vor. Dessen Anwalt beantragt, rechtlich festzustellen, daß die beiden Hgg. zur Rückgabe Kapellendorfs verpflichtet und etwaige von ihnen dagegen vorgebrachte Einwände aufgrund ksl. Macht und Rechtsmittel nichtig sind.
6. Die 23 ehemals zum Stadtregiment gehörigen, jedoch ausgetretenen Erfurter Bürger führten die alte, erlich stat Erfurt, eine der grosten stette in Germania oder oberteutschen landen, die vor dreißig Jahren reich und schuldenfrei war, in Armut und Verderben, verschwendeten ihr Vermögen, brauchten die Vorräte auf, belasteten die Einwohnern mit hohen Aufschlägen auf Lebensmittel, häuften Schulden in Höhe von 550 000 fl. Hauptgeld und 30 000 fl. jährlichen Zinsen an und verschleierten all diese Machenschaften gegenüber ihren Mitbürgern. Weil deshalb viele die Stadt verlassen mußten, sind dort mehr als tausend Häuser verfallen. 150 000 fl. wurden ohne Bewilligung des EB von Mainz als Stadtherrn und der Gemeinde den Hgg. von Sachsen zugewendet. Der Erfurter Anwalt beantragt, rechtlich festzustellen, daß die ausgetretenen Bürger unrecht daran getan haben, Erfurt derart ins Verderben zu führen, und sie zur Wiedergutmachung des angerichteten Schadens und Erstattung der Kosten verpflichtet sind.
7. Die ehemaligen Regenten von Erfurt veräußerten kurz vor ihrem Austreten aus der Stadt Schloß und Hft. Kapellendorf widerrechtlich und ohne Rücksicht auf die ksl. Freiheit an die Hgg. von Sachsen. Der Erfurter Anwalt beantragt, rechtlich festzustellen, daß sie dazu nicht berechtigt gewesen und verpflichtet sind, für die Rückgabe besagten Schlosses an Erfurt sowie Erstattung aller Schäden und Gerichtskosten zu sorgen.
8. Die ehemaligen Regenten von Erfurt waren schuldig und haben auch gelobt, über ihre administrative Tätigkeit Rechnung abzulegen, verweigerten dies dann aber und flüchteten aus der Stadt. Der Erfurter Anwalt beantragt, rechtlich festzustellen, daß die ausgetretenen früheren Regenten zur Rechnungslegung verpflichtet sind, daß sie das, was sie der Stadt schuldig sind, bezahlen müssen, und für den Fall, daß sie mit dem Gemeingut unbillig umgegangen sind, dafür geradezustehen haben.
9. Weitere acht namentlich genannte Erfurter Bürger aus der Gemeinde wurden gewählt, um eine vollständige Überprüfung der Rechnung der ehemaligen Regenten durchzuführen. Sie verpflichteten sich dazu eidlich, verließen dann aber doch die Stadt, um mit den anderen ausgetretenen Bürgern gemeinsame Sache zu machen und sich mit Worten und Werken gegen die Stadt zu stellen. Der Erfurter Anwalt beantragt, rechtlich festzustellen, daß sie dies nicht gedurft hätten, sie eidbrüchig geworden sind und dafür bestraft werden sollen.
10. Gemäß den Erfurter Statuten ist es allen Bürgern verboten, sich unter den besonderen Schutz von Ff. oder Hh. zu begeben, wenn dies der Stadt zum Schaden gereicht. Genau dies taten jedoch die ausgetretenen Bürger wider ihren geschworenen Bürgereid, taten sich mit den Feinden Erfurts zusammen, deckten die Geheimnisse der Stadt auf und verunglimpften die Gemeinde in gedruckten Schmähgedichten. Der Erfurter Anwalt beantragt, rechtlich festzustellen, daß ihnen all dies nicht erlaubt gewesen sei und sie sich dafür gemäß dem Recht und den Statuten Erfurts zu verantworten haben.